Wie KünstlerInnen, die in Österreich erfolgreich tätig sind, möglicherweise auch in Deutschland erfolgreich sein können, ist eine Frage, die früher oder später viele Bands beschäftigt. Mit Moderator Hannes Tschürtz diskutierten JAN CLAUSEN (FACTORY 92), MAX DOMMA (REEPERBAHN FESTIVAL) und der Booker INGO BECKMANN (TARGET CONCERTS, München).
Der Zeitpunkt für das Popfest könnte besser nicht sein. 2015 war bislang ein gutes Jahr für österreichische Bands. Man findet sie auf den Covers von Leitmedien, sie spielen in ausverkauften Hallen. Ich persönlich habe das, obwohl schon länger dabei, noch nicht erlebt. Ein seltsames Gefühl.
Max Domma: Bilderbuch ist eine Band, die sich, bevor sie bei uns spielten, einen Namen gemacht hat. 2014 haben sie dann bei uns gespielt. Es war eine sehr gut besuchte Show vor 1.000 Leuten auf der Reeperbahn. Gleichzeitig stand Wanda schon in den Startlöchern. Sie spielt 2015 und ich bin mir sicher, dass sie ähnlichen Erfolg haben werden. Heuer werden insgesamt zehn österreichische Bands präsentiert, wobei fünf oder sechs über das kuratierte Programm kommen – das ist eine ganz beachtliche Zahl. Man kann sagen, Österreich hat sich an Skandinavien angenähert.
Jan Clausen: Und da kommen noch einige nach, ganz einfach, weil es in Deutschland derzeit die Strukturen nicht gibt, die es hierzulande gibt.
Ingo Beckmann: Mich irritiert die Fragestellung. Die genannten Bands sind die Speerspitze. Schon vor den genannten Bands aber gab es gute handgemachte Popmusik aus Österreich.
Die Qualität an sich bringt mich zur nächsten Frage: Wenn ein Qualitätsbeispiel da ist, schaut man dann vermehrt hin?
Jan Clausen: Wir haben in Deutschland keinen Radiosender, der sich um Künstleraufbau kümmert wie FM4. Es gibt nicht so etwas wie das Popfest. Die Präsenz von music austria auf Messen oder internationalen Konferenzen ist enorm.
Spielt die Nationalität eine Rolle?
Jan Clausen: Wir betreuen Attwenger, da spielt das eine Rolle, sonst wohl eher nicht.
Max Domma: Die Aufmerksamkeit wird größer und dadurch entdeckt man auch mehr.
Es gab hierzulande lange Zeit das Klischee, österreichische Bands seien minderwertig. Das Beispiel Reeperbahn Festival beweist das Gegenteil: Österreichische Bands wurden querdurch gebucht. Wie schafft man es in Deutschland?
Jan Clausen: Am deutschen Markt ist der Wunsch, raus zu kommen, nicht zu groß. Das ist eher die Ausnahme. Zugleich gibt es gerade wieder eine Welle mit deutschsprachiger Musik. Die Top Ten waren neulich zu 100 Prozent deutschsprachig. Das hilft natürlich auch österreichischen Bands. Aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist das also gut nachzuvollziehen, dass man nach Deutschland will. Dazu kommt eine sehr ähnliche Medienstruktur.
Es gibt ja diesen Kreislauf des Suderns: In Österreich sudert man, dass die Deutschen einen größeren Markt hätten. In Deutschland sudert man, dass man es schwer bis kaum in den angloamerikanischen Raum schaffe. Und US-amerikanische Künstlerinnen und Künstler sind ganz baff, wenn sie nach Deutschland oder Österreich kommen und sehen, welch grandiose Livebedingungen es hier gibt. Damit schließt sich der Kreis.
Jan Clausen: In Deutschland wird Musik gern importiert, leichter als in Großbritannien oder den USA.
Ist einfacher, auch sprachlich.
Max Domma: Der deutsche Livemarkt ist der drittgrößte der Welt. Touren ist angenehm und wirtschaftlich erfolgreich. Man kann 24 Städte spielen, die Sinn machen. Deutschland ist ein direktes Nachbarland und man kann mit der eigenen Sprache erfolgreich sein, die Distanzen sind nicht allzu groß. Trotzdem: Die Competition ist groß.
