Ein Musikpreis kann es zwar kaum allen recht machen, die ungewöhnlich massive Kritik im Vorfeld des Amadeus 2014 brachte aber eine Unzufriedenheit der Musikschaffenden mit der Behandlung durch die heimische Musikindustrie zum Ausdruck, die nachdenklich machen sollte.
Es diskutierten: Violetta Parisini (Musikerin/Popfest Kuratorin),
Hannes Tschürtz (ink music),
Jonas Vogt (Noisey)
Es moderierte: Boris Jordan (Radio FM4)
Seit neuestem gibt es eine „Task Force“ Amadeus. Was zunächst wie ein Scherz klingt, ist Realität. Und Hannes Tschürtz, der von der IFPI eingeladen wurde, daran teilzunehmen und seine Ideen einzubringen, möchte auch alles anderes als sich darüber lustig machen. Die IFPI sei gerade dabei sich zu öffnen und das sei bemerkenswert und zu begrüßen, so der Musik-Manager. Dass er als jemand, der aus der Indie-Ecke kommt, gehört wird, sei ein Schritt in die richtige Richtung.
Doch worum geht es eigentlich? Woran krankt das System Amadeus, will Boris Jordan wissen. Man sei zu wenig am Puls der Zeit, meint Tschürtz. Die Distanz zwischen dem, was sich in der Szene tatsächlich abspielt und dem, was dann im Rahmen solch einer Veranstaltung gezeigt werde, habe sich in den letzten Jahren vergrößert. Das sei schlecht und als solches auch bemerkbar.
Sich selbst als Benachteiligte des Systems Amadeus zu bezeichnen, würde Violetta Parisini zu weit führen. Natürlich sei man von Anfang an chancenlos, wenn man aus ihrer musikalischen Ecke kommend in einen Award-Topf mit Anna F. und Christl Stürmer gesteckt wird. „Aber eigentlich geht es mir mehr um einen Award wie Jazz/World/Blues, in dem Künstler aus völlig verschiedenen Musikwelten zusammengeworfen würden.“ Das sei viel schlimmer als ihr Schicksal.
Darüber hinaus, das habe sie selbst miterlebt, könne es nicht angehen, dass jeder Universal-Mitarbeiter zehn Freunde auf dieses „Familienfest“ mitnehmen könne, während wichtige Branchenvertreter, die ein Anrecht darauf hätten, dabei zu sein, draußen bleiben müssen. Da bestehe ein krasses Missverhältnis.
Boris Jordan erzählt daraufhin, dass FM4 in der Vergangenheit sehr wohl überlegt habe, einen völlig eigenständigen Musikpreis einzuführen. Das aber, kam man überein, würde der Branche nichts Gutes tun. „Das wäre dann wieder eine dieser Ghettoisierungen“. Grundsätzlich sei das Vorhaben, einen alle Sparten übergreifenden Musikpreis zu haben, ja doch ein begrüßenswertes – darin sind sich alle Diskussionsteilnehmer einig. Es gäbe ja Bands wie Bilderbuch, die Indie seien, aber durchaus auch auf Ö3 gespielt werden könnten. Durch einen FM4-Streichelzoo, so Jordan, nehme man bestimmter Musik von vorneherein die gesamtgesellschaftliche Relevanz.
Dem stimmt auch Jonas Vogt zu. Es gäbe Bands – wie etwa die angesprochenen Bilderbuch – die sich nicht davor scheuen, auch größere Massen anzusprechen.
Die Vorgeschichte zum heurigen Amadeus-Award mit drei Bands, die sich mittels schriftlicher Stellungnahme vom Preis distanzierten, was die Medien dazu veranlasste von einer „Massenflucht“ zu schreiben, gibt es dennoch – darin sind sich alle Anwesenden einig – zu überdenken. Die Begründungen für die Ausstiege waren recht unterschiedlich: HVOB sprachen von plumpen Marketingbedürfnissen und deren Befriedigung durch Krone-Hit, wovon sie sich gerne distanzieren würden. Im Falle von Naked Lunch war es eine merkwürdige Nominierung (in der Sparte Hard & Heavy) und der Umstand, dass man sie falsch geschrieben hatte. Und Monobrother erklärte, sich ganz allgemein von der verlotterten Musiklandschaft abgestoßen zu fühlen. Gemeinsam war diesen Absagen aber eine hörenswerte Kritik an der Musikmarkt-Maschinerie.
