Porträt: Werner Pirchner

Er begann als Jazzmusiker, entdeckte die Welt des Komponierens erst spät für sich und in jedes nur ansatzweise universitär geprägte Komponisten-Bild will er schon gar nicht passen. Genau deshalb aber ist es ungemein reizvoll, sich mit dem großen Werner Pirchner zu beschäftigen.

Ein E für ein U?

„Bis zu meinem 42. Lebensjahr hätte ich aus Respekt vor den größten Meistern – Bach, Mozart, Schubert, Bruckner, Mahler, Schönberg, Webern etc.  – nicht gewagt, auch nur einen Ton für ein klassisches Konzert zu schreiben“ erzählte der Komponist Werner Pirchner zu Lebzeiten über sich. Dabei hatte dieser Mann zu diesem Zeitpunkt schon musikalische Lorbeeren geerntet, für die andere ihr letztes Hemd hergäben. Unter anderem hatte er gemeinsam mit Harry Pepl im legendären JazzZwio beim Jazzfest Montreux für internationale Begeisterungsstürme gesorgt.

Dass wir heute ergriffen den Harmoniefolgen der Sonate vom rauen Leben oder anderen legendär gewordenen Stücken Pirchners lauschen können, verdanken wir dem Geiger Peter Lefor, der Pirchner vor vollendete Tatsachen stellte, indem er ihm telefonisch mitteilte, er habe ein (noch nicht komponiertes) Stück für Solo-Violine von ihm für sein nächste Konzert aufs Programm gesetzt. Damit begann alles: Der gestandene Jazzer wurde zum Komponisten. Von einem Tag auf den anderen.

Das Tribute-Album

Auch dass der Saxophonist Hannes Sprenger und der Akkordeonist Siggi Haider heute gemeinsam auftreten, ist dem Zufall oder – wenn man so will – der Vorsehung zu verdanken: Ein geplantes Quartett kam nicht zustande, also mussten die beiden zu zweit auf die Bühne. Seitdem sind sie Akkosax. Nun sind Akkordeon und Saxophon eine eher ungewöhnliche musikalische Kombination. Wenn das Saxophon allerdings so gespielt wird, als wäre es bloß ein weiteres Akkordeon, das dem ersten hilft, ein düsteres Seemannslied zu intonieren, so ungewöhnlich dann auch wieder nicht. Und tatsächlich könnte man bei Akkosax´ Version von Werner Pirchners „Sonate vom rauhen Leben“ ein paar Takte lang der Täuschung erliegen, hier spännen zwei Akkordeons Seemannsgarn der schwer verdaulichen Sorte. Dann allerdings, nach nur wenigen Takten und dem ersten kurzen Innehalten wird deutlich: Es sind tatsächlich Akkordeon und Saxophon (kurz: Akkosax), die hier miteinander ringen und man fragt sich verwundert: „Was um alles in der Welt ist das? Ein komponiertes Stück oder ein Stück Volksmusik? Und woher kommt diese Musik?“ Denn mit Fortdauer des Spiels fühlt man sich mal ins gebirgige Österreich, dann wieder ins hügelige Irland entführt…

„World“ prangt dann auch als Genre-Bezeichnung auf der CD und wäre es nicht so abgedroschen, der Ausdruck „musikalische Reise“ träfe es wohl auch am besten, was Siggi Haider (Akk.) und Hannes Sprenger (Sax) auf ihrem Album „An Werner Pirchner“ veranstalten.  Einem Reisenden – und das war Komponist Werner Preisegott Pirchner in Sachen Musik wohl Zeit seines Lebens – nähert man sich am besten auf einer Reise. Das wussten auch Haider und Sprenger, die Pirchner beide zu Lebzeiten kannten und daher genau wissen, wie man ein Tribute-Album respektvoll und dabei doch innovativ anlegt.

