Auch 400 Jahre nach seinen abendländischen Anfängen hat Musiktheater nichts an Faszination verloren. Wobei es durchaus nicht immer gleich große Oper sein muss. Christian Heindl sprach mit GERALD RESCH über sein Singspiel „Das Gemeindekind“, das am 5. März 2015 im Wiener Schauspielhaus zur Uraufführung gelangt.
Nicht erst seit dem Erste-Bank-Kompositionspreis und einer Personale bei Wien Modern 2011, dem Oberösterreichischen Landeskulturpreis und der Präsentation im Nationalfeiertagskonzert der Wiener Symphoniker 2014 gilt Gerald Resch als einer der renommierten Komponisten der mittleren Generation. Erstmals wendet er sich mit der Ebner-Eschenbach-Adaption „Das Gemeindekind“ nun der Bühne zu.
Einleitend erscheint es doch interessant, wie man als Komponist zu einem Auftrag für ein Musiktheaterstück kommt. Etwas, was sich viele wünschen würden. Wie war das in diesem Fall?
Gerald Resch: „Das Gemeindekind“ ist ein Auftragswerk des Wiener Schauspielhauses, das sich damit an mich gewandt hat. Andreas Beck, der künstlerische Leiter, will in seiner letzten Saison drei Neuproduktionen zeigen, die verschiedene Aspekte des Musiktheaters zeigen. Es gab bereits das Melodram „Sinfonie des sonnigen Tages“ und die Ballade „Johnny Breitwieser“. Als drittes Musiktheater folgt nun mit dem „Gemeindekind“ ein Singspiel – das heißt, dass der Anteil des nur gesprochenen Textes höher ist als in einer Oper. Die Dramatikerin Anne Habermehl und ich haben uns im Vorfeld überlegt, wo in dieser Geschichte die Musik ihren Platz haben kann. Während der Entstehung des Librettos haben wir festgelegt, wie und wo Text und Musik vom rhythmisierten Sprechen über Sprechgesang und Rap bis hin zum Singen in unterschiedlichen Idiomen miteinander verschmelzen sollen.
Wie kam es zur Auswahl des Stoffes, der ja ursprünglich ein 1887 veröffentlichter Roman von Marie von Ebner-Eschenbach ist?
Gerald Resch: Das wurde vom Schauspielhaus vorgegeben, es sollte dezidiert ein Singspiel über „Das Gemeindekind“ entstehen. Auch Anne Habermehl als Librettistin stand fest. Sie war 2013/14 dort Hausautorin, und so gab es von Anfang an einen engen Austausch zwischen uns.
Der ursprüngliche Roman wurde ja im Libretto weitgehend neu gedichtet. Inwieweit ist Ebner-Eschenbach in der aktuellen Umsetzung erhalten geblieben?
Gerald Resch:Der Roman dient als eine Art Folie, aber vieles wurde abgeändert. So wurde die Fülle der Personen von Ebner-Eschenbach bei Anne Habermehl auf fünf verdichtet. Auch der klerikale Kontext des Romans ist nur noch angedeutet.
Das Werk spielt in der Gegenwart?
Gerald Resch: Es spielt wie bei Ebner-Eschenbach in einem kleinen tschechischen Ort, aber nun eben 25 Jahre nach dem Mauerfall, also in der Gegenwart. Die Sprache ist ziemlich stilisiert, sodass zwar ein Gegenwartsbezug da ist, aber nicht vordergründig.
“Das Entdecken der eigenen Persönlichkeit durch das Finden der eigenen Sprache ist bei Ebner-Eschenbach ein wichtiges Motiv …”
Es drängt sich die Frage nach der heutigen Gültigkeit des Stoffes auf.
Gerald Resch: Mich spricht die Geschichte von Pavel an, der sich als Angehöriger einer unterprivilegierten Minderheit – heute vielleicht ein Rom – wider Erwarten aus der Enge seines Dorfes emanzipiert. Das Entdecken der eigenen Persönlichkeit durch das Finden der eigenen Sprache ist bei Ebner-Eschenbach ein wichtiges Motiv, das an Aktualität nichts verloren hat.
Wie wird das im Singspiel vollzogen?
