„Sound kann eine Fragestellung, ein Werkzeug, eine Metapher oder eben auch ein Zeichen sein.“ – KARL SALZMANN im mica-Interview

Der in Bludenz geborene und mittlerweile in Wien lebende Medienkünstler KARL SALZMANN arbeitet an den Schnittstellen von bildender Kunst, Performance und Sound. Seine provokativen Arbeiten, die sich kritisch mit sozialen und kulturellen Fragestellungen beschäftigen und das Publikum oft sowohl mental als auch physisch herausfordern, haben als basales Werkzeug und Material stets einen Hauptbestandteil: Sound. KARL SALZMANN hatte bereits Solo-Ausstellungen unter anderem im KUNSTHAUS GRAZ, der KUNSTHALLE BRATISLAVA, der JOHANNITERKIRCHE FELDKIRCH und dem AUSTRIAN CULTURAL FORUM NEW YORK. 2019 wurde er mit dem österreichischen Staatsstipendium für Medienkunst ausgezeichnet. Michael Franz Woels traf den Künstler in seinem Gemeinschaftsstudio in der Wiener Neulerchenfelder Straße, um Einblicke in die künstlerische Praxis der letzten Jahre zu bekommen, also in die Versuche, Methoden und Strategien rund um die Verwendung von Sound und Musik als gestalterische Elemente zur Dekonstruktion.

Von September 2016 bis Dezember 2019 hast du die Zentrale – Raum für Klang und Prozesskunst, einen Ort für performative Interventionen, kuratiert. Es gab dort Ausstellungen, Konzertperformances und Workshops, im Fokus standen laut Eigenbeschreibung „die Ränder künstlerischer Entwicklung und Forschung“.

Zentrale (c) Zentrale

Karl Salzmann: Die Zentrale war für drei Jahre ein Ort, den ich gemeinsam mit Thomas Wagensommerer und Paul Gründorfer ins Leben gerufen und geleitet habe. Für uns war es damals wichtig, diesen Ort zu schaffen, weil unserer Meinung nach großer Bedarf vorhanden war und es zu der Zeit in Wien kaum Räume gab, die sich explizit der Präsentation von bildender Kunst, die mit Sound zu tun hat – sprich: Sound Art, widmeten. Abgesehen vom Echoraum oder der Alten Schiede, die aber auch hauptsächlich die Möglichkeit für Konzerte und Performance anbieten. Die Zentrale war ein kleiner Ausstellungsraum im 16. Wiener Gemeindebezirk in der Neulerchenfelder Straße, der Live- und Prozess-Performances einen Platz geboten hat. Es gab einen regen Zuspruch über die Zeit. Die Zentrale wurde von uns deshalb aufgelöst, weil wir Lust auf etwas Neues hatten. Gegen Ende hin nahmen der bürokratische und der organisatorische Aufwand immer mehr Zeit in Anspruch und wir wollten nicht ausschließlich Veranstalter sein.

Ein wichtiges Medium für deine experimentellen künstlerischen Projekte ist die Schallplatte. Seit 2012 dreht sich im Langzeit-Projekt mit dem Namen „TT series“ alles um den Plattenspieler; du performst mit bis zu acht Turntables.

Karl Salzmann:  Die Schallplatte begleitet mich schon ewig. Ich komme ja ursprünglich aus der Club-Kultur und dem Club-Kontext. Alles hat mit dem Sammeln von Schallplatten und mit dem Auflegen von House und Techno begonnen. Irgendwann haben mir dann zwei Plattenspieler nicht mehr ausgereicht und ich habe mir selbst – damals bei einer Residency im STEIL in Amsterdam – einen eigenen Controller gebaut, mit dem ich bei meinen Live-Performances bis zu acht Plattenspieler gleichzeitig steuern konnte. Ich bin dann mit der Zeit immer tiefer in dieses Thema und die dazugehörige Geschichte und Theorie eingetaucht. Sound-Künstler wie z. B. Christian Marclay und Milan Knizak haben mich sehr fasziniert und inspirieren mich noch immer.

