POPFEST WIEN SESSIONS: Mehr (gute) Ö-Musik auf allen Kanälen!

Jetzt wo das sprichwörtliche Fäkalgewitter sich ausgetobt hat und auch der darauffolgende mediale Backlash verdaut ist, ist wieder Zeit, über das eigentliche Thema zu reden: Ein konstruktives Get-Together über das Verhältnis zwischen heimischer Musik und ihren ORF-Medienpartnern im Lichte technologischer Entwicklungen (Youtube, Streaming-Dienste, „like“-Kultur, Programmagenturen)

Es diskutierten: Wolfgang Domitner (Ö3), Walter Gröbchen (monkey.), Thomas Rabitsch (Musiker/Produzent)

Es moderierten: Violetta Parisini (Musikerin/Popfest Kuratorin), Wolfgang Schlögl (Musiker/Popfest Kurator)
Anteil österreichischer Musik im Radio so niedrig wie nie zuvor

Anfangs wird von den Moderatoren die Frage in die Runde geworfen, ob es denn eine verpflichtende Quote im österreichischen Radio geben, und wenn ja wie hoch diese sein sollte. Walter Gröbchen bejaht die Frage. Grundsätzlich sei er immer ein Gegner einer Quotenregelung gewesen. Mittlerweile sehe er die Quote aber als Ultima Ratio an, den ORF dazu zu bewegen, seinem Bildungsauftrag nachzukommen. Thomas Rabitsch ist der gleichen Auffassung.
Wolfgang Domitner stellt klar, dass er als Ö3-Mitarbeiter zu diesem Thema nichts sagen möchte. Als Privatmensch aber sei er gegen Zwangsquoten. Solche Instrumente seien nicht mehr zeitgemäß. Gröbchen widerspricht vehement. Es gäbe genauso Frauenquoten. Die stelle niemand in Frage, weil man mit einem bestimmten gesellschaftlichen Status Quo einfach nicht mehr zufrieden ist und etwas dagegen tut. Genauso verhalte es sich auch hier. Und es gehe auch nicht nur um Kultur, wie fälschlicherweise oft kolportiert wird, sondern auch um Geld.
Rabitsch ergänzt, dass man zwanzig Jahre lang für eine Anhebung des Anteils gekämpft habe. 2008 schließlich, nach der Enquete, hat sich dann der ORF verpflichtet, den Anteil österreichischer Musik auf 30% anzuheben. Ein halbes Jahr sei das auch gut gegangen, dann allerdings fiel der Anteil ins Bodenlose.

„Was stellt man sich vor?“, wollen die beiden Moderatoren wissen. Rabitsch meint, eine Tiefstquote von 4,6% sei einfach inakzeptabel. In Wahrheit sei alles, was unter 20% falle untragbar in einem Land, das sich selbst als Musikland bezeichnet und auch so sieht. Denn der ORF habe als öffentlicher Sender die Verpflichtung, für eine Ausgewogenheit zu sorgen.

Gröbchen wirft ein, dass FM4 – der einzige Sender im ORF-Universum, der aktiv für österreichische Pop-Musik eintritt – oft als Feigenblatt missbraucht werde. Radio Wien wiederum sieht sich als internationalen Sender. Merkwürdig sei daran nur die Namensgebung „Radio Wien“. Das so genannte AC-Format, das im kommerziellen Radio angewendet wird, argumentiert, dass im Umfeld von Madonna und Elton John junge österreichsche Musik für sinkende Reichweite sorgen könnte. Im Grunde genommen geht es also um eine Angst vor dem Geschäftsverlust.

Wolfgang Domitner entgegnet, dass eine Argumentation, die FM4 zum Feigenblatt abstempelt, den Hintergrund dieses Senders völlig außer Acht lässt. Einen Hintergrund, der sich sehr wohl als Antithese zum herkömmlichen kommerziellen Musikmarkt versteht. Darüber hinaus gibt er zu, dass ein Anteil österreichischer Musik unter 5% äußerst unerfreulich sei. Ö3 sei allerdings ein rein publikumsorientierter Sender. Da spiele die nationale Herkunft keine Rolle. In den letzten Monaten sei der Anteil an österreichischer Musik erfreulicherweise angestiegen, was daran liege, „dass es derzeit einfach viele Produktionen gibt, die zu uns passen.“

„Die jüngere Generationen müssten Interesse haben, in quotenstarken Sendern stattzufinden.“ (Walter Gröbchen)

„Wie kommt ihr zur Information, was an Musik zu euch passt,?“ will Wolfgang Schlögl wissen. Domitner erklärt daraufhin in Grundzügen, wie kommerzielles Radio heute funktioniert: Quer durch die finanziell interessanten Zielgruppen fragt man, was ihnen unter den etablierten Nummern gefällt. Per Telefon, aber auch direkt. Die Menge der Befragten liege auch über den (von Rabitsch als für Marketing-Umfragen repräsentativ eingewandten) 500.

