Katharina Klement (Musikerin, Komponistin)
Mein letztes Live-Konzert ist bereits mehr als vier Wochen her – es scheint wie eine Ewigkeit, wie aus einer Zeit, die nur mehr hinter einer halb durchsichtigen Wand existiert. Bereits eingewöhnt in Online-Meetings und Konzert-Streamings stelle ich mir die Frage, ob es überhaupt vorbei ist mit Live-(Groß)veranstaltungen?
Peter Weibel schreibt am 20.3.2020 in der NZZ über die erste Ferngesellschaft der Menschheitsgeschichte: „…doch die Spiele und Konzerte dienen im Grunde nicht dem lokalen Massenpublikum, sondern den nicht lokalen Massen, dem virtuellen Publikum, das dezentralisiert weltweit vor TV-Geräten und Tablets sitzt…“
Für Großevents ist das wohl gültig geworden, aber für neue und experimentelle Musik, die keine Massenproduktion liefert und seit jeher ein kleineres Publikum um sich schart, ist die unmittelbare physische Anwesenheit und Korrespondenz zwischen Ausführenden und Rezipierenden unabdingbar. Der physikalische und architektonische Raum, der sich in jedes Konzert als „Widerhall“ einschreibt, kann trotz unserer Schulung im virtuellen Umgang mit Medien nicht in eine Bildschirmebene geklappt werden.
Ein riesiges Rotkreuz-Schiff liegt vor NYC und im dortigen Central Park ist ein Feldlazarett aufgestellt. Diese Realität einer Verwundbarkeit ist vergleichbar mit der von 9/11, und sie markiert einen Paradigmenwechsel, der diesmal fast zeitgleich die ganze Welt betrifft. Ein globaler Lockdown der menschlichen Gesellschaft ist das neue Szenario. Wovor schließen wir uns ein? Ist das unsichtbare Virus „nur“ Katalysator für einen wirtschaftlichen und sozialen Crash ohnegleichen? Was uns gerade durchbricht und davonschwemmt, ist noch nicht abzuschätzen.
Kontrolle, Erstarken eines neuen Nationalismus, Überwachung, Misstrauen, Armut und Diktatur sprießen mit derselben viralen Geschwindigkeit aus dem Boden wie der Krankheitserreger selbst. Ein Horrorszenario wenn wir nicht rasend schnell auch die Chance für ein Umdenken und Umlenken darin erkennen. Grundeinkommen für alle, radikale Umstrukturierung des Verkehrs, Abkehr vom neoliberalen Wirtschaftssystem überhaupt sind Gebote der Stunde. Eine Neubewertung der Gesellschaft findet bereits statt – die Held*innen sind zurzeit Verkäufer*innen, Pfleger*innen, freiwilliges Hilfspersonal…
Was bleibt der Musikerin und Komponistin in diesen Tagen, außer Absagen und Termine von geplanten Konzerten zu verschieben? Aufgrund eines Lehrauftrags auf der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, der sich online ganz gut durchführen lässt, muss ich glücklicherweise weder einen Antrag für Härtefälle oder den Katastrophenfonds für Kulturschaffende in Anspruch nehmen. Der finanzielle Verlust hält sich noch in Grenzen. Positiv ist, dass ich entschleunigter arbeiten, hören, lesen, recherchieren kann. Irgendwie ist es auch ein Aufatmen aus einer Rastlosigkeit zwischen Terminen und deadlines, gewohntem Druck. Gleichzeitig ein Treiben auf offener See – ein Anhalten an irgendwelchen Bruchstücken einer „temps perdu“, die nichts mehr taugen, die sich nicht mehr zusammenfügen lassen. Noch kein Land in Sicht, eine Reise mit ungewissem Ausgang.
Die Klanglandschaften in dieser Quarantänezeit verändern sich stark, verminderter Lärm allerorten, stillstehende Maschinen. Die Stille menschenleerer Straßen und Städte wirkt unheimlich, die des fast fliegerfreien Himmels ist wohltuend. Hölderlin und seinem „stillen Aether“ sei hier in seinem Jubiläumsjahr gedacht – aktueller denn je.
Zufällig kommen mir ein paar Zeilen von Carlo Emilio Gadda unter: „conoscere è inserire alcunché nel reale; è, quindi deformare il reale.“ („Erkennen heißt, etwas ins Wirkliche einführen, also die Wirklichkeit deformieren”).
Unsere Wirklichkeit wird derzeit in hohem Maße deformiert, aber wird daraus eine ebenso große Erkenntnis resultieren? Auf jeden Fall wird nach dieser Krisenzeit kaum mehr etwas sein wie davor, wird sich unsere Wahrnehmung geändert haben. Ein Riesenpotential für die Künste und die Musik.
