Porträt: Josef Novotny – Ein neuer Musikertypus

Was einer allein alles sein kann: Komponist, Sound-Designer, Elektroniker, Keyboarder, Pianist, Organist – Josef Novotny (Jg. 1963) gilt in allen diesen Disziplinen als eine der herausragenden Musikerpersönlichkeiten, und das nicht nur seit ein paar Tagen.

Es hat fast Anklänge an ein Wunderkind, wenn er jetzt, also unweit vor dem Erreichen seines 50. Lebensjahrs, von seiner ersten Erfahrung an der Orgel erzählt: “In meinem Heimatort (Meggenhofen/Oö., Anm.d.Red.) wurde ein Nachfolger für den Organisten gesucht, der die Messen spielt. Der alte Organist war fast taub. Ich war elf oder zwölf Jahre alt und hatte ein oder zwei Jahre Klavierunterricht, konnte also noch nicht viel. Der Organist schrieb mir ein paar und dann immer mehr Kirchenlieder um, damit ich sie mit meinen sehr bescheidenen Kenntnissen spielen konnte, vor allem aber auch, dass das ohne Pedal ging, weil meine Beine zu kurz waren (ich war als Kind sehr klein). Der technische Zustand der Orgel war sehr schlecht, es blieben häufig Tasten hängen. Oft stand ich neben dem Organisten, um einerseits zuzuschauen und zuzuhören, andererseits – was auch ziemlich wichtig war – um die hängengebliebenen Tasten wieder herauszuziehen, weil er es nicht hören konnte. Und ab und zu durfte ich dann selber das eine oder andere Lied spielen. Mein Repertoire wurde größer und irgendwann vertraute er mir eine ganze Messe an. Was mir auch sehr gefiel, war, dass man in der Liturgie auch improvisieren muss – Vorspiele zu den Liedern, während der Kommunion oder das Postludium am Ende der Messe. Weil improvisieren war mir viel lieber als zu üben. Damals dachte ich noch, das Improvisieren müsse man nicht üben.“

Offenbar angespornt von dieser prägenden Erfahrung, studiert Novotny an der Wiener Musikhochschule Orgel (bei Peter Planyavsky) und Komposition (bei Erich Urbanner). Novotny: „Mein Orgelstudium hat es mit sich gebracht, mich für Komposition und Improvisation gleichermaßen zu interessieren.“  Und das mit dem Übenmüssen fürs Improvisieren weiß Josef Novotny inzwischen besser als vor bald 40 Jahren, spätestens seit er mit dem damals von Adelhard Roidinger neu gegründeten Jazzinstitut am Linzer Brucknerkonservatorium in Berührung kam. Seither bewegt sich Josef Novotny souverän zwischen den Bereichen Neuer Musik und Jazz, zwischen komponierter und improvisierter Musik, zweiteres von Beginn an bis in die Gegenwart mit dem ebenfalls aus Oberösterreich stammenden Saxofonisten Max Nagl. Etliche gemeinsame Ensembles und Platteneinspielungen dokumentieren diese Musikerfreundschaft eindringlich.

Aus der Unmenge an weiteren Kooperationen Josef Novotnys seien an dieser Stelle einige – in chronologischer Reihenfolge – namhaft gemacht: Burkhard Stangl, Hans W. Koch, Katharina Klement, Hannes Löschel. Auf Löschels Loewenhertz-Label erschien auch zuletzt als CD+DVD-Box, in schöner Eintracht von Musik und Film, die Novotny-Personale „Travel Alert“.

Darüber hinaus macht Josef Novotny gemeinsame Sache mit Franz Hautzinger, Radu Malfatti, Tanja Feichtmair, Elisabeth Harnik, aber auch mit dem Kollgeium Kalksburg, mit Chris Abrahams, Thomas Lehn, Lol Coxhill, John Russell und Julie Tippets, um nur einige wenige zu nennen. Bands mit seiner Mitwirkung heißen zum Beispiel soundog oder antasten oder LULL – und mit dem Literaten Thomas Klinger entsteht das Hör.Spiel „austernbucht und filibuster“.
 
Auftritte bei so gut wie allen wesentlichen Festivals sowohl der improvisierten als auch der sogenannten Neuen Musik machen eine Aufzählung überflüssig. Kein Wunder, dass die Arbeit von Josef Novotny mehrfach mit Auszeichnungen bedacht wurde, in der jüngeren Vergangenheit etwa mit einer „honorary mention“ beim Prix Ars Electronica und dem Wettbewerbsgewinn bei „TonBild 2011“ für audiovisuelle Arbeiten durch die mica – music austria.

Auch auf die abschließende Frage, wie er eigentlich zur Elektronik kam, weiß Josef Novotny originell zu antworten, und zwar indem er aus dem Vorwort zu seiner Diplomarbeit zitiert: „Das oftmalige Nichtvorhandensein „meines“ Instrumentariums – Klavier, geschweige denn der Orgel – in den verschiedensten Improvisationsensembles führte mich zur Lösung dieses Problems an die Elektronik heran. Der erste Schritt war die Anschaffung eines Synthesizers, mit dem die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der elektronischen Klangerzeugung begann. Neben der offenen Architektur des (Korg MS-20) Synthesizers, der einen unmittelbaren Zugriff auf sämtliche Klangparameter zulässt, bestand die Faszination auch darin, einen stehenden Klang erzeugen zu können, wie dies Blasinstrumente tun. Unter diesem Aspekt war für mich eine gewisse Verwandtschaft zur Orgel offensichtlich. Anders als beim Klavier, das als einzige Entscheidungsmöglichkeit nach Anschlagen der Taste die Option freihält, wie lange der Ton verklingen soll, bietet unter den traditionellen Tasteninstrumenten nur das Clavichord die Möglichkeit, den Ausklang (minimal) in der Tonhöhe zu verändern. Insofern war der Synthesizer eine Offenbarung und eine Herausforderung in der scheinbar unbegrenzten Klangmodulierbarkeit. Der spontane und direkte Eingriff in klangformende Parameter, der mir nach wie vor wichtig ist, begünstigte auch den Einsatz elektronischen Instrumentariums in improvisatorischen Umgebungen. Als weitere und fast zwingende Konsequenz ergab sich daraus, das improvisierte und auf Datenträger gespeicherte Material dann kompositorisch zu verarbeiten. Genau dieses Spannungsfeld zwischen Improvisation und Komposition, das mich seit Jahren beschäftigt und in engem Zusammenhang mit der Orgel steht, zu untersuchen und damit auch einem „neuen“ Musikertypus die Reverenz zu erweisen, ist Anliegen dieser meiner Untersuchung.“

Und in absehbarer Zunkunft darf man auf Josef Novotnys Untersuchung des Verhältnisses des Klavierspiels mit Gesang gespannt sein …

Andreas Fellinger

Foto Josef Novotny 1 © Ulrike Johannsen
Foto Josef Novotny 2 © Johannes Novohradsky

 

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