Sergej Prokofjew feiert in Wien Triumphe in der Volksoper und ab heute im Odeon

Der große Russe beherrscht zwei Opern-Bühnen Wiens:„Die Liebe zu den drei Orangen“ (1921) ist am Währinger Gürtel seit 17. April in einer gefeierten Produktion der Hamburgischen Staatsoper zu sehen, die dort 2002 Premiere hatte (Inszenierung Ernst-Theo Richter). Im Odeon erlebt man ab 21.April (bis 15. Mai) sein spannendes Musiktheater „Engel aus Feuer“ (1922-25) in einer Orchesterfassung von Wolfgang Suppan. Philipp Harnoncourt inszeniert, die musikalische Leitung hat Marino Formenti inne, die Ausstattung stammt von Uli Kaufmann und Erwin Piplits. Es spielt PHACE | CONTEMPORARY MUSIC, es singt der Wiener Kammerchor und es spielen acht Sängerschauspieler des Serapions-Ensemble.

Ein paar Informationen zu diesen sehens- und hörenswerten Werken: „L’Amour des trois oranges“ wurde (in der ursprünglich französischen Originalsprache) im Dezember 1921 in Chicago uraufgeführt, spielt in einem Märchenland und handelt von einem gemütskranken Prinzen. Aber alles ist Theater in diesem Stück, das von genialen schnellen Stimmungswechseln und Tempo geprägt ist. Die Handlung verfolgt nur ein Ziel: das Lachen auszulösen, das allein den hypochondrischen Prinzen heilen kann. Es gibt böse Mächte der Unterwelt, musikalische und szenische Buffonerien, die Hexe Fata Morgana, die in einen Brunnen fällt, worüber der Prinz endlich lachen kann und am Ende drei Orangen, die sich als Prinzessinnen entpuppen – zwei verdursten leider, aber die dritte, kurzzeitig in eine Ratte verzaubert, wird wieder Ninetta, die der Prinz schließlich heiraten kann. Die Bösen (Prinzessin Clarisse, ihre Verbündete Smeraldine und Leander) werden bestraft. Und alle sind glücklich.

Vor der Premiere am Samstag trat der Volksoperndirektor vor eine Tür im „Vorhang“, bedauerte mehrere (wahre) Stimmbandentzündungen von Sänger/innen, die „Einäscherung“ eines Ersatztenors aus Deutschland, der nicht fliegen durfte und daher auch ausfiel, er stellte den sehr passablen Ersatzsänger des Prinzen, Mehrzad Montazeri, Tenor aus Graz, vor und wünschte dem Publikum ebensoviel Spannung und Aufregung, wie er sie am Tag vor der Premiere erlebt hatte. Dann kam (gesungen und gespielt vom grandiosen Volksopernchor) endlich der allein schon tolle Prolog Prokofjews, eigentlich eine „Liebeserklärung“ an sein Werk, das Theater  und an das p.t. Publikum. (Die Oper wird in deutscher Sprache aufgeführt, in der Pause und nach der Premiere erhielt das Publikum übrigens gratis 1 kleine Flasche Campari und – zwei – Orangen dazu, der Autor dieser Zeilen trinkt sie gerade).

„Die Tragischen: Tragödien! Tragödien! Gebt große Tragödien! Gebt uns Weltenprobleme und Philosophie! Traue und Mord, der Seelen tiefes Leid. Genug des Lachens! Die Komischen: Komödien! Komödien! Ach gebt uns Komödien! Hier im Theater woll’n wir lachen. Genug mit der Tragik, gebt etwas Fröhliches! Die Lyrischen: Opern, gebt lyrische Opern mit romantischem Gefühl! Im Schein des Monds Szenen vol Ekstase! Und zarte Liebesträume! Die Hohlköpfe: Schwänke! Schwänke! Seid albern und frivol, lasziv und voll Esprit! Doch nur nicht moralisch! Raus mit allen Spießern! Wir wollen lachen und nicht denken!“ (Die Liebe zu den drei Orangen, Prolog).

