Reflector – INTO THE GREAT ARBITRARINESS

Ein brachial-fantastischer Auftritt beim diesjährigen Ruins-Festival und das wunderbare neue Album “Phantoms” hinterließen derart bleibenden Eindruck, dass wir gar nicht anders konnten, als Reflector zum Gespräch zu bitten.  

So hat es mich schließlich zusammen mit Andreas Heller (Gitarre / Gesang) und David Reumüller (Schlagzeug / Gesang) in ein kleines Irish Pub verschlagen, in dem wir bei Bier und Tom Waits-Hintergrundbeschallung (Kann es einen perfekteren Interview-Rahmen geben? Achtung, rhetorische Frage.) über die Band sowie periphere Wichtig- und Unwichtigkeiten gesprochen haben. Die seit 1997 bestehende Formation war bereits von Anfang an als Zwei-Mann-Projekt angelegt. “Wir haben uns schon vor Reflector gekannt und nachdem sich die Bands, in denen wir davor tätig waren, aufgelöst haben, haben wir uns einfach mal zum Spielen getroffen, was sich aber dann bald sehr schnell zu einem sehr persönlichen Projekt entwickelt hat. Zu dieser Zeit ist es uns ziemlich beschissen gegangen und die Band war das Ventil, über das wir uns unsere Probleme einfach von der Seele prügeln konnten. Daher kommt auch unser Bandname – die Musik reflektiert sozusagen unser Seelenleben. Deshalb und weil wir wirklich sehr schnell perfekt aufeinander abgestimmt waren und unseren Stil gefunden haben, ist es auch nie wirklich zur Debatte gestanden, weitere Leute in die Band zu nehmen.”

Bei Live-Auftritten hingegen drängen sich gelegentlich schon mal mehr Leute auf der Bühne. So zum Beispiel beim Projekt “Noogen”, unter Mitwirkung von Garfield (der von Schlauch und Fetish69, nicht der mit der Lasagne) und eine Kooperation mit Robert Lepenik (Tonto, Fetish69, Melville). Dabei wird anstatt zu improvisieren auf einstudiertes Material gesetzt. “Es gibt zwar einige Teile, die offener gestaltet sind, beim Zusammenarbeiten mit anderen Künstlern haben wir aber prinzipiell immer sehr konkrete Kompositionen. Jetzt gerade haben wir wieder für einen Gig ein Stück mit dem Robert Lepenik gemacht, das wir auch aufnehmen wollen, wenn wir das nächste Mal ins Studio gehen.” Eine Kooperation mit Dr. Nachtstrom ist ebenfalls bereits beschlossene Sache. “Kennen gelernt haben wir Dr. Nachtstrom zufällig bei einer Cd-Präsentation vom Robert Lepenik. Er hat uns dort angesprochen, dass er gerne mal mit uns was machen möchte, was uns auch wirklich sehr gut gepasst hat, weil wir bei ihm den Eindruck haben, dass da wirklich was Interessantes rauskommen wird, was auch zu einer längeren Zusammenarbeit führen könnte. Veröffentlichungsmäßig wäre unsere Lieblingsvariante eine Art Split-LP, auf der einen Seite Aufnahmen mit Robert Lepenik, auf der anderen mit Dr. Nachtstrom beispielsweise.” Konkrete Pläne in diese Richtung liegen derzeit allerdings noch nicht auf dem Tisch. “Wie sich das dann wirklich ergibt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.”

Ebenso ist noch unklar, über welches Label eine derartige Platte erscheinen könnte. Für die aktuelle Veröffentlichung jedenfalls sind sie sich sicher, mit Interstellar und Noiseappeal Records, die perfekte Wahl getroffen zu haben. “Uns waren eigentlich schon immer persönliche Sachen viel wichtiger, als irgendwelche Business Geschichten. Glücklicherweise arbeiten wir seit einigen Jahren nur mit Leuten zusammen, die uns auch persönlich sehr sympathisch sind und das trifft auf diese beiden Labels einfach vollkommen zu. Uns kommt es vor allem darauf an, dass die Musik im Vordergrund steht und wir wirklich genau das machen können, was wir wollen und dabei keine Kompromisse eingehen müssen.” Etwaige Chart-Stürmer-Ambitionen werden durch diese Einstellung sowieso komplett ausgeschlossen, genauso wie die Illusion irgendwann einmal von der Musik (vor allem in Österreich) leben zu können. “In finanzieller Hinsicht würden wir uns einfach wünschen, ein- bis zweimal im Monat auftreten zu können, ohne selbst draufzahlen zu müssen, oder auch die Proberaumkosten abdecken zu können.”