Chris Koubek (Konzertveranstalter & FESTIVALKURATOR, p.m.K. innsbruck / Heart of Noise)
Wir haben vor kurzem die Info bekommen, dass wir das Heart of Noise in den Herbst (01.-03.10.) verschieben können und das Haus der Musik eine Woche für uns frei geschaufelt hat. Eigentlich wollten wir ja das fertige Programm genau einen Tag nachdem die ersten Covid 19 Maßnahmen bekanngegeben wurden, ankündigen, was dann aber natürlich keinen Sinn mehr gemacht hat. Eine Komplettabsage war für uns aber kein Thema und so probieren wir jetzt die Verschiebung und hoffen, dass größere Veranstaltungen im Herbst schon wieder möglich sind.
Was die p.m.k betrifft sieht es so aus: Durch die spezielle Struktur der p.m.k als aktiver Zusammenschluss von über 30 Innsbrucker Kulturvereinen, die ihre Veranstaltungen in der p.m.k eigenverantwortlich und zum Großteil ehrenamtlich durchführen, halten sich die Einnahmeausfälle durch Veranstaltungsabsagen in Grenzen. Finanziell am meisten betroffen sind Musiker*innen und Bands sowie Freelancer wie Tontechniker*innen oder Türsteher*innen. März, April und Mai sind ja jene Monate im ersten Halbjahr mit der höchsten Veranstaltungsdichte. Allein in der p.m.k wären in diesen drei Monaten an die 40 Veranstaltungen mit über 100 Acts geplant gewesen, die jetzt natürlich alle abgesagt werden mussten.
Die zwei Halbtagsangestellten der p.m.k werden in Kurzarbeit gehen und für den Veranstaltungsbereich haben wir mit dem Vermieter eine Aussetzung der Mietzahlungen vereinbart. Wichtig für das Überleben ist natürlich auch, dass Subventionsgeber ihre Förderungen von Programmen, die nicht stattfinden können, nicht einstellen oder kürzen. Da ist noch nicht alles ganz klar. Spannend wird auch noch wie sich die Corona Krise auf die zukünftigen Budgets im Kulturbereich auswirken wird.
Judith Ferstl (MUSIKERIN)
Nachdem ich viele unterschiedliche Gefühlslagen durchgemacht habe, versuche ich jetzt vor allem meinen ganz eigenen Weg durch diese Zeit zu finden. Ich lese viel, vor allem Zeitung, vor allem Kommentare von unterschiedlichen Personen, die mir bewusst machen, wie viele verschiedene Meinungen es im Moment gibt. Es überrascht mich, dass mich das gerade weniger verunsichert, sondern mir eher hilft. Niemand hat im Moment „die Lösung“. Mir hilft es, Ideen und Anregungen von anderen Menschen zu bekommen und meinen eigenen Gedanken mehr Raum zu lassen.
Für mich persönlich trifft es eine Zeit in der sehr viel Schönes geplant war. Nach einem ruhigen Februar, der vor allem der Vorbereitung einer Album-Aufnahme mit meiner Band „June in October“ gewidmet war, muss diese jetzt auf September verschoben werden. Einen Arbeitstitel für das Album gibt es schon seit etwa zwei Monaten: „Resting in Uncertainty“. Was zunächst ein sehr persönliches Thema für mich war, wird auf einmal in einen ganz anderen größeren Kontext gestellt. Eine ausgedehnte Tour mit Christian Muthspiels „Orjazztra“ musste entfallen. Konzerte mit „chuffdrone“, „Gnigler“ und „Soap & Skin“ werden teilweise abgesagt bzw. verschoben. Viel Unsicherheit liegt in der Luft. Neben dem finanziellen Verlust, der eine sehr wichtige Einkommensquelle für das gesamte Jahr beinhaltet hätte, ist das vor Allem – sehr schade.
Ich merke aber immer mehr, in welcher privilegierten Situation ich mich befinde. Das schätze ich sehr. Ich schätze im Moment viele Dinge mehr. Und ich sehne mich mehr. Nach dem Musik machen, mit und für Andere.
Ich spüre kein Bedürfnis aus meinem Wohnzimmer zu streamen, habe es aber durchaus genossen einmal vom Balkon aus zu spielen. Ich genieße es, dass ich mich jetzt zurückziehen darf, fühle aber auch schnell den Druck, gerade jetzt besonders kreativ sein zu müssen.
So habe ich mir vorgenommen in dieser Zeit nichts leisten zu müssen. Ich stehe immer wieder an dem Punkt, überarbeitet und ausgebrannt von einem Projekt zum nächsten zu springen. Jetzt nehme ich mir die Freiheit, herunter zu fahren und einfach mal zu schauen was kommt. Einiges gibt es natürlich trotzdem zu erledigen, aber es bleibt viel mehr Zeit dafür.
Ich versuche eine optimistische Haltung einzunehmen. Ich möchte in dieser speziellen Zeit Energie tanken, vielleicht komponieren, vielleicht neue Ideen träumen und planen, vielleicht wieder mehr Üben und mein Instrument anders kennen lernen. Um dann, wenn das Alles hinter uns liegt, wieder raus zu gehen und die neu getankte Energie mit anderen Menschen zu teilen. Die Vorstellung wieder zu proben, wieder ein Konzert zu spielen und ein neues Album aufnehmen zu können, – das Alles erfüllt mich mit großer Sehnsucht und Vorfreude!
