Nach der Single „Next Time Better/I Think, You Not“ und einem Beitrag zum Sampler „Land der Keller – Austrian Underground Compilation Vol. 2“ im Jahr 2017 präsentiert das Salzburger Punk-Trio STUHL nun mit „Furniture Music“ auf dem bandeigenen Label „STUHL Records“ seinen ersten Longplayer mit zwölf Punksongs zwischen klassischem UK-Old-School-Punkrock und Ami-Hardcore. Dabei klingt ihr Back-to-the-roots-Punk alles andere als retro und zeugt eher von einem verschmitzt-ironischen Reflexionslevel – auch bezüglich des eigenen, schon eher „gehobenen Punkerrockeralters“. Didi Neidhart hat sich mit STUHL zum Interview getroffen.
Ihr habt die Band 2015 in Salzburg gegründet, wobei die Mitglieder der Urbesetzung nicht aus der Mozartstadt, sondern aus Aachen, München und Leipzig kamen. Wie hat sich das zugetragen?
Tommy: Mit reichlich Alkohol. Mikki und ich arbeiteten zusammen bei derselben Firma in Salzburg. Ich meine, wir sind beide Sozialpädagogen, so etwas gab es damals anscheinend nicht oft in Salzburg, deswegen waren da lauter Deutsche unterwegs. Ich habe schon beim Betriebsurlaub gesehen, dass Mikki ein Sid-Vicious-Leiberl trägt. Auf der Weihnachtsfeier 2011 habe ich ihn dann angesprochen, wir haben Bier getrunken und dabei beschlossen, eine Band zu machen. Seine Angst, dass er als ehemaliger Bassist nach seiner langen Bandabstinenz nicht mehr draufhat, konnte ich ihm mit dem Sid-Vicious-Argument nehmen: Der konnte ja angeblich auch nicht so prima Bass spielen.
Es kam aber dann gar nicht zu der Band und jeder ist seiner Wege gegangen. Auf der Weihnachtsfeier 2014 haben wir es noch einmal besprochen. Ich glaube, da war Mikki wesentlich nüchterner als ich. Er hat dann auch den Übungsraum und einen Schlagzeuger organisiert, den Daichi, der lustigerweise auch ein Piefchinese war, nämlich aus Aachen. Es gab damals halt nicht nur wenige Sozialpädagogen in Österreich, sondern auch wenige Drummer. Auch hier musste ein Deutscher her. Da waren wir also: a Preiß, einer aus der Zone und ich als Bayer.
Mikki: Das ist purer Zufall. Daichi und ich kannten uns über den KLUB 77, Tommy und ich kannten uns über die Arbeit. Und Tommy hat mich wiederholt gefragt, ob wir nicht eine Band machen sollten, nachdem wir auf diversen Weihnachtsfeiern über unsere alten musikalischen Eskapaden geredet hatten. Da ich wusste, dass Daichi Drummer bei den Nazi Dogs ist, war er auch der Erste, den ich dann wegen des Drummerpostens gefragt habe – und auch irgendwie der Einzige, der Ja gesagt hat.
„Es gibt in Salzburg keine andere Band, die den Sound so fährt, wie wir alte Säcke ihn mögen.“
In der Bandinfo steht, „dass in Salzburg ihre bevorzugte Sorte schlechten Lärms nicht angemessen vertreten ist“ und ihr euch auch deshalb zusammengetan habt. Seht ihr euch hier quasi als Punk-Missionare?
Mikki: Spätestens seit Oasis weiß man, dass man eine große Fresse haben muss, wenn man gehört werden will. Und es ist eher ironisch gemeint. Weder haben wir den wirklichen Anspruch, den Punk zurück nach Salzburg zu bringen – zumal der nie weg war –, noch wollen wir irgendwen missionieren. Aber Fakt ist: Es gibt in Salzburg keine andere Band, die den Sound so fährt, wie wir alte Säcke ihn mögen.
