Clubs sind kulturelle, soziale und wirtschaftliche Räume. Vor allem aber sollten sie sichere Räume sein. Die freie Clubszene in Wien ist hingegen häufig von Räumen abhängig, die von diskriminierenden bis missbräuchlichen Strukturen durchzogen sind und den Mechanismen der Profitmaximierung folgen. Das hat zuletzt auch eine Umfrage der Vienna Club Commission (VCC) zur „Sicherheit im Wiener Nachtleben” bestätigt.
Es fehlt an sogenannten Safer Spaces – Räume, in denen man weder belästigt noch diskriminiert oder Gewalt ausgesetzt wird. Wie lassen sich diese Bedingungen schaffen? Und warum sollte sich eine Weltstadt wie Wien diese Möglichkeitsräume leisten? Im Rahmen des Unsafe&Sounds Festival fand eine Diskussion statt, bei der es um diese und weitere Fragen ging.
Auf dem von der VCC gehosteten Panel saßen: SPÖ-Politikerin SUSANNE HAASE, DJ und Promoterin SADIA WALIZADE, Künstlerin MIRABELLA PAIDAMWOYO* DZIRUNI und der Musiker und Flucc-Pressechef SANDRO NICOLUSSI. Moderiert wurde die Diskussion von den Journalisten Ania Gleich und Christoph Benkeser.
Susanne, jede fünfte Person fühlt sich unwohl im Wiener Nachtleben, heißt es in einer Studie der Vienna Club Commission. Wieso macht die Stadt Wien so wenig für sichere Clubräume?
Susanne Haase: Ich bin vor 25 Jahren mit meinem jungen und queeren Ich in Wien gelandet – und dort in die sehr kleine lesbische Community eingestiegen. Zu dieser Zeit ging es noch nicht um Safe Spaces, sondern um das Etablieren von Räumen an sich. Seit meiner Zeit als Bezirksrätin in Ottakring und nunmehr auch im Gemeinderat und Landtag ist mir das Thema also eine Herzensangelegenheit. Mit dem Aufpoppen von „TechnoMeToo” will ich meine Stimme weiter einbringen und bin an gemeinsamen Lösungen interessiert. Deshalb kenne ich die Ergebnisse des Berichts über die „Sicherheit im Wiener Nachtleben” gut – manche Zahlen sind deprimierend. Allerdings bilden die Ergebnisse auch ab, was viele alltäglich empfinden und begleitet.
Welche Gegenmaßnahmen führt die Stadt Wien an?
Susanne Haase: Unter Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler gibt es viele Initiativen – zum Beispiel die Ankerzentren, die sie von Beginn an unterstützt hat. Die SOHO Studios in meinem Heimatbezirk Ottakring sind so ein Zentrum im Sandleitenhof. Das Flucc am Praterstern, das im Clubbereich schon viele Jahre einen Namen hat, bietet neuerdings untertags seine Räume an. Dazu kommt das Projekt „Rettungsanker”, das in Kooperation mit der Club Commission Workshops und Unterstützung für Mitarbeiter:innen in der Nachtszene entwickelt. Trotzdem gebe ich zu: Es gibt Luft nach oben, es ist viel zu tun.
Wie kommt diese angesprochene Unterstützung an?
mirabella paidamwoyo* dziruni: Die strukturellen Probleme unserer Gesellschaft widerspiegeln sich in den kleineren Strukturen wie Clubs. Die Reichen, die Weißen, die Cis-Leute genießen gewisse Privilegien – ob sie wollen oder nicht. Ich sage: Safer space gibt es in Wien nicht, außer ich schließe meine Wohnungstür. Wenn ich also davon ausgehe, dass ein Club kein safer space ist, muss die Frage lauten: Was kann man tun, damit ich mich eher willkommen fühle – oder zumindest das Gefühl habe, dass ich vorhandene Missstände ansprechen kann? Ich habe darauf keine Antwort, weiß aber: Viele, die in einer ähnlichen Position sind wie ich, können die issues, die sie haben, nicht ansprechen. Entweder weil das Gegenüber nicht zuhört oder weil es nicht versteht, warum es überhaupt ein Problem ist. Deshalb ist ein safer space eine Utopie, die nicht existiert.
