Poet der Gegensätze – Zum 80. Geburtstag von Dieter Kaufmann

Zweifellos wäre sein runder Geburtstag am 22. April etwas öffentlichkeitswirksamer gefeiert worden, gäbe es nicht dieses tückische Virus, zu dessen versuchter Eindämmung die Kultur im Lande seit über einem Jahr weitgehend stillgelegt ist. Ebenso zweifellos wird er nach der sehnsüchtig nicht nur von Kulturverliebten erwarteten Öffnung vielerorts nachgefeiert werden. Hier ein kleiner Beitrag zum Jubiläum: Alles Gute, Dieter Kaufmann, zum 80. Geburtstag!

Geprägt von der Moderne und klassischem Glanz

Ob am K & K Experimentalstudio,  an der prägenden Galionsfigur der elektroakustischen Musik in Österreich, am Hochschulprofessor oder dem zeitweiligen Grün-Politiker: An Dieter Kaufmann, dem schaffenden Künstler und vielfältig die Interessen der Kollegenschaft in verschiedensten (zumeist Ehren-)Ämtern vertretenden Funktionär kam man in den letzten fünf Jahrzehnten de facto nicht vorbei, wenn man sich mit der aktuellen Szene befasste. Kam die Kaufmann-Familie –  darunter der ebenfalls als Komponist einst prominente Armin Kaufmann, Dieters Onkel – gegen Ende der Donaumonarchie ursprünglich aus der Bukowina, so wurde Dieter Kaufmann im Kriegsjahr 1941 bereits in Wien geboren. Die Kindheit und seither einen großen Teil seines Lebens verbrachte er in Kärnten, dass ihm bald zur zweiten Heimat wurde.

In Wien absolvierte Dieter Kaufmann an der Universität Studien in Germanistik und Kunstgeschichte, sowie an der Akademie für Musik und darstellende Kunst Musikerziehung, Violoncello und Komposition. Prägend wurden dort seine Lehrer Karl Schiske und Gottfried von Einem, bei denen er nicht zuletzt auch wichtige Erkenntnisse über den Musikbetrieb an sich erhielt. Dass Einem gelegentlich notierte, dass ihm Kaufmanns Gedichte besser gefielen als dessen Musik, nimmt dieser dem Mentor nach wie vor schmunzelnd übel. 1967–1969 studierte Dieter Kaufmann auf Anraten Einems in Paris Komposition bei Olivier Messiaen und René Leibowitz, sowie Elektroakustik bei Pierre Schaeffer und François Bayle am Groupe de recherches musicales. Schon während dieser Zeit besaß das Musiktheater die größte Anziehungskraft für ihn. So entstanden in den 1960er-Jahren gleich mehrere kurze, freilich nur konzertant aufgeführte Ballettpartituren, darunter etwa „Termiten“ (1966) oder „Prova e Concerto“ (1967). In den Bereich Oper und Operette tauchte er vor allem als Chorsänger am Theater an der Wien, der Wiener Volksoper und der Wiener Staatsoper ein, wo die Ära Herbert von Karajan ihn das große Weltrepertoire auf höchstem Niveau kennenlernen ließ. Die Offenheit für alle Sparten war und ist charakteristisch für sein kreatives Arbeiten, in dem er gattungsübergreifend und gelegentlich selbst neue Gattungen schaffend über Jahrzehnte im Fokus stand.

Gegensätze in Experimentalstudio und Kirche

1975 gründete Kaufmann gemeinsam mit seiner Frau, Schauspielerin Gunda König, und dem Tontechniker Walter Stangl das K & K Experimentalstudio in Wien, mit dem er – wie es die Bezeichnung vermittelt – verschiedenste alternative Formen musikalischer Darbietungen umzusetzen versuchte. Auch die Sujets seiner Arbeiten waren selten konventionell. Oft, eigentlich zumeist, nahm er sich bewusst der Außenseiter der Gesellschaft an. Das gesellschaftspolitische Statement konnte in vielerlei Weise seine Ansprüche an die Betrachter richten. Am „konventionellsten“, die vom Rahmen vorgegebenen „Spielregeln“ akzeptierend mochte er dort sein, wo er sich kirchenmusikalischen Aufgaben widmete, die ihm genauso wichtig waren, wie das andernorts gezeigte Hinterfragen des politischen und musikalischen Establishments. Erwähnt sei insbesondere die 1989 mit großem Erfolg beim Carinthischen Sommer gezeigte Kirchenoper „Bruder Boleslaw“, für die er gemeinsam mit Roman Brandstätter das Buch schrieb.

