„SEHR VIEL PASSIERT BEI MIR AUS WIDERSTAND!” – IRENE SUCHY IM MICA-INTERVIEW

MUSICAFEMINA ist ein Projekt, das sich seit seiner Gründung 2018 durch den gemeinnützigen Verein „Mäzenatentum.at“ der Sichtbarmachung von Komponistinnen in der österreichischen Musik verschrieben hat. Gemeinsam mit Clarisse Maylunas kuratierte die Musikwissenschaftlerin und Redakteurin IRENE SUCHY damals die Ausstellung „Aus dem Schatten ins Licht“. Eine Schau, die von Hildegard von Bingen bis Madonna, von Sappho bis Björk, vom religiösen Musikschaffen bis Filmmusik, von zeitgenössischen Genres bis Improvisation und Jazz, von trans.Art bis Performance und von den Salzburger Festspielen bis zu Phonofemme diverse Bereiche des Musikschaffens von Frauen abzudecken suchte. Nachdem die Veranstaltung so erfolgreich war und es sogar bis nach Washington geschafft hat, ergaben sich durch MUSICAFEMINA viele weitere Installationen, Ausstellungen, Workshops, Publikationen und Kooperationen mit österreichischen Musikerinnen, Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen. IRENE SUCHY, die unter anderem durch ihr Studium der Musikwissenschaft sowie ihre Lehrtätigkeit an der Universität und als Musikredakteurin bei Ö1 viele Schnittstellen der Musikbranche gut kennt, hat dabei einen widerständigen Ansatz für ihre Projekte. Aus diesem Grund veranstaltet MUSICAFEMINA am 1. Jänner 2024 auch das 1. WIENER NEUJAHRSKONZERT DER KOMPONISTINNEN: „Wir wollen endlich und ein bisschen schneller, als es das öffentliche Bewusstsein zulässt, all jene Werke von Frauen aufführen, die zur Zeit von Johann Strauss Vater und Sohn Walzer, Märsche und Polkas komponierten“, so die Kuratorin in der Ankündigung zur Veranstaltung. Im Gespräch erzählt IRENE SUCHY, wie weit die Musik aus feministischer Perspektive anderen Disziplinen hinten nach ist, welche historische Blindheit dafür verantwortlich ist, und inwiefern es ein Problem ist, dass sich solche Unbildung strukturell verankert. Wie Männer dafür Geschichte umschreiben und wie wir alle unsere Töchter, Schwestern und Freundinnen vor dem Hintergrund patriarchaler Gefüge stärken können, erklärt IRENE SUCHY im Interview mit Ania Gleich. 

In einem anderen Interview sagst du, dass die Verankerung von Themen der Gendergerechtigkeit im Kontext von Vereinswesen und Ehrenamtlichkeit problematisch ist, weil solche Arbeit meist nicht in die Strukturen vordringt. 

Irene Suchy: FC Gloria ist in dem Kontext ein bewundernswertes Vorbild, weil sie wirklich politische Lobbyarbeit betreiben. Der Film ist uns Musiker:innen thematisch und personell Kilometer voraus. Dort ist es überhaupt keine Frage, dass das alles thematisiert wird. Die Viennale 2021 wurde mit einem Film über Abtreibung eröffnet. Da stehen dann vielleicht ein paar Männer, die immer noch meinen, das hätte nicht sein müssen, aber die Filmbranche schafft es trotzdem, dem vehement etwas zu entgegnen. An denen kann man sich wirklich ein Beispiel nehmen. 

Im von mica – music austria organisierten Netzwerktreffen zu genderbezogenen Problemlagen im Oktober haben sich doch zahlreiche Vereine vorgestellt, die gegen die rigiden Strukturen arbeiten – oder?

