Release Radar: NEUSCHNEE, ELIS NOA, KOENIG, COUSINES LIKE SHIT, UVM…!

Der Release Radar ist eine monatliche Auswahl an Single Releases aus dem Bereich Pop/Rock/Elektronik made in Austria. Die aktuellen Veröffentlichungen zusammengefasst von Dominik Beyer.

RUHMER – „B&W” (töchtersöhne records // VÖ 14.04.23)

Mit der Single „B&W“ gibt Ruhmer einen ersten charmanten Vorgeschmack auf sein hiermit angekündigtes Debütalbum. Mit weißen Lederslippern und Goldkettchen erinnert die Tanzeinlage auf dem Sofa an Mark Wahlbergs Paraderolle in Boogie Nights und wärmt musikalisch gekonnt das Golden Age of Disco auf. Aber nicht nur als Performer, sondern auch als Produzent. In Analogie zum oben erwähnten Hollywood-Filmdrama wäre das eine verführerische Mischung aus dem fiktiven Produzenten Jack Horner (Burt Reynolds) und dem High Performer aka Dirk Diggler (Mark Wahlberg) in einer Person, womit er wohl nicht lange um die Gunst der Rollergirls betteln müsste.

Ruhmer

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Alpha Romeo & die Sommerreifen – „Künstlerhände“ (Problembär records // VÖ 31.03.23)

„Künstlerhände“ ist eine kritische Auseinandersetzung von zwei antagonistischen Figuren. Metaphorisch vielleicht auch der Clash der Generation Boomer vs. Millenials.
Die einen haben allerlei Emotionen zum richtungsweisenden Motivator für ihre Ziele und Prioritäten erhoben. Pointiert dargestellt, mit ironisch manierierter Kopfstimme, finden so aktuelle Themen unserer narzisstischen Gesellschaft Eingang in diesen theatralisch-satirischen Song. Der Künstler als Allegorie der Millenials.
Sie verdienen wenig und sind gestresst vom ständigen Suchen nach Sinn und dem wahren Selbst. „In diesem Chaos kann man nichts finden“, urteilt der Boomer, dessen Lebensqualität in direkter Proportionalität zum Gehalt steht, mit gefühllosem Timbre in der Stimme. Immer abwechselnd interpretiert von Frontmann Alpha Romeo
Der Künstler hingegen kann in der Realität auch nicht von Luft und Liebe leben und muss daher wohl oder übel auch seinen Lebensunterhalt mit Erwerbsarbeit verdienen. Aber sicher nicht mit einem Vollzeitjob. Wer will schon erschöpft ins Partywochenende starten. Trotzdem müssen tiktok-Reels mit Urlaubsvideos aus Bali gefüllt und die aufwendig produzierten Musikvideos finanziert werden. Man ist eben nicht nur Künstler, sondern auch Narzisst. 
Eine musikalische Selbstreflexion einer alles hinterfragenden Generation.
Einfühlsam begleitet wird das im Italo-Disco-Indie-Rock-Feeling von der Band Die Sommerreifen und final mit einem artifiziellen und gezielt charakterlos inszenierten Musikvideo vor dem Greenscreen pointiert. Eine selbstironische und gelungene Auseinandersetzung mit dem Ich unserer Zeit.

Alpha Romeo & die Sommerreifen

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Neuschnee – “U-Boot” (Las vegas Records // VÖ 28.04.23)

