Zwischen 7. und 17. September findet das UNSAFE+SOUNDS FESTIVAL in Wien statt. An sieben Locations, darunter die Postsparkasse, Zacherlfabrik, das Flucc und neu bespielte Offspaces, treten über 70 lokale und internationale Künstler:innen auf. Der Festivalfokus liegt 2023 auf Acts mit diasporischem Background. Mehrere Paneldiskussionen widmen sich dem Thema. Mit „Hope” stellt Chefkuratorin SHILLA STRELKA der Festivalausgabe außerdem einen Motto des Hoffens voran – als Glauben an eine Gemeinschaft, die politische Wirkmacht habe, wie STRELKA im Interview sagt.
„Hope” ist das heurige Festivalthema von Unsafe+Sounds. Was lässt uns gerade jetzt hoffen?
Shilla Strelka: Das Hoffen ist nicht notwendig mit dem Jetzt verknüpft, sondern vielmehr in die Zukunft gerichtet. Es trägt das Zukünftige in sich. Es ist eine vielschichtige Kategorie, nahe am Glauben als dritte Kategorie neben dem Denken und dem Fühlen. Auf Wunder lässt sich ja eigentlich nicht so gut hoffen, obwohl die Kategorie des Hoffens an das Spirituelle grenzt. Es ist der Wunsch und der Glaube, dass sich etwas zum Positiven entwickeln wird. Das Hoffen kann aber auch ein Movens des Politischen sein. Es kann an ein Tun gekoppelt sein und den Blick auf die mögliche – positive – Veränderung eines Zustands lenken. Außerdem stelle ich das Wort „Hope” in Kontext von Gemeinschaft, denn im Zentrum des Festivals steht nach wie vor das Community-Building. Auch diesmal wollte ich wieder die Frage nach der Möglichkeit einer oder mehrerer Gemeinschaften stellen. Es ist das Hoffen auf eine „kommende Gemeinschaft“, die sich subjektiviert und somit politische Wirkmacht erlangt. Eine Gemeinschaft, die transformatives Potenzial in sich trägt und Veränderung einfordert.
Im Nachsatz steht: „A Politics of Healing”. Wie geht Heilen mit Hoffnung einher?
Shilla Strelka: Dem Heilen geht eine Verletzung voraus. Das Wort „politics” macht den Kontext zur gesellschaftlichen Ordnung auf. Es geht um das Heilen von Wunden, die uns die Gesellschaft zugefügt hat. Das kann vieles sein, jede:r wird etwas anderes darunter verstehen und ich wollte es bewusst so offen halten. Es geht aber auch um eine Haltung, die der Welt eine Chance auf Heilung geben möchte, die diese Option einfach auch in Erwägung zieht. Und die Erfahrung von Gemeinschaft ist per se heilsam.
Heilsame Erfahrungen konnte man mit dem U+S bereits in vergangenen Jahren erleben – an unterschiedlichen Orten wie Kirchen und Clubs. Wo spielt sich das Festival diesmal ab?
Shilla Strelka: Die Eröffnung des Festivals wird im AIL, der wunderschönen Halle in der Alten Postsparkasse, einem Otto-Wagner-Gebäude, stattfinden. Die Diskussionen finden unter anderem in der Brunnenpassage statt – eine zentrale Institution in Wien, wenn es um (post-)migrantische Diskurse geht. Ein weiterer Ort, den wir neu bespielen, ist der Artspace Echo Correspondence im 19. Bezirk. Es handelt sich um einen auratischen Ort, dem ehemaligen Atelier des Bildhauers Wander Bertoni. Dieser Space ist Künstler:innen mit migrantischem Background gewidmet, die auf Residency nach Wien kommen und ihre Arbeiten ausstellen. Einige der Veranstaltungen finden wieder in der Zacherlfabrik, einem sehr verschworenen Ort, ebenfalls im 19. Bezirk statt. Die Club-Schiene passiert dann im Flucc, in der Arena und in einem neu eröffneten, noch namenlosen Club am Nußdorfer Gürtel, den wir temporär Hope Retreat getauft haben.
Das sind sieben Orte, an denen du U+S veranstaltest – mehr als in allen vorangegangenen Festivalausgaben. Trotzdem wird in Wien von mangelnden Clubräumen gesprochen. Wieso?
Shilla Strelka: Bis auf Arena, Flucc und Hope Retreat handelt es sich um keine Clubs, sondern um Offspaces und Diskursräume, es muss also spätestens um 22 Uhr Schluss sein, sofern die Polizei nicht schon davor abdreht. Die Arena bekommt derzeit aufgrund von Lärmbeschwerden keine Genehmigung, nach zwei Uhr Programm zu machen. Wenn du in Wien außerdem nach wirklichen Safer Spaces für FLINTA-Personen suchst, gibt es so gut wie keine Clubräume, die diese Anforderungen gänzlich erfüllen. Einige wenige, die sich die Mühe machen, sind an den Wochenenden bis zu eineinhalb Jahre vorher ausgebucht. Das muss man sich mal vorstellen.
Das heißt, du musst als Veranstalterin permanent neue Orte suchen, um überhaupt sicher veranstalten zu können?
Shilla Strelka: Ich habe als Veranstalterin und Festivalorganisatorin zahlreiche schlimme Erfahrungen mit lokalen Clubs machen müssen. Da wurde in mehreren Fällen nach bestätigten Deals und nachdem Verträge mit den Acts unterzeichnet waren, kurzfristig Termine gecancelt – einfach weil es geht, im Wissen, dass wir Veranstalter:innen keine Möglichkeit haben, darauf zu reagieren. Hinter uns steht keine Gewerkschaft, keine Lobby. Manchmal sind die Deals zudem dreist und die Mieten unleistbar. Da musst du neben den Gagen und Reisekosten der Artists, tausende Euro Miete decken, vielleicht noch einen Anteil deines Eintritts abgeben, und oben drauf auch noch selbst für die AKM-Gebühr aufkommen, wie das einer der renommiertesten Clubs der Stadt handhabt. Wir als Festival haben das Glück, von der Stadt subventioniert zu sein – an dieser Stelle geht mein Dank auch wirklich an die Kulturabteilung der MA7, die uns stets unterstützt hat – aber vom Mangel an Räumen sind wir freien Veranstalter:innen alle betroffen.
