Mit der Uraufführung der 2. Symphonie von Thomas Daniel Schlee am 15. Juni 2013 im Großen Wiener Musikvereinssaal setzt sich eine kleine Tradition fort, war doch auch schon der erste Gattungsbeitrag des Komponisten 2004 hier mit dem RSO Wien als Österreich-Premiere zu hören. Unschwer wird man eine gewisse „Logik“ hinter der Verbindung Schlee – Musikverein sehen, sind doch Institution und insbesondere Gebäude der Gesellschaft der Musikfreunde etwas schon der Wiege des Komponisten sehr Nahestehendes.
Die internationale Musikwelt im Vaterhaus
… Jahrzehntelang ging sein Vater im selben Gebäude in der Bösendorferstraße in den Büros der Wiener Universal Edition seinen Geschäften nach, reichliche Abfärbungen des gesamten Ambientes auf den Sohn waren daher ebenso unvermeidlich wie selbstverständlich. Mit Sicherheit war Alfred Schlee (1901–99) eine jener beiden Persönlichkeiten, welche die Verbindung von Leben und künstlerischem Schaffen von Thomas Daniel Schlee mehr geprägt haben, als alle anderen. Seit 1927 hatte Schlee Senior die Geschicke eines der international wichtigsten Verlagshäuser für neue Musik mitgestaltet und von 1945 bis 1985 als deren Leiter die Herausgabepolitik wesentlich beeinflusst. Dass er dabei mit vielen der großen Persönlichkeiten der neueren Musikgeschichte auf vertrautem Fuß stand, versteht sich. Sohn Thomas Daniel folgte zwar insofern seinen Spuren, als auch er u. a. ein musikwissenschaftliches Studium absolvierte, anders als der Vater verfolgte er aber von Anfang an konsequent den Weg eigener künstlerischer Verwirklichung – reproduzierend als Organist, schöpferisch als Komponist. Dazu kamen Tätigkeiten als Musikdramaturg und Lehrbeauftragter sowie in der Folge auch bisher drei gewichtige Intendantenfunktionen: Von 1990 bis 1998 war er Musikdirektor des Linzer Brucknerhauses und des Internationalen Brucknerfestes, von 1999 bis 2003 stellvertretender Intendant des Internationalen Beethovenfests Bonn und seit 2004 bekleidet er das Amt des Intendanten des Carinthischen Sommers. Wie er das dortige Festivalschiff in nunmehr rund einem Jahrzehnt auch durch bekanntermaßen politisch und wirtschaftlich turbulente Zeiten steuerte ohne sich selbstverleugnendem Opportunismus zu ergeben, ist vom Chronisten hervorzuheben – schließt es doch zugleich die Hoffnung ein, ihn auch in seiner Geburtsstadt in mittlerer oder näherer Zukunft an adäquater Stelle zu sehen.
Zu Schlees weiteren Funktionen gehört einem offenbar tiefen Anliegen folgend die Präsidiumsmitgliedschaft (1998–2001 Präsidentschaft) der Berliner Guardini-Stiftung, die sich im Geist der neuen Spiritualität des italienisch-deutschen Religionsphilosophen und Theologen Romano Guardini (1885–1968) der Verbindung von Kunst, Wissenschaft und Glauben widmet. Letzteres umreißt zugleich drei der essenziellen Stichworte für sein gesamtes Leben und seine Arbeit.
Handwerk an der Donau, Farben an der Seine
Doch nochmals zurück zu den Anfängen. Seine künstlerische Ausbildung erhielt Thomas Daniel Schlee bereits in der Schulzeit am traditionsreichen Wiener Gymnasium „Theresianum“ sowie in der Folge an der Wiener Musikhochschule bei Michael Radulescu (Orgel), Erich Romanovsky (Tonsatz) und Francis Burt (Komposition). Herausragend verlief für ihn das Jahr 1977/78, in dem er am Pariser Conservatoire National Supérieur de Musique Hörer des letzten Jahrgangs der Kompositionsklasse von Olivier Messiaen sein durfte. Olivier Messiaen: die andere prägende Persönlichkeit in Schlees Musikerleben. Auch nach seinen Studien blieb er dem großen Vorbild, dessen Klang- und Gedankenwelt sowie dem französischen Kulturkreis insgesamt eng verbunden, worauf nicht zuletzt auch die Titel mehrerer seiner Werke hindeuten.
