Porträt Seda Röder: Statements für Klavier als Gesamtkunstwerk

„Black and White Statements“ auf dem Album der aus Istanbul stammenden Pianistin Seda Röder sind, wie sie von ihr genannt werden, „zwölf österreichische Gedanken über das Klavier“, Miniaturen österreichischer zeitgenössischer Komponistinnen und Komponisten, die jede für sich den Klavier-Klang neu erfinden und definieren.  In Wien spielt sie am 18. Mai beim „Closing Event“ von Classical:Next aus diesen Miniaturen, einen Tag zuvor wird sie am 17. Mai bei den „Aspekten“ in Salzburg ein Konzert unter dem Titel „Cross-Atlantic Soundscapes“ geben. Darüber und über kommende Pläne der türkischen Pianistin führte Heinz Rögl mit ihr ein Gespräch für ein Porträt.

Seda Röder hat sich in den letzten Jahren durch vielfältiges Engagement und ungewöhnliche Konzertprogramme einen Namen als eine der interessantesten Interpretinnen auch zeitgenössischer Musik gemacht. „Sie sind eine Meisterin der avantgardistischen Klavierkünste, Ihre Dialoge mit der Stille haben mich sehr gefesselt.“, hat Alfred Brendel sich einmal beeindruckt über Seda Röders Musizieren geäußert. Als Associate an der Harvard University (2007 bis 2011) erforschte die Musikerin das Wiener Musikleben des beginnenden 20. Jahrhunderts und die Musik von Alban Berg, Anton Webern und Arnold Schönberg. Darüber hinaus hat die Pianistin sich eingehend mit Alter Musik und Historischer Aufführungspraxis auseinander gesetzt. Mit „Blackbox“ veröffentlicht die Pianistin im Rahmen einer Serie seit 2009 Podcasts zu Themen der Neuen Musik. In ihrem Album „Listening to Istanbul“ (2010) stellte  Röder ein breites Spektrum weitgehend unbekannter zeitgenössischer Musik aus der Türkei vor. Für ihr künstlerisches Schaffen wurde die Pianistin vielfach ausgezeichnet, sie erhielt Leistungs- und Förderstipendien des Österreichischen Bildungsministeriums, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, der Hochschule Mozarteum sowie des Richard-Wagner-Verbandes München.

Die „Statements“, in der Mehrheit für Seda Röder geschriebene Werke meist von 5 bis 7 Minuten Spieldauer, zeichnen sich auch durch vielfältige Präparationen des Instruments, experimentelle Spieltechniken und andere Effekte aus. Beginnend mit Karlheinz Essl’s „Take the C Train“ enthält das Album etwa Stücke von Rupert Huber  („Teardrops II a“), „Drei nihilistische Etüden über eine Liebe der Musikindustrie“ von  Matthias Kranebitter oder „Liszten to… Totentanz“ von Johanna Doderer. Weitere Miniaturen stammen von Alexandra Karastoyanova-Hermentin, Katharina Klement, Bruno Strobl, Bernd Richard Deutsch, Manuela Kerer, Klaus Ager, Herbert Grassl und Bernhard Gál.

Beim Anhören der empfehlenswerten CD fällt die Dramaturgie der guten Zusammenstellung des Verlaufs in ansprechender Kontrastierung auf, generell auch die stilistische Vielfalt, die dennoch den Eindruck eines Ganzen, eines „Gesamtkunstwerkes“, hinterlässt. Die Eingangsfrage im Gespräch mit ihr  lag daher auf der Hand.

Wie ist ihr Zugang zum Publikum, wen wollen Sie mit „Black and White Statements (The Austrian Sound of Piano Today)“ erreichen?

Seda Röder: Als ich die CD zusammenstellte, war es mir sehr wichtig, damit nicht nur ein Fachpublikum anzusprechen, sondern dass auch ganz „normale“ Menschen, die mit offenen Ohren durch das Leben gehen, neue Impulse durch diese Musik zu hören bekommen.

Wie sind Sie an die Komponistinnen und Komponisten herangekommen? Vieles wurde ja extra für diese CD komponiert.

Seda Röder: Das war wirklich mein Glück. Ich habe ja am Mozarteum in Salzburg studiert, schon aus dieser Zeit waren mir einige Namen ein Begriff. Als ich die Idee hatte, die Frage zu untersuchen, was denn eigentlich in der Klaviermusik der letzten zehn Jahre aus Österreich kommt, sozusagen was Musik nach dem ‚zweiten Millennium“ ist, habe ich angefangen, zu recherchieren. Ich war in ganz vielen Konzerten mit Neuer Musik und habe die Namen zusammengestellt, deren Musik mich besonders  angesprochen hat. Ich habe versucht eher mit den Ohren und Emotionen zu entscheiden, als mit dem Kopf. Also bin ich ins Konzert gegangen, habe manchmal gar nicht ins Programm geschaut, wessen Musik gespielt wurde, sondern habe mich einfach auf die Musik eingelassen.  Die Sachen, die mich direkt gepackt haben, die ‚Liebe auf den ersten Blick’ sozusagen führte mich dazu, zu schauen, was diese Komponisten eigentlich für Klavier komponiert haben. Als ich die Komponisten ansprach, waren alle sehr nett und kooperativ. Die meisten haben gesagt, was machen wir, wenn das jetzt „Statements“ werden sollen. Der Ausgangspunkt war ja gewagt, es ging um die schwarzen und weißen Tasten der Tastatur (eben „black and white“), aber auch um die Frage, wie die Komponisten in den letzten Jahren das Klavier für sich definiert haben. Viele haben dann gesagt, dass sie etwas neu schreiben möchten, etwa, weil sie schon länger nichts mehr für das Klavier geschrieben hatten und meinten, wenn das etwas Gewagtes ist, dass noch dazu kurz sein soll, würden sie etwas Neues machen. So sind einige Stücke neu entstanden, einige wurden noch mal bearbeitet.