Welche Konsequenzen hat das für die Kultur in Wien?.
Shilla Strelka: Es ist derzeit eine profitorientierte, kompetitive Sphäre, in der keine Verhaltenskodizes zu gelten scheinen. Das führt zu Machtspielen, wie ich sie selbst erlebt habe. Es kann aber auch bis hin zu Machtmissbrauch und im schlimmsten Fall Übergriffen führen, wie #TechnoMeToo aufgedeckt hat. Wie lässt sich in so einer Atmosphäre des Misstrauens ein kulturelles Angebot schaffen? Eine Metropole wie Wien sollte dabei helfen, Safe Spaces und für die freie Szene leistbare Räume zu schaffen, in denen Kultur stattfinden kann. Wir benötigen solidarische Räume, in denen das oberste Prinzip nicht Geld ist, das alles reguliert.
Lass uns diese Diskussion verschieben und noch das Programm besprechen. Schließlich gilt dein Booking nicht nur für österreichische Festival-Verhältnisse als divers.
Shilla Strelka: Ja, das Festival hat zum Ziel, das breite Spektrum zeitgenössischer elektronischer Musik und seine experimentellen Spielarten abzubilden, und berücksichtigt dabei neue Musik genauso wie progressive Clubkultur. Das ist für mich von Anfang an zentral gewesen. So heterogen die Sprachen auch sein mögen. Ich will gemeinsame Nenner zwischen den unterschiedlichen Sprachen und Zugängen ausmachen. Es gibt geteilte Rhythmen und Frequenzen, Intensitäten und Atmosphären und am Ende auch geteilte Haltungen. Ich finde es zum Beispiel interessant zu beobachten, dass sich Underground und Mainstream immer mehr annähern. Auch diese Tendenz greife ich auf: Pop darf mit Avantgarde clashen.
Welche Schwerpunkte legst du in diesem Jahr?
Shilla Strelka: Ich verstehe Vernetzung und Community-Building als Kern meiner kuratorischen Tätigkeit – egal ob es darum geht, lokale und internationale oder lokale Artists untereinander sowie mit dem Publikum zusammenzubringen. Dieses Jahr sind zudem zahlreiche Künstler:innen mit diasporischem Background involviert. Wenn Personen mit ähnlichen Lebenserfahrungen und speziell einer geteilten Erfahrung des Othering zusammenfinden, um sich auszutauschen, kann das extrem empowering und heilsam sein. Das Festival möchte sich zudem an den bereits bestehenden Bestrebungen beteiligen, eine Asian Diaspora Community in Wien zu formieren, diese zu stärken und zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen.
Kannst du das ausführen?
Shilla Strelka: Als während Corona Anti-Asiatischer Rassismus stark spürbar wurde und es zu zahlreichen Übergriffen auf asiatisch gelesene Personen kam, sind Initiativen wie Mai Ling oder Perillazine und die von der Journalistin Vina Yun organisierten Vernetzungstreffen ins Leben gerufen worden. Diese Kollektive haben in Wien viel angestoßen. Ich selbst bin Half-Asian und in Austausch mit vielen aktivistischen Personen dieser und anderer diasporischer Communities. Ich lerne konstant dazu. Gleichzeitig bin ich glücklich über die Kooperation mit der Brunnenpassage, mit der die zentrale Diskussion zum „Wir” in der Diaspora entwickelt wurde. Wir fragen nach den Möglichkeiten zur Solidarisierung unterschiedlicher diasporischer Communities, denn ich denke, wir sollten uns mehr mit dem post-kolonialen Diskurs auseinandersetzen. Auch im Kontext der Musik. Welche Sounds hören wir eigentlich? An welchen Sounds ist unser Hören geschult? Was wird auf den Unis unterrichtet? Und was ist mit den Klängen aus dem Globalen Süden? Unter der Kampfansage „Decolonize the Dancefloor” habe ich Acts eingeladen, die Sounds aus ganz unterschiedlichen Teilen der Welt featuren. Die teilweise Tradition und Moderne zusammenführen, um neue Sprachen zu entwickeln. Es sind Acts, die ihre Roots musikalisch verhandeln.
Wie sich Politik und Ästhetik zusammendenken lassen, fragst du dich schon länger. Wie sollen diese Schnittpunkte bei diesem Festival möglich werden?
Shilla Strelka: Da muss nichts ermöglicht werden, das ist einfach so. Bei jedem Auftritt wird das deutlich: Alle Sounds sind politisch. Ästhetik ist politisch, weil es der Kunst, und da zähle ich Musik dazu – das werde ich nicht müde zu betonen – gelingt, in unsere Wahrnehmung einzubrechen, die ideologisch geprägt, ergo hegemonial verformt ist. Unsere Wahrnehmung zu irritieren, zu verschieben, Grenzen zu durchzubrechen, auf welche Art auch immer, ist das Ziel. Das ist politisch, das transformiert.
Danke für das Gespräch!
Christoph Benkeser
Das Unsafe+Sounds Festival findet von 7. bis 17. September in Wien statt. Alle Informationen findet man unter:
Unsafe+Sounds Festival (Homepage)
Unsafe+Sounds Festival (Instagram)