POPFEST SESSIONS: Sind wir Helden?

Popfest Sessions 1Der österreichische Pop strotzt derzeit vor Selbstbewusstsein, auf den Minderwertigkeitskomplex folgt die Hybris. Nach dem Durchmarsch von WANDA und BILDERBUCH in Deutschland spricht man wieder allerorts ironiefrei vom Austropop und niemand weiß mehr so recht, warum das eigentlich einmal ein böses Wort war. Die Medien und die Veranstalter sind auf den fahrenden Zug aufgesprungen, es gibt plötzlich wieder ausverkaufte Festivals und Tourneen mit rein österreichischen Line-ups. Aber unter all dem Jubel stellen sich schon ein paar Fragen, wie zum Beispiel: Wie kam dieser Boom zustande und was lässt sich daraus lernen? Ist Pop, der seine Herkunft – sprachlich – reflektiert, der richtigere, weil authentischere Pop? Paradox, aber: Wird Pop im Onlinezeitalter überhaupt regionaler? Lässt sich diese Welle verlängern oder muss sie irgendwann brechen? Kann oder soll Pop je eine Nation repräsentieren? Die Perspektive ist international, aber ist Deutschland schon die Welt? Ist der Austropop einfärbiger – sprich: monokultureller – als Österreich selbst? Profitieren alle anderen davon, wenn der Ösi-Pop international groß wird? Es diskutierten ANNA KOHLWEIS (SQUALLOSCOPE), CHRISTINA NEMEC (COMFORTZONE), FRITZ OSTERMAYER (FM4), STEFAN REDELSTEINER (Agentur Redelsteiner, Manager von WANDA), FRANZ CHRISTIAN „BLACKY“ SCHWARZ (TBC) mit dem Moderator Robert Rotifer.

Die Journaille verwendet neuerdings wieder gern das frühere Tabuwort „Austropop“. Ich bin mit diesem Tabu aufgewachsen. Stefan Redelsteiner, heute Bandmanager der boomenden Band Wanda, hat mich 2008/09 als „Stefan aus Floridsdorf“ kontaktiert, um mir eine Band zu empfehlen: eine Band namens Wanda, die ich damals aber ablehnte, weil sie mir zu „gerade“ war. Heute ist sie eine der Speerspitzen des neuen Wir-Gefühls.

Stefan Redelsteiner: Ich gründete damals gerade das Label „Problembär Records“ – aus Gründen der Selbstermächtigung.

Hat sich die Perspektive auf die Szene geändert?

Stefan Redelsteiner: Ja, deshalb habe ich das Label abgegeben – einerseits wollte ich mit dem Unsinn, der mir vermehrt angeboten wurde, einfach nichts mehr zu tun haben und andererseits wollte ich mich voll und ganz auf meine Managementaufgaben konzentrieren. Ich selbst kann mit dem Begriff „Austropop“ ja rein gar nichts anfangen, weil ich diese Musik nie hörte. Manche der von mir vertretenen Bands wie zum Beispiel Monsterheart haben mit Austropop schon einmal sprachlich nichts zu tun, die meisten aber, selbst wenn sie auf Deutsch singen, auch musikalisch nicht.

Anna Kohlweis: Ich veröffentliche seit jeher auf Englisch. Musik war für mich immer ein Mittel, um aus der Enge meiner Umgebung herauszukommen. Deutsch hat sich dafür aus logischen Gründen von vornherein verboten. Vom Publikum her habe ich die Erfahrung gemacht, dass englischsprachiges Publikum sehr viel mehr auf die Texte achtet als deutschsprachiges. Man sieht an den Augen, dass eine Zeile angekommen ist.

Franz Christian „Blacky“ Schwarz, Sie waren ein langjähriger Freund, Manager und Nachlassverwalter von Georg Danzer. Auf Radio Wien haben Sie eine Sendung, in der Sie deutschsprachige Musik spielen, und neulich ist das von Ihnen über Georg Danzer verfasste Buch „Große Dinge – Erlebtes und Erzähltes“ erschienen. Als junger Journalist für FM4 durfte ich mit Danzer ein Interview machen, das ich mit den Worten „Ich bin von FM4“ eröffnete. Danzer quittierte das damals mit dem Satz: „Ja, das hör ich jeden Tag.“ Ich fand das deshalb so interessant, weil es mir zum ersten Mal zeigte, dass wir uns zwar von denen abgrenzen, die sich aber nicht von uns.

Franz Christian „Blacky“ Schwarz:
Danzer hat sich Zeit seines Lebens leidenschaftlich gegen den Begriff Austropop gewehrt. Er selbst hörte gern Fettes Brot, Fanta 4 und Texta und war für alle Genres offen. Das hört man auch auf seinen Platten. Kein Album klingt wie das andere. Dennoch wird alles unter dem Mäntelchen „Austropop“ verkauft.

