Porträt: Dietmar Hellmich

Einer Gefahr ist Dietmar Hellmich sicher nicht ausgesetzt: dass eines seiner Stücke vom Veranstalter abgesetzt wird, weil es aufgrund seiner Länge das Programm sprengen würde. Trotz seines mit 37 Jahren noch vergleichsweise jungen Alters könnte man sich also hochzurechnen erlauben, dass die Gesamtdauer seines Œuvres bei konstanter Stückeproduktion und selbst methusalemischer Lebenserwartung dereinst wohl kaum jene des Gesamtwerks von Anton Webern überschreiten dürfte. Im Rahmen von Wien Modern 2013 gelangt am 2. November Kammermusik Nr. 12 zur Aufführung.

Lebenslauf alternativ und traditionell

Dass ihm die traditionelle Darstellung von Lebensläufen eher zuwider ist, formulierte Dietmar Hellmich gewandt anhand einer Selbstdarstellung vor einigen Jahren: „Dreißig Jahre alt blicke ich auf eine gemäßigt öffentliche Laufbahn als Komponist zurück, in der mich stets die Suche nach dem nächsten Stück mehr interessiert hat als das, was gerne die Komponistenbiografie im Konzertprogramm wird.“

Nichtsdestotrotz – für all jene, denen ein durch Daten und Fakten gestütztes Bild weiterhin wichtig ist – seien hier einige davon pragmatisch zusammengefasst: 1976 in Graz geboren, erhielt Hellmich ersten Violin- und Klavierunterricht am Eisenstädter Konservatorium, ehe er technische Mathematik an der Technischen Universität und Komposition an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien studierte. In der Kompositionsklasse von Dieter Kaufmann beschäftigte er sich auch mit den Möglichkeiten elektronischer Klangerzeugung. 1999 war er Teilnehmer der Sommerakademie Avantgarde Schwaz in den Fächern Instrumentalkomposition (Bogusław Schaeffer) und Computermusik (Marek Chołoniewski). In Schwaz kam es damals auch zur Uraufführung seiner Kammermusik Nr. 3 durch das Arditti Quartett. 2001 absolvierte er das Kompositionsstudium mit Auszeichnung, ein Jahr später das Studium der technischen Mathematik.

Außereuropäisch und elektronisch

In Kammermusik Nr. 6, einem Kompositionsauftrag des Wiener Konzerthauses für generator #12, erprobte Hellmich die Möglichkeiten der Kombination asiatischer und europäischer Instrumente, wozu auch elektronische Zuspielungen kamen. Gemäß seinen Interessen und seiner Ausbildung nimmt die Elektronik bei Hellmich vor allem im Frühwerk einen relevanten Platz ein (Tonbandstück 1, Tonbandstück 2), wenngleich der Bereich reiner Instrumentalmusik für ihn wesentlich herausfordernder ist und ihn auch zu internationaler Präsenz führte. So war er etwa 2012 beim Autumn Sound – Chengdu Contemporary Music Festival in China und beim Third International Contemporary Harpsichord Festival – Procembalo in Tizzano Val Parma in Italien vertreten.

Ametrik, Geräuschhaftes und aleatorische Konzeptualität

In einer Selbstbeschreibung stellte Hellmich vor einigen Jahren seine Entwicklung anschaulich folgendermaßen dar: „Nach einer langen ametrischen  geräuschinteressierten Phase freien Komponierens mit expressivem Einschlag habe ich die allgemeingültigen Stilregeln meines  Schreibens schrittweise abgeworfen und mit sehr unterschiedlichen Herangehensweisen mich stets bemüht, zu Resultaten zu gelangen, die  anders sind als das Gewesene und ein vielfältiges aber doch nicht  zusammenhangloses Gesamtwerk ergeben. […] Eine Konstante in meinem Schaffen ist die Prägnanz der musikalischen Ereignisse, was sich in durchschnittlichen Stückdauern von drei Minuten niederschlägt oder in der Überarbeitung meines ersten algorithmischen Versuchs in intuitiv dekonstruktivistischer Manier (Tonbandstück 2). Dagegen ist die zweite Konstante eine Verweigerung der Konstante auf der Suche nach einem Gesamtwerk, in dem jedes Werk in Zusammenhang mit den anderen zu verstehen ist ohne in wiederkäuende Stilgewohnheiten zu verfallen. So reizt mich stets das scheinbar Unmögliche und Unvereinbare am meisten, auch im Abschiednehmen von der Prägnanz bei der Vereinigung minimalistisch aleatorischer Konzeptualität mit typisch europäischem Traditions- (und Aufführungspraxis-)Interesse („Apothéose de Monsieur Pfadenhauer“). Vielleicht ist die Entwicklung von ametrisch-atonaler intuitiver Expressivität zu Beziehungsvarianten in permutativem Wiederholungszwang und weiter zur Öffnung der Form in Kombination mit Anrufung vergangener Kultur dabei eine Nebensächlichkeit.“

Humor darf dabei sein

Sympathisch an Hellmichs Arbeit nimmt sich aus, dass Humor keineswegs zu kurz kommt – eher eine Ausnahme im zeitgenössischen Musikschaffen. Nacherleben lässt sich das beispielsweise bei „Puccini kann nicht schlafen“, einer quasi-aleatorischen Arbeit, die beim Andorf Musikfestival 2011 auf einem Bauernhof zwischen Wohnhaus und Scheune von einer Rockband, Pipa und Streichern, realisiert wurde. Die Werkbeschreibung hierzu: „Als Puccini original chinesisches Material für seine letzte Oper – „Turandot“ – suchte, musste er feststellen, dass das Phonogrammarchiv keine passenden Klänge für ihn hatte. Das wurde durch das Archiv dokumentiert. Dass Puccini deshalb keinen Schlaf oder nur Alpträume fand, möge unsere interkulturelle Nachforschung erweisen. Nessun dorma!

Kammermusik Nr. 12 bei Wien Modern 2013

In einer Koproduktion von Wien Modern 2013, der Österreichischen Gesellschaft für zeitgenössische Musik und dem Kunstverein Wien spielt das Ensemble Wiener Collage am 2. November in der Alten Schmiede in Wien Dietmar Hellmichs Kammermusik Nr. 12. Die 2011/12 entstandene Arbeit für Violine, Klarinette und Akkordeon beschreibt der Komponist: „Die Rollen des Stetigen und des Gebrochenen sind durch Veränderung des Beobachtungsstandpunkts vertauschbar; in der Textur der Klangkomposition kann der durchsickernde Tonalitätsbezug als Verfremdung wirken, wenn er nicht über das Schemenhafte hinauskommt: der Ganzton als Nachbarschaftsverhältnis, die Quart/Quint als Verwandtschaftsbeziehung, Dreiklänge (g-moll, A-dur auch mit dominantischem Anhängsel) und Haltetöne. Vor allem letztere machen die Ambivalenz deutlich, definieren sie sich doch erst durch wechselhafte Beleuchtung als Konstanten, die den Anfechtungen des instabilen pseudopolyphonen Tonsatzes standhalten. Eine ähnliche Dualität besteht zwischen Diskontinuität und den zusammenschließenden Qualitäten der Wiederholungen, die in klassisch-ausgreifender Weise aber auch in kleinteiligen Schnitten die Erinnerung als wichtigen Faktor des musikalischen Verständnisses benutzen.“

Christian Heindl

http://www.ewc.at/de/composers/DietmarHellmich