Porträt: Karl Ratzer

Viele Mythen und Gerüchte ranken sich um den sowohl bei MusikerInnen als auch bei seinen Fans verehrten Kultgitarristen aus Brigittenau. Auf gleicher Stufe mit Ausnahmekünstlern wie Joe Zawinul, Hans Koller oder Fritz Pauer, gehört Karl Ratzer zu den bekanntesten österreichischen Jazzmusikern, die sich auch in den USA durchsetzen konnten. Nicht umsonst ist Ratzer der einzige österreichische Musiker, der mehr als zweimal im Jahr unter seinem eigenen Namen im Porgy & Bess auftreten „darf“. Markenzeichen Karl Ratzer’s ist sein ungemein stilsicheres und authentisches Gitarrespiel und sein eindrucksvolles Erscheinungsbild mit dem er sein Publikum in seinen Bann zieht. Bill Milkowski, ein viel geachteter amerikanischer Musikjournalist, Jazz-Autor, Produzent und Gitarrist nennt Ratzer im gleichen Atemzug mit Gitarrenlegenden wie John Scofield,  Danny Gatton, Roy Buchanan, Lowell George, Larry Carlton, Robben Ford, Sonny Landreth oder Amos Garrett. Zu Ratzer’s Spielweise meinte er einst: „[Karl Ratzer is] possessing a rich, creamy tone, a daring improvisational streak, a vibrato technique to die for and a penchant for real-deal blues, funk and soul, Ratzer rates as an authentic guitar hero on par with the best plectorists, six-stringers and chicken-pickers on this side of the pond.”

Karl Ratzer wurde 1950 als Sohn des Künstlers und Holocaust-Überlebenden Karl Stojka in Wien geboren.  Die Großfamilie Stojka, zu der u.a. auch seine Tante Ceija, sein Onkel Mongo oder sein Cousin Harri Stojka zählen, gehört der Lovara-Untergruppe der Roma an, die seit dem 19. Jahrhundert meist als Pferdehändler in Österreich lebten. Die Umstände der unmittelbaren Nachkriegszeit in die Karl Ratzer hineingeboren wurde, machten es nicht leicht, sich mit einem Instrument auseinanderzusetzen, da es entsprechende schulische Unterstützung schlicht und einfach nicht gab. Davon ließ sich der junge Ratzer aber nicht abschrecken und begann auf autodidaktischem Wege – seinen damaligen Idolen Ted Herold und Elvis Presley nacheifernd – sich selbst die Gitarre beizubringen. Erst später bekam er von seinen Freunden wie etwa Hans Salomon oder Richard Schönherz Unterstützung in Sachen Harmonielehre oder Musiktheorie. Karl Ratzer sagte einst dazu: „Vorher hab‘ i gspielt und net gwußt wie!“.

Seine musikalische Karriere begann dann im Alter von 14 Jahren als Mitglied der „Vienna Beatles“, die damals zu einer der besten Livebands in Wien gehörten. Bereits ein Jahr darauf tourte er mit der R&B Band „The Slaves“ durch Deutschland und die Schweiz. Nach zwei weiteren Bands, der „Charles Ryders Corporation“ und „C-Department“ kam Ratzer 1971 schlussendlich zu „Gypsy Love“, wo er in der Wiener Szene rasch große Bekanntheit erlangte. “Jeder Taxler hat damals meinen Namen gekannt”, sagte Karl Ratzer über diese Zeit einmal in einem Interview. Daneben verfasste er mit Peter Wolf das Musical Gorilla Gorilla. 1972 wechselte Ratzer dann das letzte Mal zur Band „Schönherz, Ratzer, Dogette, Rigoni“ bevor er zumindest für eine Zeit lang Österreich den Rücken kehrte, um nach neuen Inspirationen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu suchen.

