„Sounds helfen, mich im Hier und Jetzt, in meinem Körper, zu spüren.“ – RENT im Interview

Die Künstlerin und Musikerin KATRIN EULLER erobert seit einiger Zeit als RENT die experimentelle Elektronikszene Wiens für sich. Die dunkel eingefärbten Klangwelten, die sie entwirft, resonieren in uns. Sie wirken immersiv, spinnen unsere Körper ein, können aber auch attackieren. Sie haben etwas Unheimliches, Evokatives, Archaisches an sich, wirken auf unseren Körper ebenso wie auf unsere Imagination. Shilla Strelka hat mit der Künstlerin gesprochen, die im Rahmen des Elevate Festivals in Graz live zu erleben sein wird.

Beginnen wir am Anfang – wie bist du zur Musik gekommen?

Katrin Euller: Mein Vater ist sehr musikalisch und ich war schon als Kind im Klavierunterricht. Ich wollte aber nicht üben und noch weniger vorspielen und irgendwann hat mich mein Klavierlehrer aus der Klasse geschmissen. Später bin ich dann auf die Akademie gegangen und habe über Videoproduktionen meinen eigenen Zugang zu Sound und zur Musik gefunden.

„Ich habe immer schon in Sounds gedacht“

Du hast ja eigentlich Bildende Kunst studiert. Inwiefern hat das Auswirkungen auf deine musikalische Produktion? Lassen sich bildnerische Konzepte auch auf Sound umlegen?

Katrin Euller: Ich glaube, es gibt schon einige Parallelen zwischen meiner Bild- und Soundproduktion. Komposition, Schnitt, Rhythmus, Dramaturgie – damit beschäftige ich mich sowohl, wenn ich mit Bewegtbild arbeite, als auch, wenn ich neue Tracks komponiere. Ich habe immer schon in Sounds gedacht, wenn ich an Videos oder Filmen gearbeitet habe, und umgekehrt schießen mir immer wieder Bilder in den Kopf, wenn ich Musik mache. Mein Zugang zu Sound ist aber viel intuitiver als mein Zugang zu Videos. Bilder sind so aufgeladen, dass ich das Gefühl habe, ständig in eine Falle zu tappen. Ich bin da sehr kritisch und finde den Umgang mit Bildern schwierig und kopflastig, aber auch herausfordernd und politisch wichtig. Sounds fordern mich auf eine andere Art, ich fühle mich darin ein bisschen freier.

Deine Sounds haben eine starke Körperlichkeit, sie affizieren mich physisch. Einerseits spinnen sie meinen Körper ein, sind immersiv, andererseits können sie auch attackieren. Was interessiert dich am Verhältnis von Körper und Sound? Welche Effekte und Potentiale inspirieren dich?

Katrin Euller: Für mich ist Musik zugleich eine der individuellsten und der gemeinschaftlichsten ästhetischen Erfahrungen überhaupt. Das fasziniert und berührt mich sehr. Wir spüren sie in den Beinen, in der Magengrube, bis hin zur Schädeldecke. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass mir Sounds helfen, mich im Hier und Jetzt, in meinem Körper, zu spüren. Das hat etwas sehr Tröstendes in diesem Moment. Gleichzeitig kann ich mich in Sounds auch völlig auflösen und vergessen.

„Gewisse Themen beschäftigen mich medienübergreifend.“

Ich würde deine Sounds irgendwo zwischen Dark Ambient und Industrial Noise verorten. Gleichzeitig haben sie etwas sehr Cineastisches. Sie funktionieren imaginativ, assoziativ. Sie skizzieren abgründige Welten. Du bist auch als Videokünstlerin aktiv und hast bereits Sound-Design für Film gemacht. Inwiefern inspiriert dich deine visuelle Arbeit? 

Katrin Euller: Seit ich denken kann, nimmt Musik eine wichtige Rolle in meinem Leben ein. Durch die Jahre war ich immer mit Kopfhörern und unterschiedlichen Abspielgeräten unterwegs. Eigentlich von Kindesalter an. Deshalb ist es wahrscheinlich eher so, dass auch meine visuellen Arbeiten von Sounds inspiriert sind, von Rhythmen, von abstrakten Stimmungen. Umgekehrt haben die Bilder, mit denen ich arbeite und mit denen ich mich umgebe, auch einen Einfluss auf meine musikalischen Arbeiten. Gewisse Themen beschäftigen mich dann medienübergreifend. Düstere Landschaften, Maschinen, Körper sowie Fragen von Gemeinschaft und Alleinsein beschäftigen mich sowohl in meiner Musik als auch in meinen visuelleren Arbeiten.

„Vieles in meiner Musik ist dem städtischen Alltags-Noise sehr ähnlich.“

In welchem Verhältnis befinden sich das Hören und das Sehen für dich? Wie empfindest du das? Der akustische Sinn wird im Gegensatz zum visuellen ja zumeist unterprivilegiert behandelt.

