Porträt: Helmut Jasbar

Bei der Expo 2010 in Shanghai spielt Helmut Jasbar in Trio-Besetzung: Seine Gitarre verbindet sich mit Akkordeon und Kontrabass. Im mica-Portrait spricht er über kulturellen Kahlschlag, den Phantomschmerz Wiener Musik und provinziellen Größenwahn. Ein Porträt von Markus Deisenberger.

Der Begriff der „imaginären Folklore“ wurde Ende der 80er-Jahre geschaffen, um die Suche des Jazz nach neuen Strukturen und Harmonien, die vertraut klingen und entfernt an Volkslieder und alte Tänze erinnern, zu umschreiben, und wurde, wenn man so will, zu einem Vorläufer der heute begrifflich omnipräsenten „Weltmusik“. Man macht also Folk, hat aber keinen bestimmten traditionellen Hintergrund. Oder anders gesagt: Man muss nicht unbedingt Spanier sein, um Flamenco spielen zu können.

Den Gitarristen Helmut Jasbar sprach dieses Konzept sofort an. Nach längerem Auslandsaufenthalt kam er Ende der 80er-Jahre nach Wien zurück und suchte nach einem eigenständigen Weg, Folk-Musik zu spielen. Er hat längere Zeit in den USA gelebt. „Zu Zeiten der Waldheim-Affäre“, erzählt er. Was nicht immer leicht war. „Dass dort alle Österreicher über einen Kamm geschert wurden, lag vor allem daran, dass niemand eine Ahnung von diesem Land hatte.“ Und warum? „Weil es nach dem Krieg in der Bedeutungslosigkeit versank.“ Und davon erhole sich das Land auch nur äußerst langsam. „Als ich zurückkam, war das ein heftiger Kulturschock“, erzählt er. „Denn man spürte den Kahlschlag noch immer wie einen Phantomschmerz. Ich merkte schnell: Wenn ich hier leben will, muss ich etwas tun –  entweder für die Musik oder für andere. Seelen-Hygiene, wenn man so will. Anders ausgedrückt: nicht am Naheliegenden arbeiten, sondern an dem, was fehlt.“

Ganz im Gegensatz zu damals seien Stadt und Land mit ihrer reichhaltigen musikalischen Tradition, die stets auch von Kroaten, Türken und Serben beeinflusst war und ist, auf dem Weg der Genesung, so Jasbar. Dass es heute eine ganze Phalanx an interessanten Ensembles wie etwa das Kollegium Kalksburg, wienglühn, die Strottern und viele mehr gibt, die sich der Verortung des Wienerliedes im Hier und Jetzt angenommen haben, ist der Tatkraft vieler Musiker zu verdanken, die sich wie er auf die Suche begaben. Ende der 80er-Jahre habe es kaum Derartiges gegeben, erzählt er. „Madrid hatte den Flamenco, Lissabon den Fado und was war mit den Wienern? Die Wiener Musik betraf wenn überhaupt nur die Wiener selbst.“

Als der Gitarrist dann seine erste Ensemble CD (mit dem Jasbar Consort) herausbrachte, auf der er Wiener Musik, die er selbst oft als verstaubt wahrgenommen hatte, mit Folk und Neuer Musik kreuzte, schien das jedoch erst einmal wenige zu interessieren. „Der Erneuerungsversuch, den ich im Hinterkopf hatte, missglückte“, erzählt er und lenkt sogleich ein: „Was sicher auch an der „altmeisterlichen“ Instrumentierung lag.“ Waren früher noch die Geigen im Vordergrund, regieren heute neben seiner Gitarre bloß Akkordeon und Kontrabass. Weniger ist mehr. Vielfach sei aber auch die Musik nach Noten das Problem gewesen, so Jasbar. Vor allem klassisch ausgebildete Musiker seien stets darauf bedacht, dass es schön klingt. „Gerade das sollte es aber bei der Musik, die mir vorschwebte, nicht sein.“ Zugleich sucht er den Fehler aber auch bei sich selbst: „Man muss die Leute auch anleiten können; einer klassischen Geigerin auch sagen können, dass es mitunter besser ist daneben zu greifen, weil es das Ganze aufraut und dadurch authentischer macht.“