Jan Clausen: Und die Strukturen sind da. Leute sind bereit, Musik zu konsumieren. In den großen Städten gibt es eine dichte Struktur an Liveclubs – und man kann auf der Route auch viele sogenannte „B-Städte“ mitnehmen.
Ingo Beckmann: Das kann ich nur bekräftigen. Das ökonomische Potenzial ist enorm. Auch aus den Nischen heraus kann man schnell Fuß fassen und sich schnell einen Namen erspielen. Das heißt, sich in Deutschland eine bundesweite Popularität zu erspielen, ist relativ einfach.
Wir haben das „Weltberühmt in Österreich“-Phänomen. Man kennt dich in Wien, in Ebensee, aber spielst du vor 30 Leuten. Deutschland ist noch einmal eine andere Nummer. Wie baut man Künstlerinnen und Künstler sinnvoll auf?
Ingo Beckmann: Es gibt gewisse Parameter, damit es Sinn macht: eine halbwegs stabile Veröffentlichungspolitik, ein Netzwerk aus Promotern, die regional und überregional agieren, Partner, die die Märkte kennen, die wissen, in welchen Clubs das funktionieren kann, Medienpartner kennen und so weiter. Natürlich gibt es auch bei uns ein Gefälle zwischen Berlin und Konstanz. Deshalb muss man die richtigen Partner finden. Dann kommt die Präsenz.
Jan Clausen: Das Einzige, das in Deutschland bundesweit funktioniert, ist der Printmedienmarkt. Auf der anderen Seite haben wir neun öffentlich-rechtliche Sender, die nur regional funktionieren. Mittlerweile nutzen wir lieber FM4, um für Bayern PR zu machen, als einen deutschen Sender. Das allein zeigt, wie stolz man auf einen Sender wie diesen sein kann. Man erreicht mit FM4 eine enorm wichtige Zielgruppe.
Seit einiger Zeit wird hier eine Quotendebatte geführt, ein bekanntermaßen zweischneidiges Schwert. Faktum ist jedenfalls, dass in den Mainstreamradios extrem wenig deutschsprachige Musik gespielt wird. Wie sieht die diesbezügliche Marschroute aus?
Jan Clausen: Man muss schauen, welches Potenzial die Band hat, welche Radiosendungen, welche Spezialsendungen es gibt, was die regionale Presse hergibt. Das ist eine sehr individuelle Betrachtung. Und oft gibt es große Hürden. Im November etwa finden in der Woche oft fünf große Konzerte statt. Beispiel: New Order in Berlin. Da gab es schon so viele Präsentationen, da muss man sich nach Alternativen umsehen. Wichtig ist der Kontakt zu regionalen Partnern, örtlichen Veranstaltern, die die regionale Landschaft kennen. In Köln zum Beispiel gibt es 1Live, der erst ab 1.500 Leute, die zu einem Konzert kommen, präsentiert. Dementsprechend schwierig ist es, Präsentatoren zu bekommen. Oft läuft das sehr old school.
Wie sehr muss es brodeln, damit es interessant wird?
Max Domma: Es gibt eine direkte Verbindung. Zunächst ist der Inhalt wichtig. Da versuchen wir, selbst Akquise zu machen und Bands in einem frühen Stadium zu entdecken. Selbst kleinste Acts sollten eine gewisse Struktur haben und eine gewisse Aufmerksamkeit erzielt haben. Wenn man weiß, dass noch jemand aus der Branche begeistert ist, dann fällt es leichter, zu buchen, auch wenn die Band noch nicht so bekannt ist.
Ingo Beckmann: Eine persönliche Überzeugung muss gegeben sein. Dazu müssen erkennbare Strukturen vorhanden sein, um aus dem Wust das mit Perspektive herauszufiltern. Umfeld und Publikum sind wichtig. Ich möchte nur mit Künstlerinnen und Künstlern arbeiten, wo Strukturen da sind und ausgebaut werden können. Die Ausnahme ist, dass ich von der Musik so begeistert bin, dass ich mir die Strukturen selbst schaffen will.
