„Sonst kommt nix anständiges raus …“ – mica-Interview mit RENÉ STAAR zur neuen CD des ENSEMBLE WIENER COLLAGE

Das markante Eröffnungswerk spiegelt den Bezug zu den praktischen Gegebenheiten: Seit sechzehn Jahren mit einem eigenen Zyklus im Arnold Schönberg Center präsent, beginnt denn auch die neue CD des ENSEMBLES WIENER COLLAGE mit dem Begründer der Wiener Schule. Die Präsentation findet am 28.10. im Arnold Schönberg Center statt. Wir verlosen 3 CDs – schreiben Sie einfach ein Mail mit dem Betreff “Schönberg” an office@musicaustria.at. Mit EWC-Leiter RENÉ STAAR sprach Christian Heindl.

„Mehrgeteilt“ – Geiger, Dirigent, Komponist, Pianist

Herr Staar, ehe wir zum Anlass dieses Gesprächs, dem Ensemble Wiener Collage (EWC) und seiner neuen CD kommen, zu einem anderen aktuellen Ereignis – gerade in den letzten Monaten war ja auch der Komponist René Staar prominent präsent: Die Wiener Philharmoniker haben zum ersten Mal in ihrer Geschichte einem ihrer auch schöpferisch tätigen Mitglieder einen Auftrag erteilt. Dieses Werk, „Time Recycling“, wurde im Mai im Wiener Musikverein unter der Leitung von Semyon Bychkov uraufgeführt und bei den diesjährigen Salzburger Festspielen mit Gustavo Dudamel nachgespielt. Beide Konzerte wurden im Radio ausgestrahlt, weitere Aufführungen gab es gerade in Grafenegg und wird es Ende September in Tokio geben. Wie geht es Ihnen damit?

René Staar: Sehr gut. Wenn ich dieses Stück jetzt nach vielen Malen wiederhöre, würde ich vielleicht einzelnes ändern – aber da schreibe ich lieber gleich ein neues Stück!

Wie kam es zu der ungewöhnlichen Ehre des Auftrags durch „Ihr“ Orchester?

René Staar: Das habe ich Zubin Mehta zu verdanken. Der meinte einmal nach einer Aufführung: „Ihr Stück hat mir sehr gefallen!“ – Kurz darauf sagte mir unser Geschäftsführer Clemens Hellsberg, dass sich Mehta ihm gegenüber so begeistert geäußert habe. Nach einem Jahr an Gerüchten über einen Auftrag wurde der Vertrag ausgehandelt.

Sie sind künstlerisch mehrgeteilt: Geiger der Wiener Philharmoniker und im Wiener Staatsopernorchester, Dirigent des EWC, Pianist, Komponist. Wie geht sich das alles aus?

René Staar: Die meiste Zeit nimmt natürlich das Orchester in Anspruch.

Macht Ihnen die Arbeit dort nach fast drei Jahrzehnten noch Spaß?

René Staar: Teilweise, muss ich ehrlich sagen. Gerade wenn ein neueres Stück auf dem Programm steht, ist das natürlich sehr schön.

Es fällt auf, dass die Philharmoniker zwischenzeitlich fast schon jenes Wiener Orchester mit den meisten neueren Werken sind – verglichen mit den Symphonikern zum Beispiel, die so gut wie gar nichts Zeitgenössisches spielen.

René Staar: Entgegen dem gelegentlichen Ruf der Philharmoniker, ja. Das lag sicher in hohem Maß an der bisherigen Geschäftsführung. Auch das neue Team, das gerade seine Arbeit begonnen hat, ist sicher sehr gut und ich hoffe, dass man künftig auch mehr wichtige Stücke des ausgehenden 20. Jahrhunderts ansetzen wird.

Von der Wiener Schule bis in die Gegenwart

Kommen wir zur neuen CD des EWC. Was war die dramaturgische Idee dahinter – sollte hier ein historischer roter Faden gezogen werden oder ging es um eine Qualitätsschau des Ensembles?

René Staar: Eigentlich das Letztere. Die Finanzen bzw. die Förderungssituation lassen programmatische Ideen mit entsprechenden Neueinspielungen nicht zu. Wir haben versucht, aus Vorhandenem eine gute Auswahl zu treffen. Nicht zuletzt sollte die CD ja auch ein Nachtrag zu unserem 25 Jahre-Jubiläum als Ensemble sein.

Wie ist die Dramaturgie angelegt? Am Beginn steht Schönberg mit den Fünf Orchesterstücken op. 16 in der 1920 für den Verein für musikalische Privataufführungen erstellten Kammermusikfassung.

René Staar: Schönberg natürlich auch deswegen, weil wir so viel im Arnold Schönberg Center (ASC) spielen und dadurch alle seine für uns geeigneten Stücke im Repertoire haben. Das Programm der CD könnte man mit „Von Schönberg bis ins 21. Jahrhundert“ beschreiben: Schönberg, Cerha, Wysocki, Staar, Stankovski.

Direkte Zusammenhänge zwischen den Stücken bestehen nicht?

René Staar: Was gut passt, wir heißen ja auch Ensemble Wiener COLLAGE.

Die Komponisten der Wiener Schule stehen quasi als Überväter in den EWC-Programmen. Liegt das primär an der Auftrittsmöglichkeit im ASC?