Als Trio funktioniert seine Version einer imaginären Folklore heute tadellos: Die Stücke von damals wurden neu arrangiert. Als Pate habe die verquere Kammermusik eines Tin Head Trios mit Carla Kihlstedt fungiert, so Jasbar. Rotzig, zugleich spröde und fragil, solle seine Musik sein. Einzig bei der Bezeichnung herrscht noch Unklarheit. „Wiener World Music, World Music mit Wiener Wurzeln – eigentlich gibt es keine Bezeichnung, die nicht irgendwie merkwürdig klingt.“

Fremde Musik einzuordnen fällt da schon bedeutend leichter. Etwa in seiner Funktion als Gestalter von Ö1 Sendungen wie  “Pasticcio“ oder „zeitton“ und Begründer des Pasticcio-Preises, eines CD-Preises für junge talentierte Ensembles. Dass man als Musiker auch andere Musiker fördert ist heute eher ungewöhnlich – ein Umstand, der Helmut Jasbar regelrecht in Rage bringen kann. „Wenn ich eine Szene will, muss ich sie auch pflegen“, sagt er. „Viel zu oft werden von Festival zu Festival Packages herumgereicht ohne wirklich auf Qualität zu achten. Und diese Qualität kommt eben auch aus diesem Land.“ Ö1 leiste einen großen Beitrag zur Förderung dieser lebendigen jungen Szene, die nicht oder nicht ausreichend wahrgenommen werde, und das sei gut so, denn man müsse schließlich danach trachten, dass die Leute auch davon leben können. „Eine qualitativ anspruchsvolle CD verkauft sich heute, wenn es hoch kommt, ein paar hundert Mal. Damit kann doch niemand etwas abfangen.“

Es gehöre zu den Aufgaben jedes Künstlers, auch soziale Kompetenz zu entwickeln und etwas für andere zu machen, wenn man die Möglichkeit dazu hat. „Dinge zu pushen, die es sonst vielleicht nicht so leicht hätten.“ Nicht zuletzt aus diesem Drang heraus hat sich Helmut Jasbar in vielen Bereichen umgetan, als Solist, Komponist, Moderator, Veranstalter eines Gitarren-Festivals, Autor und Musikdramaturg.

Zuletzt gab es Uraufführungen seiner Kompositionen beim Carinthischen Sommer und am Theater an der Wien (für Streichquartett und Elektronik) zu sehen. Gleichzeitig zeichnete er für eine Klanginstallation im Essl-Museum verantwortlich, bei der er die digitalen Gemälde von Dorothee Golz, die moderne Portraits kunstvoll in die Umgebung bestehender Renaissance-Gemälde transferiert, mit einer virtuellen Klanglandschaft aus der Renaissance unterlegte.

Kurz: Helmut Jasbar ist viel und multistilistisch unterwegs. „Mir wurde schon das Don Juan-Syndrom vorgeworfen, weil ich viel probiere und mindestens genauso viel auch wieder verwerfe.“ Aber nur eine Sache zu machen sei für ihn einfach nicht gut, langweile ihn schnell. „Es wird bei mir immer diese Vielfalt geben, auch wenn ich mir dabei selber immer ähnlicher werde.“ Was er damit meint? Trotz aller Unterschiede zeichne sich immer mehr ein gemeinsamer Nenner aller seiner Arbeiten ab, so Jasbar. Sich ähnlicher werden heiße für ihn, auch wenn er die „esoterisch unterwanderte“ Wendung nicht mag, „sich selbst finden“. Die einzelnen Arbeiten fühlen sich heute als Fragmente einer große Sache an, die der Suche nach dem besten Ausdruck und der Beantwortung der Frage gewidmet ist, wie viel Kraft man entfalten kann. Welches Medium man im Einzelnen dafür wählt, sei letztlich egal.

