Der 1966 in Vöcklabruck geborene Komponist Wolfgang Suppan entzieht sich einfachen Einordnungen. Eine bereits geplante Aufführung eines neueren Stücks von ihm durch das Ensemble Phace kam nicht zustande, da er daran arbeitet, daraus eine 45 Minuten dauernde „Langstrecke“ zu machen. Bei Wien Modern hingegen war er mit zwei sehr kurzen Werken vertreten: mit einer vierminütigen Komposition für den Geiger Ernst Kovacic („Locus Solus“) und, gemeinsam mit Franz Hautzinger, einem Tanzstück namens „Standlicht“ beim Ballfest „Wien Modern tanzt“. Das auch nur kurze Bläserduett „Ulam“ von 2008 für zwei Blasskarinetten ist derzeit eines seiner meistgespielten, für ihn wichtigsten Stücke.
Die Musik Wolfgang Suppans ist einem im Gedächtnis geblieben: Da sind die Stücke aus der Zeit um 1996-98 wie dem „Duett 2“ für Harfe und Klavier oder das Klavierstück „Grounds“, die Serie „Idyll 1- 4“ (1998 – 2004, mit „Drift“ 2002) und vor allem auch seine grandiose Bearbeitung der Oper „Engel aus Feuer“ von Sergej Prokofjew für Ensemble, die Marino Formenti mit Phace dirigierte.
Suppans Kompositionen wird oft und immer wieder eine besondere Klangsinnlichkeit nachgesagt. Einer seiner wichtigsten Lehrer an der Wiener Hochschule war der Französischschweizer Michael Jarrell und so könnte man der Versuchung erliegen, in Suppans Musik eine französisch-klangsinnlich-spektrale Herkunft hineinhören zu wollen. Gerade aber in Paris – nämlich am berühmten IRCAM – hat Wolfgang Suppan seine Kenntnisse in einem Bereich erweitert und verfeinert, der einen ganz entschieden anderen Aspekt seiner Musik ausmacht: die Elektronik am und mit dem Computer. Für die Erstellung eines Porträts von ihm muss man bei ihm wohl nachfragen, was Elektronik für ihn bedeutet und was ihn derzeit umtreibt. Heinz Rögl traf den Lehrbeauftragten für Komposition dafür im Café Prückel.
Es liegt auf der Hand, zuerst über die zuletzt bei Wien Modern aufgeführten Stücke zu sprechen. „Standlicht“ kam so zustande, dass eigentlich der Trompeter Franz Hautzinger zu einer solchen „Tanzkomposition“ mit Orchester durch Christian Scheib und das RSO Wien beauftragt worden ist und Hautzinger Wolfgang Suppan bat, das mit ihm zu machen. „Mir war die Gelegenheit willkommen, da ich so auch wieder einmal bei Wien Modern auftauchen konnte. Mit Franz, mit dem ich auch schon zusammen in einem Trio gespielt habe, verbindet mich viel, es gibt Überschneidungspunkte.“ An improvisatorischem Spiel interessierte Suppan immer auch besonders, welche kompositorischen Ansatzpunkte es bietet. Er gibt auch zu, dass er Schwierigkeiten gehabt hätte, wäre ein Auftrag für ein tanzbares Stück an ihn allein ergangen. Mit Franz Hautzinger als Jazzer und Improvisator aber ging das gut und Suppan versuchte, noch eine Facette dazu einzubringen, „die irgendwie sehr gebrochen kommt“. Der Titel „ist vom Franz, die Idee, die damit verbunden ist, hat etwas mit Jugend am Land zu tun. Ich komme ja auch aus der Provinz, aus Oberösterreich, hatte damals allerdings kein Auto.“ Das Stück wirkte eher „langsam“. Ob man dazu tanzen konnte? – „Naja, in der Presse stand dazu ‚Lamourhatscher’ …“ Es wurde im Konzerthaus auch mit rotem und blauem Licht auf der Bühne realisiert. Suppan grübelt nach: „Vielleicht würde das Werk in eine Barszene in einem Film von David Lynch wunderbar hineinpassen… Im Untergrund brodelt etwas, an der Oberfläche ist so was Smoothes, Cooles“ zu hören.“ So würde er es als „Deutung im Nachhinein“ formulieren.
