Argentien und Tango – welch eine untrennbare Verbindung. Doch wie komponieren zeitgenössische Komponisten in Südamerika und anderen Teilen der Welt? Dieser Frage geht das ensemble reconsil nach und begibt sich auf eine spannende Entdeckungsreise, die es rund um den Erdball führt und bei der es Musik aus zwölf Ländern in unsere Breiten bringt und umgekehrt eine Auseinandersetzung österreichischer KomponistInnen mit der Musik der anderen Länder hinaus in die Welt trägt. Wie es dazu kam, verrät der musikalische Leiter des Ensembles und Komponist Roland Freisitzer im schriftlichen Interview mit Doris Weberberger.
Ihr wart als ensemble reconsil schon an Austauschprojekten wie RE:NEW Music beteiligt. Was hat euch dazu bewogen, nun euer eigenes, aufwändiges Projekt Reconsil exploring the world zu starten, bei dem ihr mit zwölf Ländern in musikalischen Austausch tretet?
Wir haben schon in unseren ersten Jahren immer wieder Projekte wie „Reconsil goes East“ oder „Reconsil goes Europe“ durchgeführt. Unser Ziel war, Komponisten aus Österreich den Komponisten aus verschiedenen Ländern (wir hatten z. B. Mazedonien, Russland, Aserbaidschan, Italien) gegenüberzustellen, da wir das sehr interessant finden. Ein weiterer Faktor ist, dass ich, genauso wie meine Frau Julia Purgina und die meisten „ReconsilianerInnen“ gerne reisen und ferne Länder und Kulturen kennenlernen wollen. Als wir letzten April nach zwei sehr erfolgreichen Konzerten in Seoul auf dem Rückflug über Dubai nach Wien waren, hatte ich gegen vier Uhr früh während eines wirklich spektakulär pittoresken Gewitters über Pakistan den Wunsch, viele weitere ferne Länder mit Reconsil zu bereisen und zu erkunden, auch musikalisch zu erforschen und die Musik dieser Länder im Gegenzug nach Österreich zu bringen. In Wien haben wir dann dieses Projekt ausgearbeitet und uns für die Länder entschieden. Wir haben für jedes Land eine 8-Musiker-Besetzung gewählt, mit der man leicht auf Tournee gehen kann. Also keine Harfe, kein Schlagzeug usw. … Auch so, dass wir mit unserem Pool an MusikerInnen das Festival mit zwei Programmen pro Abend bestreiten können, ohne dass jemand zwei Konzerte an einem Abend spielen muss. Die KomponistInnen haben wir auf unterschiedliche Art und Weise gefunden. Wir hatten uns dafür entschieden, so weit wie möglich KomponistInnen zu wählen, mit denen wir bisher noch keine Zusammenarbeit hatten, einfach weil wir eben neue Musik, neue Stimmen und neue Klänge haben wollten. Wir haben zum Beispiel in Brasilien einen Call for scores über die Site eines Musikinformationszentrums gestartet, der unzählige Einsendungen gebracht hat. In Neuseeland haben wir auf der wunderbar informativen Website des dortigen Musikinformationszentrums SOUNZ Partituren und Aufnahmen hören können und dabei so viele interessante KomponistInnen gefunden, so dass wir uns nur mit Müh und Not für drei Komponisten entschieden haben. Weitere neuseeländische KomponistInnen haben wir für Werke in unserem Schönberg Center-Zyklus angefragt. In den meisten Ländern hatten wir dank der großen Auswahl an interessanten Stimmen wirklich große Schwierigkeiten, uns für drei KomponistInnen zu entscheiden. Wichtig war uns auch, dass die österreichischen KomponistInnen nicht einfach neue Werke schreiben würden, sondern sich in ihrem Stück jeweils dem Land widmen, dem sie (mehr oder weniger durch Zufallsprinzip) zugeteilt wurden. Auch hier haben wir bewusst darauf geschaut, möglichst viele KomponistInnen ins Boot zu holen, mit denen wir noch keine Zusammenarbeit hatten. Insgesamt sind es 36 neue Werke aus Österreich, die sich den zwölf Ländern widmen (drei pro Land). Sehr schön fand ich es, dass die meisten KomponistInnen wirklich an dieser Idee Gefallen gefunden haben …
Nach welchen Kriterien habt ihr, noch bevor ihr euch auf die konkrete Suche nach Werken gemacht habt, die Länder ausgewählt?
