POPFEST WIEN SESSIONS: No Space – No Sound/Musik braucht Raum

Gibt es in Wien ausreichend Experimentierfelder abseits kommerzieller Partyveranstaltungen? Wie sieht es mit Proberäumen und Auftrittsmöglichkeiten für den Nachwuchs aus? Ist das Verhältnis lokaler Veranstalter mit den lokalen Szenen befruchtend oder problematisch? Ein Blick auf Wien und Graz im internationalen Vergleich.

Es diskutierten:
Susanne Kirchmayr aka Electric Indigo (Komponistin, DJ und Gründerin des Netzwerkes female:pressure), Stefan Stürzer (WERK Kunst & Kulturzentrum), Heinrich Deisl (skug – Journal für Musik) und Didi Tschmelak (p.p.c./Graz, Radio Soundportal).

Es moderierte:
Michael Huber (mdw/ Institut für Musiksoziologie)

 

Ein Überabgebot an Clubs

„Was gibt es in Wien? Was gibt es nicht?“ Heinrich Deisl, der in seinem bemerkenswerten Buch „Im Puls der Nacht“ die Sub- und Populärkultur in Wien 1955-1976 untersuchte, wird genau diese Frage eingangs von Moderator Michael Huber gestellt. Während es in den 1950er Jahren noch jede Menge Orte gab, an denen Musik stattfand, erzählt Deisl, flaute die Bewegung in den 1960er Jahren deutlich ab, was vermutlich an der rigiden Zeit lag.

Interessant aber sei, dass jeder, mit dem Deisl im Zuge der Recherche für sein Buch sprach, aus welcher Epoche und Szene sie/er auch kommen mochte, konstatierte, dass zu ihrer/seiner Zeit „eigentlich nichts los gewesen sei.“ Demgegenüber werde die stark fragmentierte Szene heute eher als „zu viel des Guten“ wahrgenommen. Es gibt also ein Überangebot. Interessant sei der Club als Sozialraum, der eine eigene Infrastruktur schafft. Räume, so Deisl, gibt es ja immer wieder. Um aus den Räumen etwas raus zu holen, einen wesentlichen Szene-Output zu leisten, brauche es aber Zeit und Geld.

Didi Tschmelak gibt anfangs einen Kurzabriss über die Grazer Clublandschaft und deren Entwicklung in den letzten Jahren: Das weit über die Grenzen von Graz hinaus bekannte Forum Stadtpark, erzählt Tschmelak, habe zwar für die Literatur viel geleistet, im popkulturellen Zusammenhang aber wenig bis gar keine Bedeutung erlangt.

Bis in die 1980er Jahre habe es in Graz so gut wie keine Clubkultur gegeben. Das Teatro war eine Disco. Die Vielfalt, die einem heute begegnet, wenn man ins Grazer Nachtleben eintaucht, habe es damals schlichtweg nicht gegeben. Durch das Jugendzentrum Explosiv und das Arcadium habe sich das dann Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre schnell geändert. Im Jahr 2003 tat sich dann durch die Ernennung zur Kulturhauptstadt ein Fenster auf. Das alte Teatro wurde umgebaut und es gab phantastische Ideen, wie dieser Umbau zum Input einer gesamten Szene hätte werden können. Ein politischer Wandel habe dann allerdings dafür gesorgt, dass es bereits zugesagte Budgets plötzlich nicht mehr gab. Die Vision, Produktionsstätten zu etablieren, sei dadurch nicht mehr realisierbar gewesen.

Heute gäbe es viele Clubs, die anspruchsvolles Programm machen. Daneben gäbe es aber auch eine Reihe von hochpreisigen Veranstaltungsorten wie etwa den Dom im Berg, die aufgrund der hohen Saalmieten nicht ausreichend bespielt würden.

Stefan Stürzer appelliert in seinen Einleitungsworten an alle Kulturschaffenden, es selbst in die Hand zu nehmen und nicht zu sehr ans Geld zu denken. Wichtiger als Geld sei ihm am Ende des Tages, dass es Output gibt, dass etwas geschieht. „Mit 1.000 Euro Raummiete wird eine Szene ausgedünnt“, gibt er seinem Vorredner Recht.

