„Red’n kaun ma boid”: Das Sigi Maron-Lesebuch

Margit Niederhuber und Walter Gröbchen haben mit “Red’n kaun ma boid” ein Sigi Maron Lesebuch herausgegeben, das den Liedermacher und Protestsänger zu seinem achtzigsten Geburtstag in Originalbeiträgen, Erinnerungen, Schnappschüssen, Interviews, Songtexten, Schlaglichtern und persönlichen Anmerkungen feiert. Eine Entdeckung.

Ich kann mich an eine Diskussion im Freundeskreis vor nicht allzu langer Zeit erinnern, in der die Frage aufkam, ob es im deutschsprachigen Raum etwas dem italienischen “Cantautore” Vergleichbares gäbe. Liedermacher:innen also, die sich in ihrem Werk der Sprache widmeten und dabei kritisches, poetisches Liedgut schufen ohne dabei ins Vulgäre, sich selbst Genügende abzudriften, was einen Großteil des Austropops schlichtweg ausschloss – so zumindest unsere Meinung. Lieder, die eine poetische Kraft entwickeln wie “Kalt und kälter” von STS, gerne auch in der Version von Mira Lu Kovacs und Clemens Wenger. Lieder, die die Zeit, in der sie entstanden, scheinbar mühelos überdauert haben, weil sie etwas auf den Punkt brachten, was einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe, vielleicht sogar einer ganzen Generation am Herzen lag. Die einzigen, die uns damals einfielen, waren Konstantin Wecker, und mit Abstrichen Ludwig Hirsch, André Heller und Georg Danzer in seinen nachdenklichen Momenten. Dass wir an diesem Abend Sigi Maron schlichtweg vergaßen, ist unverzeihlich – ein Umstand, den das vorliegende, im Mandelbaum erschienene Buch auf schmerzliche Weise bewusst macht.

Vielleicht haben wir ihn ja vergessen, weil wir in unserer Diskussion dem gleichen Irrtum erlagen wie so viele, die Maron spätestens nach der “Ballade von ana hoatn Wochn” in die Ecke des Aggressiven und Vulgären abschoben und dabei ignorierten, dass Maron nicht nur als Familienvater, sondern auch als Dichter ungemein zärtlich sein konnte, so lange es nicht ums System ging, gegen das er Zeit seines Lebens anfuhr.

„Kein Liedermacher des Landes war so poetisch und so wüst, so wütend und zärtlich, so politisch wie geradlinig”, sagt Ernst Molden im Buch. Tatsächlich fand der Mann, der in der „Ballade von ana hoatn Wochn” aus vollem Halse „Leckts mi aum Oasch” brüllen konnte, etwa im Liebeslied „Heute kann i, heute darf i, heute bleib i a nachtlang bei dir” zu ungeheurer Zärtlichkeit, wie es Beatrix Neundlinger treffend schildert.

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Maron war „auf eine herausfordernde Art lebendig”, formuliert es Freund und Wegbegleiter Peter Turrini so schön, ja, und seine Kunst war aufsässig und mitunter schwer verdaulich, aber ein Großteil der Widerborstigkeit resultierte bei ihm auch aus der Lebenssituation, dem Gefühl des Eingeschlossen-Seins. Behindertengerechte Wohnungen gab es in den 1970er und 1980ern so gut wie kaum und das tägliche Leben war, davon erzählt das Buch recht eindringlich, für einen behinderten Familienvater alles andere als leicht.

Besonders erwähnt werden muss auch, dass sich Walter Gröbchen durch den Sigi-Maron-Bestand der Wienbibliothek im Rathaus grub und dabei allerhand Interessantes, Flyer etwa und Briefwechsel, aber auch Persönliches zutage förderte wie etwa die Notiz, dass es in Österreich leichter als in jedem anderen Land sei, eingewiesen zu werden. Maron bezog sich dabei auf eine Protestaktion vor dem Funkhaus, die seine zwangsweise Einweisung nach Gugging zur Folge hatte – eine Begebenheit, die er musikalisch in der „Ballade von ana hoatn Wochn” und im Jahrhundertlied “Leo” verarbeitete.

Studiert man Headlines wie jene im Kurier, die ihn als „Links außen in der Hitparade, gefördert von Heller und Turrini” abkanzelte und andere „Belegstücke einer temporär verflachten medialen Wahrnehmung”, wie es Gröbchen benennt, beschleicht einen der Verdacht, dass da einer seiner Zeit voraus war, dass da einer für eine Gesellschaft schrieb, die noch nicht reif für diese Ehrlichkeit, für diese Direktheit war – ein Umstand, an dem Maron fast zerbrach.