Wie kommt es, dass „die Menschen für ihre Knechtschaft kämpfen, als sei es für ihr Heil“? Die aktuelle Frage stellte sich der Philosoph Baruch de Spinoza bereits vor knapp vierhundert Jahren. In einer Ära öffentlicher Zählbarkeit und Bewertbarkeit des Menschen durch digitale Persönlichkeitsprofile unterwerfen wir uns einer stillen Konkurrenz und erliegen, laut Isolde Charim, ganz freiwillig den Qualen des Narzissmus.
Kein Wunder also, dass kritische Künstler:innen dieses antigesellschaftliche Prinzip thematisieren.
Einer dieser herausragenden Songwriter, Komponisten und Arrangeure, ist Hans Wagner aka Neuschnee. In der aktuellen Single „U-Boot“ stellt er uns direkt die Frage, wie wir unser Leben leben. Als mediales U-Boot scheint eine gar nicht so abwegige Antwort darauf zu sein. Aber die Frage stellen sich wenige, denen die Vermarktung des eigenen geilen Lebens zur hauptsächlichen Freizeitbeschäftigung geworden ist. Denn es ist zu unserer vorherrschenden Ideologie geworden, uns so zu verhalten, als ob wir in einem bezahlten Dienstleistungsverhältnis mit den Anbietern sozialer Medien stünden.
Aber nicht für jeden ist das Leben ein durchdachtes Produkt, das wir anderen wie ein Musikalbum verkaufen.
Dennoch, oder gerade deswegen sei den interessierten Hörer:innen das für den Spätsommer angekündigte Album von Neuschnee “Der Lärm der Welt” an dieser Stelle wärmstens empfohlen.

Neuschnee

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SIAMESE ELEPHANTS feat. WALEED MAHGOUB – “SUNDAY” (Live at Pyramids of Giza) – (seayou records // VÖ 23.04.23)

Die vierköpfige Indie Band Siamese Elephants aus Wien hat sich für den aktuellen Release „Sunday“ den in Cairo beheimateten Saxophonisten Waleed Mahgoub eingeladen. Igor Đorđević verstärkt die Band an den Percussions und gibt dem relaxten Soul-Funk alles, was der klingende Titel zu assoziieren vermag, oder auch Fans an der Disco-Funk Band Parcels zu schätzen wissen. Im Musikvideo sieht man die Band in einer Live Session auf einer Dachterrasse in Kairo vor dem Panorama der Pyramiden von Gizeh.

Siamese Elephants

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Elis Noa – “You only like me when i’m fun” (live studio session) (Las Vegas Records // VÖ 14.04.23)

„Nobody knows you, when i’m down and out“ heißt ein Popsong von Jimmy Cox, der genau vor hundert Jahren veröffentlicht wurde. Inhaltlich bezieht sich die aktuelle Single “You only like me when i’m fun” von Elis Noa auf die gleiche Oberflächlichkeit in sozialen Beziehungen. Musikalisch hat sie damit weniger zu tun.
Die Musik wirkt eher wie der Soundtrack zu einem hypnotischen Trancezustand. Eingeleitet durch die, wie ein statisches Pendel wirkenden, Samples des synthetischen Schlagzeugs. Die lange Hallfahne, der konstant auf Zählzeit drei geschlagenen Snare, könnte somit gleich als Impuls für langsame Atemzüge dienen, womit eine Fokussierung der Aufmerksamkeit einhergeht. Aufmerksamkeit die der im moderato e cantabile vorgetragene Deep Talk der Sängerin erfordert.
Die Außenwelt verschwimmt an den Rändern der Harmonien des Synthesizers, deren Wechsel wie ein Abtasten des limbischen Systems wirkt. Auf der Suche nach neuen Facetten des persönlichen Unbewussten.
Das Herz führt Regie – die große Trommel erinnert uns daran.
Traumbilder erscheinen vor dem geistigen Auge. Drohnen überfliegen ferne Kontinente und durchtauchen schwarze Löcher in fremden Galaxien. Das gäbe ein spannendes Musikvideo. Letztendlich entschieden sich die beiden Künstler jedoch für das Stilmittel des Understatements und veröffentlichten eine unkonventionelle Live-Studiosession auf der gemütlichen, für Wien so symbolträchtigen Couch.

Elis Noa

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INTRA – “Last Born” (töchtersöhne records // VÖ 14.04.23)

Die Rock-Band Intra hat mit ihrem neuesten Song “Last Born” ein Meisterwerk geschaffen. Der Song beginnt mit einem intensiven Gitarrenriff, das sich genretypisch mit dem Schlagzeug verzahnt und so – bildlich gesprochen – als Getriebe der kopfnickenden Zuhörer:innen fungiert. 
Wie auf dem Fließband einer industriellen Produktionsanlage bewegt sich der Song durch all die kathartisch wirkenden Produktionsprozesse, denen Frontfrau Bianca Ortner vor allem Seele einzuhauchen vermag. Zugleich, das sei nebenbei bemerkt, ist sie am Bass auch Teil der Rhythmusgruppe. Das will gekonnt sein, denn es erfordert – gleichzeitig ausgeübt – eigentlich unvereinbar scheinende Fähigkeiten.

