„REALISTISCH BETRACHTET IST EIN LABEL WIE UNSERES, IN DIESER GRÖSSE, WIRTSCHAFTLICH NICHT DENKBAR“ – WOLFGANG POLLANZ UND GABRIEL SCHMIDT (PUMPKIN RECORDS) IM MICA-INTERVIEW

Begonnen hat bei pumpkin Records alles im Jahr 1998 mit einem Sampler zum Titel „Heimat“: heuer übergibt Label-Begründer Wolfgang Pollanz die Leitung an Gabriel Schmidt, der selbst Musiker ist und etwa in der Band Jigsaw Beggars spielt. Jürgen Plank hat mit den beiden über aktuelle Pläne des steirischen Labels genauso gesprochen wie über die Verortung in Wies. Mehr als 100 Veröffentlichungen hat es schon gegeben, die Artists können sich sehen lassen, darunter sind etwa Thalija, Well, Mann aus Marseille, Bell Etage und The Base. Außerdem geht es im Gespräch um das neue Buch von Wolfgang Pollanz, welches sich mit durchaus skurrilen Aspekten der Pop-Kultur beschäftigt.

Gabriel, wie bist du zum ersten Mal mit pumpkin Records in Kontakt gekommen?

Gabriel Schmidt: Vor einigen Jahren hat mir mein Onkel, der sehr kunstaffin ist, von pumpkin Records erzählt. Das habe ich zwar irgendwie abgespeichert, aber mich nicht näher damit auseinandergesetzt, weil es für mich noch nicht relevant war. Mit meiner Band Jigsaw Beggars ist dann die erste Annäherung passiert: ich habe gemerkt, dass da ein ziemlich cooles Label ist, das für eine Veröffentlichung passen könnte. So bin ich mit Wolfgang in Kontakt gekommen, dass war zirka im Jahr 2017.

Die erste Zusammenarbeit war somit eine Veröffentlichung mit deiner Band Jigsaw Beggars?

Gabriel Schmidt: Genau, das war eine Split-Platte mit der slowenischen Band persons from porlock aus Ljubljana. Das war ein feines Projekt, das wir auf einem guten Label veröffentlichen wollten und Wolfgang hat gemeint, dass ihm die Veröffentlichung gefällt und dass wir die Platte miteinander herausbringen können. Dann ist der Austausch intensiver geworden und dann kam von Wolfgang beiläufig die Frage, ob mich Label-Arbeit generell interessieren würde.

Wie war dieser Moment für dich, als du bezüglich der Nachfolge gefragt wurdest? Was hast du dir gedacht?

Gabriel Schmidt: Ja, total cool. Es ist ja nicht das kleinste Label und hat sich einen sehr guten Namen erarbeitet. Wolfgang hat Super-Sachen herausgebracht und so hat sich für mich die Frage gestellt: kann man das weiterführen? Gleichzeitig ist der Nachwuchs am Land, der solche Projekte weiterführen könnte, doch Mangelware. Vielleicht besteht das Label also nicht weiter, wenn ich das nicht übernehme. Insofern habe ich mir gedacht, dass es eigentlich schon schade wäre, wenn es pumpkin Records nicht weiterhin gehen würde.

Hast du ein Team um dich herum oder bist aktuell nur du für die Labelarbeit zuständig?

Gabriel Schmidt: Genau, jetzt bin ich alleine. Wolfgang und ich machen heuer noch ein Übergabe-Projekt miteinander. Aber prinzipiell bin ich alleine zuständig. Ich nehme schon an, dass er hin und wieder mal Leute gefragt hat, aber es ist anscheinend niemand interessiert an einer Mitarbeit gewesen. Natürlich kann man so ein Label auch von anderswo betreiben, aber irgendwie macht es schon Sinn, dass das jemand macht, der aus der Gegend ist. Vor allem wenn es um Veranstaltungen vor Ort geht. Dass man darauf schaut, wie man das lokale Feld bedienen und auch abholen kann. Das finde ich auch wichtig.

Welches Projekt gestaltest du mit Wolfgang – für ihn als Abschluss und für dich als Start – gerade gemeinsam?

Gabriel Schmidt: Wir haben einen Sampler gemacht, der heißt „Have a minute“ und da sind 41 Künstler:innen dabei. Mit Beiträgen von jeweils 1 Minute. Jeder Act hat einen Song mit der Länge von rund 1 Minute gemacht. Das kommt auf eine Schallplatte, wir lassen den kurzweiligen Zeitgeist mit einem analogen Medium aufeinandertreffen. Das war ein erster Gedanken-Impuls dazu. Das ist ein sehr lustiger Sampler geworden und den werden wir am 28. Juni 2024 herausbringen.

