„Sehr geehrte Damen und Herren, wir bringen dieses Stück nicht zusammen” – LEONHARD PAUL im mica-Interview

Der Posaunist und Arrangeur LEONHARD PAUL könnte so manchem von dem weltweit tourendem Blechseptett MNOZIL BRASS bekannt sein. Der autodidaktische Showman hat dabei eine Vorliebe für zwielichtige Charaktere entwickelt und beweist das auch als Weißclown in dem aktuellen Programm „Cirque”. MNOZIL BRASS fassen den Inhalt dieser Show so zusammen: „Die Welt ist rund. Der Mensch lacht. Kurz: Die Welt ist ein Zirkus. Eben un Cirque. Hört sich besser an.” 2019 wird LEONHARD PAUL darüber hinaus auch Artist in Residence bei MUSIK AKTUELL – NEUE MUSIK IN NÖ. Er bittet daher noch bis 1. Juni Musiker*innen, Profi- aber auch Amateurensembles, Blasmusikkapellen, Tubaquartette, Big-, Jazz-, und sonstige Bands, Chöre, Dichter und Klangredner ihre Projektideen zu dem Thema [haße:luft] einzureichen. Mehr dazu am Ende des Interviews bzw. unter den Links. Michael Franz Woels sprach mit LEONHARD PAUL aber auch über Gott(eshäuser) und die Welt.

Im Jahre 1992 trafen sich sieben junge Blechblasmusikstudenten zu regelmäßigen Stammtischen im Gasthaus Mnozil. Es gibt einen Dokumentar-Film über Mnozil Brass aus dem Jahr 2005, bei dem thematisiert wird, dass Sie ein passionierter Wirtshausgeher sind. Im Durchgang zu einem Wirtshaushof passieren Sie ein Plakat, auf dem geschrieben steht: „Könnte es sein, dass alles gut ist.“ Ich möchte mit diesem Statement beginnen und fragen, wie sehr diese Aussage auf Ihre aktuellen Lebensumstände zutrifft.

Leonhard Paul:
Eine spannende Frage, auch weil sie auf einen Spruch mit Konjunktiv rekurriert. Diese Doku ist nun schon viele Monde alt und zu dem Zeitpunkt, wo das aufgenommen wurde, waren natürlich andere Bedingungen in diesem Lande vorherrschend. Mir ist oft nicht bewusst, wie gut es mir eigentlich geht, aber ich weiß schon auch den Aufwand einzuordnen und zu verbuchen, den es gekostet hat, das alles zu erreichen. Es gibt Mnozil Brass jetzt schon 25 Jahre lang und die ersten zehn bis fünfzehn Jahre hat kein Mensch nach uns „gekräht“. Es war ein ständiges Reagieren und Nachbessern, vieles war auch nicht geplant. Jetzt ist es sozusagen ein erfolgreiches „Familienunternehmen”. Mir ist aber auch ganz klar bewusst, dass alles ein Ablaufdatum hat. Man weiß ja nie genau, wann ist es aus? Bei anderen Bands die ähnlich lange existieren kriegt man das oft leichter mit.

Der erste offizielle Gig von Mnozil Brass außerhalb des Gasthauses Mnozil war ja der Überlieferung nach im Rahmen des Lichtermeeres 1993, eingefädelt von dem „Urgestein der niederösterreichischen Volksmusikszene” Norbert Hauer. Dabei wurde auch der Name der Blechbläsergruppe Mnozil Brass für die bis dahin namenlose Formation fixiert.

Leonhard Paul: Damals war das Canadian Brass das Flaggschiff der Brass Ensembles schlechthin. Dann gab es da noch etliche andere – und alle professionellen Blechbläser-Gruppen hießen XY Brass. Die Tragweite der Entscheidung über unseren Namen war uns ja damals noch nicht bewusst – wie lange und wie weit uns der Name begleiten würde. Damals bestand noch keine Notwendigkeit, dass es ein Morgen mit Mnozil Brass gibt.

„KASPERLIADE ALS DIENST AM KINDERKUNDEN, UM UNSER PUBLIKUM ZU REKRUTIEREN.”