„DIE MASSNAHMEN DER STADT SIND EIN TROPFEN AUF DEM HEISSEN STEIN.”
Sandro, du arbeitest für das Flucc – kann es als Ankerzentrum zu einem safer space werden?
Sandro Nicolussi: Die schöne Antwort wäre ja. Die ehrliche Antwort lautet nein – zumindest nicht unter den aktuellen Bedingungen. Die Maßnahmen der Stadt sind – angesichts der Schwere jener Anschuldigungen, die an die Öffentlichkeit gekommen sind und jahrelang offene Geheimnisse in vielen Szenen waren – ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wenn bei einer Initiative wie dem „Rettungsanker” nur Infomaterial auf Frauentoiletten ausgelegt wird, ist das zu wenig. Generell sind die Budgets und Förderungen zu gering, auch für Ankerzentren.
Sadia, du veranstaltest mit deinem Kollektiv Fast & Nice seit Jahren Events in verschiedenen Clubs in Wien. Welche Verantwortung hast du als Veranstalterin?
Sadia Walizade: Sobald man einen Club betritt, trägt man eine Verantwortung, aber: Viele Menschen sind sich dieser Verantwortung nicht bewusst. Sie wollen nur ihren hedonistischen Bedürfnissen nachgehen. So sollte es nicht sein. Dass wir als Kollektiv über die letzten Jahre so viele unterschiedliche Clubs ausprobiert haben, hat also einen Grund: Der Club, der unser safe space gewesen war, war es nicht mehr. Was in den diversen Artikeln über „TechnoMeToo” stand, hat mich also nicht überrascht. Von vielen dieser Anschuldigungen habe ich schon gehört. Dass aber immer erst agiert wird, wenn etwas öffentlich gemacht wird, ist frustrierend.
Sandro Nicolussi: Gleichzeitig ist safer space ein wechselnder, flüchtiger Raum. Und an physischen Clubräumen mangelt es in Wien nicht, wohl aber an politischem Willen, safere Clubräume zu etablieren. Schließlich herrscht überall Leerstand, der für Zwischennutzungen herangezogen werden könnte – nicht für kommerzielle Kulturräume, von denen es genügend gibt, sondern für nicht-kommerzielle. Ich ziehe aber nicht nur die Stadt Wien zur Verantwortung, sondern auch die Szenen. Als Auftretende, Veranstaltende und Publikum versagen wir, ein Netzwerk zu schaffen, das stärker ist als die Schweigespiralen, die in der aktuellen Situation sichtbar werden.
„DAS PROBLEM DER CLUBSZENE MUSS KOMMUNIZIERT WERDEN.”
Sadia Walizade: Das Schweigen zu brechen, ist nicht leicht, weil Clubbetreiber mit Klage drohen oder man Angst vor negativen Folgen für die eigene Reputation hat. Ich sehe also keine gute Zukunft für die Clubkultur – auch wenn es spaces geben mag, es gibt nicht viele Alternativen. Deshalb brauchen wir einen Raum, in dem wir laut sein können, ohne Anrainer:innen zu stören; einen space, der leistbar ist, und am wichtigsten: einen, der nicht an eine Privatperson gebunden ist.
Wie könnte man die gesellschaftliche Wahrnehmung für dieses Problem schärfen, Susanne?
Susanne Haase: Ich bin nicht mehr regelmäßig in Clubs unterwegs. Deshalb wurde mir erst durch die Veröffentlichungen der Anschuldigungen bewusst, wie sehr die Clubs in männlicher Hand sind. Strukturelle, patriarchale, rassistische Situationen gibt es aber nicht nur in den Clubszenen – man muss über sie hinausblicken. Wenn wir Förderungen an Awareness-Konzepte knüpfen, bekämpfen wir allerdings nur das Symptom und nicht die Krankheit. Deshalb ist ein medialer Aufschrei wichtig. Das Problem der Clubszene muss kommuniziert werden. Ich unterstütze die Anregungen und Bedürfnisse nicht nur, ich trage sie auch mit in die Stadt, um mit anderen gesellschaftlichen Teilen eine Verbesserung herbeiführen.
