Fernab der Heimat verdingt der österreichische Wissenschafter und Musiker STEFAN KRIST seinen Lebensunterhalt – in der Inneren Mongolei, einer autonomen Region der Volksrepublik China, in deren Hauptstadt Hohhot er als Uni-Assistent am Zentrum für mongolische Studien arbeitet. Schon für seine ethnologischen Studien gelangte Krist an so entlegene Gegenden wie Alaska auf der einen und Sibirien auf der anderen Seite.
Seit mehr als zwanzig Jahren, sagt er im Gespräch im Blue Tomato, führen ihn seine Forschungsarbeiten in den fernen Osten, um die Gebräuche und vor allen Dingen die traditionellen Sportarten der Burjaten, also der Mongolen Russlands, zu studieren: das Bogenschießen, das Ringen und die Pferderennen. Etwa 15 Mal reiste er nach Südsibirien und von dort auch mehrmals in die Mongolei, in dessen Grenzgebiet gleich mehrere Ethnien leben. Die traditionellen Sportarten der Burjaten, erzählt er, weisen Querverbindungen zum Schamanismus und zur Religion ebenso auf wie zur Kunst und zur Gesellschaft. Ehemals vom Buddhismus geprägt, dann vom Zarismus beherrscht, später von den Sowjets, heute vom Kapitalismus – und gleichermaßen wieder vom Buddhismus, fungiere das Leben der Burjaten wie „ein Spiegel aktueller gesellschaftlicher Verhältnisse“.
Krists Engagement in der Mongolei hänge auch damit zusammen, dass er hierzulande keinen adäquaten Job finden konnte. Nach dem Studium der Kultur- und Sozialanthropologie samt Doktorat in Alaska wieder nach Wien zurückgekehrt, habe hier kein Hahn nach ihm gekräht. Nach langer Durststrecke habe ihn ein chinesischer Freund kontaktiert und ihm dann bei der Bewerbung für die Universität in Hohhot geholfen. Dort in der „blauen Stadt“, wie Hohhot wörtlich übersetzt heißt, erlangte Krist nach einem mühseligen bürokratischen Hürdenlauf im Februar 2017 endlich eine fixe Anstellung. Wohl auch aus dem Grund, wie Krist vermutet, weil sich die Uni durch ihn und seine westlichen Sprachkenntnisse verstärkte Kontakte nach Europa und in die USA verspricht. Deutsch und Englisch seien für ihn sowieso obligat, Chinesisch müsse er noch lernen, sein Mongolisch sei lausig, Russisch könne er aber seit seiner Zeit in Sibirien ganz passabel. „Und Burjatisch spricht ohnehin kaum jemand, nicht einmal viele der Burjaten selbst“, erzählt er.
Wissenschaft und Kunst
Stefan Krists Ambitionen sind indes nicht nur wissenschaftlicher, sondern auch musikalischer Natur. So sei er über die in Deutschland lebende Guzheng-Spielerin Xu Feng Xia, die er vor mehr als einem Dutzend Jahren in Wien kennengelernt und später in Deutschland besucht habe, in Kontakt mit Li Tieqiao getreten, einem exzellentegutenn Saxofonisten und ausgezeichnet vernetzten Konzert-Checker in Peking. Mit seiner Hilfe wurden dann einige Konzerte organisiert. Dabei lernte Krist die Guzheng-Spielerin Yu Miao kennen, mit der er seither kontinuierlich konzertiert. Miao, so berichtet ein Kritiker, integriere gleichermaßen Elemente der Klassik, des Jazz, des Elektro und der Rockmusik. Sie treten im Duo auf, sagt Krist, aber auch zusammen mit Tieqiao und anderen Musikern, wie etwa dem Flötisten Bruce Gremo, den er zur gleichen Zeit wie Yu Miao in Peking kennengelernt habe.
Dadurch sei er Ende Jänner endlich auch in andere Städte Chinas gekommen, nach Schanghai, Yiwu und Shenzhen, und habe zur Finanzierung der Tournee vom österreichischen Kulturforum in China „ein bisschen Geld“ lukriert. Zu seiner Zeit in Alaska sei er wiederum von seinem Studienort Fairbanks aus mehrmals in den USA unterwegs gewesen, hauptsächlich in New York, Boston und Chicago. Und in Österreich stand Stefan Krist häufig mit Mario Rechtern auf der Bühne, auch mit Hermann Stangassinger und im Good News Trio mit Stefan Heckel & Andi Menrath. Mit Josef Novotny an der Orgel habe er gleich viermal in Kirchen konzertiert.
Posaune, Euphonium & Ophikleide
Die Posaune ist ebenso Stefan Krists Instrument wie die Stimme, das Singen, die Geräuschentwicklung durch das Atmen, den Mund und die Luft, wie er sagt. Daheim in Stockerau borgte ihm einst ein Freund seine Posaune, später eignete sich Stefan Krist Kenntnisse am Euphonium, dem Bassflügelhorn, an. Besonders fasziniere ihm am Posaunenspiel, dass körperliche Bewegung zur Musikerzeugung nötig sei. Ein Musikstudium habe er indes nie absolviert, „ich kann nicht einmal Noten lesen“, bekennt er, „aber ich muss es für meine Musik auch nicht können“.
Fasziniert habe ihn eines Tages in Paris eine Ophikleide. Darunter müsse man sich eine Mischung aus Saxofon und Tuba mit dem Mundstück einer Posaune vorstellen. Das Instrument sei in alten Blasmusikkapellen gang und gäbe gewesen, Ende des 19. Jahrhunderts sei es aber ausrangiert und durch die Tuba ersetzt worden. Den Umgang mit diesem exotischen Instrument habe Stefan Krist der Posaunist Hans-Georg Gutternigg gezeigt, der in Russkaja die sogenannte Potete, eine Mischung aus Posaune und Trompete, spielt. Da die alte Ophikleide – „das teuerste Ding, das ich besitze“ – über die Jahre einige Defekte erlitt, gab er sie in Ungarn zur Reparatur und ließ auch gleich einen Gigbag für sie nähen.
Krists oben erwähnter chinesischer Freund, inzwischen Professor an einer anderen chinesischen Universität, sei eines Abends bei einem seiner Konzerte in Peking aufgetaucht und habe ihm danach die Verbindung seiner Wissenschaft mit seiner Musik glaubhaft vor Augen geführt. Er habe auch etwas Schamanisches darin entdecken wollen. Immerhin, so konzediert Stefan Krist, reiche beides, seine Wissenschaft und seine Musik, „in die Tiefe des Menschseins, ins Unbewusste, hin zum ersten, unregulierten Ausdruck“.
Alois Sonnleitner