Warum es bei MusikerInnen oftmals der Fall ist, dass Wahnsinn mit Genialität einhergeht, bleibt wohl für ewig eine Rätsel. Auch die österreichische Musikgeschichte lieferte einige Beispiele für KünstlerInnen, bei denen man eigentlich wirklich vorhersagen konnte, was sie als nächstes planen. Ein Künstler, der sich in die Reihe der glorreichen Exzentriker des Landes einreiht, ist der in Kärnten aufgewachsene und inzwischen wieder in seiner Geburtsstadt Wien lebende Musiker David Hebenstreit, besser bekannt als Sir Tralala. Anders als der Künstlername vielleicht vermuten lässt, bewegt sich Hebenstreit musikalisch gesehen nicht unbedingt in den positiven Gefilden des Lebens. Vielmehr setzt sich der vielseitige Künstler in seinen Texten mit großen Gefühlen wie Einsamkeit, Liebe und Paranoia auseinander. Und das auf eine solch eindringliche Art und Weise, wie es nur wenige zustandebringen.
David Hebenstreit ist ein Einzelkämpfer, wie er im Buche steht. Das Beherrschen seiner Instrumente, die Unvorhersehbarkeit seiner Kompositionen, Perfektionismus seiner Arbeit und die Verweigerung jeglichen Trends sind die Eckpfeiler, über die sich seine künstlerische Tätigkeit definiert. Daher tut man sich auch so schwer, den Wiener in eine bestimmte Kategorie einzuordnen. Eigentlich ist ein jeder Versuch, ihn einem einzelnen Genre zuzuschreiben, zum Scheitern verurteilt. Zu unterschiedlich ist die Herangehensweise des Künstlers bei jedem seiner einzelnen Songs. So hat Sir Tralala etwa auf seinem vor wenigen Monaten erschienenen Album “Escaping Dystopia” sogar die Klassik für sich entdeckt. Und das nicht nur als Beiwerk, sondern als bestimmenden Faktor in der Musik. Hebenstreit gilt als Paradebeispiel für einen durch und durch exzentrischen Individualisten, dessen Ziel, die Verwirklichung seiner musikalischen Vision, an oberster Stelle steht. Sein zum Teil anarchistischer Ansatz stammt aus einer Zeit, in der sich der Künstler unter prekären Verhältnissen mehr schlecht als recht durch das alltägliche Leben schlagen musste. Nun, diese Zeiten dürften vorüber sein, die Erfahrungen als brotloser Künstler aber dürften immer noch einen Einfluss auf das Schaffen von David Hebenstreit ausüben.
In Berührung mit Musik kommt David Hebenstreit schon in seinen frühen Jahren. Wie hierzulande eigentlich häufig der Fall erlernt er als Bub die Blockflöte, was ihm aber auf Dauer dann doch etwas zu wenig Herausforderung zu sein scheint. Auf jeden Fall sattelt er mit sieben Jahren auf die Violine um, womit er natürlich auch noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht hat. Wie es für pubertierende Jugendliche hierzulande üblich ist, eröffnet sich dem inzwischen zu einem Teenager herangereiften Hebenstreit die Welt der Rockmusik, die er in den folgenden Jahren auch in diversen Bands zelebriert. Bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich eine recht klassische Entwicklung.
Der vielleicht entscheidende und prägendste Schritt in der musikalischen Entwicklung des David Hebenstreit ist vermutlich der studienbedingte Umzug nach Wien. In der großen Stadt kommt der an seinen Geburtsort zurückgekehrte Musiker erstmals mit der Elektronikszene in Berührung, die letztlich auch Teil seiner künstlerischen Heimat wird. Er beginnt sich immer intensiver mit der elektronischen Musik auseinanderzusetzen, bis in ihm schließlich die Entscheidung reift, das Studium an der Sozialakademie an den Nagel zu hängen und sich ganz dem künstlerischen Schaffen zu widmen.