Irene Suchy: Das Problem ist, dass wir mit solcher Arbeit nur in der Peripherie bleiben und nicht ins Zentrum vordringen. Und was ich an Netzwerktreffen kritisiere, ist, dass ich gerne im Vorhinein substantielle Fragen gestellt gehabt hätte, so wie: Wie finanziert ihr euch? Wer ist wie finanziert und beschäftigt bei euch? Wie viele Dienstposten schafft ihr? Gibt es viele Werkverträge? Wer arbeitet 20 Stunden, wer 10 Stunden? Genau das, was die Subventionsgeber abfragen, denn das sind die strukturellen Fakten! Ich bin auch mit der Netzwerkforschung an der Universität Wien in Kontakt, weshalb mein Credo lautet: Wenn wir schon über Netzwerke reden, dann untersuchen wir sie wirklich

Jeder Freimaurer-Verein hat irgendwelche Eintritts-Rituale und Mentoren, die ihre Hand für jemand anderen irgendwo hinlegen müssen, um eine Form von Verbundenheit zu schaffen! 

Das brauchen wir in der Musik auch! Denn wo ich in der Musik auch eine riesige Spannung sehe, ist, dass die Genres der Musik einander ab- und ausgrenzend gegenüberstehen. Da gibt’s die Elektronikerinnen, dort Improvisationen und so weiter und so fort. Wir müssen den gemeinsamen Nenner finden, sonst sind wir verloren! 

„MÜSSEN WIR FRAUEN IN UNSEREN KAMPF WIRKLICH ALLE HINEINNEHMEN, DIE DISKRIMINIERT SIND?”

Und wie ist es mit Trans-, Inter- und queeren Personen?

Irene Suchy: Ich finde es wichtig, dass wir Diskriminierung gegen Frauen auch als solche labeln und uns nicht unter die Rubrik FLINTA stellen. Sonst fallen wir ja genau in dieselbe Schublade wie die, die den Begriff inflationär verwenden und in ihren Institutionen Pinkwashing betreiben. 

Heißt das, wir sollten als Frauen nicht andere diskriminierte Personengruppen mit einbeziehen?

Irene Suchy: Nein, aber wieso sollen wir als Frauen mit dem Feminismus alles abdecken? Im ORF hängt ein Plakat über Inklusion und das wird durch Frauenköpfe repräsentiert. Warum ist das so? Das ist eine große Frage, die sich Gertraud Klemm auch stellt: Müssen wir Frauen in unseren Kampf wirklich alle hineinnehmen, die diskriminiert sind?

Cover der Publikation “Female Music Practice” 2020
Cover der Publikation “Female Music Practice” 2020

Die Geschlechterfrage wird nach wie vor als Frauenfrage gesehen.

Irene Suchy: Ich habe mich mit dem FLINTA-Begriff deswegen nie wirklich angefreundet, weil es bei MusicaFemina wirklich um das Schaffen von Komponistinnen geht! Dabei bin ich sehr dafür, dass man das Queere kulturpolitisch anschaut – es gibt ja viele homosexuelle Komponist:innen, die sich auch dazu bekannt haben. Und doch – das schließt die sexuelle Orientierung nicht aus –  mit MusicaFemina will ich, dass es vorrangig um Frauen geht.

Und MusicaFemina hat sich ja auch genau aus diesem Willen heraus gegründet, nicht?

Irene Suchy: Genau, MusicaFemina ist 2018 durch eine große Ausstellung über Komponistinnen entstanden und hat seitdem viele andere Projekte gemacht. Primär ging es uns immer um Sichtbarmachung mit dem klaren Profil: Komponistinnen und Musikschaffende! Aber das im weitesten Sinn: also von Singer-Songwriterinnen über Filmmusikerinnen bis hin zu Choreografinnen. Es ist über alle Genres verteilt.

Wenn du ein Resümee in die Gegenwart spinnen müsstest, was würdest du sagen?

Irene Suchy: Ich habe da einen Raum eröffnet – literally durch eine Ausstellung –, der noch verschlossen war. Das Ministerium sieht, dass wir das ernst meinen, und wir ihre Fördergelder auch richtig verwenden. Insofern ist das aufgegangen.