Mnozil Brass bekam im Laufe der Jahre diverse Labels, wie “die lauteste Blasmusikkapelle” oder “die lustigste Blasmusikkapelle” zum Beispiel. Eure musikalische Virtuosität hat sich mit einer speziellen Form von Humor gepaart. Wie kam es dazu?

Leonhard Paul: Niemand von uns hat eine spezielle Schauspielausbildung. Es haben sich einfach über die Jahre unterschiedliche Rollen geschärft. Jeder hat ein Plätzchen gefunden und Rollenverteilungen wurden entwickelt. Zur Frage, wo der Humor herkommt, muss man vielleicht so anfangen: Wir haben in unseren ersten Jahren einfach „drauflosgedüddelt” und suchten entsprechende Anlässe. Das waren damals in dieser “Bio-Jungzeit” in ganz Österreich Biomärkte auf Hauptplätzen von Bezirkshauptstädten. Die haben immer ein, zwei Musikbands, meistens mit einer gewissen traditionellen Nähe, aber vielleicht auch mit einem gewissen „Offensiv-Charme”, engagiert. Der Auftrag war einfach: um den Markt herumzuziehen und den „Marktplatz aufwischen und akustisch durchzumischen”. So was macht man halt, wenn man 20 Jahre alt ist, denn man fängt um 9 Uhr in der Frühe an und ist bis um 18 Uhr am Abend aktiv. Eine Erkenntnis, die auf den Humor Einfluss genommen hat, war: so lange du spielst hört dir wer zu – was immer du auch spielst. Kaum hörst du auf zu spielen, zieht die Karawane der Laufkundschaft weiter, wodurch du keinen großen Spannungsbogen aufbauen kannst.

Zum einen haben wir dann das Singen entdeckt, um Kraftlosigkeits-Pausen zu überbrücken. Und zum anderen haben wir erkannt, dass du mit den Kindern auch die Mütter und Väter, oder die Großeltern „festnagelst”. Offensive Kinderbeschallung also. Und da setzt man sich eben auch einmal auf Augenhöhe hin oder legt sich auf den Boden. Kasperliade als Dienst am „Kinderkunden“, um sein Publikum zu rekrutieren. Später kam dann die Frage auf, was wir machen, wenn wir statt eines Hauptplatzes als Spielplatz eine richtige, scheinwerferbeschienene Bühne für Konzertantes bekommen. Wollen wir die fünfzehn Polkas, zwanzig Märsche und sieben Lieder und unseren Gesang, aufgespritzt mit Jazz, Schlager und was auch immer, auf die Bühne bringen? Wir haben uns dafür entschieden und irgendwie hat das funktioniert. Es war natürlich noch weit davon entfernt von dem, was wir heute machen. Aber der Grundgeist war da gelegt.

„DAS IST IMMER EINE FRAGE DER DOSIERUNG”

Dann kam der Schauspieler und Regisseur Bernd Jeschek auf uns zu, da das ehemalige Wiener Tabakmuseum, welches damals gerade neu eröffnet wurde, ihm einen Auftrag für ein Set gegeben hatte. Mit ihm haben wir das erste richtige Bühnenprogramm Smoke entwickelt. Er hat unsere Ideen und Pointen geordnet und gesetzt. Er hat eine Reduktion eingefordert: Je simpler und reduzierter eine Pointe, umso lustiger. Und auch das Prinzip: wenn etwas nicht funktioniert, kann das lustig sein, oft lustiger, als wenn etwas funktioniert. So haben wir unseren Humor aufgebaut. Bernd Jeschek war dann auch noch bei weiteren Programmen beteiligt, wo er zum Teil auch das Textbuch geschrieben hat, wie bei „Das trojanische Boot”, eine Operetten-Anfrage von der RuhrTriennale 2005, oder der Oper „Irmingard” für die Salzburger Festspiele 2008.