Ich sehe ja den Plattenspieler als eine Apparatur, die man als Instrument verwenden kann, und nicht nur als Abspielgerät. Der experimentelle Einsatz des Plattenspielers, genannt „Turntablism“, ist ja ein Bereich, in dem es auch in Wien einige virtuose und renommierte Leute wie zum Beispiel Jorge Sánchez-Chiong und Dieter Kovačič – besser bekannt als Dieb13 – gibt. Sie sind schon lange und auch international in diesem Feld tätig. Ich begann dann schon während meines Studiums über die Anfänge des „Turntablism“ – der ursprünglich „Grammophon-Musik“ genannten Musikrichtung – zu forschen. Der Bauhaus-Künstler László Moholy-Nagy meinte einst, nun brauche man als Komponist endlich keine Interpreten mehr, da man die Musik gleich direkt in das Medium Platte ritzen könne. Diese These hat mich sehr fasziniert und ich habe versucht, dies in meine künstlerische Arbeit einzubinden.

„Immer wenn etwas kaputtgeht, dann entsteht dadurch auch wieder etwas Neues.“

Partitur (c) Karl Salzmann

Das Konzept der Destruktion findet sich in vielen deiner Arbeiten, auch im Zusammenhang mit dem Tonträger Schallplatte. Welche Projekte beschäftigen dich zurzeit?

Karl Salzmann: Ein neues Projekt von mir heißt „Bruchstücke“. In einem Tonstudio mache ich zurzeit Audioaufnahmen von zerbrechenden Objekten und Gegenständen; die Sounds arrangiere ich zu einer neuen Sound-Collage. Das Konzeptalbum „Bruchstücke“ wird auf Schallplatte beim Wiener Label „MOOZAK“ veröffentlicht. Es wird aber keine gewöhnliche Schallplatte, sondern eine, die aus Gips gegossen ist. Man kann diese Schallplatte zwar kaufen, aber sie wird nur postalisch zugestellt und auf dem Postweg wird diese mit ziemlicher Sicherheit wieder zerbrechen. Deshalb wird auch jeder Platte ein Kleber beigelegt, damit man die Platte zu Hause wieder zusammenfügen kann. Jede und jeder hat dann ein Bruch-Unikat zu Hause.

Man kann und soll das Zerbrechen ja als Metapher verstehen. Immer wenn etwas kaputtgeht, dann entsteht dadurch auch wieder etwas Neues. Zudem setze ich Sound bzw. den „Sound-Akt“ oft als metaphorisches Zeichen ein. Als ich Kunst studierte, habe ich gemerkt, dass ich immer nur über Sound denke, egal mit welchem Thema und mit welcher Fragestellung ich mich auseinandersetze. Sound kann eine Fragestellung, ein Werkzeug, eine Metapher oder eben auch ein Zeichen sein.

Untergrund (c) Karl Salzmann

Eine weitere Arbeit, die schon etwas länger in Umsetzung ist, aber auch in diesem Jahr weitergeführt wird, ist „Untergrund“. Gemeinsam mit Paul Gründorfer habe ich schon mehrere Städte – unter anderem Mexico City, London und Berlin – akustisch und visuell vermessen. Mit einer Art Rollkoffer, der eine Kamera und sechs unterschiedliche Mikrofone implementiert hat, vermessen wir akustisch die Stadtoberflächen. Wir wollen Vergleiche zwischen den Sound-Profilen der Städte erstellen. Diese Erkundungen sind teils derivé-mäßig an die Konzepte der Situationisten angelehnt und enden in einer analysierenden Videoarbeit. Im Rahmen des Projekts „0.05RPM“ habe ich im Jahr 2013 ein Mikrofon mit dem Auto eine Runde lang über den Wiener Gürtel nachgezogen, diese Aufnahme auf Schallplatte dokumentiert und so damals schon die Stadt als eine Art große Schallplatte verwendet.