Was hat sich in der Sichtbarkeit von Komponistinnen verändert?

Irene Suchy: Erstens einmal gab es noch nie so eine Ausstellung. Immerhin ist das Außenministerium aufgesprungen, wir waren mit der Ausstellung ja dann in Bregenz und in Washington. Es war ein Schritt zu einer Veränderung, der nun viel mehr folgen müsste. 

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Eine Veränderung im Mindset?

Irene Suchy: Ja, noch bleibt das Thema an der Peripherie und bei gelegentlichen Subventionen. Dadurch können wir uns höchstens eine geringfügige Anstellung leisten. Es hätte ja auch passieren können, dass man durch diese Sichtbarmachung eine Professur für Gendermusikologie einrichtet. Aber die gibt es immer noch nicht! Auch eine andere Institutionalisierung unserer Ideen ist nicht geschehen. 

„ES SIND MÄNNER, DIE GESCHICHTE SCHREIBEN!”

Und ihr macht trotzdem weiter?

Irene Suchy: Sehr viel passiert bei mir aus Widerstand. Eine große Kritik gilt dem Johann-Strauß-Jahr, denn die haben wahnsinnig viel Geld. Dort war ich auch schon dreimal persönlich, um zu beanstanden, dass sie keine Komponistinnen in ihr Repertoire aufnehmen. Es gibt unzählige Johann-Strauß-Zeitgenossinnen! Aus Widerstand gegen diese Ablehnung machen wir jetzt ein Neujahrskonzert der Komponistinnen und Zeitgenossinnen von Johann Strauß. Die waren genauso berühmt wie er, hatten Kapellen, haben Tourneen gemacht, hatten große Organisationsstrukturen und waren bei der Weltausstellung in der Rotunde 1873 vertreten! Diese Zeitgenossinnen kontextualisieren wir gleichzeitig in einer App, wo man auf den Spuren von Komponistinnen wie Clara Schumann durch Wien spazieren kann. Was mich bei dem Projekt wirklich irritiert hat, ist, dass man es überall und in jedem Genre wieder mit unglaublicher Energie einfordern muss. 

Man sollte den Genderaspekt eigentlich inzwischen in alle Diskussionen hineinnehmen.

Irene Suchy: … ihn wenigstens mitbedenken! Es regt mich auf, dass wir das immer neu einfordern müssen. Warum muss ich etwa ein Konzert zu Kantoralgesängen von Komponistinnen organisieren, während die Konzerte von Männern einfach so stattfinden? Ich bin weder jüdisch noch eine Komponistin noch habe ich eine Synagoge. Warum wird das immer auf mich reflektiert? 

Wie kommt es, dass Komponistinnen ständig unsichtbar gemacht wurden? Und wie muss man Geschichte vielleicht anders lesen?

Irene Suchy: Es sind Männer, die Geschichte schreiben. Es sind Männer, die Frauen im Nachhinein ihr Geschlecht umdrehen und andere Vornamen geben. Bettina Balàka hat etwa den wunderbaren Roman “Der Zauber vom Cobenzl” über die Erdarbeiterinnen um 1848 geschrieben: Zwei dieser Frauen waren führende Wissenschaftlerinnen und im Schubert-Umfeld Mitte des 19. Jahrhunderts. Dann gibt es aber einen Herrn Thuswaldner bei den Salzburger Nachrichten, der Frau Balàka das Wissen abspricht und behauptet, dass das gar keine Frauen, sondern Männer waren. Es passiert so oft, dass aus Frauen Männer gemacht werden! Man muss natürlich allen dankbar sein, die das erkennen. Um das aber zum Allgemeinwissen zu machen, müssten die Mittel prioritär im Bereich dieser Forschung liegen. Und zwar in jeder Weise: Bei EU-Programmen, bei Subventionsvergaben, bei Diplomarbeiten, bei Bachelorarbeiten und so weiter. 