Ein Aufstand, so Jordan, den es in dieser Form in Österreich noch nicht gegeben habe. „Was sind die Gründe dafür?“ will er wissen.
Parisini meint, es liege am gesteigerten Selbstbewusstsein der Szene, die sich auch selbstbewusster gibt und gegen Missstände offen aufbegehrt. Tschürtz vertritt die Auffassung, dass es letztlich um Glaubwürdigkeit gehe. „Die Kritik dieser Bands sei nichts anderes als ein Schrei nach Liebe.“ Und genau dafür, nämlich diese Liebe zu geben, sei der Preis ja auch ins Leben gerufen worden.
Vogt wendet ein, dass mit solch eine Kritik wenig bis gar nichts riskiert werde. HVOB etwa wären auf einem Label in Berlin. Auftritte in Österreich würden ohnehin wenig bis gar keine passieren. Und – was man nicht vergessen dürfe und woran Boris Jordan erinnert – seien gezielte PR-Stunts in Zusammenhang mit Awards spätestens seit KLF Teil des Programms.
Die Task Force, die nun ins Leben gerufen wurde, sei laut Parisini ein erster Schritt in die richtige Richtung. Dort solle man sich doch bitte darüber unterhalten, was aus einer Szene heraus abgebildet werden kann. Die Einladungspolitik der letzten Jahre sei doch ein wenig merkwürdig gewesen. „Warum spielen dort Fanta 4?“ fragt sie. „Wem bringt das etwas?“
Genau darüber, erzählt Tschürtz, werde dort auch diskutiert. Nachdem es aber die IFPI sei, die den Preis ausrichtet und bezahlt, laufe diese Einladungspolitik leider immer auf einen faulen Kompromiss hinaus. Nur beim FM4-Preis sei das anders. „Da stehen die Bands wirklich dahinter. Auf den ist man stolz.“
Gegen die Behauptung, die IFPI bezahle den Amadeus, verwehrt sich Franz Hergovich vom mica – music austria. In Österreich bestehe eine merkwürdige und einzigartige Verbandelung zwischen LSG und IFPI, so Hergovich. Bei von der IFPI für den Amadeus verwendeten Geldern seien daher immer auch Fördergelder der LSG dabei. Die sind ja zur Förderung der Bezugsberechtigten der LSG da und dann werden viele wichtige Labels nicht mal eingeladen. Im Publikum brandet ob dieser Wortmeldung spontaner Applaus auf. Deshalb auch gäbe es ja den unter Musikern verbreiteten Treppenwitz, erzählt Tschürtz, der da lautet: „Gemma hin, fressen und saufen, so kriegen wir wenigstens einen Teil unserer Tantiemen wieder zurück!“
Die Macher des Amadeus hätten vor vier Jahren die Weichen in Richtung eines rein österreichischen Musikpreises gestellt. Grundsätzlich, so Tschürtz, habe man sich dadurch auf das Wesentliche konzentriert. Nachdenken sollte man aber darüber, ob es parallel dazu nicht auch einen Kritikerpreis geben sollte.
Parisini lenkt hier ein: Generell müsse man bei Erweiterungen aufpassen, dass man sich nicht verzettelt. Aber das sei schon richtig. Es sei aberwitzig, dass Muthspiel und die 5/8er in Ehren in einer Kategorie wären. Auch beim Videopreis wäre das fatal. „Da konkurrieren Low-Budget-DIY-Produktionen mit teuren Major-Produkten.“ Und ganz allgemein müsse man sich darüber Gedanken machen, wie man mehr Aufmerksamkeit erzeugen kann.