Von Mitte bis Ende der Neunziger, also genau die Zeit in die die Gründung von Reflector fällt, scheint es so, als wäre das, was generell unter der Bezeichnung Noise-Rock zusammengefasst wird, ziemlich in der Versenkung verschwunden. Während zu dieser Zeit viele wichtige Bands aufgelöst wurden bzw. ganze Labels (AmRep) aus der Musiklandschaft verschwunden sind, scheint momentan das Interesse an lauten Rockbands, denen klassische Songstrukturen ebenso egal sind, wie die Schubladisierbarkeit ihrer Musik (was Musikschreibmenschen, inklusive mir selbst, natürlich nicht davon abhält, das trotzdem zu tun), wieder stark anzusteigen. Eine Entwicklung also, die einer Band wie Reflector auch sehr zugute kommen müsste. “Mit unserer Musik fallen wir auf jeden Fall nicht in eindeutiges Genre, das irgendwie ein Selbstläufer wäre – wir stehen da etwas zwischen den Stühlen. Zu unseren Konzerten kommen auch meistens die unterschiedlichsten Leute – Elektroniker, die auf Noise stehen genauso, wie Stoner- oder Metal-Leute. Das Ruin Festival hat uns in der Hinsicht ziemlich gut gefallen. So generell kann man die heutige Situation mit der damaligen aber nicht vergleichen, weil wir früher noch in einem ganz anderen Rahmen funktioniert haben, der dann irgendwann abgefallen ist. Ein Metal/Hardcore-Umfeld, wie das, in dem wir uns in den Anfängen bewegt haben, existiert heute nicht mehr wirklich, zumindest in Graz.”
Zurückkommend auf das aktuelle Album wird denjenigen, die mit den letzten Outputs von Interstellar/Noiseappeal Records halbwegs vertraut sind, auffallen, dass “Phantoms” lediglich als CD erhältlich ist. “Unsere Musik hören ziemlich viele verschiedene Leute, die teilweise mit Musik an sich so überhaupt nichts zu tun haben, sondern eher aus der Kunst kommen. Von denen haben die meisten nicht einmal einen Plattenspieler zu Hause und so hat das neben der Kostenfrage wahrscheinlich noch eine wesentlich größere Rolle bei der Entscheidung ,Vinyl ja oder nein’ gespielt. Und wenn man beide Formate herstellt, ist das Risiko, sich zu verkalkulieren und entweder auf den Platten oder auf den CDs sitzen zu bleiben, einfach zu hoch.”