Ich habe immer den größten Spaß, diesen eher seltsamen, schrulligen, ein bisschen ungustiösen Außenseiter zu spielen, weil ich fand, dass das eine sehr dankbare Rolle ist, da man gegen alles und jeden sein kann. Aber man muss extrem aufpassen, wie man das ist. Das ist immer eine Frage der Dosierung. Wie auch jetzt in dem aktuellen Programm „Cirque”, wo ich einen weißen Clown spiele. Ich muss immer schauen, wie weit kann ich die Leute vor den Kopf stoßen, wie lange hält die Spannung oder eine Pointe. Wenn aufgrund einer spontanen, flachen Pointe ein Stück Musik flöten gegangen ist, ist es in diesem Moment eben völlig wurscht, wie gut die Musik im Hintergrund ist, solange die Pointe funktioniert.

„WIR HABEN MIT DIESEM UMSTAND VIELLEICHT AUCH EINEN TEIL UNSERES URSPRÜNGLICHEN PUBLIKUMS VERGRAULT”

Da lässt sich eine Überleitung zu einem immer wiederkehrenden Thema bei Interviews mit Musikerinnen und Musikern basteln: Wie sieht es aus mit dem Verhältnis von Improvisation und Komposition?

Leonhard Paul: Es gibt tendenziell weniger Platz für Improvisation als früher, dass muss man schon sagen. Wir haben mit diesem Umstand vielleicht auch einen Teil unseres Publikums vergrault. Am Anfang haben wir fast nur Volksmusik gespielt. Dann ist der Anteil an Volksmusik weniger geworden und somit sind viele, die uns wegen der Volksmusik geliebt haben, nicht mehr zu uns gekommen. Sondern wo anders hingegangen, wo wieder ein „kleines Schwammerlchen” mit guter, neuer, frecher Volksmusik aufgeploppt ist. Dafür haben wir aber Publikum gewonnen, dass gerade das andere geschätzt hat. Es gab somit eine Entwicklung weg von einem klassischen Konzert hin zu einer Musik-Show im amerikanischen Sinn. Man unterhält aber natürlich immer noch mit vor allem mit Musik. Wir haben uns ja auch nicht über das Schauspiel definiert, sondern die Musik muss immer auf dem höchsten für uns erreichbaren Level sein. Wir komponieren und arrangieren selber. Und wenn dann eine Show drumherum gebastelt werden kann, dann immer mit dem Credo „Nichts ist unmöglich”.

Wir haben dann aufgrund unserer Opern und Operetten – unser Stück „Irmingard” wurde zum Beispiel bei den Salzburger Festspielen 2008 uraufgeführt – in den wichtigsten Opernhäusern und Festivals wie den Münchner Opernfestspielen in Deutschlands spielen können. Das kam uns zum Teil dermaßen absurd vor. Das klassische Opernpublikum hat eben großes Theater erwartet, und dann kommen sieben „Hanseln” mit Instrumenten auf die Bühne und machen ihr Ding. Der Erkenntnisgewinn für dieses Publikum war vielleicht: Man darf auch über sich selber lachen.

Bild Leonard Paul
Leonhard Paul (c) Carsten Bunnemann

Das Musizieren wird von einem der Gründer von Mnozil Brass, dem Trompeter Thomas Gansch, in einem Interview als die Kunstform mit dem direktesten Energiefluss beschrieben. Man kann ja zwischen den Begriffen Musikerin bzw. Musiker und Musikantin bzw. Musikant unterscheiden. Als Musikantin bzw. Musikant könnte man eine Musikerin bzw. einen Musiker mit Entertainment-Ambition bezeichnen.

