Popfest Sessions 2018

Die POPFEST WIEN SESSIONS, ein zweitägiges Diskussionsprogramm im Rahmen des POPFESTS WIEN 2018, widmeten sich den Rahmenbedingungen des aktuellen Popschaffens. In Zusammenarbeit mit dem österreichischen Musikinformationszentrum MICA – MUSIC AUSTRIA bietet das POPFEST seinen Besucherinnen und Besuchern alljährlich ein Forum, um Aspekte des Musiklebens zu beleuchten. Am 28. und 29. Juli 2018 fanden die POPFEST SESSIONS bei freiem Eintritt wie bereits in den Vorjahren im Atrium des WIEN MUSEUM am Karlsplatz statt.

Samstag, 28. Juli

MUSIKMANAGEMENT – STAR MAKER ODER DIENSTLEISTER?

Gäste: Annemarie Reisinger-Treiber, Jaeki Hildisch
Moderation: Sandra Walkenhofer (MMFA)

Die erste Diskussionsrunde stellte sich die Frage, welche Aufgaben MusikmanagerInnen haben und inwiefern deren Initiative tatsächlich zum Erfolg oder Misserfolg diverser KünstlerInnen beiträgt. Zu Gast waren die beiden Produzenten Annemarie Reisinger-Treiber und Jaeki Hildisch, moderiert hat die mica-Karriereberaterin, Bookerin, Agentin und Managerin Sandra Walkenhofer. Annemarie Reisinger-Treiber arbeitete für den Fernsehsender gotv sowie für Warner Music Austria, wo sie u. a. mit der Band „Die Tagträumer“ kollaborierte. Jäki Hildisch ist ein deutscher Manager, der seit Anfang der 1980er-Jahre als Tourneemanager unter anderen für BAP, Die Ärzte, Tokio Hotel, ab 2005 auch in England für The Specials, Morrissey und Robbie Williams arbeitete. Momentan ist Hildisch in Wien wohnhaft und für die beiden österreichischen Formationen Soap & Skin und Thirsty Eyes tätig.

Die Gäste waren sich gleich zu Beginn einig, dass die Liebe zur Musik bei einer Managerin bzw. einem Manager größer sein muss als die Liebe zum Musikmachen. Es gehe nicht um die Selbstverwirklichung der Managerin bzw. des Managers, sondern um die authentische Öffentlichkeitspräsenz der MusikerInnen. Wobei die Gäste ebenfalls den Mythos korrigieren wollten, dass sich Bands, sobald sie ein Management haben, gemütlich zurücklehnen können. Kunst zu machen sei immer anstrengend, immer harte Arbeit und Ehrgeiz.

Reisinger-Treiber sprach dabei von der Wichtigkeit der Authentizität, die essenziell für die Vermarktung sei. Wenn eine Künstlerin bzw. ein Künstler selbst nicht wisse, was sie bzw. er möchte, dann könne in weiterer Folge auch keine klare Vermittlung stattfinden.

Steht bei einer Musikerin bzw. einem Musiker die Stimme im Vordergrund? Die gesamte Musik? Die Person? Die Show? Das Statement? Je nachdem müsse sich das Management anpassen, nach den richtigen Mitteln suchen, das jeweilige Element zu betonen und zu unterstützen. Weshalb es laut Reisinger-Treiber auch nicht schlecht ist, wenn sich Bands in ihren Anfangsphasen – ganz nach der momentan geläufigen Do-it-yourself-Mentalität – selbstständig um Konzertauftritte, Werbung etc. kümmern. Somit könne eine Band früh für sich entscheiden, welche Aspekte Priorität haben. Ob diese Aspekte funktionieren bzw. wie diese funktionieren könnten, das falle dann in den Aufgabenbereich der ManagerInnen, wobei auch hier keine Erfolgsgarantie bestehe. Und schon gar nicht, wenn als einziges Ziel der Erfolg selbst im Vordergrund steht. Das könne unter Umständen bei Musikerinnen und Musikern funktionieren, die noch ein unbeschriebenes Blatt sind und in erster Linie mit auffälliger Erscheinung und musikalischem Handwerk zu Ruhm kommen wollen – egal in welchem Genre. Da könne sich das Management im wahrsten Sinne des Wortes einen eigenen Popstar basteln. Sobald allerdings von einer Musikerin bzw. einem Musiker schon diverse Richtlinien vorgegeben seien, habe der Erfolg auch 2018 immer noch viel mit Glück und Timing zu tun. Zumal sich die besagte Genre-Frage nicht mehr wirklich stelle. Es werde nur mehr grob zwischen Kommerz und Alternative unterschieden – und was dabei gut funktioniere, weiß man mittlerweile. Überraschungserfolge im Bereich Alternative seien – so beide Gäste – eben wirklich reine Überraschungen.