Tommy: Ich bin zwar bekennender Christ, aber mit dem Missionieren habe ich wenig am Hut. Selbst der Missionarsstellung kann ich wenig abgewinnen. Ich hatte im Studium sechs Semester Psychologie und denke, dass das eine Schutzbehauptung von Mikki war, so ein wenig auf Spaß gemacht. Da wir nicht wirklich toll spielen können, würden durch eine solche Aussage erst gar keine Erwartungen entstehen.
Robert: Zum Missionieren müsste man doch einer Religionsgemeinschaft angehören, oder? Punk ist ein Lebensgefühl und keine Religion.
Gibt es in Salzburg überhaupt eine Punk-Szene?
Robert: Ja.
Mikki: Natürlich gibt’s die. Und sie ist nie weg gewesen. Sie ist nur nicht immer so sichtbar, dass sie von außen auch angemessen wahrgenommen wird. Für mich stechen vor allem die Kolleginnen und Kollegen von 3deutige Aussage und Gehörsturz heraus, deren Mitglieder auch zum Teil in die Gründung und Organisation der Salzburger Pestspiele involviert sind und damit wesentliche Arbeit für die hiesige Szene leisten.
Weiters gibt’s mit Gegenlicht und Zweite Kassa auch neuere Bands, in deren Besetzung sich ebenfalls ältere Semester, „die damals schon dabei waren“, tummeln. Mit der Glue Crew, um auch eine Band zu nennen, die imstande ist, am Mainstream zu kratzen, haben wir außerdem ein Aushängeschild, welches ultimativ Punkgestus und -inhalte mit Salzburger bzw. Pongauer Mundart verbindet. Und rund um dieses Mini-Biotop kreisen ziemlich viele, vor allem jüngere Fans des Punkrock – was uns echt freut und erneut beweist: Punkrock ist nicht tot!
Tommy: Keine Ahnung. Bei den Pestspielen hatte ich schon das Gefühl, dass es hier Menschen verschiedenen Alters, also zwischen 16 und 20 und zwischen 45 und 55 Jahren, gibt, welche sich in ihrem Aussehen und ihrem Musikgeschmack nicht nur ergänzen, sondern sich dadurch auch verbunden fühlen.
Ihr sagt selbst, dass ihr Musik für Leute macht, die auf „Oldschool-Punkrock und frühen Ami-Hardcore“ stehen. Das belegt u. a. eure Coverversion von „Making Room For Youth“ von Social Unrest sowie jene von „Are You Ready For Some Darkness” von Turbonegro. Was reizt euch an dieser Ära?
Robert: Früher war alles besser, früher war alles gut!
Tommy: Na ja, es ist halt die Musik, welche vornehmlich meine Jugend geprägt hat. Zuerst das ganze Deutsch-Punk-Zeugs und der England-Kram. So von Slime, Canalterror, ZSD bis halt Buzzcocks, Sex Pistols, GBH, Discharge, Exploited. Ab 1985 war es dann fast ausschließlich nur noch Hardcore: US-Hardcore wie Minor Threat, die frühen D.R.I., M.D.C., Reagan Youth, Angry Samoans, Misfits, Dead Kennedys, Black Flag, F.O.D. und so weiter und natürlich europäischer Hardcore, der, finde ich, damals enorm geboomt hat.
Da gab es gerade so viele geile Bands aus Italien: Indigesti, Stinky Rats, Negazione, Crash Box, Wretched, Raw Power, Rappresaglia und, und, und. Und natürlich auch aus Deutschland, man denke nur an die Spermbirds. Everything falls apart.
Mikki: Mir gefallen vor allem das Rohe, das Ungeschliffene und die Attitude, welche die frühen Bands hatten. Hier hatten Leute was zu sagen und es war scheißegal, ob oder wie gut sie ihre Instrumente beherrschten. Und das allein reichte und reicht für ziemlich eingängige Hymnen, die Menschen bewegen können.
