„ROSA, GRÜN UND ERINNERND“ – MERVE IM MICA-INTERVIEW

MERVE, bestehend aus BARBARA MARIA NEU, ANDREA EDLBAUER, STEFANIE KROPFREITER und JUDITH FERSTL, verbindet neben verschiedenen musikalischen Richtungen auch Texte literarischer Werke mit ihren Kompositionen und schafft damit ein buntes Gesamtbild mit tieferem Sinn. Nach erfolgreicher Releaseparty am 12. Mai 2023 geben sie persönliche Einblicke in ihre erste Veröffentlichung „Ich war einmal…“. Sophia Umfahrer im Gespräch mit Barbara Maria Neu (Klarinette, Stimme).

Euer aktuelles Mini-Album trägt den Titel „Ich war einmal…“. Das klingt wie ein Märchen, aber irgendwie doch nicht. Bringt ihr damit eine neue Perspektive in diese Art der Erzählung?

Barbara Maria Neu: Das war so ein bisschen die Idee bei der Stückauswahl oder wie wir uns das überlegt haben. Es basieren die 5 Titel, die wir aufgenommen haben, bzw. der rote Faden, der sich durchzieht, auf herkömmlichen literarischen Stoffen. Die werden hier sozusagen analysiert.

Worum geht es konkret?

Barbara Maria Neu: Es geht einerseits um Beziehungen und um ein Miteinander, um Freundschaft – auch mit dem Unterton Frauensolidarität, Frauenfreundschaft – aber auch mit dem Fokus auf die (geschichtliche) Rolle der Frau im Märchen oder in den literarischen Stoffen.

Besonders interessant ist eure Auseinandersetzung mit dem „Rotkäppchen“.

Barbara Maria Neu:
Diese Geschichte hat uns irgendwie interessiert, weil hier ja auch das Ungeschlechtliche bearbeitet wird. Wir haben dann auch damit angefangen, einfach die anderen Rollen umzutauschen. Also, dass es nicht der Wolf ist, sondern die Wölfin, nicht die Mutter, die das Rotkäppchen in den Wald schickt, sondern der Vater, nicht die arme Großmutter, sondern der Großvater und nicht der Jäger, sondern die Jägerin. Als wir Valerie Prinz, die Autorin, gebeten haben, dass sie uns mehr oder weniger das Rotkäppchen beschreibt, hat sie das in der Erzählung beibehalten und ganz spannend den Text nicht mit „Es war einmal…“, sondern „Ich war einmal…“ angefangen zu schreiben. Sodass die Geschichte aus der Sicht des Rotkäppchens erzählt wird.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

„…man hat besonders das Gefühl, die Frauenfiguren bekommen noch mal extra keinen Platz.“

Damit nimmt diese Märchenfigur einerseits eine selbstreflektierende Haltung ein und andererseits wird ein kritisches Licht auf den literarischen Inhalt geworfen.

Barbara Maria Neu: Diese Figur Rotkäppchen wird ja eigentlich immer „das“ Rotkäppchen genannt und hat nie einen Namen bekommen. Man weiß in Wirklichkeit gar nichts vom Geschlecht dieses Kindes. In unserer Geschichte haben wir uns das behalten; es geht auch darum, dass sich diese Figur, diese Person „Rotkäppchen“, fragt, wo sein/ihr Name geblieben ist und sich dann einen Namen erkämpft.
Auch in der Retrospektive auf viele Frauenrollen/Frauenfiguren in Geschichten und in Märchen, hat man so das Gefühl, es wird immer „über“ die Prinzessin erzählt, „über“ das Schneewittchen usw. Klar wird auch über andere Personen erzählt, aber man hat besonders das Gefühl, die Frauenfiguren bekommen noch mal extra keinen Platz.

Wie setzt sich die Grundidee in den anderen Stücken fort?