Hannes Tschürtz (Labelbetreiber, agent, ink music)
Wie geht es euch mit CD-Verkäufen und Merch?
Der Einzelhandel hat zu, Amazon stellt den CD-Vertrieb bis auf weiteres ein und sämtliche Live-Konzerte und Tourneen sind abgesagt oder im besten Falle weit verschoben worden. Und es sind gerade unsere zwei wichtigsten Releases der letzten Jahre erschienen – jedEr möge sich den Rest zusammenreimen.
Was bedeutet es für euch wenn Amazon, wie kürzlich angekündigt, CDs und LPs in seinem Sortiment aufgrund der Corona-Krise nicht nachbestücken wird?
Amazon hat in den letzten Jahren einen Marktmacht entwickelt, die im Schnitt etwa 50% der Verkäufe bei Neuproduktionen ausmacht. Das war nicht unsere Entscheidung, sondern die des Konsument*innen. Wir predigen seit Jahr und Tag, dass lokale Fachhändler*innen unsere Freunde sind und ich glaube, dass das in Zeiten wie diesen in Bezug auf Obst- und Gemüsehändler*innen, Bäcker*innen oder eben den Plattenhandel allen sickert. Support your local store!
Welchen Vertrieb verwendet ihr?
Wir vertreiben weltweit physisch und digital mit RoughTrade/GoodToGo und bieten einen eigenen Online-Shop an.
Stefan Sterzinger (MUsiker)
Ich versuche Ratlosigkeit in Ruhe zu verwandeln, außerdem
5x die Woche 1h Laufen
2x die Woche 2h Radfahren
Außerdem kein Alkohol
Im April sollte ich noch alles zahlen können
Ab 3. April kümmere ich mich um diverse Hilfen seitens der öffentlichen Hand
Ich wäre finanziell safe gewesen bis Ende September und hätte auf verschiedenen Ebenen ein vielversprechendes Jahr vor mir gehabt, mit vier Projekten, Solo, im Duo, Trio, Quintett, in Österreich und Deutschland abenteuerliche erste Gehversuche in neuen künstlerischen Konstellationen in Saarbrücken und in Bayern
Ich bin schon wirklich ang’fressen
(Ich lebe ausschließlich vom Spielen und mache alles selber rund ums Geldverdienen mit Musik, also Konzeption, Komposition, Texten, CD, Marketing, Promo, Booking, gegebenenfalls Förderungen)
Ab 5. April arbeite ich an Skizzen von Text und Komposition für ein neues Trio-Programm, ab Mitte April dann gemeinsam mit den Kollegen via Skype. Premiere war für Mitte Juni gedacht (im Rahmen von Wir sind Wien)
Außerdem ab Mitte April Booking Versuche für Herbst 2020/Frühjahr 2021. Mal schauen, wie die werte Veranstalter*innenschaft dann so drauf ist…
Diverse Social Media Kanäle mit Gratis-Wohnzimmer-Abfilmerei-Konzerten fluten kommt für mich nicht in Frage. Vielleicht ein Special anstelle des abgesagten Berlin Konzertes für ausgewählte Gäste? Zwischendurch arbeite ich gedanklich an einem neuen Format…
Das Publikum fehlt mir sehr.
Und die allmorgendliche Auto-Motivation ist eine große Herausforderung.
Ein herzliches Bonne Route in die Runde!
Manuela Kerer (Komponistin)
Die derzeitige Situation trifft uns freischaffende Komponist*innen schwer. Täglich erhalten wir Absagen für Konzerte, Workshops und Residencies, teilweise weit über die Jahresmitte hinaus. Das bedeutet einen gewaltigen Ausfall von Honoraren und Tantiemen auf unabsehbare Zeit und folglich Unsicherheit, Existenzängste, schlaflose Nächte: ja, es geht um das nackte Überleben! Dabei erleichtern Kunst, Kultur und speziell Musik den Menschen das Daheim-Bleiben derzeit sehr. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass es nicht nur Lippenbekenntnisse, sondern auch reale Unterstützungen für uns Musikschaffende geben wird, finanzieller Natur und darüber hinaus. Denn Kultur ist eines der Zahnräder unserer Gesellschaft, das sollte auch der Politik klar sein.
LOU ASRIL (Musiker)
Natürlich ist es eine anspruchsvolle Zeit für jedEn einzelnEn. Buuut let’s make the best of it – stay home and safe! Ich beschäftige mich mit mir selbst und wie ich in dieser Situation am besten handeln kann, um sie möglichst schnell zu überwinden.
STATEMENTS ZUR CORONA-KRISE – WIE GEHT ES DER HEIMISCHEN MUSIKSZENE? (TEIL 1)