Nicht verstanden zu werden, war für den Liedermacher Zeit seines Lebens ein Grundgefühl, von dem auch eine Strophe in Marons wohl bekanntestem Lied, der „Ballade von ana hoatn Wochn”, zeugt. Da soll er „als Aufputz” in einer Galerie singen, merkt aber bald, dass sein Vortrag dort niemanden interessiert und bricht das Konzert ab. Das Konfrontative, das bisweilen bis zur Anklage reichte, es stieß aber bei weitem nicht nur in Galerien auf Unverständnis. Mit Ausnahme der „Mizzitant” und der Single „Geh’ no net fort”, die 1985 zehn Wochen lang in den österreichischen Charts rangierte, war Maron vom Staatsradio so gut wie ausgeschlossen. Wenn man heute auf originalen Zeitungsausschnitten sieht, dass er es einmal schaffte, vor „Tarzan Boy” in der Ö3 Hitparade zu rangieren, bekommt man nasse Augen.

„Red’n kaun ma boiderzählt auch Geschichten, die man schon vergessen hat, etwa dass er als Dreizehnjähriger ein Jahr in der eisernen Lunge verbrachte, und seine langjährige Freundschaft mit Kevin Coyne, die auch einige echt gelungene Cover-Versionen hervorbrachte. Für manches schämt man sich, obwohl es Jahrzehnte zurückliegt, etwa wenn erzählt wird, wie seine Töchter in der Schule für den kommunistischen Vater angefeindet und gedemütigt wurden. Dabei war Maron immer stolz darauf, ein Prolet genannt zu werden. Ihn interessierten die kleinen Leute, lange bevor Populisten entdeckten, dass mit ihnen politisches Kleingeld zu machen ist. Und er war ein Wutbürger, lange bevor dieses Wort erfunden wurde. Einer, dem soziale Kälte und Herzlosigkeit wirklich bis hin zum physischen Schmerz zu schaffen machten. Was ihn bis heute aus der Schar zeitgenössischer Liedermacher heraushebt ist aber nicht nur diese Empathie, es ist diese „ganz eigene Art, Befindlichkeiten und Einstellungen der Leute aus ihrem ganz konkreten Leben abzubilden und diese trotz des ernsten Hintergrunds mit Humor in musikalische Sprachbilder zu fassen.” (Andreas Babler)

Margit Niederhuber und Walter Gröbchen ist mit „Red’n kaun ma boid” ein stimmiges, ein vielstimmiges, aber wichtiger noch, ein unglaublich liebevolles Portrait eines der wichtigsten österreichischen Liedermacher gelungen, des vielleicht einzigen Cantautore, den dieses Land jemals hatte. „Du brauchst als Liedermacher nicht auf Hitparaden schielen, du schielst auf dich”, war Marons Maxime. Das sollten sich all jene ins Stammbuch schreiben, die diesem unglaublich aufrechten Menschen nachfahren wollen. Die Rillen, die er mit seinem Rollstuhl hinterlassen hat, sind jedenfalls tief. Dass gerade jemand, der nicht gehen konnte, so viel Rückgrat bewiesen hat, ist wahrlich eine bittere Ironie.

Sigi Maron war einer, der die Welt besser gemacht hat, „weniger sprachlos, weniger trostlos, weniger dumm“ (Bernhard Torsch). Er, der “überall anzutreffen war, wo politisch etwas in Bewegung kam” (Richard Weihs) fehlt. In Zeiten, da Krieg in Europa herrscht, Österreich im Pressefreiheit-Index abgerutscht ist und im ORF in einer Tanz-Performance „mit allen Mitteln das Bild des armen Behinderten vermittelt wird”, wie es Nicolas Langmann, Aushängeschild für Österreichs Rollstuhltennis, in einem Standard-Interview neulich zusammenfasste, hätte er – jede Wette – einiges zu sagen gehabt.

Dankenswerterweise finden sich im Buch auch viele von Marons Texten abgedruckt, die es in ihrer Schönheit, ihrer Direktheit und poetischen Einzigartigkeit wiederzuentdecken gilt. Wieder zu entdecken gilt es natürlich auch die Alben, ob das von Konstantin Wecker produzierte „Unterm Regenbogen”, das von Robert Rotifer im Buch völlig zurecht als Meisterwerk bezeichnete „5 vor 12″, das Album „Dynamit und Edelschrott”, das sich Maron zu seinem 70er schenkte, oder die zeitgleich mit dem Buch bei Sony Music erschienene Compilation „Red’n kaun ma boid” bzw. das bei Monkey Music erschienene „Leckts mi aum Oasch” (DoLP, 180g Vinyl, Gatefold-Sleeve).

Ein spezieller Abend im Rabenhof Theater (am 13. Mai, leider bereits ausverkauft) rundet das Gedenken an den wortgewaltigen Protestsänger ab.

Markus Deisenberger

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REDN KAUN MA BOID – Ein Abend für Sigi Maron
von Margit Niederhuber (Hrsg), Walter Gröbchen (Hrsg)
Mandelbaum Verlag, 2024