Intra

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Koenig – “Last Dance feat. Nappy Nina” (Ventil Records // VÖ 07.04.23)

Einen „Last Dance“ tanzt Lukas König zusammen mit der amerikanischen Rapperin und Produzentin Nappy Nina, bevor das Album „1 Above minus underground“ am 28.04.23 das schummrige Neonlicht der Unterwelt erblickt. Genau so klingt die Großstadt oder die Vertonung einer Fahrt mit der Wiener U6.
Analoge Signale, deren Patchplan dem New York Subway Netz ähneln, werden durch etliche Filter analoger Synthesizer geschleust, wodurch sich die Obertöne zu einer Art schmierigen Film im Mix der Aufnahme verweben. Man könnte sagen, eine künstlich hergestellte Patina, die der Sterilität digitaler Aufnahmetechniken wieder eine von Hand gemachte Echtheit verleiht. Eine Authentizität, die die Musik erklingen lässt, als würde man der Aufnahmesession aus der Perspektive des Bassdrum Mikrophons lauschen.

Koenig

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CousinEs like Shit – „Barbie“ (seayou records // VÖ 31.03.23)

Dass wir Menschen unterschiedlichen Geschlechts nicht frei von Klischees behandeln, liegt an unzähligen und über die Jahrhunderte zementierten Rollenbildern in unseren Köpfen. Aber Zeiten ändern sich. Wir brauchen einfach mehr Rolemodels, damit wir lernen, jemanden aufgrund seines Charakters und seiner Fähigkeiten zu beurteilen.
Das die letzten fünfundzwanzig Jahren kein emanzipatorisches Vakuum darstellten, merkt man selber, wenn man sich den Song „Barbie Girl“ der norwegisch-dänischen Bubblegum Popgruppe Aqua anhört.
Deren toxischer Ken, dem Aqua 1997 noch mit „you can touch – you can play“ eine verheißungsvolle Einladung zur sexuellen Belästigung vorgesungen hat, würde sich heute vermutlich als Täter im Mittelpunkt der #metoo Debatte finden. Nicht nur durch seinen prominenten Bekanntheitsgrad. Auch würde man vermutlich plastic nicht mehr den Reim it’s fantastic folgen lassen.
Daher hat die Wiener Lo-Fi-Band Cousines like Shit nun ihre eigene Version über die beliebte Plastikpuppe veröffentlicht. Und die kommt deutlich emanzipierter daher:
„You reduce me to my body but I’m so much more – You call me Barbie and see a dumb blond whore“
Und überhaupt nennt ihr mich besser bei meinem richtigen Namen – der da wäre Barbara.
„Barbie steht stellvertretend für alle Personen, die aufgrund ihres Äußeren oder Genders weniger ernstgenommen werden“, meint die Band der beiden Cousinen Hannah und Laura Breitfuß über ihren neuen Song.

Cousines like Shit

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Dio Dragaj – “Waiting for a Sign” (Columbia / VÖ 24.03.23)

„Der Glaube kommt nicht durch Zeichen, sondern Zeichen folgen denen, die da glauben.“ (LuB 63:9.) Wer hingegen selbst so ein göttliches Zeichen ist, kann umso länger warten.
Dio Dragaj, ein Wiener RnB Prophet, veröffentlichte am 07.04.23 seine EP mit dem Titel „Waiting for a sign“. Pathetisch und selbstbewusst strotzt der gleichnamige Titeltrack im getragenen 6/8 Groove vor großen Gefühlen. Die langen Phasen bis zum nächsten Harmoniewechsel bieten viel Raum für ausgedehnte Melismen, die der junge Künstler bereits 2019 – damals 14-jährig – auf „the voice kids“ erfolgreich unter Beweis stellte. Die langen Melodiebögen des selbst produzierten und komponierten Songs zeugen von seinem musikalischen Talent. Oder wie es Rachmaninoff einst so lapidar formuliert haben soll: “Big Line – Big Musician“.

Dio Dragaj

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