Wien als Popmusik-Mekka zu betiteln, wäre wohl etwas zu hoch gestapelt. Aber alleine die Tatsache, dass doch der ein oder andere Zuhörer den Weg in die Kunsthalle Projekt Space zum allerletzten Panel der diesjährigen Popfest-Sessions fand – und das trotz wilder Partynacht und hitzigem Hundssonntag – bestätigt dann wieder, dass die Szene in der Hauptstadt nicht schläft. Die Donaumetropole als Kreativ-Standtort. Wer hat hier sein Glück gefunden und wen hat es hingegen in die große weite Popmusikwelt verschlagen? Die Gäste Dorit Chrysler, Peter Hein, Christof Kurzmann und Peter Rehberg erzählen von ihren Erfahrungen in In-und Ausland und gehen der Frage auf den Grund, ob es eigentlich noch pulsierende Musikmetropolen wie Berlin, New York und London braucht, um dem Musikmysterium auf den Grund zu gehen.
Dorit Chrysler suchte das musikalische Abenteuer in New York. Den entscheidenden Punkt ihre Heimatstadt Graz zu verlassen, lieferte ein Konzert der amerikanischen Band Swans. Wie die Helden ihrer Jugend, wollte auch sie in das aufregende Milieu von No Wave, Avantgarde und Postrock eintauchen, ihre musikalischen Referenzen auskosten und der musikalischen Sache mühelos auf den Grund gehen. Die Ambitionen, sich unter „Gleichgesinnten“ zu wissen, der kreativen Sache freien Lauf zu lassen aber auch das „Gemeinschaftsgefühl“, das sie in der New Yorker Szene erfahren hat, machten sie letztendlich zu einer international erfolgreichen Thereminspielerin, die aktuell an einem Projekt mit den Technoproduzenten Trentemøller arbeitet.
Nicht minder interessante Beweggründe Österreich den Rücken zu kehren, hatte der Jazz- und Experimentalmusiker Christof Kurzmann. Nachdem er 18 Jahre lang „nicht aus Österreich herauskam“ und das Gefühl aufkeimte, „in Wien alles ausgelotet zu haben“, verschlug es ihn zuerst nach Berlin und anschließend nach Buenos Aires. Während er in der deutschen Hauptstadt noch ein nahes Gefühl zu seiner Heimat empfand, sei es durch das ähnliche soziokulturelle Umfeld wie auch die geringe Distanz zu Wien, hatte er in Argentinien nicht nur sprachliche Barrieren zu überwinden, sondern fand sich in einem für ihn unbekannten Milieu wieder. Ohne einen Menschen in Buenos Aires zu kennen, machte er über Internet und diverse Interessensgemeinschaften Bekanntschaft mit Leuten, denen er andernfalls vermutlich niemals über den Weg gerannt wäre.
Was den Unterschied macht, ein kleiner Fisch in einem großen Teich oder ein kleiner Fisch in einem kleineren Teich zu sein, weiß Peter Rehberg. Der Halbösterreicher hat er die ersten 19 Jahre seines Lebens in London verbracht. Aber was bewegt eine jungen Menschen die aufregende Musikmetropole zu verlassen, um nach Wien zu gehen? Rehberg hat die Erfahrung gemacht, in einer „kleineren Stadt“ mehr Entwicklungsmöglichkeiten zu genießen. Mit einem Koffer und einer Plattenkiste im Gepäck ist er nach Wien gekommen um zu bleiben. In der Hauptstadt galt er nahezu als „Exot“ und seine exklusiven Records aus Großbritannien führten ihn nur 2 Wochen nach seiner Ankunft ins Chelsea, wo er augenblicklich eine Anstellung als DJ fand. Mittlerweile darf er sich Labelchef von Editions Mego nennen. Ob er sich in London auch so schnell in der Szene etabliert hätte, sieht Rehberg fraglich.
Peter Hein gibt sich als einziger Gast der Runde zu erkennen, der keine künstlerischen Ambitionen an den Tag legte, um die Heimat zu verlassen. Einzig und alleine private Angelegenheiten führten ihn von Düsseldorf nach Wien. Als Sänger der Punkband Fehlfarben hatte er es im deutschsprachigen Raum schon zu großer Bekanntheit gebracht. In den 80er Jahren nahm er Wien höchstens als „Tourstop“ bzw. „Tor des Ostens“ wahr. Mittlerweile offenbart sich ihm seine Wahlheimat als eine „gemütliche Stadt mit viel Lebensqualität“.
Hat Wien mittlerweile nicht mehr zu bieten als Gemütlichkeit und Schmäh? Wird Wien tatsächlich nur in Bezug auf Klassik dem Titel „Musikhauptstadt“ gerecht? „Gemessen an meiner Jugend, ist Wien zu einer Stadt geworden, wo in der Szene viel passiert.“, bringt es Christoph Kurzmann auf den Punkt. Für all jene, die noch immer darüber „sudern“, dass in Wien nichts los sei, der soll sich die These von Peter Rehberg zu Herzen nehmen. „Man muss nicht mehr in der großen Stadt leben, um in die Szene eintauchen zu können. Internet und Infrastruktur haben das glokale Musikgeschehen auf den gesamten Erdball ausgedehnt. Man muss sich nur aufraffen und selbst etwas tun.“ Apropos Glokal. Peter Hein erkennt immer weniger Unterschiede zwischen den einzelnen Städten. „Überall wo man hingeht ist es das gleiche.“ Verglichen mit Starbucks und Co., sei auch Rock’n’Roll ein Teil des kapitalistischen Systems geworden. Darüber herrscht in der Runde allerdings Uneinigkeit. Es mag schon stimmen, dass die musikalischen Rahmenbedingungen global sehr ähnlich funktionieren, trotz allem besitzt jedes Land und jede Stadt bestimmte kulturelle Eigenheiten, die sich auch im Musikgeschehen widerspiegeln. Dieser Punkt wird zumindest von Dorit Chrysler und Christof Kurzmann vehement vertreten.
Kann sein, dass Aufgrund der „neuen Flexibilität“ der Jugend die Großstadt an Magie eingebüßt hat. Durch World Wide Web hat das Gefühl von Isolation abgenommen und „neue Trends“ kommen nicht mehr nur aus Berlin, London und New York, sondern finden sich mittlerweile überall. Dorit Chrysler gibt dennoch den Rat, sich als Musiker in neue Gebiete zu wagen. Denn der „local flair“ unbekannter Städte fließt unwillkürlich in den Kreativprozess ein und macht das geschaffene Werk ein Stück individueller.
Foto: Simon Brugner/THEYSHOOTMUSIC.COM
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