Ein wichtiger Ansatz für Kaufmanns Schaffen: Gegensätze. Sie finden sich als Prinzip etwa in Arbeiten wie dem Klavierkonzert „Für Clara“ (1985), in dem eine romantische Klangwelt mit neuen Ansätzen verknüpft wird, oder im „Ständchen für einen Potentaten“ (1982), in dem er ein Solocello mit Blasmusik konfrontiert, die hier nur stellvertretend genannt seien.

Wegbereiter der Elektroakustik

Das Weitergeben der eigenen Erfahrungen an jüngere Generationen war Kaufmann ein selbstverständliches Anliegen. 1983–1990 hatte er eine Kompositionsklasse am Kärntner Landeskonservatorium inne, 1991–2006 eine Professur für Komposition an der Wiener Musikhochschule bzw. -universität, wo er auch Leiter des Instituts für Elektroakustik und Experimentelle Musik war. Die Elektroakustik ist sicher auch jenes Gebiet, in dem er lange Zeit am stärksten wahrgenommen wurde und für das er eine Pionierstellung in der österreichischen Gegenwartsmusik einnahm. So kuratierte er fast zwei Jahrzehnte lang den „Elektronischen Frühling“ in der Alten Schmiede in Wien. Ein hervorstechender Ansatz zu seiner Arbeit auf diesem Gebiet zeigt sich in einem Stück wie dem kurzen „Wiener Werkel“ von 1970, in dem 64 verschiedene Signale von jeweils einer Sekunde Dauer überlagert und verarbeitet werden. Darin ist sowohl ein unterhaltender als auch ein in gewisser Weise didaktisch auslotender Ansatz gegeben. Kaufmann sprach diesbezüglich gelegentlich von einer „anekdotischen Musik“ bzw. einer „anekdotischen Qualität des Hörens, wenn er den Klang auch mit Umweltinformationen versieht und ihn so zum Vermittler einer Geschichte werden lässt. Kaufmann war stets einer, der die Elektroakustik nicht als Weg sah, die bestehenden Mittel der Instrumentalmusik zu konkurrenzieren. Vielmehr wollte er darin eine eigene Kunstform begründet sehen, die von ihm so bezeichnete „akusmatische Kunst“ – Dieter Kaufmann: „Das ist so unterschiedlich von der Musik für Instrumente oder Stimmen, wie der Film eine unterschiedliche Kunstform gegenüber dem Theater ist.“ (Gespräch mit dem Verfasser, 1998)

Knochenarbeit in den Gremien

Das Skandalisieren war nie wirklich das Anliegen von Dieter Kaufmann, das Aufrütteln sehr wohl. Dies zuallererst mit seiner Kunst. Dies aber auch dort, wo er in verschiedensten Gremien die Interessen der Komponistinnen und Komponisten vertrat. 1976–1980 war er Vizepräsident, 1983–1988 Präsident der Österreichsektion der IGNM, 1988–1991 Präsident der Gesellschaft für Elektroakustische Musik, 2001–2004 des Österreichischen Komponistenbundes und 2001–2013 Präsident der Austro mechana: eine stattliche Liste, die ihn sämtliche dieser Institutionen und ihre Funktionsweise bis ins Detail kennenlernen ließ.

Dies zum Schluss, aber nicht nebenbei: Dieter Kaufmann zählte zu jenen, anfangs gar nicht so vielen Personen, die sich konsequent für die Einrichtung eines österreichischen Musikinformationszentrums einsetzten, um das lange gerungen wurde, ehe mica 1994 letztlich offiziell ins Leben gerufen wurde. Man darf es als sympathischen Zufall ansehen, dass es partout die erst viel später hier als Geschäftsführerin eingesetzte Sabine Reiter war, welche 2010 die bisher umfassendste Darstellung über Kaufmann publizierte: „Dieter Kaufmann. ich gehe im himmel der pfützen“ (Österreichische MUSIKZEITedition) empfiehlt sich nicht zuletzt anlässlich des Kaufmann-Jubiläums als spannender Einblick in die Arbeit des Multi-Künstlers und Menschen Dieter Kaufmann.

Christian Heindl

Termin:
Dieter Kaufmann zum 80. Geburtstag
HOMMAGE
Freitag, 23. April 2021, 20:00 Uhr
Alte Schmiede (online)

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Links:
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Dieter Kaufmann (mica-Datenbank)