Interpret und interpretiert
Als Organist bestritt Schlee zahlreiche Konzerte und Rundfunkaufnahmen in aller Welt, seine CD-Veröffentlichungen wurden mehrfach mit Preisen der Schallplattenkritik ausgezeichnet. Umso mehr ist sein vor einiger Zeit gefasster Entschluss zu bedauern, nicht mehr aktiv am Instrument in Erscheinung zu treten. Der in der Politik oft anzutreffende Rücktritt vom Rücktritt wäre in diesem Fall durchaus wünschenswert.
Zu den Interpreten seiner eigenen Musik zählen neben Organisten in aller Welt seien stellvertretend nur Bertrand de Billy, Placido Domingo, Wladimir Fedosejew, Heinz Karl Gruber, Alfred Eschwé, Zsolt Hamar, Okko Kamu, Leopold Hager, Dennis Russell Davies, Riccardo Chailly, Pinchas Steinberg, Sándor Végh, Ralf Weikert, Franz Welser-Möst, Lothar Zagrosek, Maurice André, Ursula Holliger, Heinrich Schiff, Wolfgang Schulz, Hansjörg Schellenberger, Michael Martin Kofler, Sharon Bezaly, die Solisten der Sächsischen Staatskapelle Dresden, das Auryn Quartett, das Wiener Streichquartett, die Camerata Academica Salzburg, das Klangforum Wien, der Wiener Concert-Verein, die Wiener Symphoniker, das Tonkünstlerorchester Niederösterreich, das RSO Wien, das Gewandhausorchester Leipzig, die Württembergische Philharmonie Reutlingen, die Staatsphilharmonie Stuttgart und die Philharmonie Kopenhagen genannt.
Kompositorisch verwurzelt in Spritualität und Glauben
Schlees Schaffen umfasst nahezu sämtliche Gattungen, wobei Schwerpunkte auf dem Orgelsektor und im Bereich spirituell bzw. sakral bezogener Kompositionen liegen; vielfach auch in Verknüpfung wie bei den Orgelkonzerten „Der Kreuzweg unseres Herrn und Heilandes“ op. 52, Horai op. 79 und „Rufe zu mir“ op. 80 oder in der Missa op. 61. Nur logische Konsequenz war es, dass auch das wichtigste Charakteristikum des Carinthischen Sommers mit einem Beitrag berücksichtigt wurde: 2007 setzte der Intendant seine Kirchenoper „ Ich, Hiob“ op. 68 nach einem Text von Christian Martin Fuchs zur Uraufführung an. Auf orchestralem Gebiet seien erwähnt „…und mit einer Stimme rufen“ op. 20, Ricercar op. 31, Aurora op. 32, Orchesterspiele op. 45, die angesprochene Symphonie Nr. 1 op. 51, das Konzert für Klavier und Orchester op. 70 sowie das 2009 in Stuttgart uraufgeführte Spes unica op. 72. Dem aufmerksamen Beobachter wird die Gleichnamigkeit mit dem zweiten Satz der nun uraufgeführten zweiten Symphonie auffallen, und tatsächlich basiert dieser auf dem früheren Stück, das ebenso wie das nunmehrige von Manfred Honeck aus der Taufe gehoben wurde.
Zu Hause angekommen
Auch wenn es eine ungewöhnliche und zufällige zeitliche Ballung sein mag, so dürfte man doch feststellen können, dass Thomas Daniel Schlee der einzige lebende österreichische Komponist ist, der innerhalb dieses Halbjahres gleich zwei große Orchesteraufführungen im Großen Wiener Musikvereinssaal – dem Ziel der Sehnsüchte vieler Komponisten – verzeichnen kann. Nach „Rufe zu mir“ op. 80 am 5. März erklingt mit der 2010–13 komponierten Symphonie Nr. 2 op. 81 ein Auftragswerk anlässlich des 200-jährigen Bestehens der Gesellschaft der Musikfreunde. Auch hier begnügt sich Schlee nicht mit dem Absoluten, zu dem der Gattungsname einlädt, sondern einmal mehr steht der Glaube und sein christliches Lebensbild, die Frage nach dem „Was bleibt – an Eigenem und überhaupt. Was muss relativiert werden.“ (Schlee) im Zentrum der Inspiration. Eine ausführliche Darstellung zu Entstehungsprozess und Werkaufbau geben Marie Luise Maintz und der Komponist in [t]akte 1/2013.
Christian Heindl
http://www.carinthischersommer.at/