Tosca in der Volksoper. Die auf Deutsch gesungene Oper Puccinis würdigt deren noch immer gültige Modernität von Musiktheater. Alfred Kirchner blieb auch den Opernfans durch eine Glanzleistung – die Staatsopern-Produktion von Mussorgkijs “Chowanschtschina” (1989 unter Claudio Abbado herausgebracht) – in bleibender Erinnerung.
Im Interview vor seiner jetzigen Volksopern-Inszenierung darauf angesprochen, meinte er:” Aber jetzt wollen wir, wenn auch mit geringeren Mitteln, eine Tosca machen, von der ich hoffe, dass sie ebenfalls im Gedächtnis der Wiener bleiben wird.”
Das scheint gelungen. Großen Applaus und Jubel gab es vom Publikum nach der Premiere am Sonntagabend nicht nur für ihn, sondern auch für die Hauptdarsteller Ann-Marie Backlund (Tosca), János Bándi (Cavaradossi), Morten Frank Larsen (Polizeichef Scarpia), auch Martin Winkler als Mesner, und den Dirigenten Josep Caballé-Domenech sowie das ganze Orchester der Volksoper Wien, das eine musikalisch beachtliche und schöne Leistung bot.
Das Bemerkenswerte: Gespielt wird in der deutschen Übersetzung von Günther Rennert, dem langjährigen Felsenstein-Assistenten und Hamburger (bis 1956) und Münchener Operndirektor(1967-1976), der 1978 in Salzburg nach seiner letzten vollendeten Inszenierung des “Rosenkavalier” starb. Kirchner, der selbst mit ihm noch viel über “Tosca” redete, ist wie dieser davon überzeugt, dass die Botschaft eines Kunstwerks überzeitlich gültig sei und aktuell bleiben muss, dass Opernregie die Aufgabe habe, menschliche Wirklichkeit abzubilden. Mit den Mitteln des psychologischen Realismus, der Sprache und des Theaters (auch in der Oper) sollen die Figuren profiliert gezeichnet und in auch ihren Beziehungen zueinander verdeutlicht werden.
Tosca erstach Scarpia in dem Moment, als dieser “saubere” Baron und Polizeichef, in Wirklichkeit ein sadistischer Verbrecher, glaubte, ihrer nach Erpressung und unerträglicher Folter ihres Geliebten endlich sexuell habhaft geworden zu sein. Als dann am selben Morgen ihr Liebhaber Mario Cavaradossi im Auftrag Scarpias gerade tatsächlich erschossen wurde, bricht sie – vermutlich tot – neben diesem zusammen. Wenn sie auch nicht, wie gewohnt am Ende vor den nahenden Verfolgern sich von der Engelsburg stürzt: Alfred Kirchner hält sich in seiner Inszenierung in der guten, auch Zeit und Ort (Rom 1800) spürbar machenden Ausstattung von Karl Kneidl, genau an das, was Puccini wollte.
Viele wollen dessen Opern nur mehr original auf Italienisch (wie seit Karajan üblich) hören. Kirchner lieferte nun – übrigens 101 Jahre nach der Wiener Erstaufführung an der Volksoper – den überzeugenden Beweis des Gegenteils: Ja, es geht auf Deutsch, und man erlebt die Verbindung von Musik und Sprache vielleicht sogar intensiver. Ein Höhepunkt war da der 2. Akt mit dem großartigen Morten Frank Larsen in zwingender Textdeutdeutlichkeit, der Ann-Marie Backl und in der dramatischen Verzweifeltheit der Diva in nichts nachsteht. Für ihr innig und verhalten schön gesungenes “Nur der Schönheit weiht´ ich mein Leben” (alias “Vissi d’arte”) erhielt sie verdient den halt einfach nicht zu unterdrückenden (und üblichen) Szenenapplaus, wie auch János Bándi für seine berühmte einsame Arie “Und es blitzen die Sterne” zu Beginn des 3.Aktes.
Alle, die Puccini für einen Produzenten kitschiger musiktheatralischer “Schmonzetten” halten, sollten es vielleicht riskieren, in eine Aufführung der Volksoper zu gehen (statt das nächste Mal in die Staatsoper mit “Stars” in der uralten Inszenierung dort). Nicht nur wegen der unleugbaren “Hits”.
Heinz Rögl