Dabei wird mit Genderaspekten viel Wokewashing betrieben. 

Irene Suchy: Da hatten wir auch eine sehr seltsame Erfahrung: Wir haben 2022 einen Josephine Baker-Rundgang gemacht, der sehr erfolgreich war. Dazu haben wir zuerst mit einer Künstlerin Kontakt aufgenommen und sie gefragt, ob sie dazu etwas mit uns machen möchte. Aber sie wollte dann die Parlamentsrede von Kurt Schuschnigg von 1938 von einem Trans-Schauspieler lesen lassen und hat dann noch dazu behauptet, Josephine wäre auch lesbisch gewesen, weshalb wir Voguing in den Spaziergang einbauen müssten. Das ist an und für sich ein spannender Tanz, bei dem man Identitäten „vertanzt“. Aber in diesem Kontext wurde diese Kombination von Aspekten einfach nur eine Karikatur! Wenn ich die österreichische Politik bloßstellen will, muss ich das ja nicht noch übermäßig überspitzen, sonst wird die Bloßstellung nicht ernst genommen. Außerdem gibt es zu Josephine nicht den geringsten Hinweis, dass sie lesbisch war. Wieso müssen wir also vier Stufen vorausgehen? Es muss doch nicht jedwede Diskrimimnierung in jedem Projekt performt werden!

Bild Ausstellug “MusicaFemina 1020” im Bezirksmuseum Leopoldstadt, 2021
Ausstellug “MusicaFemina 1020” im Bezirksmuseum Leopoldstadt, 2021

Andererseits gibt es auch eine unsichtbar gemachte queere Geschichte.

Irene Suchy: Ja, hier sind wir aber in unserer Bildungskultur nicht besonders weit im Denken! Erst letztens wurde ich gefagt, wieso Lilly Lieser, eine der großen Schönberg-Mäzeninnen, die möglicherweise lesbisch war, denn Töchter gehabt haben konnte. Das Leben von anderen Communities mit anderen Lebensweisen ist vielen von uns weit weg. Warum nicht ein Programm mit Komponistinnen in der Wien Woche? Und eines zum Black History Month?

Und wie können wir diese Bildungslücke füllen?

Irene Suchy: Wenn ich einen Wunsch an meine Arbeit mit Komponisten und Frauen in der Musik habe, dann ist es, dass wir am selben Strang ziehen! Es geht nicht, dass wir uns untereinander wieder aufgrund anderer Identitäten voneinander wegstoßen. Wenn es gelänge, dass man diesen kleinsten gemeinsamen Nenner findet. Das wäre mein Ziel! Und um das zu erreichen, müssen wir beim Studium beginnen. Im Musikstudium wird man einerseits musikalisch irrsinnig gut ausgebildet, und andererseits überhaupt nicht politisch gebildet. Man bekommt keine Weitsicht! 

„WIR ARBEITEN IN GEGEBENEN STRUKTUREN UND ICH GLAUBE SEHR AN GESETZE”

Die muss man sich selber erarbeiten.

Irene Suchy: Ja, und das ist ein Problem! Es wird nicht von Gewerkschaft und Arbeitnehmer-Vertretungen gesprochen! 

Auch Fragen wie die über das Gendern werden immer noch so diskutiert, als ob das keine kollektive, sondern eine individuelle Verantwortung wäre.

