"spot on jiddischkeit" im Konzerthaus – eine Nachlese

“Spot on” – so soll es jedes Jahr zu Saisonbeginn in einem neuem Festival des Wiener Konzerthauses an einem Wochenende heißen. Diesmal ging es um “Jiddischkeit”, um Schlaglichter auf die Vielfalt jüdischer Kultur. Das sehr gut besuchte, ja ausverkaufte Fest am 13. & 14. September ist eine Initiative der neuen Führung, konzipiert durch Bernhard Kerres und Amanda Rotter. Auch sonst hat sich im Konzerthaus ja einiges personell verändert.

Allerdings bleiben als selbständige Verantwortliche für Wien Modern Berno Odo Polzer und Thomas Schäfer dem Festival für zeitgenössische Musik heuer beide erhalten, Polzer plant auch bereits an der Ausgabe 2009. Und für die neue Reihe “Im Loth” (ab 4.10.) wird Barbara Lebitsch – schon bisher bestens bekannt als Produktionsleiterin im künstlerischen Betriebsbüro – verantwortlich zeichnen. mica-music austria wird zum gegebenen Zeitpunkt gerne darüber berichten. Monika Jeschko ist für die “Jugendarbeit” und die Mitsingsaktion “Sing along” zuständig.

 

Über die Musik im Jüdischen schreibt der Essayist und Schriftsteller Doron Rabinovici, der auch eine Lesung im Schubert-Saal halten konnte, zur kritischen Einstimmung in einem einführende Magazinbeitrag für das Konzerthaus: “Was aber klingt jüdisch? Schließlich können unter jüdischer Musik vollkommen unterschiedliche Klangformen gemeint sein. Die einen mögen darunter Kantorengesänge, andere sephardische Weisen in Ladino, die dritten israelische Horatänze verstehen und während Juden aus Jemen zu ganz anderen Tönen singen als jene aus Äthiopien oder jene in Indien, denken viele in Österreich bei diesem Begriff immer nur an eines: die jiddische Folklore des Klezmer, als gäbe es nicht eine große Klaviatur jüdischen Lebens; eine Artikulation der Polyphonie.  “Jiddischkeit  bezieht sich nur auf die Klangwelt der Shtetl in Osteuropa, die vernichtet wurden” (Rabinovici).

 

Erinnert werden muss in diesem Zusammenhang auch – das kann man gar nicht oft genug tun – an die Zahl der einstigen jüdischen Einwohner Wiens, die erst 1867 im Staatsgrundgesetz als gleichberechtige Staatsbürger anerkannt wurden. Raimund Fastenbauer (Israelitische Kultusgemeinden): “Gab es 1860 in Wien 6.200 jüdische Einwohner, so waren es zehn Jahre später bereits 40.200 und zur Jahrhundertwende 147.000 (.) Die Nürnberger Rassengesetze führen Schritt für Schritt zur vollständigen Beraubung der Freiheitsrechte, zur Ausschaltung aus nahezu allen Berufszweigen, zum Ausschluss von Schulen und Universitäten, zur sichtbaren Diskriminierung durch das sichtbare Tragen des Judensterns. Bis Oktober 1941 gelingt mehr als 130.000 Juden die Flucht – nach der Wannseekonferenz im Januar 1942, bei der die vollständige Vernichtung der Juden beschlossen wird, fallen die meisten der noch in Österreich verbliebenen Juden der Tötungsmaschinerie des NS-Regimes zum Opfer. Von den mehr als 65.000 österreichischen Juden, die in Konzentrationslager deportiert worden waren, überlebten nur rund 2.000 Menschen.

Und weiter: Zählte die Wiener jüdische Gemeinde vor 1938 noch über 185.000 Mitglieder, so sind heute bei der Kultusgemeinde rund 7.000 als Mitglieder registriert, rund 5.440 sind österreichische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger (Zahlen zusammengestellt von der IKG).

Verbotene Musik. Jede Note zählt!