Leonhard Paul: Wenn man etwas über 25 Jahre lang und im Schnitt hundert Mal im Jahr macht, dann wird auch der eine oder andere Abend dabei sein, wo man einfach sehr routiniert seine Rolle spielt. Keine Berufsmusikerin bzw. kein Berufsmusiker kann mir erzählen, dass sie/er jeden Tag irrsinnig beseelt ans Werk geht. Man muss es im Rahmen der Rolle und überzeugend machen. Das Publikum will von einem anstrengenden Reisetag nichts wissen, weil dafür hat es keinen Eintritt gezahlt. Es hat also eine gewisse Erwartungshaltung und findet es einmal grundsätzlich super, dass du da bist. Und da kommt natürlich eine Energie auf, die zu fließen anfängt und man merkt, dass es eigentlich ein unheimliches Privileg ist, eine Arbeit wie diese machen zu dürfen.Am meisten fällt es mir auf, wenn wir zum Beispiel im Sommer zwei Monate nicht gespielt haben. Was gibt es Schöneres, als sein Instrument zu schnappen und mit so einer Konstellation wie Mnozil Brass von einem Publikum empfangen zu werden? Wir haben über die Jahre auch gelernt, gut miteinander umzugehen. Natürlich war nicht immer alles eitel Wonne, es ist auch viel gestritten worden. Und ein, zwei Mal ist das ganze Unterfangen am seidenen Faden gehangen, und es war nicht sicher, ob wir weitermachen. Die letzten Wechsel eines Trompeters und eines Posaunisten liegen nun auch schon plusminus fünfzehn Jahre zurück. Wir spielen also schon länger in dieser Besetzung, als wir davor in der alten Besetzung gespielt haben. So wie man sagt: Ab wann ist man ein Wiener? Ab dem Zeitpunkt, wo man länger in Wien lebt als anderswo davor.

„EIN MUSIKER, DER AUSWENDIG SPIELEN KANN, IST NICHT PER SE BESSER.”

Sie sind ja der einzige „richtige” Wiener in dem Ensemble, oder?

Leonhard Paul: Geboren wurde ich in tatsächlich in Wien. Aufgewachsen bin ich allerdings im nahen Mödling, das ja bekanntlich bereits in Niederösterreich liegt. Und mittlerweile ist es so, dass alle bis auf einen des Ensembles in Wien wohnen. Man könnte aber auch sagen, es wäre unerheblich, wo jeder einzelne wohnt, weil es so ist, dass wenn wir nicht spielen, wir nullkommanull Prozent Kontakt haben, da wir dann, wenn wir Konzerte haben, eh ständig „zammpicken”.

Sie unterrichten ja auch, so wie mittlerweile alle im Ensemble. Was sind so Tipps von Ihnen, um beim Üben keinen “Blechschaden” zu bekommen?

Leonhard Paul: Ich komme aus einer Lehrer-Familie, es ist immer unterrichtet worden. Und ich habe gemerkt, das dürfte mir auch liegen. Bei Workshops habe ich oft mit Erwachsenen zu tun, die schon sehr lange im Amateur- oder im gehobenen Amateurbereich spielen. Du merkst, wenn du ihnen die Noten wegnimmst: Endstation. Egal, ob die in einem Orchester spielen oder in einem kammermusikalischen „Dingsbumms“. Und das hat nichts mit einem Qualitätskriterium zu tun. Eine Musikerin bzw. ein Musiker, die/der auswendig spielen kann, ist nicht per se besser. Interessant ist aber, was mit dir passiert, wenn du auswendig spielst, wenn du „über dir schwebst“ und dir beim Spielen zusiehst. So ein stehender Satz, den ich auch beim Unterrichten auf der Universität immer wieder verwende: „Das Rausfallen aus einem Stück ist relativ einfach. Das passiert in den erlesensten Kreisen. Das braucht man auch nicht zu üben, das passiert eh von selbst.“ (lacht)

Worum es aber geht, ist das „Weiterleben”, das „Wiederreinfinden” als Abschluss eines „Verspiel-Prozesses“. Das ist ja das Spannende: Was passiert denn mit mir, wenn ich mich verspiele, also „geschnappt und ins kalte Wasser geschmissen werde“? Der erste Reflex ist sehr oft ein panisches Um-sich-Schlagen. Man schlägt so lange um sich, bis die Kraft ausgeht und man verloren ist. Ein kurzer Moment der Orientierung, der Improvisation wäre da sinnvoll. Und wenn schon Scheitern, dann auf allerhöchstem Niveau. Ich kann mich an ein Konzert bei meinem eigenen Professor Horst Küblböck erinnern. Wir waren ein Posaunenensemble und haben versucht, vor Publikum eine Fuge zu spielen und sind dabei immer wieder „zum Stehen gekommen“. Und mein Professor hat sich schließlich umgedreht, um dem gezahlt-habenden Publikum zu sagen: „Sehr geehrte Damen und Herren, wir bringen dieses Stück nicht zusammen. Wir spielen nun das nächste.” Das war so simpel und professionell wie nur möglich gelöst. Das Publikum hat gelacht. Ich möchte mit dieser Anekdote zu diesem Mut anregen und einfordern, über Grenzen zu gehen und das Gefühl der Peinlichkeit abzulegen.