Suppan unterrichtet als sogenannter Privatdozent (früher hieß das „a.o. Professor“) Tonsatz und Komposition an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, seine Studierenden sind angehende Komponisten, Dirigenten und auch Tonmeister.
Technik und Elektronik in der Komposition
Er gilt auch unter seinen Komponistenkollegen als ausgezeichneter Elektroniker. Wie verträgt sich Komponieren und Elektronik? „Aktuell bewege ich mich von dem Aspekt Elektronik und Technik etwas weg.“ Für Phace arbeitet er an einem längeren Stück, das eigentlich schon diesen Oktober in einem Zykluskonzert des Ensembles hätte kommen sollen. „Da habe ich aber im Sommer gemerkt, dass das Stück länger als zehn, fünfzehn Minuten werden würde. Das hätte den speziellen Konzertrahmen gesprengt“. So wolle er nun ein 44-minütiges Stück schreiben.
Welche Rolle spielt darin Elektronik? – „Da gibt es nichts Live-Elektronisches, sondern eine Zuspielung mit gesampelten Klängen, zu deren Vorbereitung ich dreimal im Züricher Studio war, das dort sehr gut ausgestattet ist [in Zürich unterrichten Isabel Mundry und als Studioleiter Germán Toro-Pérez]. Elektronik will ich seit einiger Zeit generell nur mehr einsetzen, wenn sie wirklich gut ist.“ Er habe ein Gespür dafür bekommen, was Verstärkung bedeute, etwa wenn er jemanden verstärkt reden hört. „Es ist mir viel lieber, wenn jemand in einem Saal unverstärkt spricht, was mich zwingt, beim Zuhören aufmerksamer, wacher zu sein. Einen ähnlichen Effekt gibt es in der Musik: Wenn etwas nur leicht verstärkt wird, ändert sich beim Hören etwas fundamental. Ich habe bei meinem Komponieren oft sehr feine, leise Klänge, eine Möglichkeit wäre, man verstärkt das, man verfremdet es elektronisch. Mir ist es lieber, wenn auch in einem Saal mit 3000 Plätzen die Leute an solchen Stellen die Ohren spitzen müssen. Eine für mich ganz wichtige Komponente ist Konzentration. Diese ‚Smartphones’ setzen das, was an Aufmerksamkeitsspanne möglich ist, ganz weit nach unten. Ein diametrales Vis-à-vis zu dem, was ich mache. Ich meine nicht eine spirituelle Konzentration, die man in einem Kirchenraum haben kann.
Was die Technik und Elektronik betrifft, will Wolfgang Suppan vermeiden, einer „IRCAM-Techniknische“ zugeordnet zu werden. Er will nicht, dass Technik zu sehr im Vordergrund ist. Welche Klänge werden in dem neuen Ensemblestück vom Band zu hören sein? „Es werden Orgelpfeifenklänge sein, die eine Verräumlichung bewirken, es hat ein bisschen einen Kirchenraumeffekt, die Klänge können sich auch bewegen, aber sehr langsam“. Einen Titel hat er noch keinen gefunden, aber die Besetzung steht fest.
Suppans Impulsstücke: „Idyll“ und „Ulam“
Welche Ihrer Stücke erachten Sie als wichtig und gut gelungen? – Suppan antwortet, ohne gleich länger Vergangenes, wie die „Idyll“-Serie zu erwähnen, mit dem, was ihn derzeit am meisten beschäftigt. Begonnen werden soll hier trotzdem mit den „Idyll“-Stücken. Man denkt unwillkürlich an einen Kommentar einer Aufführung bei den Minoriten: „Wenn es etwas gibt, das die Ausgangspunkte (!) seiner Arbeiten zusammenfasst – zumindest seit er im Jahr 1998 das erste Werk der Reihe ‚Idyll’ nannte – dann könnte es der bewusste Versuch einer Voraussetzungslosigkeit sein, sich immer wieder freimachen von Verengungen: So sieht er seine Stücke als Wegmarkierungen, wobei hier keineswegs die Assoziation auf Geradlinigkeit oder eindeutige Teleologie gerichtet sei.“ „Idyll“ beschreibe „nicht die Vorstellung einer friedvollen Landschaft, sondern eine gewisse Form des Loslassens“.