Selbstorganisation entscheidend

Warum sei für seinen Club ein Ortswechsel nötig gewesen, will Susanne Kirchmayr aka Electric Indigo von ihm wissen. Stürzer erzählt daraufhin die geradezu typische Geschichte von Anrainerbeschwerden (obwohl es in diesem Fall tatsächlich nur ein Anrainer, war, der sich immer wieder beschwerte) und den daraufhin von der Behörde per Bescheid festgesetzten Plombierungen, die die Abhaltung von Musikveranstaltungen zuerst erschwerten und dann schließlich unmöglich machten. D.h. die Bedingungen zur Abhaltung eines Clubs waren mit einem Mal nicht mehr gegeben. Der neunte Bezirk habe sie dann jedoch unterstützt. Darüber hinaus bedürfe es aber immer einer hohen Einsatzbereitschaft aller Beteiligten. Es sei schon vorgekommen, dass er mit dem Hilti in der Hand eingeschlafen sei.

Auch Susanne Kirchmayr hebt die Bedeutung der Selbstorganisation hervor. Ohne die sei eine kulturelle Pflege abseits des Mainstream schlicht unmöglich. Wichtig sei der Nährboden, auf dem Neues entstehen kann. Und Neues, das lehre die Erfahrung, komme immer aus dem Untergrund. Dafür sei auch kein Riesenbudget erforderlich. Andererseits, warnt sie, sei auch die jahrzehntelange Selbstausbeutung der Beteiligten nicht der richtige Weg. Das, was Berlin, die Stadt in der sie lebt, in dieser Hinsicht so besonders macht, sei die Möglichkeit, zu probieren. Scheitern inbegriffen. Nur durch das ständige Probieren würden wichtige Grenzen ausgelotet. Nur so könne wirklich Neues entstehen.

Die Diskussion mündet daraufhin in die Erörterung der Frage, inwieweit eine Professionalisierung bzw. Kommerzialisierung von Clubs erforderlich und wünschenswert sei.

Das Werk, stellt Stürzer klar, finanziere sich rein über die Bar. Hochglanzschuppen gäbe es doch genug. Clubs aber, die interessantes, kuratiertes Programm böten, nur wenige. „Bitte keine Pratersaunas und Grelle Forellen mehr!“ wirft er bewusst provokant in die Runde. „Sondern mehr Rhizs und von mir aus Flucs!“

Moderator Huber spricht sodann das fatale Credo der Wiener Kulturförderung an, zwar Projekte, nicht aber Strukturen zu fördern. Und daraufhin möchte er von den Diskutanten wissen, wie man als Veranstalter bzw. Clubbetreiber den Spagat zwischen Selbstausbeutung und Selbstverwaltung und der damit einhergehenden Professionalisierung bewältige.

Stürzer nimmt diesbezüglich sicher die extremste Position im Panel ein. Er findet es schauderhaft, wenn Kulturvereine von der Selbstverwaltung abrücken und zu GmbHs werden. Oft sei es doch nichts anderes als die Gier. Wie habe sonst aus dem ehemaligen Flex ein Glaspalast werden können? Es liege am Menschen, so Stürzer, der früher oder später dem Geld verfalle.

Susanne Kirchmayr widerspricht dem heftig. „Wenn es auf eine gesunde Art und Weise wächst“, sagt sie, „bedeutet das auch, dass die Verantwortung größer wird und man es auf eine solide Basis stellen muss.“

Die Wichtigkeit des Raumes für Musik

Deisl, der für sein Buch in allen wesentlichen Clubs der Stadt (von Flex bis Pankahyttn) recherchierte, meint, von diesen Clubs würden einige in der Szene schon als Ausverkauf wahrgenommen. Aber es seien, wenn die Struktur erst mal wächst, eben auch Löhne und Steuern zu zahlen.
Demgegenüber hat er im Laufe seines Lebens oft beobachten können, dass bei einem 5 Euro-Eintritt immer noch herumdiskutiert werde, ob es nicht auch für 3 Euro zu haben sei, während die selben Menschen 120 Euro für ein Konzert in der Stadthalle ausgeben würden. Das heißt, die Bereitschaft, ein gewisses Risiko auf sich zu nehmen und einen neuen, weitgehend unbekannten Act zu hören, sei nicht besonders stark ausgeprägt. Ein wirkliches Entdecken gäbe es nicht mehr. Deshalb auch würde ein Festival wie die Phonotaktik heute keinen Sinn mehr machen. Das Entdecken finde auf Youtube statt.

