Es klingelt mir noch heute in den Ohren und tut dort umso mehr weh, da ich das magische Alter längst überschritten habe: „Traue keinem über 30!“ Ein effektiver Spruch, geboren in den 60er-Jahren, um die damaligen Generationskonflikte auf einen Slogan zusammenzupressen und die freiheitsliebende Jugend von den traditionell ausgerichteten Älteren abzusondern.
Mehr als fünf Dekaden später hat „60 ist das neue 30“ Einzug gehalten. Und fürwahr – würden Sie dem 60-jährigen Brad Pitt mehr als einen 50er attestieren? Nein? Ich auch nicht. Fassen wir es so zusammen: Das Alter ist am Ende doch nur eine Zahl. Vor exakt 30 Jahren wurde das music information center austria – kurz mica – ins Leben gerufen und hat noch zu keiner Sekunde Staub angesetzt. Ganz im Gegenteil. Das engagierte Team klopft sich ebenjenen stets höchst erfolgreich ab. Es geht mit der Zeit, ohne auf Zeitlosigkeit zu verzichten. Es begleitet helfend, ohne belehrend zu sein. Es sorgt sich zuweilen gerne mütterlich, ohne in überfürsorgliche Gluckenhaftigkeit abzurutschen. Wenn man Musik kreiert, Konzerte veranstaltet, Künstler:innen vermittelt oder einfach nur vom leidenschaftlichen Fan zum Teil der Musikwelt werden möchte, dann findet man dort Beratung, Unterstützung oder – wir sind ja alle nur Menschen – manchmal auch Trost, wenn er denn nötig ist.
Das mica ist ein Hort von Leidenschaftlichen, die Passionierten aus der Branche auch dann mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn die große Leidenschaft mal Leiden schafft. Ganz unentgeltlich und ohne Scheuklappen kann man sich über alle Aspekte und Bereiche des Musikbusiness informieren und weiterbilden, Vernetzungsmöglichkeiten suchen und dabei die eigene Karriere in Schwung bringen, nachschärfen und schlussendlich erheblich verbessern. Man kennt die Horrorgeschichten von gefinkelten 360-Grad-Verträgen, die aus Künstler:innen den letzten Tropfen Geld heraussaugen, während diese wie Nutzviech gemolken werden. Dieser Horror ist zum Glück nicht immer real, manchmal sogar schlichtweg fehlinterpretiert. „Viele Indie-Labels übernehmen Vertragsmuster aus dem Internet und wollen ihren Künstler:innen gar nichts Böses“, sagt Franz Hergovich, Stellvertreter der Geschäftsleitung bei mica, „manchmal sind die Verträge unvorteilhaft, weil das eigene Basiswissen fehlt oder das Budget für kundige Anwälte nicht da ist.“ mica hat diese Möglichkeiten und mithilfe einer professionellen Rechtsberatung Musterverträge erarbeitet, die weit über die Landesgrenzen hinaus Standards setzt. „Wir wollen die Menschen zu mündigen Vertragspartner:innen machen und ihnen Tipps für das richtige Verhandeln mitgeben. Seit längerer Zeit lassen sich auch Plattenfirmen und Managements von uns beraten und erleben oft einen Aha-Moment.“
Mit den online einsehbaren Musterverträgen hat mica den einheimischen Musikmarkt revolutioniert. Mittlerweile führen die Mitarbeiter:innen von mica an die 1300 Beratungen pro Jahr durch – Tendenz steigend. Eine Branche, die sich permanent im Umbruch und niemals im Stillstand befindet, benötigt Motivation und Know-How, um mit den sich verändernden Gegebenheiten Schritt halten zu können. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass der österreichische Musikmarkt so stark wie schon lange nicht mehr ins Ausland ausstrahlt und nach dürreren Jahren wieder als erfolgreicher Export reüssiert. „Es gibt eine künstlerische und wirtschaftliche Notwendigkeit international zu denken“, so Hergovich, „außerdem macht es Sinn, die Kräfte und Ressourcen zu bündeln.“ Dafür ist er als Leiter des Austrian Music Export federführend verantwortlich.
Der Stellenwert von internationalen Beziehungen und Querverbindungen ist nicht nur wegen der überschaubaren Größe Österreichs essenziell. Austrian Music Export ist eine gemeinsame Initiative von mica – music austria und dem Österreichischen Musikfonds. Wer aus seinem Hobby wirklich einen Beruf machen möchte – und das ist für gewöhnlich bei ausnahmslos ALLEN Musiker:innen der Fall – muss „big“ denken. Auftritte bei internationalen Showcase-Festivals und länderübergreifende Touren sind dabei von enormer Wichtigkeit. Dabei geht es aber nicht nur um offensichtlich attraktive Themen wie einen Großauftritt bei einem renommierten Festival, sondern primär um Alltagsfragen: Wie funktioniert der Instrumententransport? Wo brauche ich ein Visum? Wie sieht es in Land A und B mit Steuern und Versicherungen aus? Wo kann ich um welche Förderungen ansuchen, die mich voranbringen?