Als besonders wichtig werteten Reisinger-Treiber und Hildisch abschließend eine gute Kommunikationsfähigkeit, schnelles Handeln und viel Energie und Sensibilität. Einfühlungsvermögen sei nicht nur im Umgang mit Musikerinnen und Musikern, sondern ganz generell nicht nur essenziell, sondern vor allem wünschenswert.

INDIE MACHT SCHLAGER

Gäste: Stefan Redelsteiner, Fritz Ostermayer, Tex Rubinowitz

Anlass der Panel-Diskussion „Indie macht Schlager“ war das Phänomen, dass diverse Indie-Acts keine FM4-Sommerhits, sondern mittlerweile massentaugliche Chart-Nummern fabrizieren. Zwar gab es auch schon früher ganz vereinzelt schlager-affine VertreterInnen aus der Indie-Szene, aber die Berührungsängste scheinen nicht mehr so ausgeprägt zu sein. Was hat sich da geändert? Was ist gleichgeblieben und vor allem: was ist Schlager?

Stefan Redelsteiner ist Produzent, führt das alternative Lotterlabel und neuerdings auch das Schlager-Label redelsteiner. Fritz Ostermayer ist als langjähriger Kulturredakteur u.a. im Kontext mit FM4 („Im Sumpf“) bekannt für einen besonders speziellen Musikgeschmack, verheimlicht allerdings auch nicht seine Affinität zum Schlager. Denn diesen müsse man, wie schon Alexander Kluge meinte, so ernst nehmen wie eine Arie. Der deutsche Autor, Zeichner und Musiker Tex Rubinowitz interessiert sich dagegen nicht generell für das Genre, sondern für die Frage nach Emotion. Was berührt und warum?

Einleitend fragt Fritz Ostermayer nach der Grenze zwischen Schlager und Pop, die seiner Meinung nach schon lange nicht mehr existiere. Sowohl die Beatles, als auch aktuell Helene Fischer funktionierten hier als gute Beispiele. Helene Fischer sei der größte Pop-Hybrid unserer Zeit, sie schrecke weder vor Rock-Gitarren noch Ziehharmonika zurück, es gäbe kein Element, dass in diesem Schlager-Himmel ausgelassen wird. Der größte Unterschied sei allerdings nach wie vor, so Tex Rubinowitz, die Tatsache, dass Schlager-Stars in erster Linie interpretieren, Popmusiker hingegen doch sehr häufig selber texten. In der Popmusik gehe es vermehrt um das Verarbeiten und Verbreiten des eigenen Diskurses, der eigenen Emotion, in der Schlagermusik hingegen um ein universelles Gefühl, das leicht und kollektiv aufgenommen werden kann. Kurz: eine Verschiebung der Autorenschaft.

Ostermayer machte dann auch auf die politische Divergenz aufmerksam: Schlager galt immer als besonders rechte Musik, als eskapistisch und Realitäts- verleugnend. Popmusik dagegen sei tendenziell immer links gewesen. Wobei heute, meint Redelsteiner, diese klaren Zuordnungen nicht mehr zutreffen, weil das Genre zu einem leeren Blatt geworden sei, das von den jeweiligen MusikerInnen ganz individuell beschrieben wird. Der Kontext spiele dabei eine immer größere Rolle. Glauben wir doch 2018 ganz genau unterscheiden zu können, wer gut und wer böse ist. Zwar seien die Menschen immer schon gleich gewesen, nur habe sich früher niemand dafür interessiert, welche Partei einer wählt, oder warum er plötzlich Veganer ist. Entscheidend war nur, ob einem die Musik gefällt. Interessant findet Tex Rubinowitz dabei aber vor allem die Frage, warum und zu welchem Zeitpunkt diese omnipräsente Durchleuchtung begonnen habe, die Verschmelzung von Privat und Öffentlich, die Existenz als Marke. Jedenfalls wisse man längst, wie all diese Systeme funktionieren, weshalb Redelsteiner auch das besagte neue Schlager-Label gegründet hat. Schlager seien eine Wohltat für das Geldbörserl – und außerdem der einfachste Weg zum klimatisierten Backstage-Palast.