Eine weitere Geschichte fällt mir ein: Es gab einen Probst in St. Gerold in Vorarlberg, der hat in den 1970er Jahren beschlossen, eine ursprünglich im Barock ausgekleidete Kirche komplett zu entkernen. Landläufig macht man das nicht! Er wollte eine gewisse Kargheit, und hat die Fenster und die ganze Altarwand von dem zeitgenössischen Künstler Ferdinand Gehr gestalten lassen. Die Kirchengängerinnen und Kirchengänger sind gekommen und haben sich irrsinnig beschwert. Es gab eine Podiumsdiskussion mit diesem Künstler und es kam zu einem „Schlagabtausch”, bei dem eine Frau aufgestanden ist und dem Maler erbost ins Gesicht gesagt hat: „Das, was sie machen, das kann ein jedes Kind!” Und der Maler hat zu ihr gesagt: „Ein jedes Kind schon, aber sie nicht.”

„GEHEN LERNST DU NICHT DURCHS GEHEN, SONDERN DURCHS HINFALLEN.”

Beim Musikmachen ist es meines Erachtens ganz wichtig, zwischen zwei Gruppen zu unterscheiden: Da gibt es die einen, die wissen wie es geht. Und dann gibt es die anderen, die es einfach machen. Und du hast die Wahl, zu welchem Club, zu welcher Fraktion du gehen willst. Die, die wissen, wie es geht, wissen auch immer, wie es besser gehen könnte und kennen „einen Onkel des Freundes des Vaters“, der bei den Wiener Philharmonikern ist. Und ein anderer sagt, er spielt bei der „Eierbacher-Volkstanzl-Musikkapelle”. Ich will damit sagen, wenn du selber spielen willst, dann tu es! Und spiele und übe und übe!

Die Zeit, in man für das Üben verwendet, kann man nicht für Kritik an anderen verwenden …

Leonhard Paul: Ja, das ist wesentlich. Und es gibt halt leider keine Abkürzung, was das Üben betrifft. Mein Sohn zum Beispiel, der ist jetzt 14 Jahre alt und ist genauso faul, wie ich damals war. Ich denke mir dann: Warum soll er auch anders sein als ich? Und was ich zu ihm sage, das sage ich unterem anderem auch Studentinnen und Studenten oder Workshop-Teilnehmerinnen und -teilnehmern: „Du, ich würde das so gerne für dich üben, wenn dir das helfen würde. Das Problem ist nur, dass du es danach noch immer nicht kannst und ich dann schon.” Man kann das Üben nicht auslagern, das hat unmittelbar mit dir zu tun. Ein weiterer Satz, den ich oft im Unterricht verwende: Gehen lernst du nicht durchs Gehen, sondern durchs Hinfallen. Man lernt, das man immer seltener fällt. Dann haut es einen ganz lange nicht mehr auf, und dann halt wieder immer öfter und irgendwann bleibt man dann liegen. Das ist im Prinzip der Lauf des Lebens. Und wenn du am Anfang das Gehen lernst, weißt du ja noch nicht einmal, dass das so heißt. Du machst es halt, weil es alle machen.

Oder Musiktheorie weitergeben – mein Gott kann das öd sein! Das muss man ganz ehrlich sagen. Es gibt allerdings Hilfestellungen und die funktionieren für mich in erster Linie einmal über die Begeisterung und eine „nicht ganz korrekte” Abhandlung der Materie „Wie funktioniert Musik”. Was mir auch oft hilft, ist das Denken in Bildern.

„ODER NOCHMAL ANDERS GEFRAGT: WAS IST EIN FALSCHER TON?”