Punk hat mittlerweile weit mehr als vierzig Jahre auf dem Buckel und ist in zig Subszenen zerfallen, wo sich dissidente Attituden mitunter nur noch schwer ausfindig machen lassen. Wie verortet ihr euch da zwischen neoliberalem Business-Punk und Bands wie Sum 41 und Blink 182? Ist das eine subversive Traditionspflege oder eine Reaktivierung vergessener Potenziale?
Mikki: Zwischen Business-Punk und Sum 41 bzw. Blink 182 sehe ich uns gar nicht, weil mir Business-Punk als kapitalismuskritischem Geist nicht ferner liegen könnte und Sum 41 und Blink 182 einen Pop-Punk auf die Spitze getrieben haben, welcher mir zu generisch, zu perfekt und zu wenig eigenständig ist. Da gab es eine Entwicklung in den 1990ern, als nahezu alle Bands wie Bad Religion klingen wollten, und das hat dann zu dem Einheitsbrei geführt, der schließlich in den Charts landete.
Nicht falsch verstehen, ich habe auch die „Dookie“-LP von Green Day und zwei Scheiben von Blink 182 im Schrank stehen, aber es lief dann doch recht schnell auf die Betonung „Rock“ in Punkrock raus und wurde damit ein bisschen zu beliebig. In dem Sinne ist es also für mich Reaktivierung vergessener Potenziale – zurück zum Ursprung des 77er-Punk englischer Prägung und zum frühen Ami-Hardcore.
Robert: Zwischen allen Stühlen ist unser liebster Platz.
Tommy: Darüber mache ich mir keine Gedanken. Ich höre mir auch Kommerzmusik an. Ich kann nicht Black Sabbath anhören oder ansehen und feiern und gleichzeitig Bands wie Sum 41 vorwerfen, sie würden Punk verraten, weil sie zu sehr Kommerz seien. Und ganz ehrlich: Mit ihrer Haltung entsprechen Bands wie Sum 41 und Blink 182 wahrscheinlich mehr meinen Werten als diverser Deutsch-Hip-Hop oder auch so Personen wie Andreas Gabalier. Verorten kann ich STUHL hier nur schwer, auch weil unser Können Lichtjahre von den genannten Bands entfernt ist. Und wenn ich Songs schreibe, dann mache ich das einfach so, wie es mir einfällt. Gefällt es dem Rest der Band ist es gut. Ansonsten: Scheiß der Hund drauf! Dann kommt es halt auf meine Solo-LP.
Ihr bekennt euch zum klassischen Punk-Motto „Stumpf ist Trumpf“, welches nicht nur auf Punkrock beschränkt ist, sondern sich auch in elektronischen Subkulturen großer Beliebtheit erfreut. Was unterscheidet die Stumpfheit von Punkrock von der Stumpfheit von z. B. Scooter, Ballermann- oder Après-Ski-Hits?
Mikki: Scooter würde ich aus dieser Liste rausnehmen, da die für mich eine Metaebene haben, welche die Technoschlager für Ballermann- und Après-Ski-Hütten nicht besitzen. Allerdings funktioniert „Stumpf ist Trumpf“ in jedem Genre. Dass ich das im Punkrock besser finde, ist ja nur mein subjektiver Musikgeschmack. Würde ich jetzt anderes behaupten, würde das ausschließlich meinem persönlichen Distinktionsgewinn dienen. Was ich aber sage, ist: Scooter sind mehr Punk als alle anderen in deiner Aufzählung!
Robert: Und im Gegensatz zu Scooter wissen wir, wie viel ein Fisch kostet.
Tommy: Ich denke eher, Trump ist stumpf. Oder was war die Frage? Das Motto kenne ich nicht und es stammt auch kein Bekenntnis dazu von mir. Ich kannte mal einen, der hieß Stumpf, der war ganz nett. Aber Trumpf? Ich finde unsere Musik alles andere als stumpf. Bis auf wenige Ausnahmen finde ich auch Punk nicht stumpf.
