„Seit ich gemerkt habe, dass es in Österreich noch ein Riesending zu bearbeiten gibt, bin ich die Erste, die sich hinstellt und sagt, Girls, so lassen wir uns nicht behandeln“ – MATHEA im Interview

MATHEA ist die erfolgreichste Musikerin Österreichs. Bevor ihr zweites Album erscheint, blickt sie noch einmal zurück auf Slutshaming, auf einen Hit, der zunächst keiner war, und das tiefe Loch, in das sie gefallen ist.

„2x“ von Mathea handelt von Liebe im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Die Strophen des Überhits sind in langen Bögen, manchmal flüsternd phrasiert, der Refrain wird mit dem Willen, sich selbst zu überzeugen, sprechgesungen. So kann Pop klingen, wenn Rap längst schon der neue Pop ist. Der Song zündet nur langsam. Dann aber ist Mathea bald auf Plakaten zu sehen, auf Reels und auf großen Festivalbühnen. Auf Spotify alleine wurde Mathea mittlerweile über 240 Millionen Mal gestreamt. Sie selbst sieht sich als Entertainerin, singt über Gefühle und Probleme einer Mittzwanzigerin. Dazu gehört – Claudia Stöckl war sich nicht zu schade dafür – auch Slutshaming. Und dazu, sagt Mathea, hat sie wiederum viel zu sagen.

Hast du geahnt, dass „2x“ so einschlagen wird?

Mathea: Im Studio waren wir so gehypt. Es ist so crazy, wie naiv wir damals drauf waren. Aber wir waren so überzeugt, wir werden jetzt die Ärgsten, der Song geht auf die Eins, wir werden reich! Im Nachhinein weiß ich, wie unrealistisch das war. Ich habe kurz danach in die Runde geschrieben, Leute, ich möchte, dass „2x“ meine erste Single wird. Und dann ist der Song ein Jahr später releast worden. Am 19. Oktober 2018. Und es ist nichts passiert!

Und dann doch.

Mathea: Wir waren im ersten Moment sehr enttäuscht. Mir war der Song unglaublich wichtig, ich habe richtig darauf hingefiebert, dass er erscheint. Die Geschichte hinter dem Song ist sehr real für mich. Antenne Steiermark hat den Song gespielt und ein paar Radiosender in Deutschland. Daran habe ich mich geklammert. Es kamen sehr viele Absagen von den Radios, es war ernüchternd. Bis es von selbst Fahrt aufgenommen hat. TikTok Deutschland hat uns kontaktiert und meinte, hey Mathea, möchtest du zu deinem viralen Hit nicht einen TikTok machen? Ich war so, hä? Und kurz vor Weihnachten haben wir Bescheid bekommen, dass Ö3 den Song testet. Für mich war das ultra arg. Mein Manager hat mich gewarnt, Mathea, es ist Weihnachten, es kann sein, dass der Song über die Feiertage wieder rausfällt, wenn er nicht gut testet. Es ist komplett das Gegenteil passiert. Und im März waren wir auf der Eins.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Wie ist „2x“ entstanden?

Mathea: Meine Mama hat oft zu mir gesagt, man sieht sich immer zweimal im Leben, sei nett zu den Menschen, irgendwann siehst du sie wieder. Das passte auf meine Situation. Und ich war in dieser anderen Heartbreak Phase. Nicht in dieser Bad Bitch Phase. Ähm. Genau. Ich habe einen Song in meinem Elternhaus geschrieben, der gar nicht so wie der jetzige geklungen hat. Meistens entstehen meine Songs durch mein Privatleben. Man versucht halt, das cool zu formulieren und rüberzubringen.

Wie bist du aufgewachsen?

Mathea: In Bruck an der Großglocknerstraße, ich war im Sommer oft bei meinen Großeltern auf der Erlhofalm, im Winter Schifahren am Kitzsteinhorn, wir waren eine Schifahrerfamilie. Ich war auch oft in Zell am See, wo ziemlich viele arabische Touristen vorbeikommen. Dort habe ich auf den Mittwochsfestln mit 15 Jahren zu spielen angefangen. Ich war letzthin wieder dort, aber nur kurz, ich werde sehr oft erkannt und angesprochen.

Du warst am musischen Gymnasium?

Bild Mathea
Mathea (c) Niklas Kamp

Mathea: Genau, in Bad Hofgastein im Pongau. Ich wollte Tänzerin werden, durch eine ungewöhnliche Fehlstellung in meiner Hüfte hatte ich viele Operationen und musste auf Gesang umsteigen, damit habe ich mich darüber hinweggetröstet, nicht richtig tanzen zu können.