Wenn ich mich zu Hause hinsetze und eine neue Platte höre, dann kannes schon mal vorkommen, dass mich gewisse Bandnamen, die ich mit dergerade laufenden Platte assoziiere, geradezu anspringen. Im Falle von”Phantoms” war dies der Fall und schon nach dem ersten Song waren sieeinfach da, ob ich wollte, oder nicht.die Melvins! Angesprochen auf dasVorhandensein etwaiger Melvins-Einflüsse zeigten sich Reflector nichtgerade begeistert. “Ehrlich gesagt, hassen wir diese Frage nach denMelvins (Ja, so bin ich. Unbarmherzig, investigativ, auch vorunangenehmen Fragen nicht Halt machend, solange es nur der Story dient.In der nächsten Ausgabe von BigLoad: 20-seitiges “Frisuren-Verschwörungin der Indie-Rock-Szene”-Special – Eine Trainingsjacke packt aus).Irgendwo ist einmal dieser Vergleich aufgekommen, bzw. sind wir als dieösterreichischen Melvins bezeichnet worden und seitdem grassiert daswirklich extrem. Aber wenn man sich unser gesamtes Album anschaut, dannhat das mit den Melvins eigentlich ziemlich wenig zu tun, außervielleicht das Spiel, wie Musik zitiert wird. Die Melvins nehmen Teilevom 70er und 80er Jahre Rock und bauen diese dann in ihre Musik ein,wir machen Ähnliches mit der Musik der 80er und 90er. Mit Gitarre undSchlagzeug gibt es eben ein gewisses Spektrum, innerhalb dessen mansich bewegen kann, wie man mit Klängen spielt, Teile zusammenfügt undwelche Dramaturgie man aufbaut, aber man kann damit nichts komplettNeues erfinden. In dieser Hinsicht gibt es aber jede Menge andererBands, die eher nach den Melvins klingen, als wir. Was uns wirklichstört ist, wenn in irgendeinem Hardcore/Metal-Zine drin steht, derSound auf “Phantoms” ist schlecht, oder der Gesang ist zu stark imHintergrund. Das ist praktisch so, als ob ein Kunstkritiker sagenwürde, das Bild ist zu rot. Wir hören uns die Musik ja auch an undhätten die CD sicher nicht veröffentlicht, wenn der Sound schlechtwäre. Was auf dem Album drauf ist, war von uns genau so gedacht undgewollt. Und das ist vielleicht auch ein Grund, warum wir bei so wasziemlich sensibel reagieren, weil wir bei unseren alten Aufnahmen nieso wirklich mit dem Sound zufrieden waren und jetzt mit “Phantoms”haben wir die erste Veröffentlichung, auf der unsere Vorstellungenwirklich zu hundert Prozent verwirklicht wurden.”

Zwischenvielen anderen Festival-Auftritten stechen vor allem die beiden insAuge, die im Rahmen des Steirischen Herbsts absolviert wurden. Für eineRock-Band ja nicht unbedingt eine alltägliche Plattform. “BeideSteirische Herbst-Auftritte sind eigentlich im Rahmen unserer damaligenLabels zustande gekommen. Da wir an unsere Musik auch teilweise soherangehen (Offenheit gegenüber allen möglichen Einflüssen), hat essich eh immer irgendwie abgezeichnet, dass wir auch in diesemKunst-Kontext auftreten wollen und auch von den Leuten dort eingeladenwerden, weil wir uns eben auch damit auseinandersetzen. Es soll aberdoch immer ein Konzert im traditionellen Sinne bleiben und sich nichtin eine performative Sache wandeln. Das Rock-Feeling ist schon sehrwichtig. Wir würden uns jetzt niemals lustige Hütchen aufsetzen, oderuns verkleiden oder so was. Wir agieren immer als Band und möchtennicht irgendeine Show oder Performance runterreißen. Dafür ist uns auchdie Musik zu ernst.”

Gerade habe ich bei der Niederschriftdieses Artikels dasselbe Problem, wie beim Interview selbst, nämlichein Platzproblem, nur dass hier aus der zu kurzen, möglichenAufnahmezeit des Diktiergerätes, ein kritischer Engpass an verfügbarenZeichen geworden ist. Deshalb in aller Kürze ein Überblick über dieCrew8020, über die man, früher oder später, bei Reflector-Recherchenunweigerlich stolpert. “Die Crew8020 ist ein Kollektiv, das 2001gegründet wurde und sich immer mehr zu einer Art Lebenskonzeptentwickelt hat. Primäres Ziel war die Zusammenarbeit von, imkünstlerischen Bereich tätigen Leuten. Diese Leute haben gemeinsamdiverse Auftragsarbeiten (Raumkonzepte, Ausstellungen, usw.) gemachtund mit dem daraus lukrierten Geld eigene, individuelle Projekteunabhängig finanziert. Da für uns dieses Kollektiv, das in der jetzigenForm allerdings nicht mehr weiter bestehen wird, ein wichtiger Teilunseres Lebens war, haben wir beschlossen, dass auch die Band in diesemKontext auftauchen soll.”

In Kooperation mit dem Musikmagazin Big Load

Fotos Refelctor: J.J. Kucek

 

 

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