Immer wieder, wie auch zum Beispiel im Video „Kontrapunkt“, „bearbeitest“ du ein Mikrofon.

Karl Salzmann: Das Video mit dem Titel „Kontrapunkt“ – in der klassischen Komposition ist das die Gegenstimme zur Hauptstimme – entstand zu der Zeit, als es 2014 eine Demonstration mit großer Polizeipräsenz gegen die Identitären gab. Die Polizisten haben die Identitären eskortiert und „beschützt“ und sind aber auf die friedlichen Gegendemonstranten losgegangen – völlig absurd. Da habe ich die Idee zu diesem Video entwickelt, bei der so lange auf ein Mikrofon eingeschlagen und getreten wird, bis nichts mehr hörbar ist.

Neben dem Konzept der Destruktion ist auch die Dekontextualisierung ein immer wiederkehrendes Element in deiner Medienkunst. Wie zum Beispiel in deiner Performance in Rijeka 2017 mit dem Titel „alle menschen werden brüder“. Popsongs spielten bei dieser explosiven Angelegenheit eine wichtige Rolle …

Karl Salzmann: In Arbeiten der bildenden Kunst kommen meiner Meinung nach nicht wirklich oft Popsongs vor. Aber ich finde ja genau das interessant, auch wenn man jetzt ein „ganzes“ Stück verwendet. Das entspricht eigentlich nicht der Sampling-Idee der Hip-Hop- und Rap-Kultur, die nur Teile bzw. einzelne Zitate verwendet. „alle menschen werden brüder“ war eine Performance bzw. Installation, bei der ich mich wie sehr oft stark mit dem Ort – in diesem Fall dem MMSU – und seiner geografischen Lage auseinandergesetzt habe: Rijeka in Kroatien, direkt am Mittelmeer gelegen. 2017 war der Diskurs rund um das Migrationsthema und die ertrinkenden Flüchtlinge in den Medien noch sehr präsent, als Künstler habe ich das Gefühl, dass ich mich – wenn ich noch dazu so nahe dran bin – eben auch diesen Themen stellen muss.

Ich habe mir also rote Rettungsbojen besorgt, wie man sie zum Beispiel aus der Popkultur-Trash-Serie „Baywatch“ der 1990er-Jahre kennt. Diese Bojen sind innen hohl, nur mit Luft gefüllt. Ich begann dann zu testen, wie man sie als explodierende Bomben zweckentfremden könnte. Mit dem befreundeten Sound-Artist Mario de Vega begann ich etwa zu der Zeit, mit Trockeneis zu experimentieren, deshalb war es auch naheliegend, mit dieser Technik zu arbeiten. Zudem ist es ja auch eine visuell sehr starke Aussage, Rettungsbojen in die Luft zu sprengen.

Ich habe dann den Haupteingang des neu eröffneten Museums verbarrikadiert und begonnen, vor dem Haupteingang mit Ziegeln eine Mauer zu errichten, sodass niemand mehr hineinkonnte. Dies eben als Verweis auf die politische Haltung Europas zu dieser Zeit und vor allem auch in Bezug auf die Aussagen von diversen österreichischen Jung-Politikern.

Zum Prozess des Maueraufbauens habe ich mir ein DJ-Set überlegt, und nun komme ich wieder zur Dekontextualisierung zurück: Alle Songs, die ich vor Ort abgespielt habe, waren solche, bei denen du dir nicht viel denkst, wenn du sie in einer herkömmlichen Disco-Schubsn oder im Taxi auf Ö3 hörst. Am Anfang kam das Baywatch-Thema, dann das hymnische Eurovision-Song-Contest-Lied „Insieme: 1992“ mit der Textpassage: „Unite, unite Europe.“ Es folgten noch einige weitere Schunkel-Nummern, die dir aber dann irgendwann den Hals immer mehr zuschnüren, weil es einfach so unvorstellbar grauslich ist, was da in unmittelbarer geografischer Nähe passiert.

