Umtriebig ist ein Hilfsausdruck für den Gitarristen und Sänger Martin Philadelphy. Aufgewachsen in Tirol, seit 20 Jahren in Wien, dazwischen für kurze Zeit in Tschechien, regelmäßig in Skandinavien und in den USA – der Mann hat viel auf dem Kerbholz und im mica-Gespräch mit Alois Sonnleitner einiges davon zu erzählen.
Job hingeschmissen und Gitarre gekauft
Immer wieder komme es vor, sagt Philadelphy, dass ihm sein bürgerlicher Nachname insofern zum Verhängnis werde, als er ihm als Künstlername und damit Großspurigkeit unterstellt werde. Ein gebürtiger Tiroler könne einfach nicht so heißen. Verglichen mit österreichischen Zuständen, gerate ihm in den USA, wo er häufig Musik macht, sein Name zum Vorteil. Vorsichtige Recherchen haben übrigens ergeben, dass seine Vorfahren galizische Juden aus der Gegend von Zakopane/Polen gewesen sein könnten.
Gestartet hat Philadelphy seine musikalische Karriere als 21-Jähriger von einem Tag auf den anderen. Er hatte soeben einen schweren Verkehrsunfall hinter sich, als er seinen Krankenpflege-KollegInnen eröffnete, dass er ab sofort seinen Job hinschmeißen werde, um als Musiker weiterzumachen. Gitarre gekauft, spielen gelernt, auf der Straße musiziert – und siehe da: „Schon nach etwa zwei Wochen konnte ich davon leben.“ Das Tempo des Erfolgs hat ihn einigermaßen überrascht. Auch später, als er – inspiriert von Zappa’s Mothers of Invention, von Monty Python u.a. – wüst-einfallsreich verkleidet in Solo-Performances auftrat, brachte man ihm ebensoviel Resonanz (und Geld) entgegen wie während einer Tour, die er mit Josef Hader für SOS Mitmensch bestritt.
Am Umstand, dass Einzelkonzerte am lukrativsten sind, hat sich bis heute nichts geändert. Weil einerseits sind die „Personalkosten“ am geringsten, und andererseits kann er sein Programm aus mittlerweile acht Solo-CDs zusammenstellen, die sich dann nach den Konzerten gut verkaufen lassen – noch dazu, wo er fast sämtliche Releases (zuletzt: Puzzle Works) auf dem eigenen Label Delphy Entertainment Rekords herausbringt.
Martin Philadelphy ist aber nicht nur Einzelkämpfer. Kontinuierlich hat er sich Weggefährten für Bands, denen er durchwegs hübsche Namen verpasste, angelacht. Etwa den Bassisten Chris Janka und den Perkussionisten Gustavo Costa, mit denen er sowohl als Trensch als auch als Missing Dog Head in Erscheinung tritt und, aufgrund von Costas guten Kontakten, häufig in Spanien und Portugal unterwegs ist. Oder den Keyboarder und Elektroniker Stephan Sperlich, mit dem er die Blind Idiot Gods bildet sowie, erweitert um den Kontrabassisten Phillip Mosbrugger, das Trio Elektro Farmer. Oder den von Chico Hamilton protegierten Drummer Jeremy Carlstedt, mit dem zusammen er den Giant Dwarf betreibt. Carlstedt lernte er ebenso in Amerika kennen wie den prominenten Schlagzeuger Victor Jones, der ihn regelmäßig zu gemeinsamen Tourneen einlädt, und den aus dem Zorn-Umfeld bekannten Keyboarder Jamie Saft.
Ein weites musikalisches Betätigungsfeld
Mit Fortdauer seiner Laufbahn wendete sich der Gitarrist, der viele Jahre lang als Singer/Songwriter durch die Lande zog, vermehrt der improvisierten Musik zu. So hat er sich, auf Einladung des artacts-Festivals in St. Johann/Tirol, die Osttiroler Koryphäen Wolfgang Mitterer und Josef Klammer als Partner gewünscht, um mit ihnen Badminton zu spielen. Das Klammer/Gründler-Duo (wieder mit dem Drummer Josef Klammer und dem Gitarristen Seppo Gründler, beide samt elektronischen Hilfsmitteln) steht ebenso auf seiner Kooperationsliste wie der Wiener Gitarrist Burkhard Stangl. „Am Spielen mit ihm schätze ich das Warten, die Zeit, den Space und die Reduktion“, sagt Philadelphy.
Besonders wichtig ist ihm die Begegnung mit dem großen komischen Künstler Robert Gernhardt. Es ist heute noch unglücklich darüber, dass die aus der Zusammenarbeit resultierende CD “Ein Glueck” erst nach dessen Tod erscheinen konnte. Unverkennbar in Philadelphys Musik ist an allen Ecken und Enden das Naheverhältnis zu jener Frank Zappa, von der er behauptet, so gut wie alles auswendig spielen zu können. Eine zusätzliche Tendenz ergebe sich durch das aktuelle Mischungsverhältnis von Songs und Sounds. Philadelphy: „Ich glaube, ich entwickle mich immer mehr in Richtung Robert Wyatt.“
Die gegenwärtig wichtigste Zusammenarbeit pflegt der Gitarrist mit dem dänischen Schlagzeuger Kresten Osgood. „Bei dem groovt alles“, sagt Philadelphy. Allein im Vorjahr haben sie als Duo sieben Konzerte in Dänemark bestritten. Für die neue, demnächst erscheinende Platte konnten sie keinen geringeren Produzenten als Scott Harding gewinnen, der u.a. für Björk produziert hat. Herauskommen wird die mit Spannung erwartete CD auf dem DMG ARC-Label der New Yorker Downtown Music Gallery. Man sieht: Das Wort „umtriebig“ ist ein Hilfsausdruck für den Musiker – und seit 2 ½ Jahren übrigens auch glücklichen Vater – Martin Philadelphy.