Schlögl will ergänzend wissen, ob diese Umfragen auch in Österreich durchgeführt werden. „Weltweit“, versichert Domitner. Die in Rotation befindlichen Titel werden vorgespielt. „Im Ergebnis ändern sich die Hörgewohnheiten beinahe wöchentlich.“ Sehr spannend sei das, viel diffiziler und weniger böse als allgemein angenommen.

Gröbchen meint daraufhin lakonisch, dass es ein grundlegender Fehler sei verstehen zu wollen, was hinter dieser Programmierung steht. In Wahrheit ließen sich die Verantwortlichen seit zwanzig Jahren von der Berater-Branche den 1er-Schmäh aufbinden, wonach in Woche 10 Frauen ab 34 mehr auf Synthiepop stünden als noch in Woche 9. Ein überkommenes Geschäftsmodell sei das und jeder schön blöd, der Geld dafür ausgibt. Er selbst sei nicht der Business-Mann, der sein Zeug ohne Rücksicht auf Verluste ins Formatradio reinpressen will. Er habe aufgegeben. „Die jüngere Generationen müssten Interesse haben, in quotenstarken Sendern stattzufinden.“ Aber die würden sich vielfach mit den Spielwiesen FM4 und Popfest begnügen.

Domitner stellt fest, dass Ö3 dem Rapper Nazar sehr wohl eine Plattform geben wird. Aber, wenn sein aktueller Titel dann um die 500 Mal gelaufen ist, werde eben nachgefragt.

Das sei doch nur ein Teil der Wahrheit, so Gröbchen. In Wirklichkeit funktioniert es so, dass Ö3 eine Plattform zur Verfügung stellt. „Als Gegenleistung will man dann etwas dafür.“ Das aber sei für einen aus öffentlichen Geldern finanzierten Sender geradezu obszön.

Parisini will wissen, ob es überhaupt einen Zug zu österreichischen Künstlern gibt. „Passiert so etwas wie Recherche oder wird das alles nur noch von PR-Agenturen aufbereitet?“
Domitner stellt klar, dass es keine A&R-Funktion gebe. Man gehe trotzdem in die Szene. „Viele suchen auch von sich aus das Gespräch.“

Gröbchen entgegnet, er habe den Ö3-Chef die letzten zehn Jahre auf keinem Konzert gesehen, das er besuchte. Das aber gehöre ja vielleicht auch gar nicht zu seinem Job. Rabitsch lenkt ein. Es gäbe einfach viel gute Musik, die zwischen den beiden Polen FM4 und Ö3 passiert und deshalb durchfällt. Da werde unfassbar viel in die Mülltonne produziert. Der Grund dafür sei – wie es Wolfgang Schlögl einmal nannte – Style-Faschismus.

Gröbchen ergänzt: Alles, was existiert, kann nicht gespielt werden, das müsse schon klar sein. Dennoch: „Es geht um die handelnden Personen und nicht um Zahlen. Ein entsprechender Gestaltungswille, wie man mit Menschen und ihrer Kreativität umgeht, sollte vorhanden sein.“

Robert Rotifer meldet sich zu Wort. Er meint, man habe es hier schlicht mit der Tragik eines geschlossenen Systems zu tun. Pop hingegen sei immer das Unerwartete gewesen. Insofern finde nicht zusammen, was eigentlich zusammen gehört. Angesichts des heutigen Status Quo fühle man sich sogar zur längst vergangenen Allmacht der Musikredakteure in den 1970er und 1980er Jahren hingezogen. Damals wurde ein Song – daran erinnert er sich noch genau – von Brigitte Xander auf- und abgespielt. Der würde es heute in keine wie immer geartete Rotation mehr schaffen. Das Schräge sei nun, dass man sich solch eine Allmacht herbeiwünscht, weil sie wenigsten dazu führte, dass eine gewisse Präsenz österreichscher Musik gegeben war.

Gröbchen stimmt dem zu. Heute finde solch ein Airplay nur noch als Betriebsunfall statt, wie am Fall des Nino aus Wien ersichtlich.