Castingshows haben berüchtigte Knebelverträge.

Mathea: Ich bin ehrlich gesagt nie davon ausgegangen, dass ich bei The Voice überhaupt in die Blind Auditions komme und ihr Vertrag wirksam werden könnte. Ich wollte das einfach mal ausprobieren, beim ersten Casting in München waren so viele Bewerber, ich dachte, scheiß drauf, ich mache das einfach mal. Währenddessen hat sich meine Einstellung total gedreht, ich bin sehr ehrgeizig, auf einmal war es Ernst. Ich war in drei Sendungen gut präsent. Als ich in den Sing Offs ausgeschieden bin, wurde der Vertrag unwirksam. Ich war sehr enttäuscht. 

Und dann?

Mathea: Ich wollte unbedingt weiter Musik machen, hatte aber null Plan, weil Castingshows nichts mit dem echten Musikbusiness zu tun haben. Songschreiben, Verlag, Label, das lernst du dort nicht. 2017 bin ich nach Wien gezogen und konnte, auch durch The Voice, relativ schnell Kontakte knüpfen. Ich war bei Puls4 zu Gast – das gehört wie The Voice auch zu ProSiebenSat.1 -, dort habe ich diese Verena wieder getroffen, sie konnte sich noch an mich von einem Chorwettbewerb an meiner Schule erinnern und meinte nach dem Interview, was machst du? Ich meinte, ich möchte ultra gerne Musik machen. Und sie hat gesagt, sie kennt jemanden. Am nächsten Tag hat Tom Resch [Earcandy, Anm.] angerufen. Mich hat das beeindruckt, damals waren Julian Le Play und Avec bei ihm.

Wie lange kennst du Johannes Herbst und David Slomo?

Mathea: Johannes und David habe ich schnell in Wien kennengelernt, sie begleiten mich seit einer meiner Songwriting Sessions und sind zur Familie geworden, ich schreibe sehr viel mit den beiden, Johannes produziert auch.

Und Gerald Hoffmann, früher Gerard MC?

Mathea: Tom Resch hat ihm Demos geschickt und dann nicht lockergelassen. Gerald und ich leben mittlerweile in Berlin, die Leute fragen uns immer wieder, ob wir Geschwister sind. Wir fahren auch zu viert zu Sessions, vergangenen Sommer waren wir auf Mallorca, um zu schreiben. 

Er meinte, du hattest die Melodie, er hat ein Wort dazu gegeben, so ist “Chaos” entstanden?

Mathea: Wir waren im Studio in Berlin, ich wollte dieses Thema abhandeln, ich bin in meinen besten Freund verliebt. Wir hatten die Melodie und … Gerard hat noch die Originalaufnahmen, wo ich zum ersten Mal so, (summt) dun – uh, (spricht) wie wäre es, wenn wir sowas machen wie, (summt) Cha – os, Cha – os weil ich nicht weiß, was du für mich bist. (spricht) Er war daneben und hat gesagt, ja, so nehmen wir das. Und das war’s. Am selben Wochenende war ich zum ersten Mal am Cover einer Spotify-Playlist. 

„Meistens steht zuerst das Thema und dann die zentrale Phrase oder die money line.“

Kannst du nachvollziehen, warum manche Songs zünden, andere nicht?

Mathea: Das ist ein bisschen wie Pokern. Man kann seinen Teil dazu beitragen, ich versuche, immer mein Bestes zu geben, aber zum Beispiel hätte ich bei meiner Single „Paris” gedacht, dass sie viel mehr Potenzial hat. Die Songs entstehen bei mir ganz unterschiedlich. Meistens steht zuerst das Thema und dann die zentrale Phrase oder die money line. Manchmal gibt es so ein Gefühl. Bei meinem Feature mit Fourty – „Wenn du mich vermisst” – hatte ich ein sehr intensives Gefühl und habe das sehr oft Fourty gegenüber geäußert. Im Studio hatte ich wieder diese komische „2x“ Überheblichkeit. Und es wurde ein Hit.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Der Song hat eine bekannte Hook von t.A.T.u.

Mathea: Klar, das ist generell ein Trend, ältere Songs aufzugreifen. Es war lustig – damit haben wir auf TikTok gespielt, die Leute haben geglaubt, das ist geklaut. Aber natürlich habe wir das bewusst gemacht.

