Musikfestivals gibt es hierzulande inzwischen wie Sand am Meer. Und das in allen Genres. Wohl selten zuvor hatten Musikliebhaber eine solch große Auswahl wie heutzutage. Was macht eine solche Veranstaltung aber zu etwas Besonderem? Womit locken die Organisatoren und IntendantInnen ihr Publikum? Wie haben sich überhaupt in den vergangenen Jahren die Anforderungen an die Programmatik eines Festivals geändert? Tomas Zierhofer-Kin, Intendant des Donaufestivals Krems, im Gespräch mit Markus Deisenberger.
Wenn Du Dir die abgelaufene Festspiel-Saison anschaust, welche allgemeine Schlüsse lassen sich daraus für die Zukunft ziehen?
Tomas Zierhofer-Kin: Wir haben generell viel gelernt aus der Geschichte. Etwa, dass all das, was von vorneherein als das Anspruchvolle gilt, immer voll ausverkauft war. Das hat sich über den gesamten Festivalzeitraum gezeigt. Nimm etwa Ben Frost mit seinem Sinfonietta-Projekt. Ein Projekt, von dem ich glaubte es wäre nur für ein keines, sehr avanciertes Publikum gedacht und mich als Veranstalter besorgt fragte, wer da überhaupt hingehen soll, war völlig ausverkauft. Das sagt viel über das Publikum.
Und zwar?
Tomas Zierhofer-Kin: Das Publikum will Hardcore. Kompromiss-Acts brauchen wir nicht. Bei uns gehen so viele Stränge auseinander, das wir auch langsam merken, welche funktionieren und welche nicht. Wenn man auf einem Popfestival auf dem Land riesige Hallen mit Lydia Lunch und Laurie Anderson ausverkauft, dann heißt das, dass es da ein anderes Publikum gibt, das nicht unbedingt Amusement und Pop will, was wir vereinzelt reinstreuen, um vermeintliche Frequenz zu erzielen. Das interessiert unser Publikum nicht.
Wie progressiv darf/muss ein Festival sein, um schwarze Zahlen zu schreiben?
Tomas Zierhofer-Kin: Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, ein Festival, das einen Mehrwert für die Gesellschaft darstellen will, müsse schwarze Zahlen schreiben. Dass dort, wo ohne Unterstützung kommerziell rentabel produziert wird, nicht viel rauskommt, sieht man. Man sieht aber auch, dass viele Festivals trotz enormer Subventionen auf einen scheinbar erahnten Publikumsgeschmack hin produzieren und dabei doch nur lebloses Zeugs schaffen. Da sollte man über Produktionsbedingungen nachdenken. Ob Musiktheater in der Form, wie es heute produziert wird, überhaupt noch vertretbar ist, auch darüber sollte man nachdenken.
Warum?
Tomas Zierhofer-Kin: Weil es aus einer Gesellschaftsstruktur stammt, die mit der heutigen relativ wenig zu tun hat. Und weil es bei einem Festival nicht darum geht, einen uralten Hochkulturbegriff zu zelebrieren, sondern etwas zu bauen, an dem viele Leute teilhaben können. Was ich komisch finde sind Festivals, die enorm viel Subventionen bekommen und dann ein Zeugs produzieren, das leblos und nur für einen ganz kleinen Teil der Gesellschaft ist. Auch da sollte man über Produktionsbedingungen nachdenken. Ein Festival muss ein Probierfeld sein, auf dem Utopien für eine Gesellschaft erprobt werden und man deshalb sieht, dass nicht nur Kunst abgehandelt wird, sondern auch etwas passiert, was mit dem Leben zu tun hat. Alles andere wird in Zukunft keine Bedeutung mehr haben.
Haben sich die Anforderungen an die Programmatik eines Festivals geändert?
Tomas Zierhofer-Kin: Ja. Ein Festival muss heute unverwechselbar sein und das ganze Jahr mit Vorbereitungen, Diskursen und Workshops präsent sein und die Einbindung möglichst vieler Menschen kultivieren, um einmal jährlich etwas wirksam in die Welt zu tragen, das sich dem Publikum öffnet.
Gibt es verallgemeinerungsfähige Grundsätze, wie ein Musikfestival Relevanz haben und deshalb auch funktionieren kann?
Tomas Zierhofer-Kin: Ab einer gewissen Größe sollte ein Festival möglichst viele Sparten mit einbeziehen., sonst trägt es die Gefahr in sich, dass es zu avanciert wird und zu einem Inzucht-Projekt verkommt. Da die Kommunen immer weniger Geld haben und es zusehends schwieriger wird, Gelder zu lukrieren, müssen wir alle zusehen, stark darüber nachzudenken, was unsere eigentliche Legitimation ist. Bestimmte Szenen zu bedienen, ist sicher auch wichtig, aber ab einer gewissen Größe muss man darüber nachdenken, was den Mehrwert ausmacht, was die Relevanz in einer Gesellschaft ist und unbedingt mit der arroganten Argumentation aufhören, dass ein Festival nur für eine bestimmte Gruppe an Interessierten da ist.