Auch wenn die Gräben zwischen Punk und Hardrock/Metal mittlerweile nicht mehr ganz so tief sind wie noch in den 1970ern, gibt es doch noch immer die klassische Unterscheidung, dass es bei Punk vor allem um eine Attitude und bei Hardrock/Metal vor allem um die technische Beherrschung der jeweiligen Instrumente geht. Wie ist das bei euch?
Mikki: Na ja, ich sag’s mal so: Ich könnte mit dem, was ich kann, nicht in einer Metalband spielen. Insofern hat sich nix dran geändert, dass man da ein wenig technisch versierter sein muss, um angemessen mitspielen zu können. Ich spreche damit aber Metalbands nicht per se Attitude und Haltung ab. Gibt’s ja auch genug sehr politische Truppen, die einiges zu sagen haben oder zu sagen hatten. Sodom mit „Ausgebombt“ und Jingo De Lunch mit „Chew And Spit“, um mal zwei Bands zu nennen, waren z. B. auch für mich wichtig, wobei natürlich einerseits Thrash Metal dem Punk immer schon nahestand und andererseits Jingo mit ihrer bis heute unerreichten Verquickung von Sleaze Metal, Punkrock und Hardcore ihrer Zeit weit voraus waren. Ich sehe da keinen Graben, bin allerdings trotzdem kein Metalfan im herkömmlichen Sinne, wenngleich ich ein paar Platten besitze.
Robert: Den Graben haben doch Motörhead eingerissen, somit sind wir Musiker, die nicht nur bis zwei, sondern bis vier zählen können. Aber macht uns das zu Metalheads?
Tommy: Meine technische Beherrschung besteht darin, dass ich es schaffe, meinen Gitarren-Amp einzuschalten. Das wars dann auch schon. Ich höre mir verschiedene Genres an, egal ob Punk, H.C., Metal, Hip-Hop, Rockabilly, Country, Swing. Wichtig ist mir nur, dass ich mir sicher sein kann, dass die jeweiligen Interpretinnen und Interpreten in irgendeiner Form in mein Wertekonstrukt passen. Ich find auch Schlager toll. Aber z. B. Gabalier geht nicht, weil er offen Werte vertritt, die den meinen widersprechen. Das macht es auch bei Country schwer. Ich muss immer erst googeln, ob ich mir das jeweilige Zeugs überhaupt anhören kann.
„Der Albumtitel ist vielschichtiger interpretierbar als von uns ursprünglich intendiert.“
Ihr thematisiert in einigen Songs, wie in „Too Late“ und „New God“, das Thema Alter und den Verlust von Illusionen. Als Punk losging, gab es mit den „Boring Old Farts“ ein konkretes popkulturelles Feindbild in Form der Überbleibsel der vorangegangenen Hippie-Generation. Aber wie ist das jetzt, wenn man selbst im BOF-Alter ist? Der LP-Titel „Furniture Music“ ist ja sicher nicht ohne Hintergedanken gewählt worden.
Mikki: Einfach ist es nicht. Allerdings bewahrt mich Punkrock vermutlich davor, irgendwann doch noch ein langweiliges, spießiges Arschloch zu werden, das alle seine Ideale vergessen hat, nur noch an der jungen Generation rumnörgelt und behauptet, dass früher alles besser war. Ich merke immer wieder, z. B. bei Livekonzerten, dass uns die Jüngeren vom Optischen her erst mal eher in die BOF-Schublade schmeißen. Wir fahren dann mit dem Panzer ihr Bild von uns einfach platt. Das macht Spaß!
