Die Motoren der beiden vorbildhaften Non-Profit-Initiativen FREIFELD und FRAUFELD, ALEXANDER YANNILOS und VERENA ZEINER, gaben im mica-Gespräch Auskunft über die Vorgeschichte und die Bedeutung der beiden Plattformen, über das Organisieren des Vereins, des Labels, der Konzerte und ihrer Aufnahmen sowie über ihre eigene Musik.
Die Herstellung optimaler Raumakustik stand von Beginn an im Zentrum der Bemühungen des Toningenieurs, Produzenten und Schlagzeugers Alexander Yannilos. Im Jahr 2010 plant Yannilos zusammen mit Alexander Lustig und Christoph Huber ein Livestream-Projekt fürs Porgy & Bess, um daraus einen kompakten Mix aufzubereiten. Aus der vormaligen Künstlergarderobe des Jazzclubs sollte sich die Strenge Kammer entwickeln, die von Yannilos geplant und gebaut wird und in der avancierte Konzerte stattfinden und von ihm mitgeschnitten werden. Diese Mitschnitte werden dann, mangels Honoraren, den Musikerinnen und Musikerin zur freien Verfügung gestellt. Freistunde nennen sie diese Konzertreihe des dafür 2011 gegründeten Vereins Freifeld. Neben Yannilos arbeiten dafür der Pianist Georg Vogel, der Kontrabassist Lukas Kranzelbinder und die Pianistin Verena Zeiner. Yannilos’ Motivation der Freistunden ist es, „fortschrittliche Musik als gemeinnützige, nicht profitorientierte Alternative zum etablierten Kultur-Mainstream“ zu fördern.
200 Konzerte auf drei Bezirke verteilt
Nach der Abwanderung aus dem Porgy gelten Yannilos’ Bestrebungen erneut dem Bereitstellen eines idealen Umfelds für fortschrittliche Musik. Mit der Unterstützung von Helge Hinteregger adaptiert er den Seminarraum im mica akustisch und technisch und hält dort rund 90 Freistunden ab, bevor ein Jahr darauf weitere 40 im Café 7*Stern dazukommen. Gleichzeitig bespielt man für die Freifeld-Sessions ein Gewölbe am Yppenplatz. So führt die Freifeld-Reise mit insgesamt rund 200 Konzerten vom 1. über den 7. in den 16. Wiener Gemeindebezirk.
2014 gründet Yannilos das Label „Freifeld Tontraeger“, auf dem von ihm selbst produzierte Alben erscheinen. Er hilft jungen Bands bei Förderanträgen zur Förderung der Aufnahmen, Release-Konzerte sollen wiederum die Kosten der Produktion hereinspielen. Verena Zeiner, Philipp Kienberger, Alex Kranabetter und eine Vielzahl weiterer MusikerInnen arbeiten im Verein mit, sie helfen bei der Betreuung der Konzertreihe, des Vereins, des Labels und der Sessions. Rund 30 Tonträger hat man bislang hergestellt und ebenso viele Release-Konzerte veranstaltet. Für dieses Jahr sei bereits eine ganze Reihe neuer Veröffentlichungen und Konzerten geplant, sagt Alexander Yannilos. Was darüber hinaus anstehe, sei eine offensivere Bewerbung eigener Produktionen.
Langfristiges, nachhaltiges Konzept
Aus Freifeld direkt hervorgegangen ist die Fraufeld-Initiative. Die Idee dazu kam Verena Zeiner durch ein Treffen mit der Flötistin Sara Zlanabitnig, die im Zuge ihres Studiums eine Arbeit mit dem Titel „Gender on stage“ verfasst hatte. Darin ist unter anderem nachzulesen, dass die große Menge an Musikstudentinnen nicht in annähernd gleich große Bühnenpräsenz mündet. „Die Infrastruktur war mit dem Verein und dem Label bereits vorhanden“, sagt Zeiner. Die habe es zu nutzen gegolten. „Wir wollten kein kurzfristiges Festival organisieren, das dann bald wieder in Vergessenheit geraten würde“, erzählt Zeiner, „sondern ein langfristiges, nachhaltiges Konzept.“ Und es gehe „um die Möglichkeit weitgehender Selbstbestimmung, um die Szene und ihre Protagonistinnen zu stärken“. Ihre Motivation sei dadurch gefestigt worden, „dass alle von uns angefragten Musikerinnen sofort an Bord waren“. Erstes hörbares Resultat der feministischen Kooperative ist die Compilation „Fraufeld Vol.1“. Präsentiert wurde die CD, für die sämtliche Stücke im Studio neu aufgenommen wurden, vorigen Herbst im echoraum. Die Konzerte und der enorme Publikumszuspruch haben die Notwendigkeit von Fraufeld unter Beweis gestellt.