Irene Suchy: Wir arbeiten in gegebenen Strukturen und ich glaube sehr an Gesetze. Ich bin 1960 geboren. Bis 1975 hatte der Vater, der Haushaltsvorstand, ein Züchtigungsrecht und die Entscheidungshoheit, zu bestimmen, ob die Frau einen Beruf ergreift oder nicht. Ich bin die erste Generation, die ein Aktiendepot eröffnen und eine Wohnung mieten konnte! Als mein Mann gestorben ist, habe ich gewusst, dass mir die Wohnungen gehören. Natürlich war der Tod furchtbar traurig, aber die Welt steht: Ich war von niemandem abhängig! Man muss sich vorstellen, dass Kinder damals noch nicht im Pass der Mutter stehen durften und bis 1989 eine Frau, die nicht verheiratet war, nicht automatisch Vormund ihres Kindes war! Deswegen müsste Gendern – apropos: ich halte den Begriff realitätsgerechte Sprache für wesentlich passender – im wissenschaftlichen Schreiben Pflicht sein. Wenn ich das an der Uni eingefordert habe, wurde mir gesagt, ich müsste darum bitten. Warum muss eine Professorin das Gendern erbitten? Das muss State of the Art sein! Wenn du von Äpfeln sprichst, schreibst du Äpfel, wenn du von Birnen sprichst, schreibst du Birnen. Und wenn zwei Männer und drei Frauen etwas gemeinsam gemacht haben, dann muss das genauso in der Sprache sichtbar sein. Und diese Last, eine genaue Sprache einzufordern, liegt sonst nur auf mir als Einzelner.

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Die Geschichte der Frauenbewegung beweist, dass Gesetze nicht in Stein gemeißelt und patriarchal durchsetzt sind.

Irene Suchy: Genau, und deswegen müssen wir sie weiter verändern!

Wenn wir zur Musik zurückkehren: FC Gloria hat erreicht, dass in der österreichischen Filmförderung bis 2024 die Gelder 50/50 verteilt werden müssen. Wie kann das in der Musikbranche passieren und wie kann MusicaFemina dazu beitragen?

Irene Suchy: Die öffentlichen Gelder müssen gender-balanced verwendet werden. Wenn jemand ein Privatkonzert macht, kann man machen, was man will. Aber bei öffentlichen Geldern muss so eine Quote angesetzt werden. Und zwar nicht 40/60, sondern 50/50. Das ist einmal das eine. Wen oder was betrifft das? Zum Beispiel Wien Modern, wo es ganz gut ausbalanciert ist. Was ist mit den Wiener Philharmonikern, die auch subventioniert sind? Dass beim Neujahrskonzert seit Beginn keine Frau aufgeführt worden ist und dirigiert hat, ist ein Skandal! Dass da seit Beginn keine Frau aufgeführt worden ist und dirigiert hat, ist ein Skandal! Wir sind ja auch nicht gendergerecht besteuert. Ich muss genauso viel Steuern zahlen wie ein Mann in meiner Lebenslage mit meinem Verdienst. Diese Überlegungen müssen in die Zentren der Institutionen gelangen. Es muss aber vor allem in die Studien der Universitäten Eingang finden. Die sind im Moment für mich der Knackpunkt. Es muss ein durch-designtes Musikologie-Studium mit Musik von Frauen und feministischen Inhalten geben. Und das darf dann nicht diversity heißen, sondern feministisch! Und natürlich ist so ein Johann-Strauß-Jahr eine Katastrophe. Das ist mein Steuergeld und ich habe ein Recht mich darüber aufzuregen. Es gibt auch Bemühungen, aber zu wenige. Deswegen braucht es eine gesetzliche Rückendeckung. Ein gutes Beispiel für eine Rückendeckung ist das Fair Pay-Konzept, das ist bei der Fördervergabe eines der Kriterien im Rahmen der Beiratsbegutachtung. Dafür bin ich Andrea Meyer sehr dankbar.

„KAUM WIRD EINE BRANCHE INSTITUTIONALISIERT, NEHMEN DIE MÄNNER SIE WEG!”

Ist Geld nicht immer der unsichtbare Treiber von Diskussionen über den Gender-Aspekt?