Barbara Maria Neu: Dieses „Ich war einmal…“ passte in Folge mit der Frage nach dem „Wie“ die Rolle der Frau früher war, „Wie“ sie es jetzt ist, zusammen. Das Ganze hat auch gut gepasst mit dem Gedicht der Annette von Droste-Hülshoff – „Das alte Schloss“ – , was ein autobiographisches Gedicht ist, wo sie darüber schreibt, dass sie sich eingesperrt fühlt und, dass sie sich dabei in diesen alten Mauern stark macht. Droste-Hülshoff kommt ja aus einer ganz anderen Zeit als wir heute. Sie hat als Autorin in einer Zeit im 19. Jhd. gewirkt, wo man als Frau wirklich noch gar nichts zu sagen hatte, leider. Teilweise ist das heute immer noch so. Das hat dann weiter gut mit dieser Geschichte von der Meerfrau von Hans Christian Andersen zusammengepasst. Das war auch interessant, weil da einfach mal eine Frau einen Prinzen rettet und nicht umgekehrt. Das waren so spezielle Geschichten, die uns inspiriert haben.

Wolltet ihr eine feministische Richtung einschlagen oder einfach die Frau bzw. die Rolle der Frau herausheben und ihr mehr Bedeutung schenken?

Barbara Maria Neu: Es gibt im Feminismus ja viele verschiedene Richtungen und dieses Wort ist immer mit so ein bisschen Achtsamkeit zu verwenden. Manchmal habe ich das Gefühl, es ist auch eine Entscheidung, zu welcher Art von Feminismus man sich bekennt. Ist es der Feminismus, der Frauen sagt, sie dürfen keine langen Haare mehr haben oder ist es der Feminismus, der generell das Wort Frau verneint… Das geht ja auch von bis, kann mitunter sehr konservativ und mitunter sehr linksextrem sein.

Bild Merve
MERVE (c) Elsa Okazaki

„…man darf sich diesen märchenhaften Stoffen bedienen und die Themen trotz der Magie sanft hinterfragen.“

Wie im Märchen üblich, macht auch ihr jedenfalls schwierigere/kritische Themen leichter zugänglich?

Barbara Maria Neu: Auf jeden Fall. Also ich finde tatsächlich, man darf sich diesen märchenhaften Stoffen bedienen und die Themen trotz der Magie sanft hinterfragen.
Manche Leute behaupten vielleicht, es sei banal, sich an Märchenstoff zu bedienen. Mit Märchenstoffen solle man heute als zeitgenössische KünstlerIn nicht mehr arbeiten, sondern man solle was Cooleres machen, als Märchen erzählen.

In eurem Konzept werden Grenzen zwischen Musik und Sprache aufgebrochen. Was inspiriert euch hier in der Gegenüberstellung: Musik sprachlich auszudrücken oder umgekehrt, Rhythmik annähern oder ein Gespräch zwischen den Instrumenten entstehen zu lassen?  

Barbara Maria Neu: Wir würden sagen, dass sich eher so der Inhalt der Geschichten mit der Musik verbindet. So ein Verbinden der verschiedenen Kunstrichtungen, ein gegenseitiges Bereichern, damit daraus etwas Gemeinsames werden kann. Zum Teil hört man im Konzert die Texte vor den Musikstücken, die wir am Tonträger nicht aufgenommen haben, so wie beim „alten Schloss“. Text und Musik stehen dann zur gleichen Zeit praktisch verbunden miteinander und gemeinsam da. Sie dürfen sich durchaus gegenseitig erweitern und unterstützen.
Ich weiß, dass das in der Musik auch gern rhythmisch angewendet wird, das hatten wir aber eher nicht so im Sinn. Wir gebrauchen wirklich die Erzählung, also das erzählende Wort, relativ im klassischen „Theatersinne“, sag ich jetzt mal ganz vorsichtig, und weniger als rhythmisches Instrument. Wir haben versucht, den Erzählfluss aufrecht zu erhalten. Dieses gegenseitige Erzählen, was gerade in „Undine“ sehr gut gelungen ist, dass die Geschichte in der Musik weiter geht und das gesprochene Wort dann an das anschließt, was grad in der Musik erzählt wurde. Auch die Bilder werden fortgesetzt. Durch die Malereien von Oksana Zmiyevska im Musikvideo zu „Ich war einmal…“ ist dann noch mal eine Ebene, die bildhafte, dazu gekommen.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