Sandro Nicolussi: Jedes Mal, wenn die Stadt Wien ein Argument für Clubkultur braucht, wird der millionenhohe Umsatz angeführt, die das Nachtleben der Stadt bringt. Trotzdem höre ich immer wieder, dass wir uns als „Bubble” bezeichnen – warum sollten wir uns aber kleiner machen, als wir tatsächlich sind? Schließlich ist die Clubszene in Wien gut aufgestellt: Es gibt eine Club Commission, die IG Clubkultur, eine Gewerkschaft für DJs, elektronische Musik und Clubkultur sowie zahlreiche Einzelpersonen und Kollektive, die sich darum kümmern. Um substanziellen Druck aufzubauen, müssen wir uns vom Bubble-Begriff verabschieden und zum Austausch übergehen – um irgendwann selbstverwaltete Räume zu bespielen.
Selbstverwaltete Räume als Ziel?
Sandro Nicolussi: Natürlich – aber so, dass sich die Leute wohl und sich sicher fühlen und auftreten können.
Wo muss man dafür ansetzen?
mirabella paidamwoyo* dziruni: An den Machtpositionen. Wenn also die Machtposition ein weißer, reicher Mann innehat, der die meisten Profite der Clubräume einstreicht, gehört diese Position verändert. Ich sage bewusst verändert, weil auch möglich ist, dass die Clubräume dem Mann gehören, er aber in verschiedenen Punkten keine Entscheidungsmacht hat oder Profite nicht nur an ihn gehen. Man müsste fragen: Wohin fließt das Geld? Und wie kann es besser aufgeteilt werden? Eine Antwort findet man erst, wenn man die Machtposition definiert. Durch diese Definition müsste die Person mit Macht in einem zweiten Schritt die Verantwortung übernehmen und sowohl Teile ihrer Macht als auch des Profits abgeben. Freiwillig, weil sie zu viel hat. Und weil sie teilen müsste.
„DAS IST DIE NÄCHSTE STELLE, DIE MAN AUSTAUSCHEN MÜSSTE.”
Wie soll das passieren?
mirabella paidamwoyo* dziruni: Wenn Clubbesitzer weiße, ältere Männer sind, die viel Geld haben und weiterhin Profite mit ihrem Club machen können, muss es jemanden geben, der ihnen das ermöglicht. Das ist die nächste Stelle, die man austauschen muss.
Sieht man sich Kulturinitiativen in den 90er Jahren an, merkt man: Es war einfacher, leere Räume zwischenzunutzen, als heute. Wie kann man heute trotzdem kollektiv Räume finden, die anders funktionieren als die bestehenden privaten?
Sadia Walizade: Die Idee der selbstverwalteten Räume wäre eine Idee, die bestehende Machtdynamik zu brechen. Allerdings wird das nicht mit jedem Kollektiv und jeder Community funktionieren, weil es neben Vereinen auch profitorientierte Veranstaltende gibt. Wichtig wäre aber, dass sich die nicht-kommerziellen Kollektive bündeln und zu einer gemeinsamen Stimme gelangen, um Räume zu beanspruchen. Aktuell wird das von der Stadt nicht wahrgenommen, obwohl es viele Zwischennutzungsräume gibt, zum Beispiel in der freien Szene. Es braucht aber zusätzliche – für die Clubkultur.