Es ging Ihnen in erster Linie darum, was man heute mit dem Klang des Klaviers machen kann?

Seda Röder:
Ja. Es ging um den Klang, aber auch um den Gesamteindruck Wenn man die CD von Anfang bis Ende hört, wirkt das wie ein Werk im Werk, es sind kleine Werke, die ein Ganzes ergeben.

Sie haben alles sehr zwingend in einer Reihenfolge zusammengestellt. Es beginnt mit „Take the C Train“ mit einem lapidar angeschlagenen Ton. Es gibt aber auch etwa Johanna Doderer, die sich mit Liszt auseinandersetzte („Liszten to … Totentanz“), es gibt „Verschwindende Schatten“ von Klaus Ager, ein „Intermezzo Sehnsucht“ von Herbert Grassl, aber auch extremere  Statements, so verlangt Katharina Klement ein Spiel „tatsächlich ohne Ausdruck“….

Seda Röder: Es ging auch darum, über die Möglichkeiten des Klaviers hinauszugehen. Es gab in unserem Zeitalter ja sogar das Phänomen, dass Klaviere in Aktionen verbrannt wurden, das hat eine neuseeländische  Komponistin bereits in den sechziger, siebziger Jahren in England gemacht: Man kann nichts extrem Originelles mehr erfinden, das nicht schon einmal dagewesen ist. Jeder Quadratzentimeter eines Klavieres wurde schon benutzt, um damit zu musizieren. So richtig radikal kann man nicht mehr sein.

Es gibt etwa Spezialistinnen, die mit dem Innraum eines Klaviers spielen, oder „JuJu“ Judith Unterpertinger, die spielte kürzlich im Echoraum auf einem herausmontierten Saitenrahmen mit Schlägeln, Sticks  und anderen Gegenständen.        

Seda Röder:
Für mich bestand die Radikalität der CD darin, die enorme Vielfalt aus österreichischer Klaviermusik der letzten zehn Jahre vorzustellen. Es gab Leute, die Kontroversen hervorgerufen haben, durchaus auch Johanna Doder, aber auch so jemand wie Rupert Huber, die nicht so etwas wie ‚Schulkomponisten“ sind. Es sind eben in der CD viele Neue-Musik-Richtungen hier im Lande  vertreten. Mir war ganz wichtig, dass das eine oder andere nicht als schlecht oder besser dargestellt wird, sondern man das Gefühl von Vielfalt bekommt.

Die CD wurde vom Label „Gramola“ produziert?


Seda Röder:
Gramola hat ein gutes  Netzwerk, mitfinanziert wurde die CD hauptsächlich über den Österreichischen Musikfonds und SKE. Assistiert wurde ich dabei von Frank Stahmer.

Für Frank Stahmer spielen Sie ja auch beim Schlussevent von Classical: Next?

Seda Röder: Ja. Glücklicherweise übernimmt Herr Stahmer für mich einige Aufgaben des Managements. Das Programm ist noch nicht ganz fix, es wird „Statements“ geben,  aber vielleicht auch einen Ausblick auf ein Projekt, das 2015 herauskommen wird.

Sie sind in Istanbul geboren, schon mit dreizehn Jahren erstmals öffentlich als Klavierspielerin aufgetreten. Wie kam’s dazu?

Seda Röder: Ich habe relativ spät angefangen, bin erst mit neuen Jahren zum Klavierstudium gekommen und spielte mit 13 schon mit einem Orchester Mozart (K 488), also der Anfang ging relativ schnell. Ich zählte halt in dieser Zeit zu den „hochbegabten“ Schülern, das war aber eher ein striktes klassisches Studium. Zirka mit zwanzig Jahren kam ich dann nach Österreich, um am Mozarteum weiter zu studieren. Mein gesamtes Studium war immer mit Stipendien finanziert,  weil das für meine Familie sonst nicht möglich gewesen wäre. Meine Mutter war allein und hatte nur die Möglichkeit uns durch den Alltag zu bringen, sonst war nichts drin. So musste ich mich um Stipendien kümmern, und glücklicherweise hat das sehr gut geklappt. Es waren die Österreicher, die mich nach Österreich geholt haben, das ging über das „St. Georg-Kolleg“, das ist das österreichische Gymnasium in Istanbul. Die hatten ein Stipendienprogramm für die Kunststudien, das Studium der ersten zwei Jahre kam aus diesem Fonds, dann erhielt ich das österreichische Staatsstipendium über den Akademischen Austauschdienst. . . .Nach Salzburg habe ich bei Gerhard Oppitz in München studiert und 2006, als meine Studienzeit schon zu Ende war, wurde ich an die Harvard University eingeladen.