„…den Erzählfluss einfach weitergestalten und damit ein gemeinsames Bild erstellen.“

Mit der Musik werden eigentlich auch Bilder zu den Erzählungen gemalt bzw. zumindest die Emotionen unterstützt, was in der Sprache nur nebensächlich passiert.

Barbara Maria Neu: Genau, ich finde da gibt es auch in der Musikgeschichte ganz viel verschiedene Formen. Klassisches Beispiel ist natürlich Peter und der Wolf oder der Karneval der Tiere. Meiner Meinung nach muss man sich aber gar nicht immer Motiven bedienen. Man kann auch so den Erzählfluss einfach weitergestalten und damit ein gemeinsames Bild erstellen.

Die Frage klingt jetzt vielleicht banal, aber warum steht genau das Märchen im Fokus?

Barbara Maria Neu: Das ist, glaub ich, so ein bisschen unsere persönliche Liebe zum Märchen und auch, dass man sich alten Stoffen bedienen kann, selbst wenn man jetzt als wirkende Künstlerin unterwegs ist. Man kann sich schon auch etwas Gutes daraus ziehen. Erstens sind Märchen total schön, wir lesen sie wahnsinnig gern. Ganz ehrlich gesagt ist es auch einfach schön, mal unkritisch ein Märchen zu erzählen. Nicht immer alles bearbeiten zu müssen, sondern einfach so sich seine Schönheit zu bewahren. Das haben wir versucht. Auch dadurch, dass wir uns die Texte ein bisschen umschreiben haben lassen. Das war die Bitte an Valerie, dass es einfach dieses märchenhafte behält. Nicht, dass es ein plakativ kritischer Text wird, der nichts mehr von einem Märchen hat, sondern dass es ein Märchen und erzählhaft bleibt. Es sollte dieses Magische, was so eine Märchenstunde an sich hat, behalten.

Wie hat sich die Werkauswahl ergeben?

Barbara Maria Neu: Ja, die hat sich schnell ergeben. Am Anfang waren relativ bald die „Meerfrau“ da, dann das „Rotkäppchen“ sowie das „alte Schloss“. Dann haben wir ein bisschen gesucht. Den Text zum alten Schloss haben wir gefunden, das hat sich so im Zuge der Komposition ergeben. Es war aber generell ein bisschen unterschiedlich, manchmal war zuerst die Musik da, manchmal zuerst der Text. So hat eines dem anderen die Hand gegeben.

So, wie ihr eure vielfältigen Interessen in Verbindung setzt und viele verschiede Farben zu einem gemeinsamen Fluss zusammenbringt, könnte man sagen, gibt auch hier eines dem anderen die Hand.

Barbara Maria Neu: Ja absolut. Andrea, Stefanie und ich haben alle klassische Musik und auch Judith hat klassischen Kontrabass studiert. Judith hat dann im Jazz auch sehr viel gemacht bzw. ist jetzt im Jazz sehr aktiv. Und ausgehend von der Klassik haben wir auch jeweils andere Richtungen und Ideen mitgebracht. Das, und natürlich Judith mit ihrer tollen Musik und ihren tollen Kompositionen, ergibt dann eine schöne Basis.

Wenn ihr euch in drei Worten beschreiben müsstet, wäre das…

Barbara Maria Neu: Rosa, grün und erinnernd.

Vielen Dank für das Gespräch!

Sophia Umfahrer

++++

Links:
Merve