Katrin Euller: Ich glaube, dass wir durch das Internet und die Digitalisierung sehr stark auf das Visuelle fokussiert sind. Es ist auch schwierig, sich dieser Bilderflut zu entziehen, der wir die ganze Zeit ausgesetzt sind. Ich finde das alles sehr anstrengend und gleichzeitig will ich mich auch informieren. Der akustische Sinn wird, im Vergleich zum visuellen, bestimmt weniger beachtet. Das lässt aber auch viel Raum für Experimente und neue Erfahrungen, z.B. in der Wahrnehmung unserer Umgebung und derer Interaktion mit unserem Körper. Vieles in meiner Musik ist dem städtischen Alltags-Noise sehr ähnlich.

Der Spannungsaufbau spielt, finde ich, auch eine wichtige Rolle in deinen Tracks. Trotzdem du mit noisig-atmosphärischen Sounds arbeitest, schaffst du es, einen dramaturgischen Bogen zu spannen und ein narratives Moment einzuführen. Wie gehst du an die Komposition heran? Arrangierst du die Elemente oder sind das One-take-Aufnahmen?

Katrin Euller: Meistens beginne ich mit einem konkreten Sound, der mir gefällt. Das kann ein Bass sein oder Drums oder auch etwas Abstrakteres. Ich versuche diesen Sound dann durch weitere zu ergänzen, sie miteinander interagieren zu lassen und sie zu verändern. Das Ganze ist dann eine Mischung aus improvisierten Texturen und Klängen und einer relativ streng arrangierten Komposition.

Bild Rent
Rent (c) Marija Jociūtė

Wie lassen sich Narration und das Musikalische überhaupt zusammenführen? Wie schwingen sie ineinander?

Katrin Euller: Ich glaube, das narrative Moment ist tatsächlich, wie du weiter oben schon angesprochen hast, ein Einfluss aus meinem Background in Film und Video. Es kommt wie von selbst dazu. Gleichzeitig finde ich, dass sich die Sounds, die mich interessieren, sehr gut mit einem Narrativ, einer Dramaturgie zusammentun. Immerhin ist es ja ihre eigene Geschichte: Klänge kommen und gehen, beeinflussen sich gegenseitig, verstärken sich, löschen einander aus, verändern sich. Musik hat oft etwas sehr Hierarchisches, manche Instrumente sind vordergründiger als andere. In meinen Tracks versuche ich einen etwas anderen Weg zu gehen. Die Sounds vermischen sich zu Noise, ein Instrument setzt sich durch, wird von einem anderen wieder weggeschoben, ersetzt, ein neues Geräusch taucht auf, klingt nach Stadt, einem Autoalarm zum Beispiel. Dann verliert sich alles wieder im Nebel.

„Kompositionen, in denen verschiedene Sounds miteinander kommunizieren“

Hast du eine Präferenz für bestimmte Sounds?

Katrin Euller: Mich interessieren vielschichtige, herausfordernde Sounds, die ich nicht sofort zuordnen kann. Ich mag Kompositionen, in denen verschiedene Sounds miteinander kommunizieren, wenn es Platz für Interaktionen und Prozesse, wie beispielsweise Entstehung und Zerfall gibt. Oft bewegen sich die Musik oder die Sounds, die mich interessieren, irgendwo im Noise-Spektrum. Das liegt auch an meinem persönlichen Geschmack – Noise berührt mich, es hat etwas Beruhigendes, sehr Nahes. Außerdem zieht es mich zu Sounds, die mich im ganzen Körper treffen und ihn gleichzeitig einhüllen.

Die Stimmungen, die du evozierst, sind düster. Ist das Zeitgeist oder persönlicher Geschmack oder beides, meinst du?

Katrin Euller: Ich weiß nicht, ob ich Zeitgeist und persönlichen Geschmack so klar trennen kann. Ich lebe ja hier und jetzt und ein Zeitgeist entwickelt sich auch aus kollektiven Erfahrungen. Aber ja, ich fühle mich zu den düsteren Stimmungen eher hingezogen, sie fühlen sich realer an, näher an meinen Erfahrungen, näher an der Welt, in der ich mich verorte.

„Live ist es eine Mischung aus Kontrolle und Kontrollverlust.“

Wie streng hältst du Komposition und Improvisation auseinander?

Katrin Euller: Beides ist in meiner Arbeit sehr wichtig. Die einzelnen Spuren entstehen oft durch Improvisation, durch Experimentieren und Probieren. Wie die einzelnen Sounds dann zueinander stehen, wie sie arrangiert werden, ist dann eher strenger komponiert und durchdacht. Live ist es eine Mischung aus Kontrolle und Kontrollverlust. Ich weiß nicht immer, woher welcher Sound gerade kommt, ein Feedback zum Beispiel. Die Maschinen entwickeln während eines Live-Sets auch ein Eigenleben, auf das ich reagieren muss. Gleichzeitig ist es mir auch wichtig, mich gut vorzubereiten und die Einstellungen und unterschiedlichen Schritte während einer Performance gut verinnerlicht zu haben.