Jan Clausen: Wir kommen als PR-Firma ja nach den beiden ins Spiel. Aber aus meiner Sicht müssen Bands einfach realistisch sein, eine realistische Strategie haben: In welchen Medien wollen sie vorkommen, welche Livekonzerte wollen sie spielen. Zum Beispiel sind Interviews im öffentlich-rechtlichen Fernsehen am Wochenende nahezu unmöglich. Da gilt es, gemeinsam mit Label, Promoter, Managerin beziehungsweise Manager einen Plan zu erarbeiten. Früher haben wir nur zu oft den englischen Plan einfach übernommen. Mittlerweile haben sie auch dort verstanden, dass es nicht reicht, in Berlin zu spielen und alles andere außen vor zu lassen.
Welche Rolle spielen dabei Events wie das Popfest oder das Waves Festival?
Ingo Beckmann: Eine herausragende. Da machen sich ja Leute Gedanken und wählen etwas aus für mich. Für mich als Booker. Diese Künstlerinnen und Künstler haben gewisse Qualitäten, gewisse Kriterien erfüllt, sonst würden sie nicht spielen. Das ist also ein Filter. Vor Ort lassen sich Absprachen treffen, man kann die Band anderen Partnern vorstellen. Wenn ich weiß, dass dort ein Band spielt, weiß ich, dass sich jemand Gedanken gemacht hat. Und man kann um solche Key-Events herum Tourneen basteln. Das spielt auch international eine Rolle.
Jan Clausen: Das Reeperbahn Festival ist wahnsinnig wichtig. Aber du musst natürlich auch wissen, was du von einem Festival willst. Es macht Sinn, im Vorfeld zu gucken, was und wen ich erreichen kann. Planen statt auf Zufälle bauen. Mit dem Exportbüro einen Plan schmieden …
Die Diskussion nach dem richtigen Zeitpunkt wird immer wieder geführt. Bilderbuch wurde immer wieder diskutiert auf der Reeperbahn, kann ich mich erinnern. Dann ist der Zeitpunkt irgendwann perfekt, und es wurde bewiesen, was fünf Jahre vorher prophezeit wurde. Wann ist der richtige Zeitpunkt?
Jan Clausen: Darüber machen wir uns viele Gedanken. Wir müssen gut abwägen.
Max Domma: Bilderbuch funktionieren seit neun Jahren. Es wird Gründe gegeben haben, warum die nicht schon 2012 präsentiert wurden. Die Zuschauerinnen und Zuschauer gehen davon aus, dass die Qualität bei kleineren Acts genauso gegeben ist wie bei großen. Gespielt zu haben reicht nicht aus.
Das Reeperbahn Festival kann der Einstieg sein. Kann man es umgekehrt auch verbocken?
Jan Clausen: Ja, kann sein, dass etwa die Band reif ist, aber die Managerin beziehungsweise der Manager noch nicht. Sie beziehungsweise er hat die Netzwerke nicht. Oder die Band weiß noch nicht, was sie will. Du musst deine Hausaufgaben gemacht haben, erst dann macht es Sinn.
Nach einem Festival wie diesem hier bleibt eine Handvoll Bands übrig, über die die ganze Branche diskutiert. Es können nicht alle 400 erfolgreich sein.
Max Domma: Genau. 200 sind Newcomer auf der Reeperbahn.
Jan Clausen: Auch die Festivals im eigenen Land sind wichtig. Es macht durchaus Sinn, bei Waves zu spielen. Ein Heimspiel ist einfacher als Auswärtsspiel.
Ist es beeindruckend für Sie zu sehen, wie hier 10.000 Menschen eine unbekannte Band abfeiern?
Ingo Beckmann: Klar überwältigt einen so eine Kulisse. Darum geht man ja auf solche Veranstaltungen. Der Zufallsmoment ist wichtig. Sollte hier ein Konzert funktionieren, ist das ein Eindruck, den man mitnimmt.
Jan Clausen: Es ist wirklich beeindruckend, dass so viele kommen. Ich kenne nichts Vergleichbares.
Die Diskussion wird für das Publikum eröffnet.
Publikum: Ja, Panik, Bilderbuch – das geht alles in eine gewisse Richtung, deutscher Indie-Pop nämlich. Was sagen Sie zu anderen Genres? Was ist der Anspruch, auch mal andere Sparten auszuprobieren?
