Porträt: Agnès Milewski

Es geht ja nicht immer glimpflich aus, wenn Musiker – vornehmlich VertreterIn-nen der Sparte Singer/Songwriter – ihre eigenen Erfahrungen  zur  thematischen Grundlage ihres Schaffens machen. Gerade wenn dieses vorrangig im Dienste der persönlichen Katharsis und Psychohygiene steht, geht das Vergnügen für die anspruchsvollere Hörerschaft oft schnell in die Binsen. Schreibt man die Songs allerdings so geschickt wie Agnès Milewski, so birgt dieses Dilemma auch die Chance auf Großes. Besonders auf ihrem jüngst veröffentlichten Album „Almost Spring“ gelingt es ihr nämlich, ihre biographisch inspirierten Texte dergestalt ins Lyrische und Poetische hinein zu dehnen, dass diese zwischen ihrer Person als konkreter Erzählerin und der Möglichkeit identifikativen Selbstbezugs vonseiten der Hörerschaft oszillieren. Diese starke personelle Prägung der kompositorischen Arbeit ermöglicht letzten Endes eine ungewöhnlich direkte, wenn auch künstlerisch vermittelte Teilhabe am Leben der jungen Musikerin.

Agnès Milewski wurde 1983 in Polen geboren. Im Alter von vier Jahren emigrierte ihre Familie nach Österreich, wo sie bald ihren ersten Musikunterricht für Klavier und klassische Gitarre erhielt. Banderfahrung sammelte sie in diversen Projekten während ihrer Jugendzeit, doch rasch drängte es sie in die Unabhängigkeit. Mit nur 24 Jahren präsentierte Milewski ihr Debutwerk „Pretty Boys and Ugly Girls“, welches europaweit Aufsehen erregte und ihr 2008 den heimischen Amadeus-Award als „Beste Newcomerin“ bescherte. Kein Wunder angesichts der künstlerischen Reife, mit der sie gegenüber erklärten Vorbildern wie Joni Mitchell oder Tori Amos selbstbewusst Stellung bezog.

2009 legte sie mit „Learn To Swim“ ein höchst ambitioniertes Nachfolgewerk vor. Der hohe Aufwand in den Arrangements stellt die Breite ihrer musikalischen Ausrichtung und Interessen unter Beweis. Von RnB und Reggae über Breakbeats bis hin zu Gitarrensounds der härteren Gangart ist dort alles zu hören, was sonst unmöglich auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen scheint. Der starken Trägerstruktur ihrer soliden Handschrift ist es zu verdanken, dass die eigenwilligen Songwriterinnen-Kleinode dieser Last auch standhielten. In seiner Gesamtheit wirkt das Album wie ein Befreiungsschlag gegenüber allen externen Begehrlichkeiten reibungsloser Vermarktbarkeit. Konventionen und Konnotationen der fiktiven Sparte „Female Pop“ laufen ins Leere und werden zugunsten der Relevanz aufrichtigen Liedermachertums hintan gestellt. Über aller Erzählkunst schwebt Milewski’s kristallklare Stimme, die – jugendlich-lebenshungrig und abgeklärt zugleich – in einem Maße einnehmend wirkt, wie man es am ehesten noch von den genannten Proponen-ten ihrer Zunft kennt.

Anno 2013 präsentiert sich die Songschreiberin, die in Bälde ihren erst 30. Ge-burtstag feiern wird, musikalisch merklich gereift und in schönstem Sinne schlicht. Da ist zum einen die Herangehensweise, die sich von der überborden-den Studioproduktion des Vorgängeralbums grundsätzlich unterscheidet. „Al-most Spring“ wurde in einer Live-Situation aufgenommen – gemeinschaftlicher Flow statt einzelner Spuren. Weiters gibt es innerhalb des Bandgefüges zahlrei-che Personalrochaden zu vermelden. So zeichnet wohl vor allem die musikali-sche Partnerschaft mit dem irischen Gitarristen Eddie McLachlan für den folkish aspirierenden Sound verantwortlich. Mit an Bord stiegen überdies der beatbo-xende Flötist Walter Till, Drummer Bernd Bechtloff sowie die österreichische Folklore-Legende Stephan „Stoney“ Steiner. Als durchweg organisch-analoges Werk, das mit einer Ausnahme nur klassisches Instrumentarium auffährt, stellt es zugleich einen Schnappschuss der handwerklichen Integrität von Milewski & Band dar. Entstanden waren die Songs übrigens sowohl an verschneiten Winterabenden in Wien als auch in einem 200 Jahre alten Landhaus an der irischen Westküste. Strukturell angelehnt an Schuberts Liedzyklus „Winterreise“ schlägt die Resignation der früheren Stücke nach und nach um in hoffnungsvolle Erwartung, wie sie an den nahenden Frühling nach wie vor gestellt wird. Auf der Wichtigkeit der Lyrik, die im Songwriter-Genre immer schon hochgehalten wurde, besteht auch Agnès Milewski. Dem, was sie zu sagen hat, soll die Hörerschaft die gleiche Aufmerksamkeit entgegen bringen, wie dessen musikalischer Umsetzung.

Die Zügel behält sie auch in Sachen Promotion und Marketing inzwischen gern selbst in der Hand. Bewerkstelligt durch ihre Social-Media-Auftritte fand sie zu direktem Kontakt mit Publikum und Fans, die sie zum Teil auch in Übersee hat. Dieses unmittelbar persönliche Engagement verhalf auch zum Erfolg jener Crowdfunding-Kampagne, mittels derer sie „Almost Spring“ ko-finanziert hat. In dem was sie tut, sitzt Milewski also fest im Sattel. Als junge Frau mit Charisma, Können und Zukunft, deren Werk trotz aller Eigensinnigkeit einen nicht zu unterschätzenden, im Qualitativen begründeten Mass Appeal zu entfalten versteht. Dass solch einem Talent von den hiesigen musikwirtschaftlichen Potentaten nicht in einem umfassenden und nachhaltigen Sinne unter die Arme gegriffen wird, grenzt kulturpolitisch an Fahrlässigkeit.
David Weidinger

Fotos Agnes Milewski: Christoph M. Bieber

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