Verena Zeiner erzählt von ihren Erfahrungen als Musikerin und davon, dass ihr bald der Bedarf nach einer anderen Struktur klar wurde, um eigene Interessen durchsetzen zu können. Auch in ihrer Ausbildung sei sie fast ausschließlich mit der Musik von Männern konfrontiert worden, weibliche Vorbilder habe mit der Lupe suchen müssen. Voller Euphorie erzählt Zeiner vom Effekt, dass „unsere gemeinsame Zeit im Studio die Community enorm gestärkt hat“ und eine konstruktive Dynamik entstanden sei. Der stärkste Motor von Fraufeld sei die Initiative selbst, sagt sie.
Ziel sei es, circa alle zwei Jahre einen Sampler zu veröffentlichen. Benötigt werde mehr Zeit für Organisatorisches und für Förderungen. Zeiner erzählt, sie habe da einige Ideen für wirtschaftlich interessante Ansprechpartner. Zudem erleichtere es eigene Produktionen, wenn die Aufmerksamkeit durch eine Erweiterung der Initiative weiter anwachse. Schon zum jetzigen Zeitpunkt sei sie einigermaßen stolz auf die eigene Leistung, das Vorhaben innerhalb eines Jahres in die Realität umgesetzt und es noch dazu vielfältig dokumentiert zu haben – mit Fotos, Videos, Trailers und vor allem mit der CD.
Verlassen gewohnter Umgebungen
Verena Zeiner (Jg. 1983) hat in Wien Jazzklavier und Musik- und Bewegungspädagogik (Rhythmik) studiert und wechselte für ein Jahr nach Brüssel. „Das war entscheidend für mich“, sagt sie, „einmal die gewohnte Umgebung zu verlassen“ und viel Zeit für Studien zur Verfügung zu haben. Zurück in Wien, um zu unterrichten und zu komponieren, zieht es sie bald wieder in die Fremde – für ein halbes Jahr nach New York. Dort lernt sie einen Lehrer aus Israel, bei dem sie in Tel Aviv „Real-time Composition“ lernt und einen eigenständigen Stil der Improvisation entwickelt, neue Zugänge findet, neue Wege riskiert, neue Perspektiven findet. Gegenwärtig hat Zeiner einen Lehrauftrag an der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst, wo sie Klavier- und Instrumentalimprovisation sowie Bewegungsbegleitung unterrichtet.
Für ihre erste Solo-CD hat sie sich zwei Jahre lang Zeit genommen, „um zu reflektieren: Was bin ich, was nicht?“ Um die eigene Musiksprache permanent zu hinterfragen, den Prozess zu „verewigen“. Zeiner arbeitet mit verschiedenen Klavieren, in verschiedenen Räumen, Umgebungen und Situationen. Eine neue Phase sei gerade im Entstehen, verrät sie, auch mit anderen Tasteninstrumenten. Aus der Solo-CD „In Between Now And Then“, erschienen selbstverständlich auf „Freifeld Tontraeger“, destilliert sie auch weiterhin Liveprogramme, in denen sie die lange Zeit ihrer Entstehung komprimiert. Daneben ist sie in den Ensembles Human Circus und Klio aktiv. Apropos: Das nächste Klio-Konzert findet am 16. März 2018 im ORF-RadioCafe statt.
Experimente für offene Ohren
Alexander Yannilos (Jg. 1989) bestreitet seine Existenz als Musiker sowie als Ton- und Musikproduzent, so die offizielle Bezeichnung. „Eigentlich wollte ich Schlagzeug studieren“, erinnert er sich. Er sei sich aber bald bewusst geworden, dass auch ohne Studium der Kontakt zu interessanten Leuten möglich ist. Apropos Existenz: Eine seiner Bands hört auf den Namen Existenzhengste. „Das sind drei Vorarlberger Bläser und ich. Wir verbinden Jazz und Blasmusik mit einer Punk-Attitüde.“ Wichtig sei ihm auch das Trio P:Y:G mit Robert Pockfuß und Jakob Gnigler. Gemeinsam gieße man „Impro in eine eigene Form“, zurzeit würden sie an einem neuen Stück für Trio plus Chor arbeiten.
Yannilos’ Hauptprojekt höre indes auf den Namen Motherdrum. Dabei handle es sich um ein offenes Kollektiv, das Experimente für offene Ohren aufarbeite. „Außerdem nutze ich alle Möglichkeiten, die Sounds im Studio zu verändern“, erzählt er. Es gehe bei Motherdrum um komprimierte Energie, um eine Fusion von Live-Improvisation und experimenteller Clubmusik. Yannilos: „Das ist selten greifbar, aber oft tanzbar“ und funktioniere vom Duo bis zum Sextett gleichermaßen. Er könne dafür aus einem Pool an potenziellen Mitwirkenden aus dem Freifeld-Universum schöpfen. Gut möglich sei überdies ein baldiges gemeinsames Projekt von Alexander Yannilos und Verena Zeiner.
Alois Sonnleitner
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