Anfangs noch im stillen Kämmerlein an seiner musikalischen Vision herumbastelnd macht Sir Tralala vor ungefähr fünf Jahren schließlich erstmals auf sich aufmerksam, als er Nick Caves Klassiker “The Mercy Seat” zur Brust nimmt, nach eigenen Vorstellungen überarbeitet und ihn damit in einen vollkommen neuen Kontext stellt. An der Stelle an der andere Musiker kläglich zu scheitern drohen, nämlich dem Charakter des Original so nahe wie möglich zu kommen, gerade dort entfaltet Sir Tralala sein ganzes musikalisches Potential. Wohl nur wenigen ist es bis zum heutigen Zeitpunkt gelungen, all die Tiefe und Verzweiflung des Songs mit einer solchen glaubhaften Eindringlichkeit zu transportieren, wie es Nick Cave einst getan hat.
2004 folgt schließlich das Debütalbum “Flying Objects, They Don`t Have A Brain”. Und was sich musikalisch bei seiner Coverversion bereits angedeutet hat, findet hier seine Vollendung. David Hebenstreit schert sich Recht wenig um Konventionen und Erwartungen. Die durchwegs am Computer entstandenen Songs durchziehen destruktiv lärmende Sounds über die der seine gebrechliche Stimme ertönen lässt. Ganz wird man das Gefühl nie los, dass hier ein Typ am Werken ist, der in regelmäßigen Abstand zwischen Genie und Wahnsinn, absoluter innerlicher Zurückgezogenheit und Größenwahn hin und her pendelt. Auf jeden Fall lässt sich der exzentrische Künstler in seinem Schaffen nicht beirren. Konsequent versucht Hebenstreit seinem selbst auferlegten Kunstanspruch in jedem einzelnen Ton gerecht zu werden. Daher sind von ihm auch keine Schnellschüsse zu erwarten. Vielmehr feilt der in jeder Hinsicht ausgewiesene Perfektionist so lange an einem Track herum, bis er selbst mit ihm zufrieden ist. Hebenstreit ist auch ein Künstler, der sich stets auf der Suche nach neuen Herausforderungen befindet. So startet er in den folgenden Jahren unter anderem ein Projekt mit den Avantgarde-Rockern Bulbul und heuert als Geiger bei der Neigungsgruppe Sex, Gewalt und gute Laune an. Zudem spielt Sir Tralala eigenen Angaben zufolge an die tausend Konzerte.
Das erklärt natürlich auch, warum die Veröffentlichung seines zweiten Albums so lange auf sich warten hat lassen. Aber wie sagt man so schön: “Gut Ding braucht Weile”. Und die Entscheidung, sich für “Escaping Dystopia” die nötige Zeit zu nehmen, hat sich, glaubt man den Worten der Kritiker, ausgezahlt. Auf dem 2009 erschienenen Album verarbeitet Hebenstreit die Flut an Ideen in deutlich herkömmlicheren Songwriting- und Kompositionsstrukturen, was natürlich nicht als Anbiederung an irgendwelche Strömungen zu verstehen ist, der Gesamtsound schallt nach wie vor sehr Roh aus den Boxen, nur eben in geordneteren Bahnen. Zwar stellen die elektronischen Elemente in seinen Kompositionen einen noch immer bestimmenden Faktor dar, doch treten diese im Vergleich zu seinen früheren Tracks ein wenig in den Hintergrund, um herkömmlichen Musikinstrumenten mehr Platz einzuräumen.
Mit “Escaping Dystopia” hat Sir Tralala einmal mehr alle überrascht. Was natürlich auch zur Folge hat, dass man über die zukünftige Richtung des Musikers nur Vermutungen anstellen kann, um dann herauszufinden, dass sich diese letztlich so und so nicht bewahrheiten. David Hebenstreit bleibt nach wie vor ein eher undurchschaubares Phänomen, dessen tiefer liegende Motive nach wie vor im Verborgenen bleiben. Aber gerade das macht ihn und seine Musik auch so interessant und unverzichtbar.
Michael Ternai
Fotos: David Murobi