Der Albumtitel ist vielschichtiger interpretierbar als von uns ursprünglich intendiert. Einerseits ist der Stuhl ein Möbelstück, und wir haben den auch zu allem Überfluss noch als Logo. Andererseits sind wir alte Säcke, wohnen nicht mehr im besetzten Haus und der Kühlschrank ist dank ganz guter Jobs auch immer gut gefüllt. „Furniture Music“ bezieht sich aber auf den gleichnamigen Song von Bill Nelson aus dem Jahr 1979, den wir ursprünglich für dieses Album als Titeltrack covern wollten, weil Daichi und ich den auf Tour oft auf einer Punk/New Wave-Compilation gehört haben und die Kombination Stuhl, Möbel und Musik sehr witzig fanden.
Tommy: „Furniture Music“ war Mikkis Idee. Ansonsten denke ich nicht über so etwas nach. Ich denke überhaupt nicht über irgendwelche Dinge wie Punk nach. Einerseits möchte ich mich nicht zur Geisel eines Begriffs machen. Andererseits widmet man seine Gedanken ab einem gewissen Alter den Bandscheiben und wünscht sich einen Roadie, der einem den schweren Amp herumträgt. Man frisst Tabletten gegen alles Mögliche und bedauert, dass man so dick geworden ist, dass man sich kaum noch die Schuhe binden kann. Nachtröpfeln, Haarausfall und Falten – über so etwas denkt man im Alter nach. Aber über Punk? Nö.
Robert: Ist langweilig zu sein eine Frage des Alters? Gestank ja, meine Bettdecke könnte dir was erzählen, aber Langeweile … Ist nicht es langweiliger, den ganzen Tag in ein Kasterl in der Hand starren, als sich in einem Proberaum zu treffen, um zwei Stunden gemeinsam Spaß zu haben?
In Songs wie „Problem Child“ und „Serial Boy“ geht es um die nachfolgende Generation. Wie kommt es zu solchen Songs?
Mikki: Bei „Problem Child“ hatte Tommy den Titel und ein cooles Riff. Er wollte gerne mal einen Song über seine und meine Arbeit als Sozialarbeiter machen, so einen Psychohygiene-Song. Da hatte ich auch Bock drauf. Ich bin nach der Probe heim, habe auf sein Instrumental in einer halben Stunde den Text gezimmert und mir meinen Frust über die Klientinnen und Klienten vom Herzen geschrieben. Aber das ist natürlich mit einem Augenzwinkern zu verstehen, weil wir in der Arbeit tatsächlich die Erwachsenen sein müssen. Wir werden quasi bezahlt dafür, BOFs zu sein, obwohl wir nicht selten mit den widerspenstigen Kids sympathisieren, weil wir wahrscheinlich mit 16 auch so drauf waren.
Bei „Serial Boy” hingegen ging es mir um die Frage, inwieweit aus mir auch ein Serienkiller hätte werden können. Ich hatte einige Serial-Killer-Dokus intus und habe gesehen, welche Anzeichen für deviantes Verhalten es in deren Kindheit gab, unter anderem auch kleine Tierquälereien. Und dann habe ich mich zurückerinnert, dass das bei mir als Kind auch ein Thema war. Was unterscheidet mich also von Jeffrey Dahmer und Charles Manson? Der Text ist die Bubblegum-Ramones-Version meiner Auseinandersetzung damit.
Robert: Die Jugend ist und bleibt und war immer unsere Zukunft!
Tommy: Nachdem jede Rock-Band immer Lieder mit Verständnis für die Jugend macht, dachte ich mir, man sollte mal ein Lied gegen Jugendliche machen. Schließlich sind Mikki und ich Sozialpädagogen. Ich bin seit 25 Jahren nur in der Jugendarbeit tätig. Natürlich war das nur ein Witz. Ironie. Logisch. Was auch sonst. Wir lieben Kinder und Jugendliche. Mikki hat dann den Text geschrieben. Leider kann jede und jeder noch so Beklopfte die Ironie gleich heraushören, insofern ist der Rockgeschichte ein Lied gegen Jugendliche erspart geblieben. „Serial Boy“ geht um einen Serienmörder. Mit dem Text habe ich meine Probleme. Ich sehe ihn als Hommage auf die Misfits. Dann geht es wieder.