 

Das für den am Sonntag Lesungen und Konzerte besuchenden mica-Redakteur bei weitem eindrucksvollste Konzert des Fests fand eine Stunde lang im Mozart-Saal statt. Von dem exzellenten, aus Südafrika stammenden, 1974 in Durban geborenen und im Alter von einem halben Jahr mit den Eltern emigrierten Geiger Daniel Hope (der Vater war Schriftsteller und Anti-Apartheid-Kämpfer, der erst zu diesem Zeitpunkt ein Ausreisevisum erlangte, die Mutter wurde später Managerin von Yehudi Menuhin) hörte man – verbunden mit eigenen klugen und informativen Worten – Werke der im Lager Theresienstadt (in Wahrheit eine Hölle) gemeinsam mit Hans Krása, Viktor Ullmann und Pavel Haas internierten Komponisten Gideon Klein und Zikmund Schul sowie zwei ebenso geniale Stücke von den unter dem NS-Regime als “entartet” diffamierten und verbotenen Erwin Schulhoff, der als Kommunist im Mai 1941 die sowjetische Staatsbürgerschaft angenommen, nach Erhalt gültiger Einreisepapiere jedoch nach dem deutschen Überfall als “Bürger eines Feindstaates” eingestuft, von der stalinistischen Ausländerpolizei mit seinem Sohn im Juni in Prag interniert und dann in ein Lager in Bayern deportiert wurde, wo er im August 1942 an den Folgen von Unterernährung, Erschöpfung und Krankheit starb. Offizielle Diagnose: Tuberkulose.

 

Daniel Hope spielte Schulhoffs virtuose Sonate für Violine solo (noch aus glücklicheren Tagen der zwanziger Jahre) und am Ende – gemeinsam mit Cellistin Josephine Knight – dessen phantastisches Duo für Violine und Violoncello. Von Gideon Klein, dem mit seiner Ankunft in Theresienstadt gerade 21 Jahre alten Hochbegabten, der dort unermüdlich komponierte und es verstand, seine Leidensgenossen unter den anderen Komponisten und Künstlern aufzurichten, schließlich bei Auschwitz (wohin er im Oktober 44 mit Hunderten anderen verlegt wurde und ältere wie zum Beispiel Hans Krása sofort vergast wurden) mit 24 im letzten Moment vor der Befreiung von einem unerwarteten SS-Kommando liquidiert wurde, hörte man ein weiteres Duo sowie von Zikmund Schul (ebenfalls Theresienstadt) “Chassisische Tänze” .

 

Aber nicht deswegen – sondern wegen der Güte, Kraft, Macht  und Kompromisslosigkeit dieser Musiken, kongenial und ohne falsche Sentimentalität interpretiert – trieb es einem fast die Tränen in die Augen. Wie hätte sich die gesamte europäische Musik nach dem Krieg weiterentwickelt, hätten diese Menschen weiterleben und arbeiten können? Das demonstrierte, sagte und schrieb im Magazin zum Festival auch der Interpret Daniel Hope: “Diese Musik zeigt uns, wie die menschliche Seele und ihr künstlerisches Bekenntnis auf unerträgliche äußere Umstände reagiert. Jede Note zählt – diese Männer komponierten im wahrsten Sinne um ihr Leben.”

 

Ansonsten gab es sicherlich auch noch manches Anregende für verschiedenste Geschmäcker bei diesem Fest zu entdecken: Das Giora Feidman-Trio, Künstler aus Israel wie die Kultband Boom Pan, die Sängerin Chava Alberstein und besonders der geniale Jazzbassist Avishai Cohen mit Trio bereits am Samstag, das Amber Trio Jerusalem im hoffnungslos vollbesetzten Schubert-Saal und weitere Künstler aus Israel am Sonntag, als Höhepunkt am Abend ein opulentes “Kantorenkonzert” mit zwei Oberkantoren, dem Männerchor “Kolot” und der Slowakischen Philharmonie unter der Leitung von Mordechai Sobol. Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg moderierte launig.
Heinz Rögl

 

Daniel Hope © mv.de
Spot on, Großer Saal © Wiener Konzerthaus