Sonntag, 29 Juli

NENN MIR DEINEN PREIS (Talk)

In der dritten Panel-Diskussion wurde das politische Engagement von Musikerinnen und Musikern diskutiert, gemeinsam mit der Frage nach ihrer Käuflichkeit.

Anlass hierfür war der am 3. Mai 2018 – sechs Tage vor Beginn des Red Bull Music Festivals – von DJ Sonja Resista verfasste offene Brief unter dem Motto „Liebe Musikszene. Eine Moralpredigt“. In ihrer Anklage argumentiert Sonja Resista unter anderem anhand der politischen Äußerungen von Red-Bull-Chef Didi Mateschitz und der Linie seiner Fernsehanstalt Servus TV. „Es erstaunt mich schon sehr, zu sehen, wie viele Artists & Kollektive, die sich zuvor regelmäßig antifaschistisch engagiert haben, sich hier zusammenfinden und ihren Namen für eine Marke hergeben, deren Politik diesem Engagement diametral entgegengesetzt ist.“

Der Post traf einen Nerv, erhielt über 600 Likes, wurde leidenschaftlich diskutiert und medial bis nach Deutschland verbreitet. Von den angesprochenen Künstlerinnen und Künstlern meldete sich Ex-Popfest-Kurator Patrick Pulsinger zu Wort: „Ich bin mit der Kritik und den Vorbehalten total einverstanden, kenne dort aber die Leute, die gute Kulturarbeit machen. Dass sich eine adäquate Bezahlung von Kunst und Kultur nur durch private Hand realisieren lässt, ist leider ein hässlicher Beigeschmack unserer Gesellschaft”, schrieb er.

Ein interessanter Satz, wird doch umgekehrt auch die subventionierende öffentliche Hand, insbesondere wenn sie Festivals mit freiem Eintritt ermöglicht, nicht selten der indirekten Marktverzerrung bezichtigt. Auch das Popfest selbst darf sich in beiden Fällen angesprochen fühlen. Es wird zu einem größeren Teil mit Mitteln der Stadt Wien gefördert und steht seit Jahren in einer (wenn auch bescheidenen) Kooperation mit dem Unternehmen Red Bull, das mit dem Brandwagen auch eine Bühne ins Festival einbringt. Somit ein zusätzlicher Grund, sich der Debatte im echten Leben jenseits der sozialen Medien zu stellen. Robert Rotifer, Mitbegründer des Popfests Wien, sprach mit DJ Resista, Patrick Pulsinger und dem Publikum.

Zu Beginn machten die Gäste darauf aufmerksam, dass viele MusikerInnen zu dieser Diskussion eingeladen wurden, allerdings niemand daran teilnehmen wollte oder konnte und das Gespräch somit nur in kleinem Rahmen stattfinden konnte.

Patrick Pulsinger sprach von seiner ambivalenten Haltung zu Red Bull, da er die kulturelle Arbeit schätze und zudem nicht der Meinung sei, dass man automatisch die Aussagen von Red Bull unterstützt, wenn man als MusikerIn deren Plattform nutzt. DJ Resista gab hier allerdings zu bedenken, dass man immer für das ganze Unternehmen spielt und nicht für die ein, zwei netten Menschen, die sich zufällig auch unter deren Decke befinden. Pulsinger stimmte zu, dass die Marke lauter ist als die Kunst. Allerdings sponsere Red Bull in Österreich beinahe jedes Festival, jede große Veranstaltung – eine junge Band, die alle diese Einladungen ablehne, werde niemals einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden.