Susanne Haase: Ich war viele Jahre Bezirksrätin in Ottakring. Mit vielen Projekten, die ich in diese Richtung begleiteten konnte, habe ich gemerkt: In dicht bebauten Gebieten ist das Thema Club schwierig – man ist in einem immerwährenden Aushandlungsprozess zwischen Anrainer:innen, Veranstaltenden, Gästen. Ich erinnere an den Ragnarhof, der schließen musste, obwohl wir ihn als Bezirk unterstützt haben. Man merkt dann: Die kommerziellen Betriebe setzen sich leider durch, weil sie finanziell potenter sind. Das kann man mit Förderungen für nicht-kommerzielle nicht ausgleichen.
Sollte sich eine selbstbezeichnete Kulturstadt wie Wien die Clubkultur nicht leisten? Für diverse Hochkulturbauten entlang der Ringstraße ist auch Geld vorhanden.
Susanne Haase: Die Clubkultur hat durchaus ihren Stellenwert, den auch unsere Kulturstadträtin anerkennt. Im Vergleich zu anderen Großstädten gibt es trotzdem Nachholbedarf.
Sandro Nicolussi: Dreieinhalb Kilometer Stadtstraße sollen 440 Millionen Euro kosten. Die Vienna Club Commission muss mit 1,5 Millionen über fünf Jahre arbeiten. Mir fällt es schwer, nicht zynisch zu werden. Aber ich probiere es – mit Selbstkritik. Wir müssen uns regelmäßig, über unser nahes Umfeld hinaus, in Vernetzungstreffen zusammentun.
„SOLANGE VON OBEN NICHTS PASSIERT, FÜHLT ES SICH AN, ALS WÄRE UNSERE ARBEIT UMSONST.”
Das Angebot gibt es zum Beispiel von der Vienna Club Commission.
Sandro Nicolussi: Das Problem dieser Sessions: Die Lead-Person wird bezahlt, alle anderen nicht. Wir sprechen also von ehrenamtlicher Arbeit, die leistbar wäre, sofern die Stadt Wien unsere Ergebnisse verpflichtend umsetzt. Das ist nicht der Fall. Deswegen sage ich: Die Club Commission braucht mehr Kohle, um Expert:innen aus der Zivilgesellschaft bezahlen zu können. Auch um die Vernetzung voranzutreiben.
Sadia Walizade: Der Austausch findet statt. Wir können uns als Szene aber so viel positionieren, wie wir möchten: Solange von oben nichts passiert, fühlt es sich an, als wäre unsere Arbeit umsonst. Wir fühlen uns machtlos, weil wir nicht das Gefühl haben, dass wir etwas verändern können.
mirabella paidamwoyo* dziruni: Ich möchte eine persönliche Geschichte anfügen: Als ich nach Wien kam, habe ich viele Sachen ausprobiert, die Spaß gemacht haben. Viele Jahre später bin ich sehr wählerisch geworden, wohin ich gehe. Ich hab mich gefragt: wieso eigentlich? Ich will nämlich öfter in den Club gehen als damals. Trotzdem kann ich nicht, weil: Die Räume, in denen ich mich safer gefühlt habe, gibt es nicht mehr. Früher habe ich mir andere Spaces mit Alkohol safer gemacht, als sie waren. Inzwischen bin ich fast immer nüchtern im Club. Plötzlich seh ich die Realität und denk mir: Wie kann ich hier meinen Körper bewegen?
Susanne Haase: Ihr könnt euch sicher sein: In mir habt ihr eine Mitstreiterin, auch weil ich mich selbst als 20-Jährige sehe. Wir hatten keine Räume, wir mussten sie uns erkämpfen. Inzwischen hat sich viel verändert, aber eben auch: vieles nicht. Es kann nicht sein, dass weiterhin nur Kapital oder Patriarchat regiert. Deshalb bringe ich mich aktiv ein, um eine andere Entwicklung möglich zu machen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Ania Gleich und Christoph Benkeser
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Links:
Vienna Club Commission (Homepage)
„Sicherheit im Wiener Nachtleben” (Ergebnisbericht VCC)
Unsafe&Sounds Festival (Homepage)
Susanne Haase (Wikipedia)
Sadia Walizade (Homepage)
mirabella paidamwoyo* dziruni (Homepage)
Sandro Nicolussi (Homepage)