Wird es ein Feature mit Raphael Ragucci geben?

Mathea: Mal schauen, was kommt. [schmunzelt]

Mir gefällt diese Frage von Red Bull, bist du eine normale 25-Jährige?

Mathea: Ähm, privat ja. Liebeskummer tut noch immer weh, auch wenn man ein cooleres Auto fährt und eine nice Wohnung hat. Aber mir fällt es Gott sei Dank nicht schwer, am Boden zu bleiben, weil ich mich mit denselben Leuten umgebe wie vor dem Erfolg. Und die behandeln mich nicht anders. Aber frag mal meine Freunde. [lacht] Ich spüre das, wenn ich auf Festivals spiele, wenn mich Leute ansprechen und natürlich auf Social Media. Mein Berufsleben ist ein bisschen extravaganter und entspricht nicht ganz der Norm. Das wird auch ein Thema auf meinem kommenden Album.

Spielen Genres für dich eine Rolle?

Mathea: Ich finde, zwischen Hip Hop und Pop verschwimmen gerade sehr die Grenzen. Wenn meine Songs eher urban produziert sind, sind sie immer noch Pop, wenn man sie mit harten Deutschrap vergleicht. Ich bin tatsächlich nicht so ein Rock Fan. Aber sag niemals nie. Ich würde sagen, auch wenn sich bei den Produktionen vieles nach Hip Hop anfühlt, sind meine Top Lines immer noch stark Pop.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

„Ich hätte ein Riesending daraus machen und meine Follower aufhetzen können.“

Ist es bitter, dass du dich für dein Outfit beim Ukraine-Benefiz im Happel-Stadion rechtfertigen musstest, aber weder deine männlichen Kollegen noch Claudia Stöckl für ihre sexistische Interviewfrage?

Mathea: Sehr bitter. Aber Gerechtigkeit siegt. Und die Leute haben ja gemerkt, was in dem Interview passiert ist. Ich habe mich dazu auf Social Media nicht geäußert, ich hätte ein Riesending daraus machen und meine Follower aufhetzen können. Ich habe mich nie dazu geäußert, weil ich es einfach peinlich fand. Gut, es hat geklickt. Ich verstehe das schon. Und ja, mein zweites Album kommt bestimmt. 

Möchtest du dich zu gesellschaftspolitischen Themen äußern?

Mathea: Manchmal halte ich meinen Mund, weil ich glaube, andere Leute können das besser als ich. Ich bin vorwiegend Künstlerin und Musikerin – und keine Aktivistin. Aber Themen, die mir extrem wichtig sind, wie Feminismus oder beim Ukraine-Konzert, da möchte ich mich äußern und kann ich nicht anders. Ich dachte nicht, dass man sich als Frau rechtfertigen muss, wenn man in einem BH auf die Bühne geht. Ich habe viele weibliche Fans. Und ich möchte auf keinen Fall, dass sie glauben, vielleicht sollten sie nicht anziehen, was sie möchten. Auf keinen Fall. Ich werde meinen Fans mit gutem Beispiel vorangehen. Seit ich gemerkt habe, dass es in Österreich noch ein Riesending zu bearbeiten gibt, bin ich die Erste, die sich hinstellt und sagt, Girls, so lassen wir uns nicht behandeln.

Du wirkst wie jemand, der auf den Erfolg vorbereitet war?

Mathea: Mittlerweile habe ich das unter Kontrolle. Nach dem ersten Album war es super stressig, ich war einige Monate nur unterwegs und viel in Hotelzimmern, ich stand in der Öffentlichkeit und hatte vieles nicht verarbeitet. Und dann kam der Lockdown und ich bin in ein tiefes Loch gefallen. Ich hatte zum ersten Mal Geld am Konto und auf einmal total Verlustängste. Früher habe ich im Humanic für 800 Euro gearbeitet und mir keine Gedanken gemacht. Und plötzlich hatte ich Angst, alles wieder zu verlieren. Ich dachte, ich habe eigentlich alles, ich lebe den Traum, den so viele leben wollen, mir geht es super gut, ich wohne in einer schönen Wohnung. Aber mir geht es richtig beschissen. Und das habe ich mich lange nicht aussprechen getraut. Als es dann soweit war, war ich viel bei meiner Familie und habe wieder Kraft getankt. So konnte ich das Gott sei Dank überwinden.

Stefan Niederwieser

++++

Links:
Mathea (Facebook)
Mathea (TikTok)