Die Inhaltsangabe im Programmheft stammt übrigens von dem in Hamburg tätigen Dramaturgen Christoph Becher, einst sehr guter Dramaturg im Wiener Konzerthaus und derzeit wieder gemeinsam mit Christoph Lieben-Seutter beim Bauen und Basteln der Elbphilharmonie ….

Der feurige Engel im Odeon

heißt dort „Engel aus Feuer“, ursprünglich russisch „Ognenny angel“. Prokofjew komponierte diese Oper bereits in den zwanziger Jahren nach den „3 Orangen“. Er verbrachte für die Beschäftigung mit der Partitur unter Verzicht auf jede andere lukrative Tätigkeit eineinhalb Jahre im oberbayerischen Ettal. Das Libretto basiert auf einem düsteren Roman von Valeri Brjussow, der 1908 veröffentlicht wurde. 1928 wurden Teile des Werkes in Paris konzertant aufgeführt, dann ging die Partitur verloren, wurde erst 1952 wieder gefunden. !954, erst nach Prokofjews Tod, wrde das Stück im Théatre des Champs-Elysées konzertant uraufgeführt, sodann szenisch ein Jahr später im venezianischen Teatro La Fenice (Giorgio Strehler inszenierte). 1995 hatte Anja Silja großen Erfolg als Renata in Wien (in der Inszenierung der Christine Mielitz).

Prokofjews letzte Oper „Woina i mir“ („Krieg und Frieden“ nach Tolstoi) wurde in Russland übrigens szenisch im ersten Teil 1946 im Leningrader Maly-Theater aufgeführt. Sergej Prokofjew, als „Formalist“ verdammt, mühte sich (vergeblich) um eine genehmigte gekürzte Umarbeitung, bis zu seinem Tod am 3. März 1953 (ausgerechnet auch dem Todestag von Stalin, dessen kulturpolitischer Repression der Komponist seit seiner Rückkehr in die Sowjetunion 1932 ausgesetzt war).

Aber kommen wir zum Odeon und zu den Erläuterungen von Philipp Harnoncourt, Marino Formenti und Wolfgang Suppan. „Renata folgt ihrem Traum von höchster Sinnlichkeit und höchster Reinheit ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben und das Leben anderer… eine Figur, ähnlich radikal wie Lulu oder Elektra. Sie begegnet Ruprecht, einem normalen Menschen wie du und ich, in dem diese Sehnsucht dennoch etwas anrührt und in Bewegung setzt…“  (P.Harnoncourt).

 „Exaltiert, unheimlich, überschwänglich, sexuell, vulgär, rotzig, tiefenpsychologisch, grotesk, kindlich, komikartig ist dieses ante litteram hyperpostmoderne Musikdrama für mich, ein surrealistisches Meisterwerk, quecksilbrig, verrückt und unberechenbar wie es nur geht. Wolfgang Suppan hat das Tier unter die Lupe genommen. Das Ergebnis ist abscheulich entzückend und entzückend abscheulich.“ (Marino Formenti).

„Ein Solistenensemble anstelle eines Sinfonieorchesters vor sich zu haben bedeutet nicht Reduktion oder Verlust, sondern bietet die Möglichkeit einer kammermusikalischen ‚Projektion’. Details, die vielleicht in der Orchesterfassung gar nicht zum Vorschein treten können, da sie im Stimmengewirr einer ausladenden Orchestrierung untergehen, treten nun in den Vordergrund und geben dadurch den Blick frei für neue musikalische Zusammenhänge und Bezüge. Meine Transkription der Oper von Prokofjew ist keine rein pragmatisch angelegte Übertragung des originalen Orchestersatzes, sondern mein persönliches Echo und Reagieren auf eine unglaublich reichhaltige musikalische Sprache und eine berührende Geschichte zweier Suchender – Ruprecht und Renata.“
(Wolfgang Suppan)

Website Odeon (Ulrike Kaufmann & Erwin Piplits): „Die Oper Engel aus Feuer, die Sergej Prokofjew in den 1920er-Jahren beschäftigte, spielt vorwiegend in einer finsteren, von Erotik aufgeladenen Welt. Diese Atmosphäre entsprang teilweise dem Interesse des Komponisten an den kabbalistischen Wissenschaften – eine Faszination, die er mit vielen Mitgliedern der Bewegung des russischen Symbolismus teilte. Dessen zentrale Figur, Walerij Brjussow, schrieb den Roman, auf dessen Grundlage „Engel aus Feuer“ entstand. Prokofjews modernste Oper ist aber auch von anderen Strömungen der Zeit, wie dem Kubismus, dem Neoklassizismus und sogar dem Surrealismus geprägt.

