Ein Aufschrei gegen ein gesellschaftliches System geprägt von scheiternder Klimapolitik und miserablen Zukunftsaussichten, und gleichzeitig ein Versuch, das Bestmögliche draus zu machen – das sind ENDLESS WELLNESS, bestehend aus Philipp Auer, Milena Klien, Adele Ischia und Hjörtur Hjörleifsson. Die vierköpfige Band aus Wien ist seit Frühling bei Ink Music unter Vertrag und veröffentlicht Songs mit einer fast schon obszönen Mischung aus Poesie, Slang und tröstlicher Ironie. Mit Katharina Reiffenstuhl führen zwei der Bandmitglieder im Büro ihres Labels ein Gespräch, das ihrer Musik gleicht: Schonungslos, ehrlich und wahnsinnig lustig.
Für so eine Musik, wie ihr sie macht, braucht man sehr wahrscheinlich eine enge Freundschaft und vor allem denselben Humor. Wie habt ihr euch kennengelernt?
Philipp Auer: Richtig unterschiedlich. Adele und Hjörtur im Rockhouse tatsächlich. Und wir zwei haben uns kennengelernt …
Milena Klien: … übers gemeinsam in der Band spielen. Wir hatten als Teenager schon mal eine Band gemeinsam und sind alle in Salzburg aufgewachsen oder in die Schule gegangen. So groß ist Salzburg nicht. (lacht)
Seid ihr dann zusammen nach Wien gezogen?
Milena Klien: Nein, wir sind auch nicht alle gleich alt. Ich zum Beispiel habe lange nicht in Wien gewohnt, ich bin erst seit Herbst 2020 hier. Unsere Freundschaft war aber immer durchgehend und auch distanzüberwindend, seitdem wir in der Band gespielt haben. Jeder hatte seine eigenen Projekte, wir haben uns in den Ferien immer wieder besucht. Im Sommer, nachdem ich nach Wien gezogen bin, hat sich dann die jetzige Band formiert. Nachdem Hjörtur dem Philipp wiederholt gesagt hat, dass er jetzt endlich mal was mit seinen Liedskizzen machen muss.
Wie kam der Name ENDLESS WELLNESS zustande?
Milena Klien: Mit sehr viel Überlegung und diversesten Meinungen. Wir haben wirklich lange überlegt und waren uns überhaupt nicht einig. Es gab immer ein paar Ideen, die wir alle okay fanden, aber keine, die instantly perfekt gepasst hat. Dann hat der Philipp ENDLESS WELLNESS vorgeschlagen und da waren wir alle so: “Ja, das ist er”.
Philipp Auer: Das war der erste, auf den sich alle einigen konnten.
Also gibt es da keine tiefgründige Bedeutung dahinter?
Philipp Auer: Er hat für uns so gut funktioniert, weil er eine ähnliche Ambivalenz in sich trägt wie die Songs.
Milena Klien: Ja, nach dieser Impulsidee hat sich diese Bedeutung immer mehr herauskristallisiert.
Philipp Auer: Der Wunsch nach diesem hürdenlosen “feel good”-Life bzw. die Unmöglichkeit davon. Und auch einfach, weil Wellness so ein ganz unangenehmer Begriff ist. Ein Marketing-Begriff, der so eine Selbstoptimierung in sich hat.
Milena Klien: Und so oft verwendet und gesehen wird, dass er fast schon wieder sinnentleert ist. Das auszustellen mit der Frechheit, dann noch eine Endlosigkeit zu behaupten, hat irgendwie einen Reiz gehabt.
Letzte Woche ist euer neuer Song erschienen, „Kinder“. Und so ironisch und humorbeladen eure Musik auch ist, da steckt ein ernstes Thema dahinter. Wie ist dieser Song entstanden?
Milena Klien: Der Philipp hatte einige Rohzeilen und songtragende Akkorde. Das lag schon eine Zeit lang herum, aber wir hatten noch nicht die Möglichkeit gehabt, daran weiterzuarbeiten. Dann haben wir das erste Mal gemeinsam mit Martin Brunner und Árni Hjörleifsson über ein verlängertes Wochenende eine Hütte in der Slowakei gemietet und eine Writing-Session gemacht. Dort hat der Song den Raum bekommen, den er gebraucht hat.