Gerald Resch: Da kommt es zu einer Verselbständigung durch Musik. Pavels Freund Peter, der Sohn des Bürgermeisters, rutscht in ein rechtsradikales Milieu ab und prügelt den Fremdling Pavel – mit Unterstützung der Gemeinde – halb tot. Daraufhin verlässt Pavel das trostlose Dorf. In der Situation, in der er sich zu seinem Aufbruch durchringt, entdeckt er seine eigene Sprache beziehungsweise seinen eigenen Ton. Sobald Pavel seine musikalische Sprache gefunden hat, ist er nicht mehr Marionette der Gemeinde, sondern bestimmt selbst über sein Leben.
Die Auswahl der Instrumente – Klarinette, Akkordeon, Gitarre, Klavier und Kontrabass – war dem Komponisten überlassen?
Gerald Resch: Ja, aber auch das ist in Absprache mit der Autorin erfolgt. Anne wollte beispielsweise unbedingt ein Klavier haben. Mir ging es vor allem um eine stilistisch große Bandbreite bei den Instrumenten und die Möglichkeit, ein breites Spektrum zwischen Volksmusikkapelle und Band musikalisch abdecken zu können.
Wer bereits mit Gerald Reschs Arbeiten vertraut ist, wird seine Musik zwar nicht als experimentell, aber doch als durchaus progressiv empfinden. Muss es bei einem Singspiel, zumal in Hinblick auf die Aufführung in einem Schauspieltheater, nicht zwangsläufig zu einer Vereinfachung der musikalischen Sprache kommen?
Gerald Resch: Natürlich, vor allem musste ich ja für die Schauspieler schreiben, die meine Musik auswendig singen. Da musste ich Gesangslinien finden, die sich gut einprägen.
Verhält sich dementsprechend der Instrumentalpart, gespielt vom Ensemble Phace, gegenüber dem vokalen Bereich komplexer?
Gerald Resch: Schon, aber auch den Instrumentalpart habe ich für ein mir neues Publikum – ein Theaterpublikum – geschrieben. Wobei für mich grundsätzlich gilt, dass ich mit meinen Zuhörern unmittelbar kommunizieren will. Ich hatte keine Scheu, dem Handlungsablauf dienend auch einige tonale Nummern einzubauen, wenngleich sie meistens – ebenfalls dem Handlungsablauf dienend – etwas Widerborstiges haben.
Wirft man einen Blick auf die Website, so sieht man, dass alleine für 2015 noch drei weitere neue Werke zur Uraufführung anstehen. Ist man da zum Zeitpunkt einer Uraufführung überhaupt noch aktuell im Entstehungsprozess oder schon längst bei den nächsten Projekten?
Gerald Resch: Ich bin im Moment noch stark im Singspiel „drinnen“, weil ich etwas am vierten Akt umschreiben muss. Außerdem herrscht die Schlussprobenphase. Aber gleichzeitig bin ich auch schon bei neuen Stücken: einer Szene für das aDevantgarde-Festival in München, die sich auf das althochdeutsche Hildebrandslied, einen archetypischen Vater-Sohn-Konflikt, bezieht. Dafür möchte ich eine seltsam „pseudomittelalterliche“ Grundtönung finden. Im Anschluss daran werde ich dann eine „Opera povera“ für das Kabinetttheater Wien schreiben.
Nochmals kurz zum „Gemeindekind“. Kann eine solche erste Arbeit für das Musiktheater Erfahrungen für Weiteres bringen – Stichwort große Oper?
Gerald Resch: Ja. Ein großes deutsches Opernhaus gibt mir den Auftrag für eine Familienoper. Mehr darf ich noch nicht dazu verraten.
Bei Bühnenstücken fragt man in der Regel nach der „Moral“, mit der die Leute am Schluss nach Hause gehen. Moralisiert „Das Gemeindekind“?
Gerald Resch: Ich glaube nicht. Mich hat an der Geschichte besonders interessiert, wie sie für den Außenseiter Pavel unerwarteterweise „gut“ ausgeht. Außerdem: Man kann gelegentlich auch lachen. Die lachende und die weinende Maske als Symbol für das Theater, das schätze ich sehr.
Christian Heindl
Termine:
„Das Gemeindekind“ – Uraufführung: 5. März 2015, Folgetermine: 6., 20., 21., 31. März, 1., 10., 11., 18. und 21. April