Huber möchte daraufhin wissen, ob der allgemeine Tenor nicht mit „Jammern auf hohem Niveau“ gleich zu setzen sei. Er befragt dazu den in London lebenden und im Publikum sitzenden Musikjournalisten und ehemaligen Kurator des Popfestes Robert Rotifer. In der Tat, so Rotifer, falle in England der Luxus einer Bar, die einen vielleicht defizitären Act kompensieren könne, weg. Die Bar nämlich rechne in England durchwegs für sich selbst ab. Dennoch könne man dort für 120 Euro Räume mieten. Bei 5 Euro Eintritt sei es so auch bei kleinerem Publikum durchaus möglich, einen ansehnlichen Gewinn einzufahren.

Ist der Bedarf nach Raum aber nicht ohnedies rückläufig, weil sich die Communities ins Internet verlagert haben?, lautet die nächste Frage.
Nein, sagt Deisl. Er orte ganz im Gegenteil eine Rückkehr zur Face-to-face-Kommunikation.
Auch Kirchmayr betont, wie wichtig Raum für Musik sei. Das Erlebnis, zu Hause Musik zu hören oder im Club mit den entsprechenden Subbässen, sei einfach völlig anders. Das sei nicht zu vergleichen. Freilich, Hörgewohnheiten ändern sich. Menschen nähmen mit schlechter Tonqualität Vorlieb, würden hübsche, dafür qualitativ nicht so gute Kopfhörer kaufen. Aber: Ohne Raum aber gehe es einfach nicht. Auch im Publikum stimmt man dem zu. Dass das Netz als Raum Clubs abgelöst hat, sei ein Mythos, ist da zu hören.

Rainer Prasachak vom mica – music austria merkt abschließend an, dass man als Musikmachender oder Veranstalter doch früher oder später Bekanntschaft mit den Grenzen des Geldes oder des Gesetzes mache. Wer kuratiert? Wie viel kann ich den Anrainern zumuten? Dies seien die Fragen, die einen beschäftigen. Man müsse sich gut überlegen, wie man diesen Leuten gegenübertritt.

Wünsche an die Kulturpolitik

Zum Schluss gibt es eine letzte Runde, in der alle Beteiligten ihre Wünsche an die Kulturpolitik dieses Landes/dieser Stadt formulieren.

Stürzer appelliert an alle: Wer Raum will, soll ihn sich schaffen. Das kostet Mühe und Kraft. Insgesamt wünscht er sich mehr mediale Aufmerksamkeit.

Tschmelak wünscht sich eine Zurücknahme des steirischen Veranstaltungsgesetzes, das (ca. 1,5 Jahre alt) Auflagen vorsieht, die für viele Veranstalter nicht mehr zu bewältigen seien. „Man wird kriminalisiert, weil man die Hürden nicht mehr bewältigen kann.“
Um den 2nd Floor des p.p.c. zu bespielen, habe man eine Notstiege bauen müssen. Kostenpunkt: 100.000 Euro. Das ist Geld, das der Programmierung fehle. Auch die AKM-Abgaben seien gestiegen. Derzeit operiere man an der Schmerzgrenze und darüber.

Zurückkommend auf Stürzers Einwurf, die Gier führe zu Professionalisierung, meint er:. „Ich kenne niemanden, der Geld abgreift. Alles, was rein kommt, ist auch bitter notwendig, um den Spielbetrieb aufrecht zu erhalten…“

Kirchmayr wünscht sich, dass Räume billig zur Verfügung gestellt werden, und zwar transparent und unkompliziert.

Deisl wünscht sich, dass man in der Politik endlich aufhört, nur bis zur nächsten Legislaturperiode zu denken. Darüber hinaus fordert er ein klares Bekenntnis zur zeitgenössischen Musik abseits der Repräsentationskultur.

Fotos © Simon Brugner / Theyshootmusic.com
Die Diskussions- und Vortragsreihe mica focus wird unterstützt durch die Abteilung für Wissenschafts- und Forschungsförderung der MA7 Wien.

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