Philipp Auer: Es wurde viel diskutiert. Anfangs hat es sich so angefühlt, als wüssten wir gar nicht, wo dieser Song hinsoll – das hat sich erst über die Diskussion ergeben. Nach stundenlangem Diskutieren ist dieser Song dann am nächsten Tag fertig gewesen.
Milena Klien: Ich glaube, sogar noch am selben Tag.
Philipp Auer: Stimmt, es war ein uuur langer Tag.
Milena Auer: Der Tag war wirklich lang. Wir haben gefrühstückt und dieses Frühstück ist durch die Diskussion in ein Mittagessen übergegangen. Es war einfach ein intensives Gespräch darüber, Kinder zu bekommen, und was das auf einer persönlichen und gesellschaftlichen Ebene bedeutet. Mit welchen Zweifeln hat man selbst noch zu kämpfen, wie kann man das mit sich selbst ausmachen, ohne das Leben eines anderen Menschen auch mitverantworten zu müssen, eines Menschen, den man erst in die Existenz führt. Alles große Fragen – dementsprechend langes Frühstück. (lacht) Dann haben wir am Nachmittag die Demo von dem Song begonnen.
Philipp Auer: Die ist ziemlich genauso wie der fertige Song.
Milena Klien: Ja. Philipp und ich haben uns dann noch recht lange über einzelne Zeilen ausgetauscht. Es gab ein paar Zeilen, die waren echt schwierig, an denen haben wir lange genagt.
Philipp Auer: Der Song ist eigentlich an einem Tag fertig gewesen und dann hat es ein Jahr gedauert, bis der eine Satz sich verändert hat.
Welcher Satz war das?
Philipp Auer: Sagen wir nicht.
Milena Klien: Kann man sich selbst überlegen, welcher Satz das wohl war.
„MAN MUSS GAR NICHT MEHR SO ANGST HABEN VOR DEM WAS KOMMT, WENN DAS, WAS DA IST, EH SCHON SUPER SCARY IST“
In dem Song gibt es die Line „Ich weiß nicht, wie man eine langfristige Zukunft baut“ – habt ihr Angst vor dem, was noch kommt?
Philipp Auer: Auf jeden Fall. Auf der einen Seite ist sehr deutlich was kommt, und jetzt auch schon sehr spürbar, was da ist. Mit Rhodos und so weiter.
Aktuell sehr passend, ja.
Philipp Auer: Man muss gar nicht mehr so Angst haben vor dem was kommt, wenn das, was da ist, eh schon super scary ist. Gleichzeitig ist es so schwer zu greifen. Ich weiß, dass diese Krise real ist. Aber es ist ähnlich, wie über den Tod nachzudenken – da gibt es einfach ein Limit im menschlichen Gehirn, habe ich das Gefühl.
Milena Klien: Es gibt da sicherlich ein paar gescheite Wissenschaftler:innen, die das besser und pointierter formulieren können als ich. Aber es zeichnet sich ja schon seit mehreren Jahrzehnten ab, dass es sich genau so entwickeln wird, wie es sich gerade entwickelt. Es ist ein Dauerkatastrophenzustand, und diesen medial vermitteln zu können, ist extrem schwierig. Natürlich ist es eine Krise, aber bei dem Wort Krise denkt man an eine herausfordernde Zeit, die auch wieder einen Endpunkt hat. Aber dazu müssten wir uns jetzt anders verhalten. Eigentlich ist es eine fortwährende Katastrophe.
Philipp Auer: Deswegen ist die große Angst ja eigentlich gar nicht unbedingt vor dem Klima an sich, da gäbe es Wege, dem entgegenzuwirken. Die große Angst ist eher menschliches Fehlverhalten. Viele Politiker:innen behaupten ja, das wäre nichts, mit dem man sich auseinandersetzen müsste.
Milena Klien: Gerade darum ist es so wichtig, mit Menschen, die einem nahestehen, darüber zu sprechen. Sich anhand dieser Hoffnungslosigkeit ein Umfeld zu suchen, in dem man sich sicher fühlt, in dem man Hoffnung schöpfen kann, wenn man sie schon nicht in den Institutionen und Entscheidungsträger:innen findet. Davon handelt der Song für mich persönlich sehr stark.