René Staar: Als Wiener Ensemble muss man die Wiener Schule spielen. Wir hätten gerne auch Strawinsky, Varèse, Hindemith, aber alles ist leider nicht möglich. In der Rückschau von sechzehn Jahren im ASC sind wir sehr froh, dass wir Schönberg für uns entdeckt, uns erarbeitet haben. Wir haben auch viele der weniger bekannten Schönberg-Schüler gemacht. Ich möchte Roberto Gerhard machen, mehr Webern, Eisler, Krenek oder Robert Schollum – den man nicht einmal anlässlich seines 100. Geburtstags im Vorjahr in Österreich gespielt hat; ich würde gerne mehr Ligeti machen, aber es ist gar nicht so leicht, einen Hornisten für das Horntrio zu finden; Kurtág, die neuere österreichische Szene.

„Zeit für die Partituren – sonst kommt nix anständiges raus“

Grundrepertoire des EWC sind Werke der komponierenden Mitglieder des gleichnamigen Vereins. Mit Ihnen sind das zurzeit elf. Gründer waren 1987 Sie mit Erik Freitag und Eugene Hartzell (1932–2000). Wie kamen die anderen hinzu?

René Staar: Ich habe versucht, das Ensemble etwas zu erneuern – eine kleine Kulturrevolution sozusagen. Zuerst durch Wladimir Pantchev und Zdzisław Wysocki, später Herbert Lauermann, Alexander Stankovski und in jüngerer Zeit Gerald Resch, Dietmar Hellmich, Thomas Wally, Jaime Wolfson und Charris Efthimiou. Zusätzlich zum Vorstand gibt es eine Programmkommission unter der Leitung von Alexander Stankovski, die uns schon viele sehr gute Vorschläge gemacht hat.

Obmann des Vereins EWC ist Alfred Melichar, als Akkordeonist eine der langjährigen verlässlichen Stützen des Ensembles. Wie erfolgt die Aufgabenteilung mit Ihnen als künstlerischem Leiter?

René Staar: Das hat sich so entwickelt. Nach Jahrzehnten war es eine zu große Doppelbelastung. Ich habe den Alfred Melichar gefragt, ihn zwei Jahre bekniet – und dann ist er weich geworden! Er macht das hervorragend, auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Ich persönlich kümmere mich vor allem um das ASC und die Auslandsgastspiele. Alfred Melichar macht das Übrige und hat bei allem das letzte Wort, weil er sieht, ob das finanzierbar ist. Daher habe ich nun auch wieder mehr Zeit, mich mit den Partituren zu beschäftigen. Das muss man machen, sonst kommt nix Anständiges raus …

Balance zwischen Wieder- und Uraufführung

27 Jahre EWC – wie erhält man die Idee frisch?

René Staar: Man muss einerseits Monotonie vermeiden und andererseits, dass es zu sehr ausufert in verschiedene Richtungen. Die Monotonie vermeidet man, indem man immer wieder Neustarts macht. Die einzelnen Veranstalter geben neue Impulse und auch die lebenden Komponisten bringen immer wieder Neues ein. Wichtig ist da auch, vereinzelt Komponisten aus dem Ausland einzubinden – etwa Sidney Corbett oder den Basken Ramon Lazkano. Ich will Komponisten entdecken, die eine persönliche Handschrift haben und diese weiterentwickeln. Dann gibt es auch Programme für jüngere Komponisten, im Speziellen alle zwei Jahre im ASC ein inszeniertes Weihnachtskonzert. Da kommen dann Schönbergs „Weihnachtsmusik“ und Stücke zum Thema Weihnachten, aber auch solche, die das konterkarieren und sich z. B. mit Kaufrausch und dergleichen befassen.

Ist die Veröffentlichung der neuen CD auch eine Art Gegenentwurf zu der aktuellen Ensemble-Inflation – die Symphonieorchester spielen immer weniger Zeitgenössisches. Eine Vielzahl an Instrumentalensembles füllt nun diese Lücke, sodass man oft innerhalb kürzester Zeit etliche Konzerte ähnlich besetzter Art hat und kaum mehr zwischen dem Angebotenen – primär Uraufführungen, die man einmal und nie wieder hört – unterscheiden kann?

René Staar: Natürlich. Die CD soll ja etwas Bleibendes sein, da kann man immer wieder darauf zurückgreifen. Mir ging es diesen Sommer so, als ich nach zwanzig Jahren wieder einige ältere Stücke von Wysocki hörte und ungeheuer spannend fand. Das heißt, man soll gewisse Stücke immer wieder spielen. Aber die Balance zwischen Wiederaufführungen und Uraufführungen ist nicht leicht.

Blick in die Zukunft

Die neue CD ist mit der Bestellnummer 4tm-0004 bei 4tm productions erschienen und dort ebenso wie direkt beim EWC erhältlich. Welche Hörhilfe können Sie mit auf den Weg geben?

René Staar: Bei neuen wie auch bei klassischen Werken kommt man oft erst beim zweiten, dritten Hören dahinter. Ich finde es sehr gut, wenn ein Werk bei mehrmaligem Hören gewinnt.

Zwei Projekte als Vorgeschmack für die soeben begonnene Saison 2014/15?

René Staar: Am 9. Oktober 2014 gibt es im ASC einen Abend „Musik und Politik“, da machen wir Schönbergs „Ode an Napoleon“, Violeta Dinescus „Ruga“ sowie als Uraufführungen ein Stück von Jorge Sánchez-Chiong und das „Buch der kollektiven Erinnerung“ – ein Auftragswerk von Zdzisław Wysocki zu seinem 70. Geburtstag. Und am Ende der Saison findet im Juni 2015 ein szenisches Kammeropernprojekt im Wiener Konzerthaus statt, das sich mit dem Thema Exil befassen wird.

Christian Heindl

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