Während ihr die Themen Alter und nachfolgende Generation durchaus ambivalent behandelt, hört sich der Spaß beim Thema Hipster, das ihr im Song „Turd Burglar“ behandelt, auf. Wieso? Hipster mögen als Feindbild durchaus taugen, stellen jedoch auch jenes Milieu dar, welches aufgrund der finanziellen Möglichkeiten für einen Großteil des verkauften Vinyls der letzten Jahre verantwortlich ist.
Mikki: Witzige Frage. Für mich sind die aber – egal wie viel Kopien von „Furniture Music” sie kaufen und wenn sie mich dafür in Gold aufwiegen würden – keine authentische Jugendkultur, die irgendwas bewegt oder mit Herzblut für irgendwas einsteht. Das sind nur besser aussehende, supergepflegte, besser verdienende Arschgeigen, die sich einen oberflächlichen Anstrich von kulturellem Interesse und intellektueller Relevanz geben und doch nur schreckliche Spießer sind.
Es ist eine pure Style-Kultur, was man auch an der super Vermarktbarkeit ihres Lebensstils im neoliberalen Kapitalismus sehen kann: Re-Issues, Limited Editions und Collectors-Box-Sets für teures Geld kaufen, anstatt auf Flohmärkten das Original zu suchen, sich auf Musik konzentrieren, die schon uralt ist, anstatt neue Bands zu unterstützen, bärtige und tätowierte Kasper in jeder zweiten Anzeige für irgendwelche Produkte, die undergroundig beworben werden sollen. Und die Bärte erst, nee. Kindergartengesichter, die einen auf markig machen. Über das mitgelieferte Maskulinitätsbild will ich gar nicht erst anfangen zu referieren. Schon mal drüber nachgedacht, wieso es keinen weiblichen Part in dieser sogenannten Bewegung gibt? Kill all Hippies, äh, Hipsters!
Robert: Ich finde nicht, dass wir einen Kniefall vor Menschen machen sollten, die ihre Platten des Wertes wegen originalverpackt im Schrank stehen lassen. Musik nicht zu hören ist BOF or BJF!
Tommy: Okay, jetzt wisst ihr mehr als ich. Daichi, von dem der Text stammt, hat uns „Turd Burglar” erklärt. Da gehts um sogenannte Noagerlzuzler. Ich habe den Text nie mit Hipster in Verbindung gebracht. Und auch über Hipster habe ich mir bis dato sehr wenig Gedanken gemacht. Irgendwie mache ich mir, wenn ich das Interview hier reflektiere, anscheinend echt über wenige Dinge Gedanken. Schrecklich.
Aufgenommen wurden die Songs im Frühjahr/Sommer 2019 von Jakob Klingsbigl im „Mischmaschine-Studio“ in Oberalm. Wie seid ihr dazu gekommen? Das Studio ist ja vor allem wegen der legendären Death/Black-Metaller von Belphegor bekannt.
Tommy: Eine spannende Zusammenarbeit. Der Perfektionist und die drei Hudel-Brothers. Ich glaube, Jake ist manchmal etwas verzweifelt mit uns gewesen. Fakt ist, dass er schon unsere Single aufgenommen hatte und wir sehr zufrieden waren. Auch das Ambiente ist toll. In dem Haus, wo sich das Studio befindet, lebt auch Jakes Mum, die wirklich eine Bereicherung an Humor und Witz darstellt.
Mikki: Ich habe mit Sebastian von Ghouls Come Knockin’ nach einem Interview über Produzenten geredet und da fiel Jakes Name. Dann habe ich mir ein paar von seinen Produktionen angehört und fand seinen Style gut. Schlussendlich nahmen wir unsere erste Single „Next Time Better/I Think, You Not“ 2017 mit ihm auf und da die entsprechend geknallt hat, war es klar, dass wir fürs Album wieder mit ihm arbeiten.
