Christina Nemec ist eine Querdenkerin, wie sie im Buche steht. Ein Freigeist, der sich mit Nachdruck weigert, sich festgesetzten Regeln zu unterwerfen. Sie ist eine Künstlerin, die ihren eigenen Weg geht, die eigenen Ideen verfolgt und für diese einsteht. Sie ist eine jener starken Persönlichkeiten, die, ganz in der Tradition einer Virginia Woolf, mit ihrem künstlerischen Schaffen für die Sache der Frauen einstehen. Sie ist eine Künstlerin, die die Dinge selbst in die Hand nimmt und sich ihre eigenen Netzwerke schafft, im Wissen, dass dies der einzig gangbare Weg ist. Große Plattenfirmen oder Verlage spricht sie mit ihrer Arbeit ohnehin nur bedingt an, dafür sind diese zu „dirty“ und roh. Es ist das Umfeld des Undergrounds, die vielbeschriebene Nische, welche Christina Nemec zu nützen weiß und wo sie sich frei entfalten kann.
Christina Nemec ist in der heimischen Undergroundszene schon lange keine Unbekannte mehr. Seit Anfang der neunziger Jahre macht die gebürtige Kärntnerin bereits auf sich aufmerksam. Durch ihre zahlreichen Aktivitäten als Musikerin, Autorin, DJ, Musikvermittlerin und Labelbetreiberin dürfte die Theaterwissenschaftlerin inzwischen den meisten Kennern der heimischen Musiklandschaft ein Begriff sein.
Die Musik der Christina Nemec, die in dieser Rolle unter dem Namen Chra agiert, orientiert sich nicht an herkömmlichen tradierten Standards, vielmehr läuft sie unter einem selbst definierten eigenen feministischen Kontext. Der Überbegriff Computermusik kann hier getrost als Orientierungspunkt herangezogen werden. Das weite, stilistisch ungemein weite Feld nutzt Christina Nemec zu ihrem eigenen Vorteil. Das Wissen über die Methodik mit den Gerätschaften umzugehen, erlernte sich die Künstlerin selbst. In einer Vielzahl von Versuchsreihen, zerlegt oder Nemec aufgenommene Samples bis zur Unkenntlichkeit und fügt diese in Kleinstarbeit mit unzähligen Effekten versehen zu neuen Tracks wieder zusammen. Es sind keine Pop-Ohrwürmer, die auf diesem Weg entstehen, es sind vielmehr rhythmische Soundcollagen, die Geschichten erzählen, die kommentarlos zur freien Interpretation auf die Konsumenten losgelassen werden.
Christina Nemec ist keine jener MusikerInnen, die sich allzu lange auf die Suche nach geeigneten MitstreiterInnen begibt. Vielmehr vertraut sie ihrer eigenen Intuition. Leute kennt sie genug und diejenigen, mit denen sie gemeinsame musikalische Visionen teilt, offenbaren sich ohnehin nach kurzer Zeit. Unter solchen ehemaligen Mitstreitern finden sich Gerald Votava, Christian Candid (Klein Records) und Michael Martinek (Fabrique Records). Eine andere ist Gustav alias Eva Jantschitsch, die in ihrer Performanceband SV Damenkraft mitgewirkt hat. Als eine Art „Ritterschlag“ darf die Zusammenarbeit mit ihrer alten Heldin Lydia Lunch zwecks einer Performance angesehen werden. Dazu war Christina Nemec bis vor wenigen Monaten bei der Gruppe Mopedrock mit von der Partie. Daneben tüftelte und werkelte die Kärtnerin stets an ihren eigenen Sachen.
Seit 2009 ist Christina Nemec auch mit einem eigenen Label am Start. Comfortzone heißt es und soll stilistisch sehr offen gehalten sein. Elektronisch avantgardistisch anmutendes Elektronikgefrickel im queer-feministischen Kontext soll genauso Platz finden wie tanzbarer Techno und Popmusik. Veröffentlicht wird soll ausschließlich über Vinyl, denn CDs gibt Christina Nemec keine lange Lebenszeit mehr. Zudem gibt es die Möglichkeit einzelne Track über Download zu bekommen. Die Kärntnerin versteht ihr Label, über welches sie im gleichen Zug auch ihr Debüt „Derive“ veröffentlicht hat, vor allem als einen Ort der Vernetzung. Ihr ist es wichtig mit Leuten zusammenzuarbeiten, die selber viel Vernetzung betreiben, die da und dort Konzerte oder Partys organisieren, um auf diese Weise die Menschen zusammenzubringen und so das gegenseitige Interesse zu wecken. Bisher auf Comfortzone veröffentlicht haben neben Chra, Bonnie Li, Frau Herz, Alloy Alloy, Stereonucleose und Cherry Sunkist.
Christina Nemec ist realistisch genug, um zu wissen, dass sich der kommerzielle Erfolg nicht über die Plattenverkäufe einstellen wird. Wichtig ist es ihr, Konzerte zu spielen, die Musik an jene Orte zu tragen, an denen sie noch nicht zu hören war. Entscheidend ist für die gebürtige Kärtnerin auch, sich gegenseitig zu unterstützen, sich gegenseitig zu Veranstaltungen einzuladen, um auf diesem Wege das Projekt in eine erfolgreiche Richtung zu lenken. Dass dies durchaus funktionieren kann, bewies Nemec im vergangenen Jahr eindrucksvoll. So spielte sie erst kürzlich auf Einladung einer Kollegin einige Konzerte in Mexiko. Nur wenige Wochen davor war sie in Berlin zu Gast.
Es spricht also einiges dafür, dass Christina Nemec der heimischen Musikszene auch in Zukunft erhalten bleibt. Bei dieser Vielzahl an Projekten besteht daran eigentlich kein Zweifel. (mt)
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