1972, einer Einladung nach New York City folgend, spielte Karl Ratzer bei der R&B, Soul und Funkband „High Voltage“ vor und wurde sofort engagiert. Bei der Band handelte es sich um keine geringere als um die später unter dem Namen „Rufus & Chaka Khan“ (u.a. Tell Me Something Good) bekannte Formation. Zwischenzeitlich lebte Ratzer in Atlanta, Georgia, kehrte aber 1977 zurück zum Big Apple wo er eine Band mit Jeremy Steig, Dan Wall, Eddie Gomez, Joe Chambers und Ray Mantilla gründete. Dies war auch die Band mit der er 1978 seine erste CD „In Search Of The Ghost“ veröffentlichte. Daneben spielte Ratzer auch mit Jazzgrößen wie Bob Mintzer, Tom Harrell, Bob Berg, Joe Farrell,  Steve Grossman oder Chet Baker. Mit Letzterem war Ratzer 1980 auf einer Europatournee wobei auch zwei Konzerte in Wien und zwar in der damaligen Jazzspelunke gespielt wurden. Das in ihm aufkeimende Heimatgefühl verleitete Ratzer schlussendlich dazu, nach Beendigung der Tournee durch Italien, Frankreich und die Schweiz wieder nach Wien zurückzukehren. Man kann davon mit Sicherheit ausgehen, dass die knapp acht Jahre in den USA zu Karl Ratzers prägendsten Phase gehören. Während dieser Zeit konnte er sich intensiv mit den unterschiedlichsten Musikstilen wie Soul, Funk, Jazz, Rock und insbesondere dem Blues auseinandersetzen und wie kaum ein anderer verinnerlichen.

Zurück in Wien avancierte Karl Ratzer zu einem gefragten Sideman vieler internationaler Jazzstars  wie Art Farmer, Clark Terry, Lee Konitz, Chaka Khan, Eddie Lockjaw Davis oder James Moody. Er wurde Mitglied der ORF-Bigband und leitete verschiedene hochkarätige österreichische Formationen wie u.a. „Guitar Special“ oder „Beat the Heat“. Aktuell konzentriert sich Ratzer auf wenige ausgesuchte Projekte wie das „Karl Ratzer Septett“ mit Heinz Czadek (Posaune), Peter Tuscher (Trompete), Raimund Aichinger (Saxophon), Larry Porter (Klavier), Christoph Petschina (Bass) und Joris Dudli (Schlagzeug), „Ratzer, Tuscher, Porter, Kurz, Oppenrieder“ sowie das Trio seines Wegbegleiters und hochgeschätzten Kollegen Fritz Pauer. Diesen musikalischen Lebensabschnitt betitelte Ratzer mit folgenden Worten: “Ich spiele nicht mehr Gitarre, sondern ich mache Musik.”

Ein besonderes Anliegen für Ratzer ist auch die Vermittlung seines schier unerschöpflichen musikalischen Wissens an jüngere Gitarristen-Generationen. So war er 1999 bis 2003 Gastprofessor an der Musikuniversität Graz und seit 2004 Dozent am Vienna Music Institute und Vienna Konservatorium. Ratzer entwickelte außerdem eine eigene praxisbezogene Unterrichtsmethode für Gitarristen verschiedener Reifestufen die er in regelmäßigen Workshops sowie bei Einzel- und Privatunterrichtsessions anwendet.

Wie kein anderer österreichischer Musiker beherrscht es Karl Ratzer immer wieder neue Ausdruckmöglichkeiten zu finden, ohne dabei aber die Essenz des Genres zu verlieren. In seiner langen und teils sehr holprigen Karriere, veröffentliche Ratzer bis dato an die 20 CDs auf denen er eindrucksvoll sein Können sowie seine stilistische Bandbreite sowohl auf der Gitarre als auch gesanglich unter beweist stellt. Um jedoch Karl Ratzer’s musikalisches Genie als Ganzes fassen zu können, muss man zu einem seiner umjubelten Konzerte u.a. im Porgy & Bess kommen und mit ihm auf die Reise in die unergründlichen Tiefen des Soul, Jazz und Blues gehen. Für sein musikalisches Werk wurde Karl Ratzer am 23.1.2002 mit der Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien geehrt.
Georg Demcisin

http://www.karlratzer.com/