Das Argument „Wir würden ja gerne, aber es gibt ja nichts“

Schlögl kommt auf das Dilemma zu sprechen, dass jede Initiative, die mehr österreichische Musik spielt und das in einem eigenen Format machen will, automatisch zum Streichelzoo werde. Rainer Praschak vom mica – music austria geht die ganze Quotendiskussion zu wenig weit. Er befürchtet, dass, sollte es zu einer solchen Quote kommen, hauptsächlich Euro-Disco-Produktionen und Andreas Gabalier gepusht würde. Alles in allem sei dadurch aber noch lange nicht mit einer Steigerung der Qualität zu rechnen. „Die Diskussion müsste viel breiter geführt werden.“ Die Quote sei wenn überhaupt nur ein erster Schritt.
Gröbchen gießt noch einmal Öl ins Feuer, indem er behauptet, Ö3-Redakteure würden doch letztlich dafür bezahlt, dass sie österreichische Musik abwehren. Die signalisierte Bereitschaft zur Kooperation sei eine Lüge. Der steigende Prozentsatz der letzten Monate nicht mehr als der verzweifelte Versuch, eine Quote abzuwenden. „Man reagiert auf den Druck, den es gab. Das wird vielleicht ein par Monate anhalten, dann ist es wieder vorbei.“

Rabitsch antwortet auf die Wortmeldung Praschaks, dass, bevor es überhaupt um Qualität gehe, die Existenzsicherung anzustreben sei. Immer mehr Tantiemen fließen ins Ausland, das sei Tatsache und auch in jedem AKM-Bericht nachzulesen.
Praschak meldet sich noch einmal zu Wort. Die Bands, die er gerne hört, wären nie auf Ö3 gespielt worden.
Den wiederum widerspricht Gröbchen vehement. Die von ihm moderierte Musicbox habe zu einer für jedermann hörbaren Zeit Musik abseits ausgetretener Mainstream-Pfade gepflegt. „Das war eine Insel, aber sie hat existiert.“ In weiterer Folge liest Gröbchen einen im Jahr 1984 von dem auch heute noch aktiven Kurier-Journalisten Guido Tartarotti verfassten Artikel vor. Darin beschwert sich dieser über einen Musikanteil von 22,19%. „Um klar zu machen, von welcher Verhältnismäßigkeit auszugehen ist.“ Das oft gebrachte Argument „Wir würden ja gerne, aber es gibt ja nichts“ oder „Wir kennen nichts, was zu uns passen würde“ sei leicht zu entkräften. Erst neulich habe er – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – eine Liste mit 300 (!) Namen derzeit aktiver, guter Bands zusammengestellt. Darauf könne sich niemand herausreden. „Es gibt enorm viel.“

Aus dem Publikum wird angemerkt, dass die Anwesenheit nur eines Sender-Beauftragten ganz gut die Machtverhältnisse widerspiegle. Dass es die ganze Zeit nur um Ö3 geht, sei bedauerlich. Denn in anderen Sender sei die Situation doch eine ganz ähnliche.
Gröbchen stimmt dem zu und meint, es sei geradezu absurd, dass etwa Radio Wien Ernst Moden oder die 5/8erl in Ehr`n nicht spielen würde. Aber es sei auch wieder erklärlich, wenn man weiß, dass die Radio Wien-Chefin erklärt habe, sie lasse sich eher mit den Füßen voraus aus dem Funkhaus tragen, bevor sie mehr österreichische Musik spielt.

In einer Schlussrunde wird über Möglichkeiten österreichischer Musik nachgedacht. Rabitsch führt als Beispiel eine Stream-Abrechnung an. Für 30.000 Streams habe er 94 Euro bekommen. Das sei auch nicht der Weg.
Gröbchen gibt zu bedenken, dass Pop immer auch ein Weg der Selbstermächtigung sei. „Wenn man will, dass etwas passiert, muss man einen positiven Druck aufbauen.“

Hannes Tschürtz findet es großartige, dass erstmals seit langem ein wirklicher Dialog stattfindet. Dass Nazar gespielt wird, liege einzig und allein am „Druck von der Straße“. Diesen Druck wiederum spürt Domitner nicht. Das findet er schade.

„Der Druck von der Straße“ werde letztlich dafür verantwortlich sein, dass ab Oktober Bilderbuch auf Ö3 laufen werden, wendet Walter Gröbchen ein.

Einig sind sich alle Diskutanten darüber, dass Pop – wie es Wolfgang Schlögl in einem emotionalen Schlusswort – formuliert – über die Grenzen eines Genres, eines Senders udgl. mehr hinausgehen muss, um erfolgreich zu sein. „Die Identifikation steigt mit der Penetration.“ Man werde weiter kämpfen. Letztlich sei man – vor allem was das Popfest anbelangt – auf dem richtigen Weg.

Fotos © Simon Brugner / Theyshootmusic.com
Die Diskussions- und Vortragsreihe mica focus wird unterstützt durch die Abteilung für Wissenschafts- und Forschungsförderung der MA7 Wien.

http://popfest.at/