Jordan will vor allem von Tschürtz wissen, ob solch ein Preis zu mehr Aufmerksamkeit und besseren Verkaufszahlen führt. Tschürtz verneint. Relevanz und Werbung müssten größer sein, damit sich das in Verkaufszahlen niederschlägt. Wenn überhaupt, dann reagiere man im Ausland positiv, weil man dem Preis dort eine Relevanz unterstellt, die er gar nicht hat. Und solch eine Preisverleihung sei ja eigentlich auch das genaue Gegenteil von dem, was Pop ist. „Das Wesen von Pop ist es doch auch, dass er sich nicht in 1,2, oder 3 einteilen lässt…“. Vogt stimmt dem zu. Solch ein Preis sei nicht mehr und nicht weniger als eine Momentaufnahme. Im besten Fall bilde er daher auch genau das ab: Den Moment.
Rober Rotifer meldet sich abschließend aus dem Publikum zu Wort. Das Problem sei doch, so der Journalist, dass an das Haus „Amadeus“ niemand mehr glaube. Eine Firma wie Universal könne Naked Lunch doch nichts bieten. Die Popwelt habe wenig Grund, zu dieser Veranstaltung hin zu gehen. Warum? „Weil sich die IFPI nicht größer machen kann als sie ist.“ Der Amadeus sei wie das Familienfest einer weit verzweigten Familie, die sich eigentlich nichts mehr zu sagen hat.
Rainer Praschak meldet sich zu Wort. Schon damals, als der Amadeus noch mit dem ORF kooperierte und Wolfgang Schlögl mit den Sofa Surfers im Hauptabendprogramm lief, habe das wenig bis gar nichts zum Plattenverkauf beigetragen, erzählt er aus seiner Zeit bei Klein Records. „Schon damals war das ein Armutszeugnis.“ „Heute hat man nicht einmal mehr diese Unterstützung.“ Und die Industrie? Wenn er das höre, müsse er lachen. Im Grunde genommen sei es doch so: „Der Forstinger in Mödling hat mehr Mitarbeiter als die gesamte österreichische Musikindustrie.“ Demgegenüber schaffe man durch einen gelungenen Auftritt bei der Echo-Preisverleihung in Deutschland auch wirklich eine Steigerung der Stückzahlen. Ein Anspruch, den, das weiß auch Tschürtz, der Amadeus nicht erfüllen kann.
Aber, das weiß auch Vogt: „Die Enttäuschung ist groß, wenn die Aufmerksamkeit nicht da ist. Wenn man sich also Mühe gibt, auf einen Auftritt hinarbeitet, und der dann rein gar nichts bewirkt.“
Und genau da müsse man einhaken, meint Parisini. Die 5/8erl in Ehren würden mehr als 200 mal im Jahr live spielen, sagt Parisini. „Im Radio laufen sie deshalb aber auch nicht.“ Der Amadeus sei eines von vielen Projekten, die wenn sie gut wären, einiges in die richtige Richtung bewirken könnten, so die Musikerin.
Wie müsste das genau aussehen?, will Jordan wissen.
Parisini kann sich einen funktionierenden Musikpreis nur unter einer Kooperation mit Ö3 vorstellen. „Es geht nur über solche Kooperationen. Und: mehr Mut. Mehr Mut kann nie schaden…“
Wobei man, meint Vogt, dort nicht nur die Sieger spielen müsste, sondern alle Nominierten entsprechend abbilden müsste.
Tschürtz stellt abschließend klar, dass die Recorded Music Industrie vielleicht klein sei, das aber gelte nicht für die ganze Branche. Das sei ein großer Wirtschaftszweig. Hier müsse man genau differenzieren. Der Familienbegriff sei problematisch. Und nicht nur die Medien, auch die Künstler gehören zu einer erfolgreichen Geschichte dazu. Und da gehe neuerdings erstaunlich viel weiter, wenn er an Parov Stelar denkt, der beim Frequenzy den zweiten Slot hatte, und Bilderbuch, die sich anschicken, in Deutschland groß zu werden.
Fotos © Simon Brugner / Theyshootmusic.com
Die Diskussions- und Vortragsreihe mica focus wird unterstützt durch die Abteilung für Wissenschafts- und Forschungsförderung der MA7 Wien.
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