Rauhes Leben erfordert rauen Klang
In Akkosax´Version der Sonate kann man in den leiseren Passagen der Sonate oft hören, wie der Bass des Akkordeons zu schnarchen beginnt: Kaputte Ventile des alten Akkordeons von Werner Pirchner, das sich Siggi Haider für die Aufnahmen lieh, sind dafür verantwortlich. Die Ventile wurden bewusst nicht repariert und entgegen dem Trend, im Studio alles wegzufiltern, was nur annähernd nach Nebengeräuschen klingt, wurde der Klang auch nachträglich so belassen.

An die erste Zusammenarbeit erinnert sich Siggi Haider noch genau: Pirchner hatte ihn 1982 als Akkordeonisten zu „Stigma“, einer Produktion der noch jungen Tiroler Volksschauspiele in der Inszenierung von Ruth Drexel und nach einem Stück von Felix Mitterer, geholt. Auch bei Mitterer, der Pirchner schon seit Ende der 60er Jahre kannte, als er in den Innsbrucker Kellern Vibraphon spielte und mit dem ihn später eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte, lebt die Erinnerung: „Da stand ein leeres Bett auf der Bühne, die Musik von Werner setzte ein, und die Zuschauer, Zuhörer brachen in Tränen aus, bevor ein Mensch auf der Bühne erschien, bevor ein Wort gefallen war.“ Aber auch die Tiefe Pirchners Musik konnte nicht verhindern, dass die Aufführung im Chaos versank. Zu gewagt war Mitterers Zugang zu einem religiösen Thema für viele Haller. Das Stück wurde mit einem Aufführungsverbot belegt und man musste nach Telfs ausweichen, wo wiederum Moralapostel Hummer und Konsorten ihre Zelte aufgeschlagen hatten. „Vor jeder Aufführung gingen Bombendrohungen ein. Wir haben jedes Mal gezittert, ob alles gut geht“, so Haider.

Viele von Pirchners Werken entstanden aus Bühnen- oder Filmmusiken, die er zu Stücken schrieb und dann weiter entwickelte. So war es bei „Stigma“, wo die Musik Grundlage für die spätere „Messe um C“ war und so war es auch beim rauhen Leben: Anfang der Achtziger Jahre holte Mitterer Pirchner nach „Stigma“
auch für den dritten Teil seiner Film-Trilogie zum Thema „Wien der Jahrhundertwende“. Nach Schiele und Altenberg sollte Teil Drei dem Arbeitermilieu gewidmet sein. Als Vorlage diente ein Roman von Alfons Petzold, einem Wiener Arbeiterdichter. Titel: „Das rauhe Leben.“ Pirchner erwies sich als musikalische Idealbesetzung.

Kaum ein anderes Stück könnte heute besser als pars pro toto fungieren, wenn es darum geht, die Geschichte dieses Komponisten zu erzählen, denn die „Ballade vom rauhen Leben“ ist ein Stück komponierte Volksmusik, das nicht nur zwischen E und U- Musik hin- und herpendelt, sondern diese Kategorien – die Pirchner Zeit seines Lebens ein Greuel waren – wie Hannes Sprenger erzählt – auf einer emotionale Achterbahnfahrt zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt vollends auflöst.


Gepfiffen auf E und U“

„Er hat gepfiffen auf E und U, hat den Jazz, die Volksmusik, die Klassik, die Moderne so unter einen Hut gebracht, aber auf ganz neue, unverwechselbare Weise, immer aber ohne akademische Hochnäsigkeit, denn sich erheben über die Menschen, das wollte Werner nie“ bringt es Felix Mitterer in seinem Nachruf auf den Punkt. „Musik für Hirn, Herz und Bauch hat er uns geschenkt, der Einzige unter den Modernen, der keine Schwellenangst hervorrief, wo kein Bruch da war, sondern einfach ein Fließen; {…} und der Mensch in Tirol, und der in Wien, und der in NewYork hört zu und denkt und fühlt und pfeift mit Werner auf E und U, denn es gibt nur eines: gute oder schlechte Musik.“