Videostill: Rijeka, MMSU, Karl Salzmann “Alle Menschen werden Brüder”
Videostill: Rijeka, MMSU, Karl Salzmann “Alle Menschen werden Brüder”

„[…] bis meine Hände am Schluss geblutet haben.“

Wenn du an so einem Ort Rod Stewart mit „Sailing“ spielst, dann grinsen die Leute zwar im ersten Moment noch, aber irgendwann bleibt ihnen der Song – in Kombination mit dem Konzept, das ich gerade umsetze, also mit einer Mauer den Eingang dichtmachen – im Hals stecken, weil diese Flüchtlingsdramatik mit jedem weiteren Lied auf die Spitze getrieben wird: Es kommen die Fugees mit dem Song „Vocab“ und der Textstelle: „One, two, three […] the crew is called refugees […]“  Als ich dann komplett hinter der von mir aufgezogenen Mauer verschwunden bin und die Europa-Hymne „Ode an die Freude“, also das Hauptthema des letzten Satzes von Beethovens 9. Sinfonie, ertönt ist, habe ich die vermeintlichen Rettungsbojen über die Mauer geworfen, die dann allerdings in der Luft explodiert sind. Am Ende der einstündigen Performance habe ich mit einem vorbereiteten Schlägel die Mauer wieder eingerissen, bis meine Hände am Schluss geblutet haben.

Du exponierst dich und deine Objekte oft scheinbar schonungslos, wie zum Beispiel bei deiner Performance 2018 in Nickelsdorf im Rahmen der soundart. Wie stehst du generell als performender Künstler, sozusagen als Person des öffentlichen Lebens, zum Thema Öffentlichkeit?

Karl Salzmann: Zu performen war für mich nicht immer einfach. Ich mag diese Art von Öffentlichkeit eigentlich nicht sonderlich, denn ich habe eine leichte Form von Agoraphobie. Vor einem Auftritt habe ich teilweise sogar das Gefühl, auf der Stelle zu kollabieren. Wenn mich in diesem aufgeregten Zustand jemand anreden würde, könnte ich gar keinen Dialog mehr führen, sondern würde nur wirre Sachen von mir geben, einfach um mich zu beruhigen. Aber das regelmäßige Performen und das Unterrichten haben mir persönlich schon geholfen, besser damit umzugehen.

Was die Kommunikation mit dem Publikum betriffst, so stellt sich mir immer die Frage: „Was will ich den Zuseherinnen und Zusehern vermitteln, ohne ihnen sagen zu müssen, was sie denken sollen?“ Ich prüfe mich selbst, aber auch das Publikum. Über Stücktitel etwa versuche ich, entweder die Inhalte aufzuschlüsseln oder diese ad absurdum zu führen. 2018 wurde ich nach Nickelsdorf zu dem doch sehr renommierten und seriösen Festival für freie und improvisierte Musik Konfrontationen zur soundart-Ausstellung eingeladen. In diesem Kontext war es naheliegend, als Referenz auch einen ernsten Titel zu wählen: „solo for bass guitar“.

Ich habe dann mit der Erwartungshaltung des Publikums gespielt, denn ein Solo auf einer Bassgitarre, klingt im ersten Moment nicht so außergewöhnlich und man hat eine gewisse Vorstellung, was da jetzt passieren wird. Dann habe ich den Bass aber während der Performance anderen Spielbedingungen ausgesetzt – ihn mit einer Axt, mit Farbe und Feuer bearbeitet –, und bei dieser Noise-Performance dann alles in eine Skulptur übergeführt. Wenn man das Ergebnis – also die Skulptur eines zerschlagenen Basses – ansieht, kann ja im Kopf auch eine Vorstellung des Sounds entstehen, wie dieser Zerstörungsprozess – oder nennen wir es lieber Gestaltungsprozess – geklungen haben könnte.