Cover Sampler Heimat
Cover Sampler “Heimat” (c) pumpkin Records

Einen Sampler zu machen, passt gut ins Bild, denn so waren ja die Anfänge von pumpkin: Die allererste Veröffentlichung war ein Sampler mit dem Titel „Heimat“, auf dem auch Curd Duca, Roedelius, Der Schwimmer und Binder & Krieglstein zu hören sind.

Gabriel Schmidt: Ganz genau, das ist ein starkes Teil. Diesen Sampler finde ich nach wie vor cool.

Auf weiteren Themen-Samplern – es gab zum Beispiel einen Sampler mit Liedern aus dem Jahr 1967 und einen mit Neu-Interpretationen von Schubert-Liedern – waren u.a. Bands wie Son Of The Velvet Rat, David Lipp & Die Liebe, Gelée Royale, Eloui, Neuschnee, Lassos Mariachis und Sir Tralala dabei. Wirst du diese Sampler-Schiene weiterführen?

Gabriel Schmidt: Mir taugen Sampler nach wie vor. Trendig sind Sampler nicht mehr so ganz, kommt mir vor. Die lassen sich wahrscheinlich schlecht verkaufen und wie viele Leute sich einen Sampler anhören, die an einem Label interessiert sind, kann ich nicht sagen. Aber ich möchte schon in gewissen Zeitabständen einen Sampler machen, wenn coole Ideen daherkommen. Ich finde das Format nach wie vor super.

„WENN ES SOLCHE LABELS IN NISCHENBEREICHEN NICHT GEBEN WÜRDE, DANN WÄRE DIE ÖSTERREICHISCHE MUSIKLANDSCHAFT SCHON UM EIN ECK GRAUER“

Auch ein Indie-Label ist in Konkurrenz mit den 3 Major-Labels, die mehr als 90 Prozent des Kuchens untereinander aufteilen. Wie gehst du mit diesem Spannungsfeld um? Die Konkurrenz ist stark und eigentlich übermächtig.

Gabriel Schmidt: Du sagst das vollkommen richtig. Realistisch betrachtet ist ein Label wie unseres, in dieser Größe, wirtschaftlich nicht denkbar. In dem Sinn, dass es sich von selbst erhält. Das geht sich einfach nicht aus. Auch mit ein bisschen größeren Acts, die noch ein bisschen mehr ziehen, wäre es sehr schwer. Insofern weiß ich nicht, ob ich da ein Konkurrenzdenken zulassen kann. Denn ich denke mir schon: wenn es nicht Liebhaberei ist und mir die Veröffentlichungen extrem taugen und die Bands, die bei uns spielen, mir nicht sehr taugen, dann könnte ich all das eh nicht machen. Natürlich ist das auch hart, aber: wenn es solche Labels in Nischenbereichen nicht geben würde, dann wäre die österreichische Musiklandschaft schon um ein Eck grauer.

Wolfgang, die hast pumpkin Records vor mehr als 25 Jahren gegründet, wie geht es dir mit der Übergabe an die nächste Generation?

Wolfgang Pollanz: Mir ist die Übergabe überraschend leichtgefallen, weil ich schon länger das Gefühl hatte, dass es jemanden braucht, der das weiterführen könnte. Nicht weil ich nicht mehr wollte, sondern weil ich das Gefühl hatte: ich bin jetzt 70 Jahre alt und möchte es an jemanden übergeben, der jünger ist. Mit Gabriel habe ich jemanden gefunden, der kompetent, neugierig und verlässlich ist. Das wird sehr gut funktionieren und macht für mich selbst wieder Platz für neue Dinge.

Bild Wolfgang Pollanz
Wolfgang Pollanz (c) Christian Koschar

„ICH HABE MICH ÜBER JEDE DER WEIT ÜBER 100 VERÖFFENTLICHUNG GEFREUT“

Die Lage für Labels hat sich ja in rund 25 Jahren eures Bestehens stark verändert: auch dank der Digitalisierung können Bands heute selbst veröffentlichen. Und Streaming ist ebenfalls als Thema dazu gekommen. Inwiefern braucht es noch Labels?

Wolfgang Pollanz: Ich persönlich bin schon noch sehr für die physische Präsenz, das heißt: Musik soll auf einem Tonträger erscheinen. Obwohl ich natürlich auch User von Spotify bin, man kommt um die Plattformen gar nicht mehr herum. Ich glaube, dass es für Musiker:innen vielleicht ein kleines Renommee ist, wenn man auf einem Label veröffentlichen kann, das einen gewissen Bekanntheitsgrad hat. Natürlich kann man heute fast keine Tonträger mehr verkaufen, oder nur mehr bei Konzerten, aber das war ja schon immer schwierig. Ich habe das Label eher als Fan betrieben. Ich habe mich über jede der weit über 100 Veröffentlichung gefreut. Und ich habe sie mir gerne angehört und habe mich immer als eine Art Ermöglicher gesehen, als Multiplikator für neue Musik. Die Auswahl habe ich immer radikal subjektiv gemacht: wenn’s mir gefallen hat, ist die Veröffentlichung über pumpkin gekommen, wenn nicht, habe ich sie abgelehnt.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Du bist nicht nur Label-Begründer, sondern auch selbst Autor und Musiker, etwa mit dem Projekt Les Machines Molles. In deinem neuen Buch „Von Arschlöchern, weißen Fahrrädern, Scheißfilmen und Zebrastreifen“ machst du dir Gedanken über Pop-Musik und Pop-Kultur. Etwa im Text „To Be An Asshole“ der sich auch mit John Lennon und Kinky Friedman beschäftigt.