Und das geht, ohne Inhalte aufzugeben?
Tomas Zierhofer-Kin: Unbedingt. Niederschwelligkeit sollte kein Gegensatz zu Avanciertheit sein. Man muss versuchen, mit möglichst breiten Gruppen der Gesellschaft einen Dialog zu führen, sonst wird es echt schwierig. Das größte Problem dabei ist die Schwellenangst. Daher gilt es Themen zu finden, die relevant sind und Leute an Bord holen. Wenn man sich manche Neue Musik-Festivals mit ihren Diskursverflachungsthemen, bei denen man ein rein technisches Problem a la „Raum und Zeit“ als Titel in den Raum stellt, das eigentlich niemanden interessiert, wird deutlich, wie schnell wir alle den Bezug zu einer gelebten Realität verlieren. Die Fragen, die uns wirklich interessieren, sind doch: Wie geht’s weiter? Vernichten wir unseren Planeten oder werden wir überleben? Werden wir arbeiten müssen, bis wir 80 sind? Man sollte sich schon dessen bewusst sein, in performativen und partizipativen Prozessen, einen gewissen Geist in die Gesellschaft zu tragen und Kunst als Betätigungsfeld für Menschen begreifen, die Utopien haben.
Ist Vernetzung ein Thema?
Tomas Zierhofer-Kin: Klar, ein wichtiges sogar. Jonathan Meese hat das heuer so schön niedergemacht. In Interviews hat er immer wieder gemeint, dass das eine Gleichmacherei sei, denn es gehe gar nicht um die Menschen und ihre Kunst, sondern um die Diktatur der Kunst, der wir uns unterzuordnen hätten. Das fand ich sehr lustig, denn er hat dadurch gegen unser Festivalthema gewettert und auf einen sonderbaren Individualismus im Sinne der Artaudschen Theatertheorie gepocht, wonach Theater nur dazu sei, um uns darauf hinzuweisen, dass der Himmel aus Beton sei und jeden Moment auf uns herabfallen könne, uns also die Unerklärlichkeit der Welt vor Augen führen solle. Es dreht sich letztlich aber alles um Vernetzung, die durch alle technologischen Fortschritte wichtiger geworden ist und immer wichtiger wird. Allerdings müssen wir aufpassen, wie wir dieses Vernetzen angehen. Das Darstellen von Netzwerken selbst etwa ist ein enorm wichtiger Vernetzungsprozess.
Auch wie ich etwas programmiere und wie ich verschiedene Projekte durch zeitliche Nähe in einen Kontext stelle, ist ein Vermittlungsprozess. Indem ich an eine bestimmte Performance ein bestimmtes Konzert dran setze, vermittle ich Kontext, den ich allerdings nur vorhersehen, aber nicht vorherbestimmen kann. Ich kann Möglichkeiten schaffen, damit sich Leute mit etwas konfrontieren.
Das sind Möglichkeitsfelder, die es zu schaffen gilt. Mit ungesichertem Ausgang freilich. Dass eine bestimmte Konstellation einen Impuls für zukünftige künstlerische Prozesse gibt, ist ein allzu oft zu wenig eingelöster Wunschgedanke. Die Frage ist auch, inwieweit man an ein Festival die Forderung stellt, unterschiedliche Medien im Sinne eines Themas zu vernetzen.
Wir müssen uns auch ganz intensiv fragen, warum es in der Musik mit der Komposition endet, warum es im Theater mit dem Stück und in der Literatur bei Druckwerken endet. Warum endet da unsere Vorstellung? Es gibt keine einzige österreichische Performance-Kompanie, die international Relevanz hätte und ein Signal in Richtung New York aussenden würde. Warum haben wir das nicht geschafft? Warum haben wir so viel Geld in die Musik gepumpt und – bis auf wenige Ausnahmeerscheinungen im avancierten Pop-Feld – so wenig an spannender Musik hervor gebracht? Warum ist da nicht mehr? Die Antwort ist: Weil wir alles frustrieren, weil wir das Geld in tote Schienen stecken. Wir stecken Millionen ins Burgtheater. Aber wäre es nicht viel wichtiger, dass wir Theater-Kompanien haben, die Österreich in der Welt vertreten? Das wollen wir nicht, sondern wir wollen dieses Theater, möglichst von einem Mann mit großem Mundwerk geführt. Das wollen wir letzten Endes. Wir haben unzählige Orchester, die nicht wissen, wo sie spielen sollen, aber wir ermutigen niemanden, der einen Keller und einen Laptop hat und dort mit drei anderen Musikern experimentieren will. Stattdessen fördern wir Hochkultur-Mainstream. Wer heute im avancierten Bereich tätig ist, versucht früher oder später in kommerziellere Bereiche vorzudringen, so es die überhaupt (noch) gibt, um Geld damit zu verdienen. Da muss dringend umgedacht werden, wenn wir uns kulturell nicht selbst abschaffen wollen.
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Donaufestival