Videostill: Nickelsdorf Konfrontationen, solo for bass guitar

Um die Vorstellung von Sound ging es ja auch bei deiner Performance „komposition für grenzwerte“ im Schauspielhaus Wien im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Sägezahn“.

Karl Salzmann: Als Künstler verhandelt man sehr oft das Äußere, aber auch das Innere. Die eigene Kunst-Bubble zu reflektieren, finde ich wichtig. Für die Sound-Performance „komposition für grenzwerte“ habe ich versucht, typische und oft gesehene Performance-Praktiken aus dem Umfeld von Club- und experimenteller Musik zu hinterfragen. Ich habe einen großen Tisch mit einem Haufen blinkender Drum-Machines, modularer Synths und Mischpulten als Bühnenbild aufgebaut, um damit zu performen. Aus dramaturgischen Gründen habe ich Thomas Wagensommerer um eine Einführung gebeten, während ich schon ganz konzentriert hinter meinem Tisch gesessen bin:

„Karl Salzmann hat ein Programm geschrieben, das die live produzierten Sounds an die Grenzbereiche des Hörbaren transferieren wird. Deshalb ist absolute Stille erforderlich, damit man diese Klänge auch wahrnehmen kann. Es kann sein, dass es zu körperlichem Unwohlsein kommt, aber es kann nichts passieren. Falls jemandem doch schlecht werden sollte, kann man gerne aufstehen und hinausgehen.“

Ich habe dann eine halbe Stunde lang so getan, als ob ich mit dem Equipment arbeiten würde. Gegen Ende habe ich dann einen großen schwarzen Ballon aufgepumpt, das war dann das einzige Geräusch, das ich wirklich produziert habe. Er hat mich dann schließlich verdeckt und ist zerplatzt. Das war dann meine Art von Hinweis bzw. Verweis, dass sich etwas Großes, Mächtiges aufbläst, obwohl schlussendlich nicht wirklich viel dahinter ist. Mir ging es aber mit der Performance in keiner Weise darum, das Publikum an der Nase herumzuführen oder nicht ernst zu nehmen. Ich wollte mit der Arbeit zum einen auf ein altbekanntes Konzept verweisen – nämlich, dass in Referenz an das Stück 4‘33“ von John Cage alles Klang ist –, zugleich aber vielleicht auch die Frage aufwerfen, was denn diese Materialschlachten oft sollen.

Videostill: Schauspielhaus Wien, komposition für grenzwerte

Der Ballon ist ein wiederkehrendes Objekt in deinen Sound-Installationen.

Karl Salzmann: Ja, zum Beispiel in der installativen Arbeit „repetition is a common rhetorical device“, gezeigt im Bildraum01, habe ich 2018 mit einem Luftballon gearbeitet. Acht Mikrofone mit Ständern haben den monströsen schwarzen Ballon eingeklemmt, als ob alle Mikrofone auf den Ballon hören würden. Eine Klangskulptur, die gar keinen Klang von sich gab und rein als Objekt funktionierte.

Durch die Form und Gestalt warf die Arbeit bei den Betrachterinnen und Betrachtern natürlich einige Fragen auf: Was bedeutet es, wenn alle Mikrofone auf eine zentrale Quelle gerichtet sind? Woher kennen wir das, wenn alle Medien die Aufmerksamkeit auf etwas Großes, Schwarzes – Türkis hätte der Arbeit visuell nicht gutgetan –, mächtig Anmutendes und Aufgeblasenes richten? Was, wenn dann am Ende doch nur Luft drin ist? Der Titel wiederum referenziert auf die rhetorischen Strategien des „schwarzen Ballons“: Bei ständiger Wiederholung von Inhalten entsteht auch irgendwann etwas Neues, durch sprachliche Penetration wird eine Meinung in die Köpfe eingepflanzt.