Wolfgang Pollanz: Das Buch ist eine Sammlung von Essays, die in den letzten zehn Jahren erschienen sind. Auch Texte von Ausstellungseröffnungen sind dabei. Einige Texte sind in Der Standard oder im Grazer Magazin schreibkraft erschienen. Im Text „To Be An Asshole“ geht es darum, dass es natürlich ganz viele Musiker:innen gibt, die nicht unbedingt sympathisch sind. Die sind gleichzeitig heroes und Arschlöcher. John Lennon ist da das beste Beispiel, für mich als Fan von den Beatles ist er einer meiner Helden. Ich bin über das Weiße Album sozialisiert worden, das ich mit 15 Jahren geschenkt bekommen habe. Dieses Album, das sehr disparat ist, hat mir ermöglicht, viele verschiedene andere Musikrichtungen kennen zu lernen, das war sozusagen ein Türöffner. Zu John Lennon gibt es einige Geschichten, in denen er sich danebenbenommen hat, dafür hat er sich später zum Teil entschuldigt. Eine großartige Künstlerin oder ein großartiger Künstler muss nicht immer als Mensch großartig sein. Dafür gibt es auch Beispiele aus der Malerei, etwa Caravaggio. Und es gibt auch Leute wie Ted Nugent, der in den U.S.A. bei der National Rifle Association tätig ist. Das sind Leute, mit denen man eigentlich nichts mehr zu tun haben möchte.

Im Buch thematisierst du auch den berühmten Brief von Elvis an Präsident Nixon, in dem sich Elvis als Geheimagent andient.

Wolfgang Pollanz: Elvis ist eines Tages vor dem Weißen Haus gestanden, hat dort wirklich angeläutet und den damaligen Präsidenten, Richard Nixon, sprechen wollen. Er wollte ihm das Angebot machen, die seiner Meinung nach linke Rock-Szene auszuspionieren. Er wollte einen Ausweis als Agent haben und hat sich angedient, auch die Anti-Kriegs-Gegner auszuspionieren. Das war in der Zeit des Vietnam-Krieges. Das ist schon eine sehr skurrile Episode aus dem Leben von Elvis, der ja selbst schwer süchtig nach Medikamenten war und sich gleichzeitig als Aufdecker von Drogenmissbrauch in der Rock-Musik gerieren wollte.

Ist er vielleicht auf diese schräge Idee gekommen, weil er selbst auf Drogen war?

Wolfgang Pollanz: Ja, ich glaube, es gibt von Priscilla Presley ein Zitat, er wolle so einen Ausweis haben, um selbst ungehindert an Drogen zu kommen. Das Zitat kann ich jetzt nicht wirklich bestätigen, aber ein interessantes Detail ist, dass es in den U.S.A. ein Archiv gibt, aus dem man solche historischen Briefe ausheben kann. Und dieser Brief von Elvis an Nixon wird öfter ausgehoben als Dokumente zur amerikanischen Unabhängigkeit. Das sagt auch etwas über die Rolle der Pop-Kultur in den U.S.A. aus.

Du hast vorhin gemeint, dass durch die Übergabe des Labels an Gabriel, wieder Platz für neue Dinge entsteht. Woran arbeitest du gerade?

Wolfgang Pollanz: Ich konzentriere mich im Moment sehr aufs Schreiben, es wird einen neuen Roman geben, an dem ich gerade arbeite.

Gabriel, welche Inspiration von Wolfgang nimmst du mit in die nächste Label-Phase?

Gabriel Schmidt: Ganz klar: Das zu veröffentlichen, was einem selbst taugt. Je mehr einem die Musik taugt, desto mehr kann man dahinterstehen und die Musik pushen, so gut es eben geht. Das schaue ich mir von ihm schon ab.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

++++

Live:
29.6.2024: Sampler-Präsentation „Have a minute“, Listening-Party, Kulturverein Oag, Graz, 18:30h

++++

Wolfgang Pollanz: „Von Arschlöchern, weißen Fahrrädern, Scheißfilmen und Zebrastreifen“ (140 Seiten, kuerbis)

++++

Links:
pumpkin Records
pumpkin Records (Facebook)
kürbis