Irene Suchy: Beim Johann-Strauß-Jahr argumentiert man, dass es touristisch sein müsste. Ja, warum ist Josephine Amann-Weinlich nicht touristisch? Zudem muss man auch bedenken, dass die Kultur überwiegend von Frauen besucht wird, vor allem Konzerte. Und dazu gibt es schon lange Studien: Es sind die Frauen, die einen Kulturbesuch initiieren. Deswegen muss man die Programme von Komponistinnen nur anbieten. Aber man muss sie mit den besten Interpret:innen und in den schönsten Konzerthäusern und bei führenden Festivals anbieten: Wenn Igor Levit  eine Komponistin spielt, dann wird sie sichtbar.

Inwiefern müssen hier auch Männer eine stärkere Rolle übernehmen?

Irene Suchy: Das ist ein Riesenproblem. Ich hatte jetzt lange ein Projekt mit dem österreichischen Parlament und Wolfgang Sobotka. Aber der hat mich abblitzen lassen, ohne Entschuldigung und nichts: Es ist ihm einfach nicht wichtig. Irgendwann, wenn er ganz viel Zeit über hat, kommt er vielleicht zu einer Veranstaltung. Diesem Thema muss in jeder Hinsicht Priorität gegeben werden: bei öffentlichen Anlässen, bei großen Konzerten …  Und jetzt noch etwas: Wenn das Hineinzwängen von Kompositionen von Frauen endlich einmal erreicht wurde, hat das immer eine Qualitätsdiskussion zur Folge. Aber dann bitte, führen wir diese auch weiter!

Bild Irene Suchy
Irene Suchy (c) Lounge Wien

Wie meinst du das?

Irene Suchy: Na ja, dann führen wir auch die Diskussion über Männer! Es wird sehr viel schlechte Musik von Männern gespielt und wenig darüber diskutiert. Bei Komponistinnen sind die Argumente immer viel ausgeprägter. 

Wie könnte man die Splittergruppen in der Musik hier stärker zusammenarbeiten und wie funktioniert ein gutes Netzwerk?

Irene Suchy: Es muss ein geteiltes Interesse für das Historische da sein und das muss irgendwo zusammengefasst sein. Ich weiß nicht, ob das ein Dachverband sein muss. Ich glaube, es braucht ein Studium, wo man das gemeinsam lernen kann. Dann steht es in einer Gleichheit nebeneinander und man kann endlich erkennen, dass Frauen in fast allen Bereichen immer die Pionierinnen waren: in der Fotografie, in der Elektronik, im Film. Und kaum wird eine Branche institutionalisiert, nehmen die Männer sie weg. Solche historischen Einblicke sollte man in einem Studium vermitteln. Um diese Dinge einzufordern, brauchen wir aber auch Daten. Es braucht kontinuierliches Monitoring. Das ist die Grundlage. Und dann natürlich Pflichtstücke: Jedes Studium muss Komponistinnen inkludieren. Die engen Repertoires, die die Lehrenden haben, mögen erweitert und aufgebrochen werden. Für mich ist das Institut für Exilmusik-Forschung ein gutes Beispiel: Exilarte macht es gut! Ein Institut mit einem bestimmten Ziel, eine Gruppe von Musikschaffenden sichtbar zu machen und  in die Musikgeschichte einzuschreiben: Editionen machen, Verlage suchen, Konzerte veranstalten, Drittmittel einwerben. Diese Vorgangsweise braucht eine Arbeit mit Komponistinnen. Gleichzeitig sollen junge Komponistinnen die Möglichkeit geben, aufzutreten und ihre Werke hören zu können. Denn nur so entwickeln Komponistinnen eine bestimmte Qualität und Perspektive. Man muss die Bühne haben, um Fehler machen. Männer machen auch ganz viele Fehler. Da muss man alle Töchter und Schwestern und Freundinnen stärken: Dann hast du es halt falsch gemacht, aber es ist komplett wurscht!

Danke für die schönen Schlussworte! 

Irene Suchy: Danke dir fürs Gespräch!

Ania Gleich

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Links: 

Musica Femina (Website)
Musica Femina (Youtube)