 

Bildraum01, repetition is a common rhetorical device (c) Eva Kelety

„[…] geht es da vielleicht einfach nur mehr um Kapitalismus und Selektion?“

Die Clubkultur hat dich und deine Konzepte stark geprägt. Im November 2019 hast du die  Auftragsarbeit „Club FOMO“ für das Offene Kulturhaus Oberösterreich in Linz konzipiert, 2018 entstand die ebenfalls ortspezifische Arbeit „10 AM“ im PFERD. Forum für zeitgenössische bildende Kunst.

Karl Salzmann: Ja, da gab es ein paar Arbeiten, die mit Club zu tun hatten. Im PFERD haben wir – Georg Petermichl und ich – damals einen Club in Miniaturformat in den Lüftungsschacht eines Müllraums eingebaut und mit verschwommenen Fotografien von Clubnächten visualisiert. Es gab zwei Soundquellen – also sozusagen zwei Floors –, die klanglich überlappend waren. Man stand sozusagen im „Dazwischen“ und es roch sehr ausladend und modrig. So wie es meistens in Clubs riecht, morgens um 10:00 Uhr, und man noch eine freie Nase hat.

Im Offenen Kulturhaus OK in Linz wurde ich 2019 vom von mir geschätzten Kurator Markus Reindl zur Gruppenausstellung „Open“ eingeladen. Ich bekam einen eigenen Raum und habe ihm vorgeschlagen, dass ich da einen Club einbaue. Vom Eingang bis an das Ende des Raumes ließ ich dann einen Tunnel errichten. Am Ende des Tunnels wurde eine große Brandschutztür eingesetzt. Dahinter wurden alle im OK zu Verfügung stehenden Sub-Bässe installiert und ich habe eine 4-to-the-floor-Kick-Drum-Komposition eingespielt.

Der ganze Gang wurde somit zur Klangskulptur. Die Brandschutztür hatte oben und unten kleine Schlitze, dahinter konnte man Stroboskop-Blitzlichter erkennen. Die Tür selbst war allerdings immer abgesperrt. In meinem Konzepttext behauptete ich dann, dass ich einen Club mit einem internationalen Aufgebot an DJs kuratiert hätte. Einlass nur auf Einladung des Künstlers und mittels einer Gästeliste, in die man sich über die Dauer der Ausstellung eintragen und so – bei Gefallen – Einlass bekommen kann. Reinkommen gab’s aber nicht.

Am Eröffnungsabend kam dann lustigerweise noch ein Freund aus Vorarlberg, der sich – ziemlich authentisch – dann vor den vermeintlichen Club gesetzt hat, dort Schlange gestanden ist und den Leuten erzählt hat, dass er aus dem Club geschmissen wurde, weil er dort Drogen verkaufen wollte. Die Besucher haben das teilweise echt geglaubt, selbst ein anderer Künstler der Ausstellung kam zu mir und meinte: „Hey Karl, I thought this club was just a joke, but than I talked to this guy in front of the door, and recognized: it‘s real!“

Das ist zwar eine lustige Nebengeschichte, aber dem „Club FOMO“ [Das Akronym FOMO steht für „fear of missing out“, also die Angst, etwas zu verpassen; Anm.] lagen folgende Frage zugrunde: Was bedeutet Clubkultur heutzutage? Was verpasst man denn? Wo ist dieser ursprüngliche Gedanke der Offenheit und Freiheit geblieben? Was ist mit den Clubs, die horrende Summen für den Eintritt verlangen und es nicht einmal schaffen, ihr Programm nur ansatzweise im Sinne der Gleichberechtigung von Frauen, Männern und allen anderen dazwischen zu programmieren? Wie open ist denn das alles wirklich oder geht es da vielleicht einfach nur mehr um Kapitalismus und Selektion?

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Michael Franz Woels

Link:
Karl Salzmann