Fand Ihr Interesse für die Musik des 20. Jahrhunderts nicht schon einen ersten Niederschlag in Ihrer ersten CD mit Mozart, Brahms und der Sonate von Alban Berg?

Seda Röder: Genau. Aber die ist ja eigentlich ein Klassiker.

Das ist fast schon „alte“ Musik.

Seda Röder: (Lacht). Schon im letzten Salzburger Studienjahr konnte ich mich mehr umschauen. Ich habe auch „Alte Musik“ auf dem Hammerklavier gespielt und habe dafür bei einem Schüler von Nikolaus Harnoncourt studiert, bei Wolfgang Brunner, dem Gründer der „Salzburger Hofmusik“. 2004/05 hatte ich eine Begegnung mit der Musik von George Crumb, der selber in Salzburg war. Ich hörte das Stadler Quartett „Black Angels“ von ihm spielen. Das hat mich von den Socken gehauen, ich hielt das für wirklich erstaunliche Musik. Wichtig war für mich auch das Mentoring von Gerhard Oppitz, dem ja nicht nur Brahms, sondern auch Neue Musik sehr geläufig war.

(Von 2006 bis 2012 war Seda Röder vor allem in Amerika (Harvard, Boston) und ist erst seit zwei Jahren wieder „im Lande“,  hauptsächlich in Salzburg. Seda Röder ist weiterhin Türkin.)

Sie haben sich sehr um die türkische Musik verdient gemacht, auch um die Szene türkischer Komponistinnen wie Zeynep Gedizlioğlu. Und um die Istanbuler Szene mit einer eigenen Website www.newmusicistanbul.com?

Seda Röder: Das begann im Jahr 2010, als Istanbul „Kulturhauptstadt“ war. In dem Jahr habe ich mit einer Zusammenstellung von für mich interessanten türkischen Komponisten angefangen. 2011 kam meine CD  „Listening to Istanbul“ mit sechs türkischen Komponisten heraus. Als wir von einer türkischen Immobilien-Bank Geld bekamen, habe ich mich weiter an die Arbeit gemacht und eine ganze Webseite gestaltet, es kamen weitere Komponisten hinzu. Es hat sich ausgeweitet und die Seite wurde zur ersten Anlaufstelle, wenn man aus dem Ausland die türkische Musikszene ein bisschen mitbekommen will. Auf der Website sind auch Konzertankündigungen, Komponistenbiographien, Referenzen zu persönlichen Webseiten, Musikbeispiele, Videos und alles mögliche andere zu finden.

Sie organisieren das alles selbst?

Seda Röder: Ja. Ich konzipiere alles selber und dazu habe ich ein kleines Team von Leuten, die mich bei bestimmten Fragen unterstützen.

Bei den Aspekten in Salzburg wird es am 17. Mai ein Konzert geben, wo Sie Komponistinnen aus Österreich spielen werden, die bei „Black and White Statements“ vorkommen, neben Johanna Doderer, Katharina Klement, Alexandra Karastoyanova-Hermentin auch Manuela Kerer … „Ein Programm der umgekehrten Quote“ nennen es die „Aspekte“ in der Ankündigung: 5 Komponistinnen aus Europa und USA treffen auf Österreichs Jungstar Jakob Gruchmann und auf einen Klassiker der Moderne aus Amerika, Henry Cowell. „Cross-Atlantic Soundscapes“, das Motto des Konzerts, könnte als Motto der gesamten Aspekte 2014 dienen.

Seda Röder: Jakob Gruchmann ist ein sehr guter junger Komponist, der bei Gerd Kühr in Graz studiert. Die Uraufführung Unsichtbare Städte, die sich auf imaginäre Städte bezieht, ist für Flöte und Klavier. Auch Amy Williams („First Lines“ für Flöte und Klavier) und Henry Cowell (Hommage to Iran für Violine und Klavier) beziehen sich sehnsüchtig auf fremde Landschaften … auf italienische Dörfer bzw. Henry Cowell auf Iran.
17. Mai Salzburg Aspekte:
Seda Röder, Klavier | Irmgard Messin, Flöte | Chiara Sannicandro, Violine

Johanna Doderer, Liszten to … Totentanz
Katharina Klement, tatsächlich ohne Ausdruck
Alexandra Karastoyanova-Hermentin, Lintarys
Manuela Kerer, Dla Rajun
Amy Williams, First Lines für Flöte und Klavier
Jakob Gruchmann, “Unsichtbare Städte” (UA) für Flöte und Klavier
Henry Cowell, Hommage to Iran für Violine und Klavier

 

Fotos Seda Röder: www.sedaroeder.com

http://www.sedaroeder.com
http://www.aspekte-salzburg.at
http://www.classicalnext.com