Porträt: ensemble plus

Spricht man von zeitgenössischer Musik aus Vorarlberg, so ragt das „ensemble plus“ gewissermaßen als Solitär aus dem an sich sehr reichen Musikleben des Ländles hervor. Es gilt derzeit als das einzige Ensemble, das den Fokus auf zeitgenössische Musik richtet.

Gründung

Fragt man den Leiter von ensemble plus Andreas Ticozzi, worauf sich denn das „plus“ beziehe, holt er weit aus und beginnt mit der Gründungsgeschichte. „Wenn man jung ist, hat man Träume, und als Musiker möchte man gerne möglichst viel Kammermusik spielen.“ Es war also einmal eine Gruppe von Absolventen, deren Wege sich durch die Anstellung beim Symphonieorchester Vorarlberg kreuzten. Schnell entstand die Idee, über das gemeinsame Spiel im Orchester hinaus zusammen zu musizieren. So kam es 1997 zur Gründung von ensemble plus, wobei die Beifügung „plus“ einer mathematischen Überlegung zu verdanken ist und darauf hinweist, dass sich das Musikerleben aus Orchester- UND Ensembletätigkeit zusammensetzt.
Das plus entwickelte sich im additiven Sinne flott weiter, entfaltete sich und steht heute für die Intention, mit den angebotenen Programmen ein musikalisches Angebot zu schaffen, das den Vorarlberger Musikbetrieb auf verschiedensten Gebieten bereichert. Besonders gilt das für das Gebiet der zeitgenössischen Musik und für die Konzerte im kultursozialen Bereich.

Zielsetzung

„Von Anfang an begleitet uns ein Leitmotiv, an dem wir unsere Arbeit ausrichten, die heißt: Neues entdecken“, so Andreas Ticozzi, der mit spürbarem Enthusiasmus über neue Konzertformen, neue Komponisten und deren Werke spricht. Das ensemble plus ist in erster Linie auf eine rege Konzerttätigkeit innerhalb des Ländles ausgerichtet. Was die Musiker nicht davon abhält, immer wieder Tourneen durch Österreich, Deutschland, die Ukraine, Spanien etc. zu unternehmen. Die wichtigste Aufgabe besteht aber darin, möglichst viele Konzerte im Bereich der zeitgenössischen Musik und des kultursozialen Projekts „Musik am Nachmittag“ zu spielen.

Mitglieder

Das Ensemble besteht aus etwa einem Dutzend Streicher und Bläser sowie Harfe, Schlagzeug und Klavier als Stammspieler, allesamt Musiker des Symphonieorchesters Vorarlberg. Darüber hinaus werden gerne, punktuell und für bestimmte Produktionen, zusätzlich Musiker eingeladen. Leiter Andreas Ticozzi ist eine nach eigenen Aussagen „familiäre und freundschaftliche Grundstimmung“ im Ensemble eminent wichtig. Mit einem Wort: Bei der Auswahl respektive der Zusammenstellung der MusikerInnen bildet nicht nur das musikalische Können eine entscheidende Rolle, sondern auch die soziale Komponente.

Andreas Ticozzi leitet das Ensemble von Anfang an. Er wuchs in Deutschland auf, studierte Violine an der Würzburger Musikhochschule und setzte mit dem Studium der Viola in Hannover fort. In den 1990er Jahren fand er schließlich in Vorarlberg seine musikalische Heimat, die ihm exakt das bot, was er sich immer schon gewünscht hat: Eine harmonische Vereinigung von Orchesterspiel, Kammermusik und Lehre: „Als Stimmführer der Bratschen wirke ich im Symphonieorchester Vorarlberg, als Leiter des ensemble plus komme ich meiner Neigung für die Kammermusik nach und an der Musikschule Bregenz unterrichte ich.“ Eine derartige Bündelung der Aufgaben scheint ganz nach Ticozzis Geschmack zu sein, ja ergibt für ihn geradezu eine logische Trinität, an der momentan absolut nichts zu ändern ist. „Neue Erfahrungen, die ich in einem Bereich mache, bringen mich auch in den anderen weiter. Aber dennoch will ich nicht leugnen, dass ich mich immer wieder dazu anhalten muss, rasch zwischen den einzelnen Ebenen umzuschalten, um den unterschiedlichen Anforderungen auch gerecht werden zu können. Momentan fühle ich mich all dem noch gewachsen. Doch ich werde dieses Jahr 50 Jahre alt und denke längerfristig natürlich schon an eine Reduktion.“

Programme

Um möglichst viele Zielgruppen zu erreichen, bietet das Ensemble unterschiedliche Programmreihen und Formate an. 2001 startete die Konzertreihe „sul palco“, vorerst mit gemischtem Programm und hörenswerten Kammermusikwerken. Da wurde selten Gespieltes zutage befördert wie etwa das Streichoktett von Max Bruch, das Septett von Adolphe Blanc oder das Klavierquartett von Hans Sommer. Unter diese Raritäten mischte man, wohldosiert aber stetig, auch Zeitgenössisches. Nach ein paar Jahren kehrten sich die Verhältnisse um, bis irgendwann ausschließlich zeitgenössische Musik am Programm von sul palco stand. Dieses Jahr erfolgte die Splittung, es erwuchsen zwei neue Konzertreihen: das Format „Konzerte im Museum“, salopp „KiM“ genannt, und die Reihe „Neue Musik im Gespräch“. Mit KiM besinnt man sich der Anfänge und kehrt zu einem gemischten Programm zurück mit vorwiegend klassischer Kammermusik von Mozart, Scarlatti, Brahms, u. a. Ganz vergessen werden dabei die kontemporären Werke selbstredend nicht, ein Werk des 20. Jahrhunderts steht immer am Programm der moderierten Konzerte, in deren Rahmen auch Interviews mit Künstlern geführt werden. Austragungsort ist das neue vorarlberg museum am Kornmarkt in Bregenz.