Popfest Sessions 2Christina Nemec: Austropop ist nicht unbedingt etwas, was die deutsche Sprache braucht. Ich selbst habe am Anfang auch noch auf Deutsch gesungen – einfach weil mein Englisch zu schlecht war. Dass es derzeit hauptsächlich männlich dominierte Bands sind, die den Durchbruch schaffen, halte ich für Zufall. Mit Denk gibt es derzeit im Dialekt eine starke Vertreterin. Und Gustav, als eine weit über die Grenzen hinaus bekannte Sängerin, darf man auch nicht vergessen. Wichtig ist, dass schon im Kindesalter versucht wird, Barrieren zu beseitigen, damit sich mehr Frauen auf die Bühne trauen.

Fritz Ostermayer: Ich fing bei Radio Rot Weiß Rot an – ein Umstand, den ich selbst mittlerweile verdrängt habe. Danach habe ich versucht, auf Ö3 „Gescheites“ reinzudrücken wie etwa Maische oder die „Extended Versions“, bin an diesem Vorhaben aber kläglich gescheitert. „Austropop“ ist ein von dummen Medienheinis gebrauchter Begriff. Keine Musikerin und kein Musiker ist damit glücklich. Es gab in den 1970ern tolle Songs unter diesem Label. Es gab in den 1980ern Scheiß-Songs unter diesem Label. Heute wird unter „Austropop“ zumeist der dumme Versuch subsumiert, absolut uncool zu sein. Die meisten Leute, die von sich selbst behaupten, dass sie Austropop machen, haben keinen Stil und keinen Sinn für Mode oder Originalität.

Gerhard Stöger, Sie schrieben im Falter: „Es gibt ihn nicht, den Wiener Pop, es gibt nur Pop aus Wien.“

Gerhard Stöger: Es gilt, den Ansatz des Popfestes, der da meiner Ansicht nach lautet: „Es gibt viel Musik, die auf FM4 stattfindet, aber nirgendwo anders“, zu überdenken. Warum spielen Wanda und Bilderbuch nicht? Weil sie schon zu groß sind. Hätte man mir vor einiger Zeit prophezeit, dass ich einmal auf einem Konzert sein werde, auf dem Belle & Sebastian zwischen Wanda und Bilderbuch stimmungsmäßig abfallen würden, hätte ich diejenige beziehungsweise denjenigen für verrückt erklärt. Im Falle einer Band wie Fijuka gelingt es dem Popfest, einen unbekannten Act einer größeren Menge an Leuten bekannt zu machen. Mission accomplished. Dennoch muss sich das Popfest Gedanken machen, wofür es stehen soll, weil Wien als die Popstadt gilt, dann aber eine Menge Bands, die dafür stehen, nicht stattfinden.

Gründe dafür könnten monetäre Erwägungen und Sperrfristen sein. Ich möchte aber noch einmal auf den Austropop-Kontext zurückkommen. Wanda referenzieren auf Fendrich. Und Andreas Spechtl [Sänger von Ja, Panik; Anm.] hat in einem Interview – angesprochen auf den momentanen Hype – Folgendes von sich gegeben: „Da wird mit Kunst wieder einmal nationale Selbstbestätigung betrieben. Und niemand von den Protagonisten wehrt sich wirklich dagegen. Weil’s ja auch eine gut funktionierende Marke ist.“

Popfest Sessions 3Fritz Ostermayer: Dagegen wehre ich mich vehement. Spechtl überschätzt sich selbst und hat noch nicht begriffen, dass Diskurspop tot ist. Alles, worum es ihm geht, ist der Distinktionsgewinn, den er sich dadurch erwartet, dass er sich über Bilderbuch und Wanda stellt.

Warum muss man sich eigentlich ständig von irgendetwas distanzieren?

Anna Kohlweis: Das Publikum verändert sich, je größer der Act wird.

Stefan Redelsteiner: Wanda ist nun einmal keine Holzhammer-Politband.

Kann oder soll eine einzelne Musikrichtung eine Nation reflektieren? Kann das sein, das Pop nichts mit der politischen Lage zu tun hat?

Fritz Ostermayer: Man kann keiner Band vorwerfen, sich nicht zu positionieren. Pop kann nur ein Megafon sein, aber nichts erzeugen. Andererseits steht das größte österreichische Pop-Phänomen derzeit, Andreas Gabalier nämlich, für ein aggressiv-reaktionäres Weltbild. Und da muss sich dann jede Band selbst fragen, ob man dem nicht etwas entgegensetzen möchte. In Wahrheit ist es für Rechte kein Problem, an das rechte Gedankengut einer Band wie Freiwild anzudocken.