Ist für euch Musik also das Medium, um all das inhaltlich nach außen zu tragen?
Milena Klien: Ich glaube, für mich ist das an erster Stelle, um selbst meine Gedanken zu ordnen und mit diesen Gefühlen klarzukommen. Wir sind in dieser privilegierten Lage, das auch nach außen tragen zu dürfen.
Sehr spannend ist auch das Musikvideo dazu: Eine Roomtour von einem leerstehenden, alten Haus und ihr zusammen an einem Tisch im Garten. Hat das eine bestimmte Bedeutung?
Milena Klien: Das kann man sich gerne überlegen, wenn man es sich anschaut.
Philipp Auer: Ja, das würde ich nicht verraten. Ich habe da schon sehr schöne Antworten gehört und ich möchte das niemandem vorwegnehmen.
Milena Klien: Alle Antworten bisher waren sehr richtig bzw. im Rahmen von dem, was wir uns dabei gedacht haben. Und das ist ja auch das extrem Schöne an Bildern und Texten oder generell Kunst, die man versucht, nach außen zu tragen: Dass sie Intentionen ein bisschen übersteigt und jede Person im Rahmen ihres eigenen Horizonts Anknüpfungspunkte findet.
„DIE SONGS SIND JA AUCH IRGENDWIE UNTERSCHIEDLICHE CHARAKTERE AUF EINE BESTIMMTE ART UND WEISE“
Essenziell ist bei euch auch dieses Umgangssprachliche in den Texten. Philipp, könntest du dir überhaupt vorstellen, auf Hochdeutsch zu singen?
Philipp Auer: Ich glaube, das ist auf dem Album mittlerweile sehr unterschiedlich. Je nachdem, was ein Song braucht. Mir ist gerade eingefallen, bei einem der neueren Songs, die wir jetzt gerade so erarbeitet haben, hat Adele gesagt “Ach, du musst einfach noch ein bisschen philipp-auern, dann geht das schon”. Man würde glauben, die Songs starten eher unten und dann müssen sie poetisch werden. Dabei ist es eher andersherum, es wird konstruiert und dann muss man schauen, dass das einfacher wird.
So ein bisschen auseinander flicken.
Milena Klien: Genau. Bisschen weniger verkopfen.
Philipp Auer: Es kennt ja noch niemand die Songs, aber ein Song am Album ist zum Beispiel gar nicht umgangssprachlich, der ist sehr … gesetzt. Sehr gesetzt gesungen, sehr gesetzt geschrieben.
Milena Klien: Die Songs sind ja auch irgendwie unterschiedliche Charaktere auf eine bestimmte Art und Weise. Es macht einfach Spaß, die Dimensionen und Eigenschaften der unterschiedlichen Charaktere so ein bisschen zu erkunden, da ist natürlich Betonung, Sprache oder Rhythmus ein sehr effektives Mittel.
Zum Thema Album, ihr arbeitet ja gerade am ersten Album. Wie ist denn da der aktuelle Stand?
Philipp Auer: Ich weiß nicht, was wir sagen dürfen. Wir haben ja jetzt ein Label. (lacht)
Milena Klien: Ich glaube, man kann schon sagen, dass es fortgeschritten ist. Wir sind voller Vorfreude.
„ICH GLAUBE, WIR HABEN ES AUF DEM ALBUM SEHR GUT GESCHAFFT, UNTERHALTEND, TRAURIG UND WÜTEND GLEICHZEITIG ZU SEIN“
Worauf können sich die Leute denn freuen?
Milena Klien: Wow. Das ist wirklich schwer zu beantworten. Auf sehr viel Herzblut, detaillierte Arbeit und Bandgeschichte, die da eingeflossen ist. Das klingt jetzt alles sehr pathetisch, aber es ist auch irgendwie so. Schon ein echt besonderes Projekt.
Philipp Auer: Ich glaube, wir haben es auf dem Album sehr gut geschafft, unterhaltend, traurig und wütend gleichzeitig zu sein.