In Donaueschingen, wo„Phase (Idyll IV)“ 2005 als Werk des Jahres bezeichnet wurde, schrieb Suppan selbst dazu einen Werkkommentar: „Der Begriff ‚Phase‘ verweist auf die physikalische Beschreibung von Wellenformen und deren Amplitude. Als Analogie dazu verwandte ich in diesem Stück eine begrenzte Anzahl von Klängen, die in unterschiedlichen Abständen – von simultan bis weit auseinander liegend – erklingen […] Sehr kurze Klangereignisse haben für mich eine besondere Eigenschaft, da hier erst mit Hilfe der Erinnerung der Klang in all seinen Facetten erfasst werden kann – sozusagen “rückwärts” gehört wird. Anders als bei langen statischen Klängen, bei denen unsere Wahrnehmung das Gegenwärtige allmählich “ausblendet”, wird bei sehr kurzen Klangeinheiten durch die Erinnerung Gegenwart suggeriert.
Die verwendete Elektronik – im Titel nicht extra erwähnt, da ich es mittlerweile als selbstverständlich erachte, die Elektronik als Teil des gängigen Instrumentariums zu sehen – wird auf zweierlei Weise in diesem Stück eingesetzt. Zum einen als Klangzuspielung: Leise Klangflächen bilden einen kontinuierlichen Hintergrund aus sich ständig überlappenden Sinusakkorden; des Weiteren in Form von zugespielten Samples, die die Charakteristika der Instrumentalklänge (Hüllkurve, Klangfarbe, Spektrum …) beeinflussen. So klingt zum Beispiel ein Streicherakkord, nahe dem Steg gestrichen – also mit wenig ausgeprägter Grundtonhöhe und großem Rauschanteil – plötzlich ungewohnt hart.
Die 1998 begonnene Werkreihe „Idyll“ ist eine fortlaufende Auseinandersetzung mit dem 1762 erschienenen Erziehungsroman „Emile“ des Schweizer Philosophen und Musikers Jean-Jacques Rousseau. Ursprünglich als Stoff für eine Oper gedacht, wurde dieses Buch für mich zu einem Impulsgeber für eine Reihe von Instrumentalstücken, die in der Besetzung von Solo-Schlagzeug bis zu großem Sinfonieorchester reichen.“
Heute dazu befragt, bemerkt Suppan im Gespräch im Prückel lapidar, das 1998 komponierte „Idyll 1“ für fünf Instrumente, das im Schönberg-Center eine Aufführung erfuhr, sei ein „Impulsstück“ für ihn gewesen. „Mit „Idyll 4“, dem Orchesterstück, das 2004 in Donaueschingen uraufgeführt wurde, war ich auf der wichtigsten internationalen Bühne. Aber da gab es eben mit 1 einen Anfang davon.“
„Mein meistgespieltes Stück ist zurzeit das nur kurze Bläserduo „Ulam“ von 2008 für zwei Bassklarinetten, das ich für das Duo Stump/Linshalm geschrieben habe. Das wurde jedenfalls ein thematischer Impulsgeber für mich und alles was weiter folgte, ist eine Fortsetzung von diesem Stück. Ich würde jetzt aber keine „Ulam“-Werkreihe machen wollen, obwohl es für die Wahrnehmung vielleicht besser wäre…“
Entstanden ist das Bläserduo in Berlin, wo Suppan Gast beim Berliner Künstlerprogramm war. „In dem Stück ist etwas drinnen, von dem ich dann gewusst habe, das es für mich in den nächsten zehn Jahren darum gehen wird, dem nachzuspüren, was da passiert. Das Stück hat zu tun mit dem polnischen Mathematiker und Physiker, der die ‚Ulam-Spirale’ der Primzahlen entwickelt hat: Der hat bei einem Vortrag, als Zuhörer aus Langeweile Zahlenreihen von innen in Spiralform auf ein Papier gekritzelt, die Primzahlen eingekreist und entdeckt, dass diese sich alle auf einer Diagonalen befinden. Er hat zwar dadurch das Problem nicht geknackt, wie die Primzahlen entstehen (das hat man bis heute nicht); aber ich finde, man steht da einem Phänomen gegenüber, wo man etwas erkennt, aber man kann’s nicht lösen. Das ist auch in der Musik so: Wenn man etwas von Bach hört und irgendetwas Großartiges spürt, lässt es sich doch nicht entkodifizieren und entschlüsseln.“
Information über musikalische Entwicklungen der Vergangenheit in die Zukunft
Für Wolfgang Suppan ist die Beschäftigung mit historischer Satztechnik im Unterricht genauso wichtig wie Elektronik-Techniken. Traditionelle Anknüpfungspunkte bei Komponisten, die er für Verschiedenes bewundert, gibt es durchaus. „Haydn, für seinen unglaublichen Esprit und seine klare Themenverarbeitung. Schubert, weil er eine so eigenständige Sprache gefunden hat, dass man ihn schon nach der ersten Akkordverbindung erkennt. Und Guillaume de Machaut, der in seinen extrem artifiziellen, strengen Konstruktionen eine wunderbare Rauheit entstehen lässt.“ So wird er in einem Artikel des Kulturzentrums bei den Minoriten in Graz anlässlich eines Konzertes mit Werken von ihm vor zehn Jahren zitiert.