Aber auch wenn er auf manches gepfiffen haben mag, ein gnadenloser Perfektionist war er dennoch. Für „Kein Schöner Land“, ein Stück über einen Tiroler Juden, der verraten und verkauft wird, suchte er Jahre lang nach dem richtigen Geiger und erst, als er den richtigen gefunden hatte, schritt er zur Aufnahme. Siggi Haider wiederum erinnert sich daran, dass er für die Aufnahmen zum „EU“-Album teilweise 64 Takes von einer Nummer einspielen musste. „Wenn wir nicht gut genug waren, hat er uns wieder nach Hause zum Üben geschickt.“ Der Effekt war ein intensiverer Zugang zur Musik, als er ihn jemals für möglich gehalten hätte: „Durch ihn hab´ ich gelernt, so zu spielen, dass man wirklich eintaucht in die Musik.“

Diesem Perfektionismus zollen Akkosax durch den neuen Schluss zur „Sonate vom rauhen Leben“ Tribut, denn von diesem Teil existierten keine Noten. Pirchner wollte das Stück, das in D-Dur geschrieben ist, auf C zurückführen, die abschließende, emporsteigende und ineinander verschachtelte Akkordfolge hat er jedoch nie aufgeschrieben. Dennoch fand sie ihren Weg auf die CD  von Siggi Haider und Hannes Sprenger – ein langwieriger Prozess. Hört man diesen Schluss heute, ist kaum vorstellbar, dass ein so bodenständiger Typ wie Pirchner Musik komponieren konnte, die so weit über dem Boden schwebt.

Was für eine Verschwendung auch, dass ein Mensch mit einem derart ausgeprägten Gefühl für musikalische Dramatik in Österreich lebte. In Hollywood wäre er wohl zum gefeierten Film-Komponisten avanciert – ein Umstand, der manch einen verbittert hätte, nicht so Werner Pirchner. Ihm war es genug, Musik zu machen: Ob das nun Kennmelodien für den ORF, Jazz mit Harry Pepl oder komponierte „ernste“ Musik, waren, kümmerte ihn nicht weiter. Viel wichtiger wäre ihm wohl gewesen, Zeuge seiner Wirkung als Vermittler zwischen den Welten E und U zu werden. Für Siggi Haider etwa war die Begegnung mit Werner Pirchner entscheidend für seinen späteren Werdegang: „Er hat mich bestärkt, weg von der Tanzmusik zu gehen und mir neue Welten zu erschließen.“ Ein noch jüngeres Beispiel solcher Beeinflussung ist Martin Klein (Jahrgang 83), hochbegabter, in Wien lebender Songwriter und Pianist, der im Interview erzählt, er sei auf „Dur“ gestoßen und diese Einspielungen von Pirchner hätten ihn darin bekräftigt, neben seiner Pop-Karriere auch ausnotierte Musik zu komponieren. Jemandem, der so wie er mit Jazz und Pop aufwuchs, die Tür in eine andere Welt aufgehalten zu haben – das hätte Pirchner ohne Zweifel besser gefallen als ein voller, jubelnder Saal.

Aber auch den schafft Pirchner heute noch: Als man neulich im Wiener Porgy & Bess mit Akkosax auf der Bühne stand, erzählt Hannes Sprenger, und ankündigte, gleich ein Stück von Werner Pirchner spielen zu wollen, habe der Saal getobt. Ohne dass auch nur eine Note gespielt worden wäre. Im „fernen“ Wien, zehn Jahre nach seinem Tod. Am 13. Februar wäre Werner Pirchner 70 geworden. Ein ewig junger Musiker starb viel zu früh.

Markus Deisenberger

CD-Tipp:
Akkosax: An Werner Pirchner
„ … vom rauhen Leben“
col legno

Foto 1: Ernst A. Granditsch
Foto 2: Sepp Hofer