Mit all diesen und viel mehr Fragen beschäftigt sich Helge Hinteregger seit den mica-Babyschuhen. Der gebürtige Kärntner ist so etwas wie die stille Seele im Hintergrund der heimischen Musiklandschaft, denn ohne sein kräftiges Zutun würden einheimische Sub-Bereiche wie Jazz oder Weltmusik nicht für globale Furore sorgen. Als mica-Gründungsmitglied im Jahr 1994 hat der Mann mit dem vielleicht prallsten Telefonbuch der Musikszene so gut wie alles erlebt und durchlebt, was die weite Welt des Klangs zwischen Boden- und Neusiedlersee aufzubieten hat. Vor seiner mica-Karriere bastelte er an der ersten paneuropäischen Veranstalterdatenbank, von dessen Erweiterung der Markt noch heute zehrt. Doch man beachte: All das geschah natürlich noch vor der Eroberung des Internets. Helge kreierte diese für alle zugängliche Datenbank, die er durch täglich stundenlange Telefonate quer über den Kontinent füllte. Wo man heute schnell eine E-Mail ausschickt, sammelten sich damals monatliche Telefonrechnungen um die 6000 Schilling. Mit seinem Netzwerk hat er Künstler:innen in Österreich schon in den mica-Frühzeiten zu entscheidenden Verbesserungen verholfen.
Helge erwies sich dabei als Paradeexemplar für den Geist der gesamten mica-Organisation. Er knüpfte Beziehungen, erschuf Synergien und pflegte früh den heute längst zum Standard gewordenen Wissensaustausch zwischen unterschiedlichen Nationen. Wer in der Prä-Internetära 80 heimische Jazzmusiker zu einem Festival nach London karrte, der brauchte Nerven aus Stahl. Auf seinen Reisen zwischen Oslo, Rom und Tirana verhalf er ihnen nicht nur zu Konzerten und vernetzte sie mit Veranstalter:innen, sondern verhinderte in New York die Ausstellung eines Haftbefehls für Trinken im Freien oder organisierte bei einem Festival in Le Mans Transportmittel, als alle Stricke zu reißen begannen und das Chaos oberhandnahm. Als ein DJ einst in New York bei einer UNO-Veranstaltung auftreten sollte, wurde das falsche Equipment bestellt und der Gig drohte ins Wasser zu fallen. „In New York kannst du dir als Einzelperson nicht einfach so was ausborgen, du brauchst ein Unternehmen“. Natürlich hat Helge trotzdem eine Lösung gefunden – die richtigen Kontakte sind eben alles…
Frei nach dem Motto „Sharing is Caring“ hat Hinteregger sein profundes Wissen nie im Wandtresor oder auf mehrfach verschlüsselten Websites versteckt, sondern mit allen geteilt. „Heute hat man das gegenteilige Problem. Alle wissen von allem und man dringt mit Anliegen und Themen kaum noch wo durch, weil jeder mit Mails zugeschüttet wird.“ Mittlerweile befindet sich Helge im fleißigen Unruhestand, kann sein Lebenswerk aber nicht so einfach an den gesetzlichen Pensionsnagel hängen. Er organisiert jährlich das zweitägige „Kick Jazz“-Festival im Porgy & Bess und ist noch gerne für alle Interessenten niederschwellig erreichbar. Das Begleiten, Unterstützen und – wenn notwendig – Anschubsen von Musiker:innen steht über allem. „Nur ihren Weg müssen sie dann selbst gehen“.