Bewegtbilder oder Standbilder?

Leonhard Paul:
Beides. Bilder, die das Problem veranschaulichen, in dem ich mich gerade befinde. Ich stehe alleine auf einer Bühne und habe zweitausend Leute vor mir und muss einen leisen Ton spielen. Das ist normalerweise so quasi das gedachte Todesurteil eines Studierenden beim Klassenabend mit dem Panikgefühl: Vor ihm sitzen zwar eh nur fünf Leute, aber die warten alle darauf, dass sie/er falsch spielt. Durch dieses „Hinein-Theatern“ ist der Fehler schon vorprogrammiert. Wenn es dann wirklich schief geht, ist, dass dann die Bestätigung: Ich habe es gewusst, dass es daneben gehen wird. Ich habe also „gelernt”: Aha, ich kann also nicht auf der Bühne stehen und leise sauber einsetzen. Aber man muss halt einfach auch das Fallen lernen. Du musst aus deiner Phantasiewelt ein Bild generieren, das dir hilft. Mein persönliches, imaginiertes Bild muss dir nicht helfen, aber vielleicht die Idee, es zu tun. Schaue einem Augartenporzellan-Maler zu, die wissen auch, dass sie immer nur genau eine Möglichkeit haben, einen Pinselstrich zu setzen. Und die im übertragenen Sinn die Möglichkeit, eine fertige Vase mit dem letzten Pinselstrich zu „vermurksen”, die muss ich auch im Rahmen meiner Musikausbildung bekommen. Oder nochmal anders gefragt: Was ist ein falscher Ton? Jeder Ton hat das Recht, ordentlich zu klingen! Und wenn ich schon einmal danebengreife, dann doch bitte mit Leib und Seele. Der Mut, eben das im Probenprozess zuzulassen, der fehlt mir oft im klassischen Betrieb der Musikausbildung. Oder noch ein Satz, den ich von Nikolaus Hanrnouncourt beim Spielen im Musikkreis Concentus Musicus immer wieder gehört habe: „Ach, habe ich das wirklich gesagt? Haben wir das wirklich so gemacht? Dann habe ich wohl vom Recht Gebrauch gemacht, mich weiter zu entwickeln.”

Zum Schluss möchte ich noch kurz auf deine kommende Residency unter dem Motto [haße:luft] eingehen. Im Rahmen von musik aktuell – neue musik in nö, einer Initiative des des Vereins Musikfabrik NÖ, wird versucht „Musik unserer Zeit noch besser regional zu platzieren.” Was ist Ihr Konzept für 2019, welche Beiträge hätten Sie dafür gerne?

Leonhard Paul: Ich hätte gerne Musikerinnen und Musiker, Musikantinnen und Musikanten, die sich in Ensembles in Form von Blasmusik-Ensembles, Musikschul-Ensembles, Chören „zusammenrotten“. Ich möchte sie gerne ermutigen und ermuntern, mit mir gemeinsam Grenzen aufzubrechen und Schwellen zu überschreiten, zum Beispiel, in dem wir uns fragen – auf die Marschmusik bezogen – warum spielen wir immer die selben zwanzig Märsche, warum lassen wir nicht einmal einen Marsch für uns komponieren? Es geht darum, dass ein Klang-Kollektiv kommt und sagt, wir würden so etwas gerne tun, wissen aber nicht genau, wie wir das angehen können. Durch ein Aufeinander-Zugehen kann im Projekt-Zeitraum etwas Neues kreiert werden. Jetzt ist die Findungszeitpunkt und die Sammelzeit von Ideen, und seien sie auch noch so abstrakt oder absurd, eine Gedankenschmiede sollte unter Glut gesetzt sein. Mein Aufruf: Reicht doch bitte ein, ich werde aus diesen Ideen einen Pool auswählen. Die werden in die Tat umgesetzt, da gibt es ein gewisses Coaching von mir. Um am Schluss bilanzieren zu können: „Könnte es sein, dass alles gut ist?“ – Es ist was es ist, lass es gut sein!

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Michael Franz Woels

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