Robert Rotifer mischte sich aus dem Publikum ein und macht darauf aufmerksam, dass bei einer Gratisveranstaltung wie dem Wiener Popfest finanzielle Unterstützung leider eine Voraussetzung ist. Red Bull fördere das Popfest mit 20.000 Euro und ermögliche damit die Gagen. Somit könne nur die Gratisveranstaltung per se infrage gestellt werden. Ebenfalls aus dem Publikum meldete sich Schapka zu Wort. Die Wiener Band trat zwar heuer auf der Red Bull Music Stage auf, nutzte allerdings die Bühne, um die namensgebende Firma deutlich zu kritisieren: „Wir sind Propaganda, aber nicht Rechtspopulisten.“ Schapka meinte, sie hätten lange überlegt, ob sie die Einladung annehmen sollen oder nicht. Da ihnen als junge Band die Idee eines breiten Publikums gefallen habe und zudem die Möglichkeit einer öffentlichen Kritik, hätten sie zugesagt. Ob es in weiterer Folge eine Konsequenz gegeben wird, wisse man nicht genau, vorerst soll von Red Bull nur eine verärgerte Miene vernommen worden sein. DJ Resista fügte noch hinzu, Red Bull habe die Einladung zur Diskussion abgelehnt, und zwar mit der Begründung, sich an im weitesten Sinne politischen Diskussionen nicht beteiligen zu wollen.

Was in weiterer Folge passieren wird, werde sich weisen. Kuratorin Katharina Seidler stellte abschließend zuversichtlich fest: „Es wurde ein großes Fass geöffnet und ich hoffe, dass unsere Diskussion den Raum verlässt.“

DER SUPERFAN (Talk)

Was wäre die Popmusik ohne ihr Publikum?

In der vierten Panel-Diskussion wurden, moderiert vom diesjährigen Kuratoren-Duo Katharina Seidler und Nino Mandl, drei „Superfans“ eingeladen: Andrea Putz, Raimund Rauch und Gabriele Bröckner gestalten ihren Jahresplan nach dem Konzertkalender. Alle drei „Superfans“ haben manche Bands häufiger gesehen als die eigenen Familienmitglieder und  kennen sich im Musikgeschehen unter Umständen besser aus als manch professionelle Musikjournalistin bzw. manch professioneller Musikjournalist.

Gabriele Bröckner war auf über 100 Konzerten der Ärzte. Sie ist ein Superfan der ersten Stunde. Ihre Reisen ergeben sich vor allem durch den Tournee-Plan ihrer Lieblingsbands und zum Filmen ist sie auch nur durch die Leidenschaft zur Musik gekommen. Die Frage, ob sie selbst einmal Musikerin werden wollte, verneinte sie. Bereits in der Schule habe ihr die Musiklehrerin das Singen verboten, die Leidenschaft zur Musik allerdings habe ihr schon damals niemand nehmen können.

Andrea Putz betreibt den Musikblog „wienkonzert.com“ und besucht jährlich etwa 150 Konzerte. Sie sprach von einer Energie, über die nicht jeder verfüge. Putz erzählte, dass sie im eigenen Freundeskreis bemerkt hat, wie ungern die meisten das Haus verlassen, weil sie sich lieber für Netflix entscheiden. Putz appellierte für mehr Interesse und Aktion – zumal Wien eine Stadt sei, in der jeden Abend so viel passiere und man das kulturelle Angebot schätzen solle.

Raimund Rauch ist als langjähriger Konzertgeher u. a. zum inoffiziellen Kameramann von Ernst Molden avanciert. Ganz neugierig warte Molden nach jeder Show auf das Video von Rauch auf YouTube. Rauch beteuerte zudem, er habe beim Filmen mittlerweile eine so große Angst, einen magischen Moment zu verpassen, dass er gar nicht mehr auf Pause drückt. Er könne das Konzert auch durch die Kameralinse genießen und freue sich dann besonders beim Schneiden, wenn alle Momente da sind, die er festhalten wollte.

Der abschließende Wunsch, den alle drei „Superfans“ teilen: mehr Aufmerksamkeit und Konzentration. Der größte Feind sei die Berieselung. Social Media würden hierbei als mitverantwortlicher Sündenbock für die Generation der Abgelenkten dienen, wobei Nino Mandl abschließend gestand, es würde ihn zum Beispiel schon sehr interessieren, was Bob Dylan zum Nachtmahl isst.

Ada Karlbauer, Julia Philomena

Link: Popfest Wien