Wir wollten einen möglichst repräsentativen Querschnitt zeigen und haben daher versucht, die Regionen der Welt möglichst fair zu zeigen. Daher je zwei Länder aus den verschiedenen Regionen Asiens (also Singapur und Hong Kong, Südkorea und Japan, Neuseeland und Australien), zwei aus Südamerika (Brasilien und Argentinien), zwei aus Nordamerika (USA und Kanada), ein zweites europäisches Land (England) und leider nur ein Land aus Afrika (Südafrika). Die Wahl der Länder war einerseits durch persönliches Interesse, ich gestehe, aber auch durch die verschiedenen Möglichkeiten, an junge, interessante Komponisten ranzukommen, geleitet. Das ging in einigen Ländern gleich recht gut, in anderen überhaupt nicht. Auf der Weltkarte auf unserer Homepage sieht man eigentlich ganz gut, dass das recht gut geklappt hat. Ich muss aber sagen, dass die Einschränkung auf zwölf Länder wirklich hart war, es wären noch so viele ein Wunsch von uns gewesen …
Ausgangspunkt für die Auswahl der Komponisten und Stücke war, acht Musiker und eine ungefähre Besetzung. Dann haben wir geschaut, ob es zumindest ein bis zwei interessante und bereits fertige Werke von Komponisten aus den Ländern gibt, die dann bestimmend für die Besetzung der neu zu komponierenden Stücke sein sollten. Daher im USA-Programm Morton Feldmans „Routine Investigations“, im Australien-Programm Michael Smetanins „Strange Attractions“ und Liza Lims „The Heart’s Ear“. Im Japan-Programm die Werke von Dai Fujikura und Karen Tanaka, sowie im Kanada-Programm Claude Viviers „Paramaribo“.
Weitere Länder, die ihr erkundet, sind durch ihre Volksmusik im weitesten Sinne bekannt. Argentinien verbindet man mit Tango und auch zu Japan hat man seine Vorstellungen von ruhig dahinfließenden Melodien einer Flöte und japanischer Saiteninstrumente. Von anderen Ländern wie Neuseeland oder Südafrika habe ich nur wenig Vorstellung, welche Musik dort komponiert wird. Welchen Eindruck habt ihr vom Umgang mit komponierter Musik in den einzelnen Ländern? Unterscheiden sich die Zugangsweisen grundsätzlich oder sind viele Übereinstimmungen zu hiesigem Musikschaffen zu finden? Was hat euch in diesem Zusammenhang am meisten überrascht?
Das ist eine wirklich schwer zu beantwortende Frage, einfach weil es keine für alle geltende Antwort gibt. Du erwähnst Neuseeland und Südafrika, daher gleich zu diesen Ländern. Neuseeland hat mich vielleicht am meisten überrascht, einfach weil ich nicht erwartet hatte, eine so informative Website zu finden, über die ich gut zehn bis 15 KomponistInnen auswählen hätte können, die einfach alle auf ihre Art und Weise interessant sind. Es gibt in Neuseeland ein offensichtlich gut funktionierendes Fördersystem für neue Musik, das seine Komponisten fair und gut präsentiert, einige tolle Ensembles und ein reges und offenes Musikleben (auch im Bereich der neuen Musik). In Südafrika gibt es kein solches System, bzw. wenn, dann ein nur schlecht funktionierendes. Hier war es von Vorteil, dass wir bereits mit zwei der KomponistInnen zusammengearbeitet hatten, die uns dann Empfehlungen zum dritten Komponisten geben konnten. Die Argentinier habe ich dafür alle in Europa „gefunden“. Die Bedingungen für die KomponistInnen in den verschiedenen Ländern sind also sehr unterschiedlich, was für mich im Zusammenhang mit der Musik, die ich in den Ländern gefunden habe, sehr interessant war. Was die Musik betrifft, so war uns natürlich klar, dass diese Länder musikalisch eben z. B. mit Tango, Samba, Shakuhachi und Didgeridoo in Verbindung gebracht werden. Wir haben (wie sich herausgestellt hat, richtig) vermutet, dass diese „Klischees“ im Schaffen der vielen KomponistInnen nur wenig bis gar keine Rolle spielen werden. Genau so wenig, wie der Jodler und „The Sound of Music“ im Schaffen der vielen ÖsterreicherInnen. Wir wollte auch zeigen, wie nah uns doch die „fernen Länder“ in Wahrheit, betrachtet durch einen kleinen Bruchteil ihres Musikschaffens, sind. Allerdings sind alle KomponistInnen doch durch ihre Herkunft geprägt, ich denke, dass dadurch die Links zwischen den jeweiligen KomponistInnen der verschiedenen Länder erkennbar werden, nicht durch die stilistischen oder ästhetischen Eigenheiten. Ich freue mich sehr darauf, die 36 österreichischen Werke zu erhalten, die sich mit den jeweiligen Ländern beschäftigen. Ich weiß bereits, auf wie unterschiedliche Art und Weise sich die KomponistInnen mit den Ländern beschäftigen. Ich kann versprechen, dass da wirklich interessante Werke im Entstehen sind. Einige Werke sind sogar schon fertig …
Hat sich durch die Recherchen auch dein/euer Blick auf das Komponieren und das Musikleben hierzulande verändert?
