Porträt: Thomas Thurnher

Thomas Thurnher geht als Komponist seinen Weg konsequent und ohne sich drängen zu lassen. Innerhalb der Chorlandschaft hat er sich bereits einen guten Namen geschaffen, Kompositionsaufträge für „Styria Cantat“ und für den international renommierten Chorwettbewerb „Porcia“ in Spittal an der Drau  bezeugen das. Im ORF wurde kürzlich das Werk „Impossible Grace“ zur Uraufführung gebracht. Und ein vorläufiger Höhepunkt in der Komponistenlaufbahn von Thomas Thurnher war die Uraufführung des Klavierquintetts „Kinderwirklichkeiten“ mit dem deutschen Henschel Quartett im Rahmen der Abonnementreihe „DornbirnKlassik“.

Im Brotberuf ist der in Dornbirn lebende Komponist als Lehrer am Gymnasium tätig. Vor einigen Jahren hat er sein Kompositionsstudium bei Herbert Willi am Landeskonservatorium abgeschlossen. Selbstbewusst beschreibt Thomas Thurnher seinen kompositorischen Stil, der harmonisch an die Tradition anschließt und im Hinblick auf die Form dem jeweiligen Werk angepasst wird. „Bewusst habe ich meine Werke für Konsonanzen geöffnet, weil sie mir einen Weg in eine neue, mir eigene Musik weisen“, so der Komponist. „Manchmal wächst die Musik von selber und ich brauche sie nur hinzuschreiben, manchmal forme ich den Gedanken wie Wachs oder Ton oder ich schmiede ihn, wie der Schmied ein Eisen schmiedet.“

Als Komponist auch ein Dienstleister

Die musikhistorischen Kompositionstechniken kennt Thomas Thurnher genau. Mit großer Skepsis beurteilt er konstruktivistische Strömungen des 20. und 21. Jahrhunderts, in denen mehr die Struktur und weniger die Klangsinnlichkeit im Vordergrund steht. Gerne bezeichnet er sich als Dienstleister für die Musiker, die er vor allem zur Spielfreude animieren möchte. „Viele Komponisten verlangen den Interpreten sehr viel ab. Warum ist es nicht möglich, Musik zu schreiben, bei der man sich als Interpret nicht durch eine ganze Legende von Spielanweisungen durcharbeiten muss, sondern mit vertrauten Techniken arbeiten kann und bei denen der Komponist trotzdem auf Lösungen kommt, die doch anders sind?“, formuliert Thomas Thurnher eine für ihn bedeutende Frage und resümiert: „Ich versuche meine Gedanken so deutlich zu formulieren, dass sie für alle verständlich werden. In meiner Musik soll eine Zwiesprache entstehen zwischen dem Notentext und den Interpreten.“

Die Basislager sind errichtet

Wenn Thomas Thurnher sein Selbstverständnis als Komponist erklärt, reflektiert er zugleich seine Persönlichkeit. „Ich bin im Umgang mit anderen ein freundlicher Mensch, der das Gegenüber wahrnimmt und es einbeziehen möchte. Ich kann den Zuhörenden nichts ‚vorklotzen’, denn das würde mir nicht entsprechen.“
Im Gespräch über die Entwicklungsgeschichte der Kompositionslehre vergleicht Thomas Thurnher das späte 20. Jahrhundert mit dem „Sturm und Drang“ und erinnert an die Komponisten der Vorklassik, die wichtige Marken für die kommende Epoche setzten, sodass die Nachfolger im klassischen Zeitalter darauf aufbauen konnten. „Die Basislager für unsere Zeit haben Pioniere in den 1960er und 1970er Jahren geschaffen“, führt er den Gedanken weiter. „Das ist ein Segen für uns Nachkommende, denn wir können von diesen Errungenschaften aus weiter machen. Man muss sozusagen das Rad nicht nochmals neu erfinden und kann nun mit den neuen Standards spielen. Ein Problem ist eher die Flut an neuer Musik. Es gibt so viele begabte Komponisten, deshalb werde ich selbst immer bescheidener. Viele schreiben gute Musik.“

Kinderwirklichkeiten

Anfang Juni wird das Klavierquintett „Kinderwirklichkeiten“ erstmals aufgeführt. Darin bildete Thomas Thurnher die Sicht der Erwachsenen auf die Welt der Kinder ab. Musikalische Fundstücke, die von einem einfachen französischen Schlaflied ausgehen über Heavy Metal und einem musikalischen Gedanken von Wolfgang Muthspiel führen und bis hin zu bekannten Liedfragmenten aus berühmten Kinderfilmen reichen, sind musikalische Ausgangsmaterialien. Das Quintett steht in einem Nahverhältnis zu den „Kinderszenen“ von Robert Schumann, denn „sein ganz besonderes Einfühlungsvermögen ins Szenische, Gestische und Bildliche entspricht auch mir sehr. Unbewusst bin ich in eine Nähe Schumanns gerückt, weil mir sein Erzählton gefällt“, meint Thomas Thurnher. Collageartig hat er die musikalischen Fundstücke spielerisch in eine klassische Sonaten- bzw. Rondoform eingebaut, in einem „ironischen Spiel mit Versatzstücken“, wie er betont, denn das Ganze ist hintergründig immer wieder gebrochen.

Die eigene Persönlichkeit reflektieren

Die Intentionen, die den „Kinderwirklichkeiten“ zugrunde liegen, sprechen auch Thomas Thurnhers Selbstsicht an. „Wir sollten uns im Klaren sein, dass es neben der eigenen Wahrnehmung auch die des Gegenübers gibt. Diese kann man nur bis zu einem gewissen Teil erkennen. Je besser ich den anderen allerdings begreife, umso besser nehme ich mich selber wahr, das ist auch ein Empfinden innerhalb der Gesellschaft.“
Thomas Thurnher hat bisher vor allem mit Chorkompositionen auf sich aufmerksam gemacht. Wenn er sich nun der Kammermusik zuwendet, ist es ihm wichtig, sich voll und ganz auf die Eigenheiten der Instrumente einzulassen und den Kern sowie die Grundidee eines Ensembles zu erfassen. „Wenn ich das treffe und mit meinem Eigenen verbinden kann, dann entstehen Lösungen, die in sich stimmig sind“, ist er sich sicher.

Neue Werke

Kürzlich hat er einen „Flirt“ für das neu formierte Ensemble „quart.art“ komponiert und wendet sich nun einem Werk für Violine und Orgel zu, das im Auftrag der Geigerin Elke Traxler für die Wiener Schubertkirche entsteht.
Der steirische Landesjugendchor „CantAnima“ hat im Rahmen von Styria Cantat IV vor zwei Jahren unter der Leitung von Franz Herzog das Werk „Anblick“ erstmals aufgeführt und nun kam ein Folgeauftrag für Styria Cantat VI. „Es ist für mich eine ganz große Auszeichnung, dass ich noch einmal beauftragt worden bin“, freut sich Thomas Thurnher.

Unsere Welt künstlerisch abbilden

Auch in kulturpolitischer Hinsicht ist er ein hellhöriger Mensch, der Stellung bezieht, wenn er es für notwendig erachtet. Im Gespräch gibt er zu bedenken, dass ein Komponist um jede Aufführung kämpfen und betteln muss. Deswegen wünscht er sich von den kulturell Verantwortlichen, dass sie meinungsbildend wirken und das Neue als Qualität anerkennen, „weil es tatsächlich unsere jetzige Welt abbildet.“

Silvia Thurner

http://www.musikdokumentation-vorarlberg.at/ththmain.htm