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Schreibt ihr eure Songs eigentlich gemeinsam? Oder kommt da einer daher und sagt „Schaut‘s mal, ich hab da was geschrieben“?
Philipp Auer: Auch sehr unterschiedlich, und das ist etwas, was sich jetzt im Laufe des Albums entwickelt. Drei, vier Songs auf dem Album hat es schon von mir gegeben, da ist dann noch viel verändert worden.
Milena Klien: “Hand im Gesicht” zum Beispiel ist eigentlich der älteste Song. Den hast du 2018 geschrieben, oder?
Philipp Auer: Genau. Einer der ersten, die ich so in dem Stil geschrieben habe. Oder wo, wie du sagst, diese Umgangssprache zum ersten Mal reingekommen ist. Deswegen wollten wir den auch als erstes veröffentlichen. Die Songs sind einfach unterschiedlich reif.
Milena Klien: Auf jeden Fall. Also sie bearbeiten auch unterschiedliche Thematiken, aber aus verschiedenen Reifeprozessen heraus. Ich fands sehr spannend, dass du anfangs gesagt hast, dass wir viel mit Ironie und Witz arbeiten. Das stimmt – und ich glaube, das ist, weil wir alle sehr humorvolle Personen sind.
Philipp Auer: Das ist einfach das Lustigste, was man über sich sagen kann. „Wir sind ur lustige Personen“.
Milena Klien: (lacht) Ja. „Wir haben so einen guten Humor.“ Aber irgendwo kann Ironie bei gewissen Themen auch eine Form von Schutz sein und ich glaube, am Album trauen sich die Songs dann auch ein bisschen mehr, sich einer Ernsthaftigkeit auszusetzen. Auch, wenn es nicht bedeutet, dass Ironie nicht auch immer ernsthaft ist. Aber vielleicht einen Umweg mehr nimmt.
Philipp Auer: Spaß kann halt einfach sau wehtun. Letztes Jahr habe ich einen Artikel gelesen, dass Wissenschaftler:innen das “Zeitalter des Feuers” ausrufen. (lacht) Da kann man doch nur lachen.
Milena Klien: Aber vermutlich vor allem, wenn man Science-Fiction-affin ist.
“A Netflix Production”, so klingt das ein bisschen.
Milena Klien: Also ja, natürlich ist das ein coping mechanism. Es kann ein Schutz sein, es ist ein verbindendes Element. Und ich glaube, im Album leuchten wir auch die dunklen Ecken ab, ohne dabei die Ironie mit aufzunehmen. Ich finde, es hat beides sehr wichtige und gute Effekte, es sind einfach andere Modalitäten.
Philipp Auer: Ich finde es auch noch wichtig zu sagen, dass musikalisch ur viel gemeinsam passiert. Selbst, wenn bei den Texten von der Masse her ich das Meiste liefere. In dem Urlaub in der Slowakei habe ich vier Zeilen zu einem Song gehabt, die ein gewisses System hatten. Dann haben Milena und Hjörtur gesagt “Das könnte doch der ganze Song sein, bleib’ doch einfach in dem System”. Und da hat sich eine riesige Blockade gelöst, ich bin eine viertel Stunde spazieren gegangen und dann war der Song fertig geschrieben. Selbst, wenn das nur ein kurzer Moment ist, der da passiert, ist das ein großer Schritt fürs Songwriting, der so nur in der Gruppe möglich ist.
Milena Klien: Absolut. Und man kann diese Dinge ja auch gar nicht so voneinander abgrenzen. Deswegen ist man ja auch in einer Band: Weil man irgendwann zu einem Fusions-Brain wird.
Ihr seid vier Personen. Seid ihr euch da immer einig, in all den Prozessen und Entscheidungen?
Philipp Auer: (Beide lachen) Oh nein.
Milena Klien: Wir sind vier Personen mit vier sehr starken Meinungen.
Philipp Auer: Wir sind uns nie einig.
Milena Klien: Alle vier nie, das ist korrekt. Aber wir sind sehr geübt darin, Argumente zu akzeptieren, nachvollziehen zu können und dann Kompromisse zu finden, mit denen sich alle wohlfühlen.
Danke für das Gespräch!
Katharina Reiffenstuhl
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