Nein, ich denke, dass sich mein (ich kann ja nur für mich sprechen) Blick auf das Komponieren und das Musikleben hier in Wien (oder auch Österreich) durch die Recherchen nicht wirklich verändert hat. Ich habe mich halt immer irrsinnig gefreut, wenn ich unter den vielen Partituren, die ich gesehen habe, junge originelle und spannende Musik gefunden habe. KomponistInnen, die teilweise unter ganz anderen Bedingungen als wir, ebenso unermüdlich das weiter tun, was ihnen wichtig ist. Es ist schön, andere Szenen und Kulturen, andere Arten des Musiklebens kennenzulernen; die Problematik des Musiklebens hier hat sich dadurch aber leider nicht verändert. Auch nicht mein Blick auf das Musikleben hierzulande. Hier sind einige wirklich sehr interessante KomponistInnen ganz oben, und die, die eigentlich unermüdlich auf der Suche nach neuen, jungen, interessanten Stimmen sein sollten, begnügen sich oft damit, die bereits von diversen Musikpäpsten abgesegneten Namen weiter mit Lorbeeren zu überschütten. Das ist sehr schade, denn gerade hier in Österreich gibt es so viele interessante KomponistInnen, da gibt es doch noch so viel zu entdecken. Österreich ist ein Musikland, ein Land, das eine Dichte an KomponistInnen hat, die, so wette ich, wahrscheinlich einsame Spitze ist. Von außen betrachtet besteht die österreichische Musikszene aber nur aus einem (wirklich fantastischen) Ensemble und sagen wir mal 6 KomponistInnen. Wir arbeiten daran, zu zeigen, dass da noch viel mehr da ist, nur fehlt uns die mediale Reaktion und so bleibt das alles unser Geheimnis, das wir mit unserem Publikum im Schönberg Center teilen.
Wie gehabt arbeiten wir mit geringem Budget nun schon das zehnte Jahr, feiern unser zehnjähriges Jubiläum mit 21 Doppelkonzerten für die SolistInnen des Ensembles und hoffen auf viele weitere Jahre. Allerdings muss ich gestehen, dass ich mir in letzter Zeit immer wieder die Frage stelle, warum ich das unter diesen Bedingungen noch mache. Wir haben 2012 bereits eine Tournee durch Kirgistan und Kasachstan hinter uns, die nur dank des großen Einsatzes der österreichischen Botschafterin in Kasachstan, Dr. Ursula Fahringer (mittlerweile Botschafterin in Beirut), möglich war und die ein sehr großer Erfolg war. Am Programm neue Werke von Julia Purgina, Norbert Sterk, Alexander Wagendristel und mir, sowie Schönbergs Pierrot Lunaire mit Adam de la Cour. Dank des großen Erfolges sind wir derzeit im Gespräch, diesen Herbst noch einmal nach Kasachstan zu reisen. März 2013 spielen wir zwei Konzerte bei den “Days of Macedonian Music” in Skopje und sind nächsten Herbst dann wieder in Baku. Das sind schöne Erfolge, die uns auch sehr freuen. Wir würden ja auch in Österreich gerne viel mehr machen, als wir es jetzt tun (Zyklus von fünf Konzerten pro Saison im Schönberg Center). Hier scheint alles dann doch viel verschlossener als in anderen Ländern zu sein, da geht alles nur ganz langsam weiter. Das ist zermürbend und macht immer weniger Spaß. Vielleicht ist uns gerade deshalb die „Exploring the World“ Idee so wichtig, weil es da um eine Interaktion geht, die, wenn alles wirklich klappt, zu einem wirklich schönen und sehr repräsentativen Projekt werden kann.
Das Projekt bedeutet einen enorm hohen Organisationsaufwand. Kommt ihr dabei gut voran oder seid ihr auf unerwartete Hürden gestoßen?
Wir dachten ja zuerst daran, alle Programme in den Bundesländern zu spielen, möglicherweise auch über die Linie der Jeunesse. Obwohl sich die Jeunesse sehr positiv um das Projekt bemüht hat, hat keine der Zweigsektionen auch nur eines der Programme gebucht. Daher haben wir die ursprüngliche Idee fallen lassen und bemühen uns um ein Festival in Wien. Der Aufwand war am Anfang sehr hoch, das Suchen und Sichten der Partituren, der Kontakt mit den vielen KomponistInnen aus Österreich und den verschiedenen Ländern und wird, ab dem Moment, wo ein Veranstaltungsort und ein Termin feststeht, sicher noch viel anstrengender und stressig. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie wir es schaffen werden. Wir sind ja alle keine Manager. Hier muss ich aber den Wiener Spruch “wird scho gehen” bemühen, muss es ja! Wahrscheinlich nur mit 36- bis 48-Stunden-Tagen. Leider können wir niemanden dafür einstellen …