Das mica ist keine mit Fachpersonen ausgestattete Traumfabrik. Es geht darum, Künstler:innen und Veranstalter:innen eine wirtschaftliche Realität zu vermitteln und dabei auch die Grenzen aufzuzeigen. „Dass man rein von der Musik leben kann, ist eher unwahrscheinlich“, baut Hergovich erst gar keine Luftschlösser, „es herrschen oft Angst und Frust, weil viele zu gedankenlos an die Sache herangehen. Vieles in diesem Geschäft ist den Faktoren Glück und Zufall überlassen. Der Mut und die Risikobereitschaft von Künstler:innen verdient aber auch unsere bestmögliche Unterstützung.“
In einem Geschäft, das aus vielen Winkeln, Tücken und Kanten besteht, ist eine offene Partnerschaftlichkeit von großem Vorteil. Trotz all der Umbrüche und Veränderungen in den letzten 30 Jahren bleiben Fragen nach den Urheber- oder Lizenzrechten besonders wichtig. Mit der richtigen Beratung verhindert mica, dass Musiker:innen allzu schnell Verträge unterschreiben und bietet in diversen Fällen eine kostenlose Rechtsberatung an. „Es gibt immer wieder Einzelfälle, wo es um sehr viel Geld geht“, erinnert sich Hergovich, „einmal wurde die Musik einer heimischen Band für einen Hollywood-Film verwendet, ohne vorher die Rechte abzuklären. Mit unserer Unterstützung sprang am Ende eine mittlere fünfstellige Summe für die Interpreten heraus“ – was wiederum einen eklatanten Unterschied für die nächsten Karriereschritte ausmachen kann. Im gegenwärtigen Musiksegment wird es immer schwieriger, eine faire Entlohnung zu erreichen. Themen wie Filesharing, mp3, Spotify und Online-Plattformen wie Instagram oder TikTok stellen auch die mica-Mitarbeiter vor neue Herausforderungen.
„Am Ende geht es um Hilfe zur Selbsthilfe“, erklärt die geschäftsführende Direktorin Sabine Reiter, „die Nachfrage hat sich bei uns immens erhöht.“ Gab es 2008 noch etwa 600 Anfragen, sind es heute mehr als doppelt so viele. 2008 hatte „mica“ einen Workshop im Programm, heute sind es rund 40 inkl. Infoveranstaltungen. Eine besonders aktive Zeit stellte die Corona-Pandemie dar, wo man pro Jahr an die 1600 Beratungen durchführte. Zu simplen Fragen, die sich noch Monate davor niemand vorstellen konnte. Dürfen wir überhaupt live spielen? Wie sehen die Sicherheitskonzepte aus? Was muss ich bei meinem Auftritt in München anders machen als bei jenem in Wien? „Vor allem Workshops schaffen ein Bewusstsein für die Sachlage und die einzelnen Themen“, so Reiter, „wir wollen bei den Themen immer up to date bleiben und den Künstler:innen eine breite Palette anbieten. Wir versuchen Dinge zu erklären und verstehbar zu machen. Es sollte zu möglichst allen Fragestellungen Beratung und Unterstützung geben.“
Mitunter geht es bei mica auch darum, tradierte Berufsbilder in die Moderne zu transferieren. Die Mär vom genialen Kreativen, der in Ruhe und Abgeschiedenheit an seinem Meisterwerk feilen kann, wirkt spätestens seit dem 20. Jahrhundert obsolet. Musiker:innen sind heute „All-In-One“-Projekte und müssen nicht nur mit ihrer Kunst glänzen, sondern sollten auch in den Bereichen Wirtschaft, Steuern, Eigenpromotion und Recht möglichst standhaft sein. Dazu kommen die Herausforderungen der Gegenwart, die sich vor allem in den Bereichen Gleichberechtigung, Nachhaltigkeit und künstliche Intelligenz niederschlagen. Diese steten Veränderungen sind selbst für das mica-Team eine große Herausforderung, die mit Offenheit und ständigen Weiterbildungen verbunden ist.
Mit Fug und Recht darf man subsumieren – bitte trauen Sie dieser Organisation auch über 30! Am besten sogar blind. Auf niederschwellige Art und Weise begleitet das mica Menschen aus der Branche von den allerersten Schritten bis hin zu Detailfragen im bereits eingetretenen Erfolgsfall. Es fördert den Diskurs und unterstützt über die bloße Informationsbereitschaft hinaus. Ohne das mica wäre die österreichische Musikwelt nicht nur unfairer und unsicherer, sondern vor allem auch weniger lebendig und erfolgreich. Ob Sie nicht genau wissen, wie es mit Ihren Lizenzgebühren steht oder Sie manchmal einfach nur etwas Zuspruch von erfahrenen Menschen brauchen – hier wird Ihnen garantiert geholfen. Kunst, Kultur und Musik im Speziellen sind ein wichtiger Anker in einer offenen und diversen Gesellschaft und das mica fungiert dabei als Schiff, das ruhig und beständig durch die stürmische See führt. Dahinter stecken viel Leidenschaft, Wissen und intrinsische Motivation, die Veranstalter:innen und Kunstschaffende auch über die nächsten 30 Jahre hinaus unterstützen werden. Gemeinsam machen wir alle einen Unterschied.
Robert Fröwein
Robert Fröwein ist Journalist (u.a. für die Musikredaktion der Kronen Zeitung Online), Autor und ein großer Kenner der österreichischen Musikszene.