Ebenso der klassischen Kammermusik ist die kultursoziale Reihe „Musik am Nachmittag“ gewidmet, mit der das ensemble plus durch die verschiedenen Seniorenheime Vorarlbergs tourt. Dieses spezielle Projekt ist der Münchner „Stiftung zur Förderung von Kultur und Zivilisation“ in Kooperation mit dem Land Vorarlberg und einigen Gemeinden zu verdanken und sieht sage und schreibe 30 bis 35 Konzerte im Jahr vor – mit wechselnden Austragungsorten. Über die Jahre wuchsen diese speziellen Veranstaltungen den Ensemblemitgliedern in besonderer Weise ans Herz.

Ganz dem Zeitgenössischen widmet sich „Musik im Gespräch“, beheimatet im ORF-Landesstudio in Dornbirn. Im Rahmen dieser von ORF-Mitarbeiterin Bettina Waldner-Barnay moderierten Konzerte werden Komponisten eingeladen, ihren Werken selbst kurze Einführungen voranzustellen. Das heuer erstmals durchgeführte Festival „Texte und Töne“ wird zwei November-Tage erhellen und versteht sich ausdrücklich als Fest für neue Musik und Literatur. Es ist das Ergebnis einer fruchtbaren Kooperation zwischen dem ensemble plus, dem Vorarlberger Autorenverband, ORF, Symphonieorchester Vorarlberg und dem Kammerorchester Akademie St. Blasius Innsbruck. Dabei werden Werke, am liebsten Uraufführungen von Gerald Futscher, Richard Dünser, Michael Floredo, Gerold Amann, Michael FP Huber und vielen anderen geboten.
Beim Wort Uraufführung beginnen Andreas Ticozzis Augen zu leuchten. In den letzten Jahren brachte es das Ensemble auf etwa 50 Uraufführungen und vergab überdies zahlreiche Kompositionsaufträge.

Komponisten

Die Liste der Komponisten, deren Werke ensemble plus spielt, beweist, dass ein deutlicher Schwerpunkt auf Vorarlberger und österreichische Künstler gelegt wird. Doch auch Werke von französischen, spanischen, russischen und deutschen Komponisten gab es bereits zu hören. Mit wem zusammen gearbeitet wird, entscheidet letztendlich Andreas Ticozzi und seine Auswahl unterliegt eher dem Zufall als einem bestimmten Ausleseverfahren. Geht es um Uraufführungen, so ist ihm wichtig, dass das Ensemble die Werke mit dem Komponisten zusammen erarbeitet. Dazu wird dieser ins Ländle eingeladen, denn erst der „hautnahe“ Kontakt sorgt für eine prosperierende Zusammenarbeit und oftmals auch für dauerhafte Freundschaften. Und der Freundeskreis wird zusehends größer, erzählt Ticozzi: „Ich lege Wert darauf, in entsprechenden zeitlichen Abständen mit allen Komponisten neue Pläne für mögliche Aufführungen zu schmieden und dennoch weitere neue Kontakte zu knüpfen. Hierzu existiert übrigens schon eine Wunschliste meinerseits“.

Standorte

Die Spielstätten des Ensembles sind vielfältig, wobei es zweifellos nicht leicht ist, geeignete Orte für die Aufführung von zeitgenössischer Musik und von Kammermusikwerken in verschiedenen Besetzungen zu finden. Vor kurzem bezog man eine dauerhafte, standesgemäße Bleibe – das neue vorarlberg museum am Kornmarkt in Bregenz – ein Platz, der sich sukzessive zur Pilgerstätte für Liebhaber der modernen Architektur entwickelt. So befindet sich das neue Museum mit seiner monolithischen weißen Fassade nur einen Steinwurf von der Kunsthalle Peter Zumthors entfernt. Da scheint es fast konsequent und logisch, in diesem Umfeld nun ein Ensemble anzusiedeln, das sich zu weiten Teilen mit zeitgenössischer Musik auseinandersetzt. Im Herbst startet ebendort, in einem für Kammermusik wunderbar geeigneten Saal, die Reihe KiM. Trotz der nunmehrigen idealen Bedingungen im neuen Museum verbleibt man mit der Veranstaltung „Neue Musik im Gespräch“ im ORF-Landesstudio in Dornbirn, was den Vorteil hat, dass die gespielten Werke dort sogleich aufgenommen werden.

Tonträger

Zwischen 1999 und 2005 erschienen acht CDs mit dem ensemble plus – ausschließlich mit zeitgenössischer Musik. Danach stagniert die Produktion der Tonträger, es fehlten die dafür notwendigen finanziellen Mittel. In den letzten Jahren gab man der Weiterentwicklung der Konzertreihen den Vorzug und investierte darin. Doch man will diesbezüglich bald wieder eine aktivere Haltung einnehmen, stellt Ensemble-Leiter Ticozzi in Aussicht. Und immerhin gibt es da auch noch die überaus erfreuliche Kooperation mit dem Österreichischen Rundfunk, aus der immer wieder Aufnahmen resultieren. Gemeinsam realisiert man das Festival „Texte und Töne“, aber auch die “Lange Nacht der Österreichischen Zeitgenössischen Musik aus Vorarlberg“. Dieser musikalische Marathon entwickelte sich, 2011 erstmals durchgeführt, in Windeseile zur Kultveranstaltung. Letztes Jahr spielte das ensemble plus zwischen 23.00 und 04.00 Uhr im Landesfunkhaus in Dornbirn – live, durchgehend und als ob es kein Morgen gäbe. Doch dem wird garantiert nicht so sein!

Ulla Fuerlinger

http://www.ensembleplus.at