Ingo Beckmann: Von meiner Warte aus gibt es bestimmte Affinitäten. Aber der Markt ist sehr diversifiziert, auch abseits der genannten Genres gibt es Partner. Wichtig ist, in einer Basisrecherche zu schauen, wo Musikerinnen und Musiker, die ähnlich gelagert sind, arbeiten, welche Partner sie haben.
Jan Clausen: Hannes Tschürtz und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fragen, ist ein guter Tipp. Die werden euch Ansprechpartnerinnen und -partner nennen. Es gibt zwanzig Printmagazine, jedes Subgenre hat ein eigenes Printmagazin. Wir haben neulich Attwenger gemacht, die finden medial nicht statt, trotzdem kommen 250 Leute zu einer Show.
Max Domma: Ich kann mich nicht von meinem persönlichen Geschmack leiten lassen. Die Palette, die bei uns stattfindet, zeigt ganz gut, dass ich mit jedem Genre mein Publikum finde. Aber natürlich gibt es populärere und weniger populärere Bands.
Publikum: Das Wort „Struktur“ ist jetzt besonders oft gefallen. Was meinen Sie damit und was meinen Sie mit „Was will die Band“?
Jan Clausen: Struktur ist zunächst einmal das Team um dich herum, das ganz wesentlich die Wahrscheinlichkeit des Erfolges beeinflusst. Wichtig ist, sich anzuschauen, wo musikalische Gleichheiten stattfinden. Man muss wissen, was funktionieren kann. Wer auf allen Radios gespielt werden will und Metal macht, hat die falschen Vorstellungen. Geld muss investiert werden.
Hannes Tschürtz: Es geht um Zeit, Geld und Arbeit. Aber warum gerade Deutschland? Vor allem, wenn ich aus Ostösterreich komme, bin ich nach Deutschland leicht einmal fünf Stunden unterwegs. Von Wien aus kann ich in diesem Radius fünf verschiedene Länder touren. Die Diskussion, was mehr Sinn macht, kann unter Umständen komplex sein.
Max Domma: Letzten Endes zählt grundlegende Innovation. Das ist der Ankerpunkt, um sich für etwas zu interessieren.
Publikum: Inwieweit lässt sich das mit den geforderten „professionellen Strukturen“ vereinbaren?
Jan Clausen: Sobald du ins Ausland willst, musst du das auch wirklich wollen. Einige wenige Städte zu bespielen, kann man bis zu einem gewissen Stadium auch als Lehrerin beziehungsweise Lehrer als gut gepflegtes Hobby betreiben. Wenn man den Sprung über die Grenze wagt, wird der Aufwand recht schnell zehnmal so groß.
Max Domma: In Köln gibt es die Strukturen, dass man sich sehr schnell innerhalb Stadt und Umland einen gewissen Bekanntheitsgrad erspielen kann. Man kann auf Basis des Hobbys Erfolge feiern. Aber irgendwann muss man sich entscheiden
Ingo Beckmann: Das ist eine Frage der inneren Berufung, auf die sollte man hören. Eine grundlegende Entscheidung.
Publikum: Wird aktiv nach Österreich geschaut? Welche Kanäle werden gecheckt?
Jan Clausen: Erfolg in Österreich ist natürlich relevant. Wenn du in Österreich jemanden begeistern kannst, ist die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass du das auch anderswo fertigbringst.
Ingo Beckmann: Die großartigen Steaming Satellites sind noch zu erwähnen. Die werden ja gar nicht als österreichische Band wahrgenommen, die könnten überall herkommen.
Max Domma: Wir brauchen Filter, können nicht in allen Ländern forschen. Wir sind abhängig von Exportbüros, Line-ups bei Festivals und so weiter.
Jan Clausen: Wenn mir was angeboten wird, dann recherchiere ich über meine Netzwerke nach, um zu eruieren, was die so davon denken. Jeder ist von seinen Netzwerken abhängig.
Max Domma: Wir brauchen Filter, können nicht in allen Ländern forschen. Und es gilt, den realistischen Blick zu bewahren.
Danke für die Diskussion.
Hannes Tschürtz
Fotos Popfest Sessions: Simon Brugner
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