Er selbst habe immer gedacht, dass er ein Jazz-Musiker sei. „Dabei stimmt das nicht, wenngleich ich großen Respekt vor Jazz-Musikern habe. Ich wuchs mit Pop und Rock auf. Ich habe zwar klassische Musik studiert, aber schon während des Studiums wurde ich schon wieder abtrünnig. Heute spiele ich eine Art Folk und improvisiere.“

Inwiefern spielt dabei dennoch Können eine Rolle? Jasbar überlegt. „Eine gute Frage“, gibt er zu. „Als Jugendlicher habe ich das Virtuose schon verfolgt. Als ich mit fünfzehn weltberühmt in Mödling war… Und dann kamen plötzlich Gitarristen wie John Abercrombie, der noch immer Gott für mich ist, und Mark Knopfler.“ Da sei es plötzlich viel spannender gewesen, E-Gitarre mit den Fingern und mit ähnlich viel Soul zu spielen. „Als ich deshalb mit den endlosen Soli aufhörte und mich den langsamen Tönen zuwandte, schrieb ein Kritiker damals: „Helmut Jasbar zeigte an diesem Abend nichts von seinem großartigen Können.“ Daran erinnere ich mich noch genau“ lacht er. Dennoch blieb er bei dieser eher hintergründigen Virtuosität, polyphon zu spielen. „Manchmal sind ja auch zwei verhungerte Töne vollauf genug.“

Bill Frisell in Spanien vor einem Publikum aus lauter Macho-Gitarristen zu hören, war ein weiteres Erweckungserlebnis. „Jeder in der Band spielte sein Solo und dann kam Frisell, der ein zweiminütiges Klangerlebnis über die kochende Band legte. Jemand, der schon so viele Solis wie ich gehört hat, liebt das vielleicht. Das spanische Publikum aber hasste es. Diese andere Virtuosität, die nicht darin bestand möglichst viele Töne in möglichst kurzer Zeit hintereinander zu spielen, gab ihnen nichts. Ihnen ging es mehr um diese messbare Größe, die immer aus einer großen Unsicherheit heraus resultiert.“ Denn was schon mache schon wahre Leistung aus? „Jedenfalls nicht Handwerk allein und diese retardierten Begriffe von Leistung und Stärke. Oft sind die nicht gespielten Töne die wichtigen.“ Wie bei Knopfler und Gilmour.

Nichtsdestotrotz sei letztlich auch er verseucht vom Leistungsgedanken, denn wie viele andere habe auch er den einen oder anderen schlechten Lehrer gehabt, der ihm immer noch im Weg stehe. Insofern sei Selbstreflexion sehr wichtig, die man aber nicht übertreiben sollte, indem man – in der extremsten Ausformung – Texte wegschmeißt oder seine Bilder übermalt.

Was kann man nun bei der Expo musikalisch von Helmut Jasbar und seinen Gefährten erwarten? „Kammermusik mit stark verschmitztem Einschlag“, antwortet er. „Kammermusik, die sehr lebensfroh ist und eine gewissen provinziellen Größenwahnsinn in sich trägt, indem sie versucht, die musikalischen Wurzeln zu finden und das Ganze gleichzeitig zu entstauben.“

Und auch die ganz persönliche Komponente darf nicht fehlen. Sein Vater, ein leidenschaftlicher Hobby-Akkordeonist, erzählt er, habe ihn früher – meist gegen seinen Willen – zum Heurigen oder zu feuchtfröhlichen Abenden mit seinen Freunden in der Steiermark geschleppt, wo er stundenlang aufspielte.
„Insofern ist das Programm auch eine Art Wiedereroberung eines Teiles von mir.“ Wie für uns alle.

 

http://www.jasbar.at/