Jake mag nicht aus dem Genre Punkrock kommen, aber er ist ein genialer Sound-Engineer, sowohl im Studio als auch live. Und er ist mit so viel Herzblut Musiker, dass er durchdringen will, was dich als Künstlerin und Künstler bzw. was deine Songs ausmacht. Ich finde, im Verhältnis zur Single hat er beim Album noch eine Schippe draufgelegt und aus uns dreien mehr rausgeholt, als ich es mir vorstellen konnte.
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„Einschließlich ‚Furniture Music‘ ist alles, was wir bisher rausgebracht haben, DIY.“
War das alles DIY oder habt ihr auch auf Förderungen zurückgegriffen?
Tommy: DIY.
Mikki: Einschließlich „Furniture Music” ist alles, was wir bisher rausgebracht haben, DIY. Von den Singles über Patches und T-Shirts bis hin zu den beiden Musikvideos, die das Album begleiten bzw. unterstützen, stammt alles aus eigener Tasche, wie man so schön sagt. Über Förderungen haben wir uns erst informiert, als wir schon mitten im Aufnahmeprozess waren.
Es ist sicher vorstellbar und sinnvoll, dass wir für den nächsten Release etwas besser planen und um Förderung ansuchen. Andererseits ist es auch cool, erst mal einen vorzulegen, bevor man hausieren geht. Man ist sich dann zumindest selbst sehr sicher, dass man‘s ernst meint und für die eigene Sache brennt – im doppelten Sinne.
Als Gründe, wieso ihr immer noch Musik macht, nennt ihr Spaß an der Sache und Live-Konzerte. Jetzt schauen Konzerte unter Corona eher düster aus. Wird es dennoch in der einen oder anderen Form eine Release-Party geben?
Robert: Ja.
Tommy: Gute Frage. Nächste Frage.
Mikki: Ja, leider ist unser Timing wie das vieler anderer Kolleginnen und Kollegen im Musikbereich eher schlecht – zumindest unter den Corona-Umständen. Aber, hey, das Album war fertig. Und es muss jetzt natürlich raus zu jenen, die es hören wollen. Ganz unabhängig davon, ob das jetzt verkaufstechnisch und strategisch clever ist oder nicht. Niemand weiß, ab wann man wieder live spielen kann und welche der vielen kleinen Locations, auf die Bands wie wir angewiesen sind, überhaupt noch existieren, wenn der Spuk – nach einem hoffentlich bald erhältlichen Impfstoff – vorbei ist.
Weil wir schon ahnten, dass es eventuell selbst im Herbst 2020 noch problematisch werden könnte mit Liveauftritten, haben wir uns zusätzlich noch für zwei Videos in Schale geworfen, damit der vorrangig online stattfindende Wirbel um die LP etwas mehr Verve bekommt. Und Chris Gütl von „CG Captured Moments“ hat mit uns trotz einiger coronabedingter Terminverschiebungen in Rekordzeit gedreht, sodass nun sowohl „I Love You“ als auch „New God“ im Zuge des Vinylreleases ebenfalls als Musikvideos in den Äther entlassen werden.
Da inzwischen feststeht, dass wir in Salzburg am Veröffentlichungstag, dem 2. Oktober, nicht live vor Publikum auftreten werden können, machen wir unsere Release-Party einfach als Listening-Party mit DJs und Punk-Auflegerei in der Bricks Music Bar in Salzburg, und zwar ab 20.00 Uhr. Zu guten Drinks gibts einen ganzen Abend Punkrock am Plattenteller serviert und mittendrin als Premiere das komplette Album in voller Länge, das man im Anschluss ohne Portokosten und Bestell-Trara käuflich erwerben kann. Was dann 2021 für uns als Band bringen wird und wann man uns wieder live erleben wird können, steht derzeit allerdings noch in den Sternen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Didi Neidhart
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STUHL Record Release Party – Furniture Music
02.10.20 – Bricks Salzburg – 20 Uhr
Facebook-Event
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