Es ist kein Zufall, dass das Musiktheater im Werk von Beat Furrer einen hohen Stellenwert einnimmt, steht doch die Frage der Transformierbarkeit von Sprache in Musik im Zentrum seines kompositorischen Schaffens. In seinen Musiktheaterwerken befreit der gebürtige Schweizer den Gesang von seiner konventionellen, formalisierten Gestalt und führt ihn zurück auf seine Wurzeln in der gesprochenen Sprache. Das erste abendfüllende Werk dieser Gattung, „Die Blinden“ nach Maurice Maeterlinck (1989 im Rahmen von Wien Modern uraufgeführt), vollzieht konkret den Weg vom reinen Sprechen über den Sprechgesang hin zum stilisierten Operngesang. Dabei werden die phonetischen Bestandteile der Sprache zum musikalischen Material umgedeutet, das in der Folge auch das Geschehen im Instrumentalensemble prägt. Als literarische Grundlage dienen dem Komponisten hier neben dem Text von Maeterlinck Fragmente von Platon und Hölderlin. Auch im weiteren Oeuvre des Komponisten kommt der Montage von Textquellen unterschiedlichster Herkunft wesentliche Bedeutung zu. In „Wüstenbuch“ (UA 2010), Furrers neuestem Musiktheaterwerk, sind dies neben Ingeborg Bachmanns „Wüstenbuch“-Fragmenten auch ein altägyptischer Papyrus in der Übersetzung des Ägyptologen Jan Assmann sowie Schriften von Lukrez, Lucius Apuleius, Antonio Machado und José Ángel Valente. Wie bereits in „Die Blinden“ finden auch hier Elemente des Sprachklangs Eingang in den Instrumentalsatz, der hier tatsächlich auf der Spektralanalyse der Sprechstimme beruht.
Ähnlich geht Furrer in seiner Instrumentalmusik vor. So wird im Konzert für Klavier und Orchester (2007) der gesamte Orchesterapparat zum Resonanzkörper für das Soloinstrument. Indem er Farbschattierungen des pianistischen Klangs spiegelt und verstärkt, bewirkt er gewissermaßen eine „komponierte Verräumlichung des Klavierklangs“ (Marie-Luise Maintz). Neben diesem auskomponierten Prinzip der Resonanz hat Furrers Instrumentalmusik mit seinen Musiktheaterwerken auch die zentrale Bedeutung des Dramatischen gemein. Doch handelt es sich um eine Dramatik der Zwischentöne, die sich in subtilen Nuancen äußert. Vor allem in den früheren Kompositionen dominieren eine äußerst zurückhaltende Dynamik an der Grenze zum Verstummen und fragile Geräuschklänge ohne klar erkennbare Tonhöhe, die lediglich von vereinzelten Ausbrüchen konterkariert werden. Mitte der 1990er Jahre – festzumachen an der Komposition „Nuun“ für zwei Klaviere und Orchester (1995) – kehrt sich dieses Verhältnis um, so dass fortan ein äußerst präsenter Klang das Geschehen prägt und verhaltene Passagen die Ausnahme darstellen.
Charakteristisch für sein gesamtes Oeuvre ist indessen das Primat des Klanges gegenüber konstruktiven Überlegungen. Auch wenn solche aus dem Schaffen des Schülers von Roman Haubenstock-Ramati nicht wegzudenken sind, stehen sie doch niemals im Vordergrund. Bei dem Meister der musikalischen Grafik studierte der im Schweizer Schaffhausen geborene Furrer, nachdem er 1975 nach Wien übersiedelt war. Daneben absolvierte der junge Komponist Dirigierkurse bei Otmar Suitner. In seiner Wahlheimat sollte er das zeitgenössische Musikgeschehen nicht nur als Komponist auf vielfältige und nachhaltige Weise prägen. Frustriert von den unbefriedigenden Aufführungsbedingungen Neuer Musik, gründete er 1985 die Societé de l’Art Acoustique. Von 1988 an entwickelte sich das junge Ensemble unter dem Namen „Klangforum Wien“ zu einem der international renommiertesten Klangkörper für die Interpretation zeitgenössischer Musik. Bis 1992 war Furrer dem Ensemble als künstlerischer Leiter und Dirigent eng verbunden, mit dem er auch weiterhin in regem Austausch stand, der sich nicht zuletzt in zahlreichen Aufführungen von Furrers eigenen Kompositionen durch das Klangforum niederschlug. Der Kreis schließt sich mit der Vergabe des diesjährige Erste Bank Kompositionspreises an den Komponisten und Ensemblegründer, dessen Werk „Ira – Arca“ für Bassflöte und Kontrabass am 3. November im Rahmen von Wien Modern durch das Klangforum uraufgeführt wird. Es ist dies nicht die einzige Uraufführung in näherer Zukunft: Bereits am 21. Oktober steht jene des Ensemblestücks „linea dell’orizzonte“ durch das Ensemble ascolta bei den Donaueschinger Musiktagen ins Haus. Der Komponist, der einst über ungenügende Aufführungsbedingungen klagte, kann sich heute darüber freuen, dass seine Werke unter den bestmöglichen Voraussetzungen wiedergegeben werden.
Zur Verbesserung der Strukturen im zeitgenössischen Musikleben hat Beat Furrer nicht nur als Ensemblegründer beigetragen: Zudem hat er seit 1992 eine Professur für Komposition an der Grazer Universität für Musik und darstellende Kunst inne. Als Lehrer geht es ihm nicht darum, eigene ästhetische Vorlieben an seine SchülerInnen weiterzugeben. Vielmehr will er junge KomponistInnen in der kompromisslosen Suche nach dem eigenen Weg bestärken. Als kompromisslos lässt sich auch Beat Furrers ästhetische Position charakterisieren. Er bleibt auch in Zeiten postmoderner Relativierungen einem emphatischen Moderne-Verständnis verpflichtet, das Kunst als Aufbruch ins Neue und Unbekannte denkt. Trotzdem hinterfragt er jenen selbstherrlichen Fortschrittsgeist, für den alles Neue dem Altem per se überlegen ist. An die Stelle des Begriffs der Avantgarde, dessen militärische Implikationen ohnedies kritisch zu sehen seien, solle ein neuer treten, der erst noch gefunden werden müsse. Was vom Paradigma der historisch gewordenen Moderne bleibt, ist die kritische Reflexion des Verhältnisses von Kunst und Gesellschaft. Ziel dieser (Selbst-)Reflexion ist für Furrer eine Kunst, „die als beunruhigende Erfahrung nicht erobert, sondern Welten eröffnet“. (Lena Dražić)
Foto © 2005 Klaus Rudolph
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