Wo aber kann man links andocken?

Gerhard Stöger: Tocotronic halten sich in ihrer Musik zwar zurück, engagieren sich sonst aber sehr wohl als linke Speerspitze.

Franz Christian „Blacky“ Schwarz: Ob man eine Musikrichtung unter einem Begriff wie „Austrozone“ [So nennt sich ein von Musikjournalist Eberhard Forcher herausgegebener Sampler; Anm.] zusammenfassen lässt, finde ich fraglich. Ich schätze Forcher, aber wenn der Gabalier drauf ist, hört sich der Spaß auf. Der Grund dafür könnte das Engagement von Universal sein. Was vor ein paar Jahren die Stürmer war, ist jetzt halt der Gabalier: eine Melkkuh.

Gerhard Stöger: Das kann ich bestätigen. Ich selbst habe vor geraumer Zeit einen Sampler für den Falter betreut: Gutes wurde rausreklamiert und Dinge wie Johann K. wurden reinreklamiert.

Franz Christian „Blacky“ Schwarz: Ich habe mich gegen derartige Einmischungen gewehrt und deshalb hat es keine Fortsetzung meines Samplers gegeben. Die Worried Men Skiffle Group waren Austropop, lange bevor es den Begriff überhaupt gegeben hat.

Fritz Ostermayer: Der beste Austropop  derjenige, der ein Spiel mit dem Gscherten unterhielt. Das Fremdsein in der eigenen Sprache ist es, worum es in Wahrheit geht. Man musste sich den Dialekt im Skiffle erst erarbeiten. Dass das dann irgendwann in der Gefühlsduselei und im Seicherltum endet, ist dem Österreicher und seiner Art geschuldet.

Popfest Sessions 4Anna Kohlweis, fehlt Ihnen dadurch, dass Sie nicht auf Deutsch singen, eine Entfaltungsebene beziehungsweise eine Entfremdungsebene?

Anna Kohlweis:
Ich habe mich nie als Teil eines österreichischen Gemeinschaftsphänomens gefühlt. Das ist halt einfach so. Ich habe immer die Flucht gesucht, und die war eben das Internet, und die englische Sozialisierung darin. Ich kenne Leute, die das so gemacht haben wie ich, viel mehr aber, die es genau anders gemacht haben. Wenn ich daran denke, dass ich im Dialekt singen muss, bekomme ich klaustrophobische Gefühle.

Um aus österreichischer Sicht international Erfolg zu haben, musste man sich angloamerikanisch geben oder wortlos den Erfolg suchen. Christina Nemec, denken Sie, dass diese Route noch offen für elektronische Musik ist?

Christina Nemec: Dorian Concept, der das Popfest eröffnet hat, veröffentlicht auf Ninja Tune. Und Fennesz, der ebenfalls hier spielt, veröffentlicht nicht nur auf Editions Mego, sondern auch auf Touch Records. Die Beispiele sind also noch da. Andererseits ist das Österreichbild im Ausland teilweise schon einseitig: Schwarzenegger, Falco, Kruder Dorfmeister … Ich selbst bin auch eher im Ausland vernetzt. Ich versuche, außerhalb von Genres zu arbeiten, was noch schwieriger ist.

Die Genannten, Fennesz etwa, werden unter den Leuten, die ich in England kenne, schon mit Österreich assoziiert. Da wird ein Bild gezeichnet, das man in der Diskussion nicht vergessen darf. Das sieht so aus: Freidenkerinnen und Freidenker machen tolle, ein wenig verrückte Musik. Erst durch Kruder Dorfmeister wurde das zum Kaffeehaus-Klischee. Dieses Österreichbild existiert aber nach wie vor.
Und das Wir-Gefühl. Gibt es das?

Gerhard Stöger: Der Wiener kommt mit dem Austropop-Cover, ja. Aber ich hatte bislang nicht das Gefühl, dass das in eine chauvinistische Richtung kippen würde. Im Gegenteil: 5/8erl in Ehr‘n treten bewusst politisch auf.

Meine Beobachtungen berufen sich auf die Weiten des Internets, die einem ja manchmal den Blick auf einen Tunnelblick verengen. Und die Poster, die zum neuen Wir-Gefühl aufrufen, gibt es dort halt einfach.

Fritz Ostermayer: Deppen gibt es in allem. Freuen wir uns doch, dass es so wunderbare Musik gibt, die zufällig aus Österreich kommt. Und hoffen wir, dass sie international gedacht ist.

Danke für die Diskussion.

Fotos Popfest Sessions: Simon Brugner

http://www.popfest.at