Du arbeitest mit Laptop und semimodularen Synthesizern. Was hat dich am Synthesizer fasziniert?

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Rent (c) Marija Jociūtė

Katrin Euller: Mein Setup besteht aus einigen analogen Synths und einem Laptop. Mir gefallen die warmen, kräftigen Sounds der analogen Maschinen, vor allem im Bereich von Bass und Drums. Ich arbeite gerne mit analogen Feedback oder setze die verschiedenen Synths durch gegenseitige Modulation in Abhängigkeit zueinander. Dazu kommt dann noch meine Interaktion mit den Synths während eines Recordings oder eines Live-Sets: Ich muss die Geräte davor gut kennenlernen, ein musikalisches Bündnis mit ihnen formen. Die Reduktion auf ein gewisses Set an Reglern und Knobs finde ich inspirierend und es passt gut zu meiner Arbeitsweise. Der Laptop funktioniert für mich als Schaltzentrale, in der alle Sounds zusammenlaufen. Er gibt mir die Möglichkeit, sehr präzise zu arbeiten, Sounds zu arrangieren und zu bearbeiten. Außerdem interessieren mich digitale Artefakte und Effekte als Gegenspieler zu den analogen Feedbacks und Verzerrungen. Derzeit verwende ich auch gerne Plugins für flächigere Sounds wie zum Beispiel Strings, aber vielleicht wird sich das in Zukunft noch ändern.

„Die gleichzeitig roughen und trotzdem sehr emotionalen Sounds haben mich ziemlich umgehauen.“

Viele Acts orientieren sich, wenn sie beginnen, an der Arbeit anderer Musiker:innen. Gibt es zentrale Referenzpunkte für dich? Jemand, die dich besonders beeinflusst hätte?

Katrin Euller: Es gibt einige, die mich über die Jahre begleitet haben und es noch immer tun. Sehr wichtig war für mich die Musik von Ben Frost und School of Emotional Engineering. Die gleichzeitig roughen und trotzdem sehr emotionalen Sounds haben mich ziemlich umgehauen. Ich glaube, wir orientieren uns immer auch an anderen Künstler:innen. Es ist ja ein Austausch, eine Art von Kommunikation und ein Sich-an-den-Sounds-Abarbeiten. Dazwischen finden wir dann vielleicht so etwas wie ein eigene Sprache, die sich dann auch schnell wieder verflüssigt. Gerade beschäftigen mich Künstler:innen wie Aho Ssan, Puce Mary oder Rachida Nayar, aber auch lokale Acts wie Gischt, PLF oder Rojin Sharafi finde ich sehr inspirierend.

In der Bildenden Kunst gibt es einen ungeheuren Leistungs- und Konkurrenzdruck. Fühlt sich Musik für dich eigentlich freier an?

Katrin Euller: Ob der Leistungs- und Konkurrenzdruck in der Musik allgemein geringer ist, kann ich aus meiner Position nicht sagen. Die experimentelle Underground- und Clubszene in Wien, in der ich mich bewege, ist eher klein und familiär. Es gibt viel gegenseitigen Support und gute Vibes. Davon leben ist aber schwierig. Die Frage nach einer nachhaltigen Finanzierung der Künstler:innen bleibt.

Wie ist es mit dem Community-Aspekt? Fühlst du dich einer Szene zugehörig?

Katrin Euller: Der Sound Community in Wien fühle ich mich definitiv zugehörig und bin froh, dort so gut aufgenommen worden zu sein. Die Leute freuen sich, wenn was passiert, und unterstützen so gut es geht. Aber auch in der bildenden Kunst habe ich ein mir liebes Netzwerk an Freund:innen und Kolleg:innen. Durch die Größe der Szene, die vielen Hierarchien und oft intransparenten Strukturen in der bildenden Kunst fällt es mir allerdings nicht immer leicht, in diesem Feld zu navigieren.

Dein erster Release erscheint diesen Monat als Kollaboration der Labels Transformer und Wilhelm Show Me The Major Label. Wie kam es dazu?

Katrin Euller: Mike von Transformer Music kenne ich durch gemeinsame Freunde. Er hat mich von Anfang an sehr unterstützt und mich irgendwann auch eingeladen ein Tape bei ihm rauszubringen. Später ist dann Turbo von Wilhelm Show Me The Major Label eingestiegen. Die beiden Labels haben schon in der Vergangenheit zusammen Tapes released, beispielsweise das Split Tape von Hylut und Radiateur im letzten Jahr.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Shilla Strelka

Rent ist am 2. März 2023 live beim Elevate Festival in Graz zu erleben.

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Links:
Katrin Euller
Katrin Euller (Soundcloud)