Der österreichische Komponist Wolfgang Suppan hat Prokofjews Orchesterfassung für diese Produktion bearbeitet und für ein 15-köpfiges Kammerensemble umgeschrieben. In dieser „Destillierung“ des Werkes kommen die modernen Züge der Oper noch deutlicher zum Vorschein. Dabei unterstreicht der Einsatz von – auch schon zu Prokofjews Zeiten vorhandenen – neuen Instrumenten, wie Saxophon und Vibraphon, den Stellenwert des Werkes als Orchesterdrama.Nähere Informationen finden Sie ab 14. April im E-Programmheft auf unserer Homepage www.odeon-theater.at“.

Elena Suvorova wird die Renata sein und wir sind gespannt. Sicher ist (wie man auf dem Foto erkennt): Sie ist „etwas“ jünger als Anja Silja, die uns vor etlichen Jahren in Wien sehr beeindruckte. (Heinz Rögl unter Webnutzung der Odeon-Website).

Vorschau Frühjahr 2010

21.04. ENGEL AUS FEUER (Musiktheater von Sergej Prokofjew), Odeon Wien (8 weitere Vorstellungen bis 15.05.)
28.05. KONZERT, KosmosTheater (in Zusammenarbeit mit e_may)
11.06. NEWAIR, 3Raum Wien

Sergej Prokofjew
Engel aus Feuer Oper von Sergej Prokofjew in einer Orchesterfassung
von Wolfgang Suppan
Eine Produktion des Odeon gemeinsam mit der Gruppe Pazifik
Inszenierung: Philipp Harnoncourt
Musikalische Leitung: Marino Formenti
Renata: Elena Suvorova
Ruprecht: Ludovic Kendi
Mephisto/Agrippa: Viktor Aleshkov
Inquisitor/Knecht: Ivaylo Guberov
Glock/Arzt: Yigal Altschuler
Faust/Matthias: Alexander Puhrer
Wahrsagerin/Äbtissin: Martina Prins
Wirtin: Denise Schönefeld
Phace | Contemporary Music, Wiener Kammerchor, Serapions Ensemble
Regieassistenz: Michaela Mahrhauser
Regiehospitanz: Isabelle Wolf
Ausstattung: Ulrike Kaufmann und Erwin Piplits
Kostüme: Ulrike Kaufmann
Malerei: Max Kaufmann und Ulrike Kaufmann
Licht: Michael Illich
Bühnentechnik: H. Ahmadi, M. Illich, R. Ostojic, G. Rozmyslowski
Gewandmeisterin: Kaja Leierer
Die Kostüme wurden unter Mitarbeit von Hamid Ahmadi, Luzia Bozkurt, Hanna
Dirnwöber und Bettina Hornung hergestellt.
Bühnenrechte: BOOSEY & HAWKES, London
Vertreten durch: Thomas Sessler Verlags-GmbH, Wien, Musikverlag
Als kulinarische Einstimmung auf Ihren Opernabend bietet das Restaurant
Kronprinz Rudolph im Hotel Stefanie (direkt neben dem Odeon) einen
Theaterteller mit verschiedenen ausgewählten Köstlichkeiten zum
Preis von € 12,50 pro Person. Gegen Vorlage Ihrer Theaterkarte erhalten
Sie zusätzlich ein Glas Frizzante!

Premiere: 21. April 2010, 20 Uhr
Weitere Vorstellungen: 25. und 28. April
1., 4., 6., 9., 12. und 15. Mai, jeweils 20 Uhr

Fotos 1, 2  © Volksoper
Foto 3 © Palffy (Odeon)
Foto 4 © Gyula Fodor (Odeon)

http://www.phace.at/de/news/
http://www.volksoper.at/Content.Node2/home/spielplan/spielplan_detail.php?eventid=877675
http://www.odeon-theater.at/aktuell.html