Und weiter: „Ich nehme die Musik des 20. Jahrhunderts vor allem im Rahmen meiner
Unterrichtstätigkeit wahr, betrachte aber die geschaffenen kompositorischen Möglichkeiten nicht als Errungenschaft, auf deren Basis man selbstverständlich aufbauen kann. Ich glaube, man sollte sich sehr gut über die verschiedenen musikalischen Entwicklungen informieren, Werke analysieren, wann immer es geht, Stücke live in Konzerten hören. Bei der eigenen Arbeit aber suche ich einen Nullpunkt, einen Punkt, wo das Wissen um die Musik nicht zum Hilfsmittel wird, sondern mich antreibt, einen eigenen, persönlichen Ausdruck zu finden.“
Mit der Bearbeitung der Oper „Engel aus Feuer“ von Prokofjew bewies Wolfgang Suppan, dass er sehr gut für Ensemble instrumentieren kann und erzählt im Gespräch, wie er dabei vorging: „Man musste eben einfach Stimmen weglassen. Es gibt auch Aufnahmen der Oper aus 1923, die sehr schwülstig orchestriert wirken. Ich habe aber in dem üppigen Orchesterklang dieser Partitur irgendwie Ligeti oder Boulez durchschimmern gesehen. Was man erst später im 20. Jahrhundert in der Musik entwickelte, kann man hier hervorkommen lassen. Strahlenbewegungen oder Skalenbewegungen, die ich von Ligeti her kannte, habe ich nach vorne geholt. Wenn man etwas wegnimmt, muss man etwas dazugeben – das waren Methoden aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die ich verwendete. Dann bringt allein der solistische Ensembleklang eine andere Klanglichkeit hinein. Die Herausforderung war auch, es dann nicht reduziert klingen zu lassen, sondern eine gewisse Klangfülle aufrecht zu erhalten. Ich bin da sehr sensibel, was ‚Bearbeitung’ oder auch ‚Transkription’ betrifft, ich finde diese Ausdrücke auch besser als etwa ‚Arrangement’“.
Hat Wolfgang Suppan selbst Interesse daran, ein Musiktheater zu komponieren? „Musiktheater? Ideen gibt es immer wieder. In meiner Situation bin ich aufgrund des Unterrichtens unabhängig, nicht dass ich nicht gerne Aufträge annehme. Eine Oper steht und fällt mit dem Text, das muss man etwas finden. Darin sehe ich die große Schwierigkeit. Ein Text, der das, was mich bis jetzt musikalisch begleitet hat, auch aufgreift. Dafür gibt es ja große Beispiele: Schubert fällt mir da immer wieder ein. Der wollte ja immer Opernkomponist werden. Wenn man vergleicht, was der in Opern und was er in Liedern gemacht hat, fällt das Urteil möglicherweise ungerecht, aber gerechtfertigt aus.“
Es geht auch um Institutionen, größere Besetzungen. Noch einmal sprechen wir über Langform versus Kurzform anhand des 4-Minuten-Stücks für Violine und Klavier bei Wien Modern mit Ernst Kovavic und Mathilde Hoursiangu. „Ich habe daran einen Monat lang gearbeitet. Etwas in Verlauf und Phrasen auf drei bis vier Minuten zu verdichten, dafür müssen Energien aufgewendet werden. Kurze Stücke – lange Stücke. Ich tendiere jetzt eher zu Langfassungen.“
Heinz Rögl
Foto Wolfgang Suppan 1 © Peter Hallekalek
Foto Wolfgang Suppan 2 © Phace
http://www.wolfgangsuppan.com/