Podiumsdiskussionen über "Publikumswandel: Herausforderungen für die Kunstmusik in der ganzen Welt" im Konzerthaus – Beitrag von Michael Huber

Am 10. November fand im Wotruba-Saal des Konzerthauses im Rahmen von Wien Modern die von mica-music austria organisierte, in 3 Panels ablaufende Podiumsdiskussion “Publikumswandel: Herausforderungen für die Kunstmusik in der ganzen Welt” statt, mit Diskussionen auch des (dortigen) Publikums. Sie wurde gemeinsam mit dem International Music Council (IMC) und der – nicht zu vergessen in Salzburg 1921 gegründeten – Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) abgehalten (wieder kräftige Lebenszeichen mit neuem Team). Im Anschluss lud das BMUKK (MinR Mag. Hildegard Siess) zu einem Empfang ins Schubert-Saal-Buffet. Michael Huber arbeitet am Institut für Musiksoziologie Wien in den Bereichen Stellenwert und Funktion der Musik in der Gesellschaft, Musik und neue Medien, Strukturen des gegenwärtigen Musiklebens, Sozialisation und Musikrezeption, sowie Populäre Musik, Jazz und elektronische Musik in Österreich.

 
Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er zerbricht
Die Kunstmusik und ihr Publikum in Österreich.Ich möchte drei Fragen aufwerfen und mögliche Antworten zur Diskussion stellen:

  • Was wissen wir über das Publikum?
  • Was wissen wir nicht?
  • Was sollten wir tun?

1. Was wissen wir nicht?

Wir wissen nicht, wie das Publikum der zeitgenössischen Kunstmusik in Österreich aussieht, was es denkt, was es möchte. Wir können mutmaßen, dass dieses Publikum überdurchschnittlich hoch gebildet ist, und dass es überdurchschnittlich viel Zeit und Geld für Musik auszugeben bereit ist. Aber: Wir wissen es nicht, weil es keine Untersuchungen dazu gibt.

  • ?Es gibt zwar aktuelle Kulturstudien über Österreich und Wien.
  • Die Musik kommt dort auch vor,
  • die zeitgenössische Kunstmusik jedoch nicht.

2. Was wissen wir?

Aktuelle Zahlen (IFES 2007) zum Musikpublikum in Österreich:

a) In die Oper gehen:
3% d.Ö. 3-5 mal im Jahr
13% d.Ö. 1- 2 mal im Jahr
(81% d.Ö. nie)

b) In ein Klassisches Konzert gehen:
9% d.Ö. 3-5 mal im Jahr
14% d.Ö. 1- 2 mal im Jahr
(72% d.Ö. nie)

Wir wissen auch: Das sieht nach wenig aus, aber international gesehen ist das sehr gut. Claudio Abbado: “Ich finde es toll hier. Wien ist eine Stadt mit einer hohen Kultur für die Musik und das Theater.” (Falter 43/08, S. 28f.) Für bestimmte Angebote gibt es mehr als genug Nachfrage: Versuchen Sie z.B. einmal, Eintrittskarten für ein Konzert der Wiener Philharmoniker im Großen Musikvereinssaal zu bekommen.

  • ?Entscheidende Einflussfaktoren für Musik-Konsum: Urbanität und Bildungsgrad.
  • Je interessierter desto unzufriedener mit dem Angebot.
  • Gründe für wenig Kultur-Aktivitäten: Geld 50%, Zeit 48%.

Wir wissen auch, dass sich das potentielle Musik-Publikum verändert. Die Musik-Soziologie hat diesbezüglich einiges an sehr wahrscheinlichen Entwicklungs-Szenarien auf Lager:

1. Überalterung der Bevölkerung kann zu völligem Verlust des jungen Publikums führen bei zu starker Orientierung des Angebots an älterem Publikum.
2. Schrumpfung der Bevölkerung bringt der Öffentlichen Hand weniger Steuereinnahmen. Das zieht härtere Verteilungskämpfe nach sich und Probleme für heute hoch subventionierte Anbieter.
3. Heterogenisierung der Bevölkerung durch Migration wird zu sinkender Nachfrage nach Musik aus dem nationalen Kulturerbe führen.
4. Individualisierung und Pluralisierung von Lebensstilen macht Publikums-Segmentierung und Besucherbindung schwieriger (Krise der Tonträger-Industrie).
5. Globalisierung der Kulturwirtschaft zieht nach sich, dass das Angebots-Spektrum größer wird.
6. Wirtschaftskrisen steigern die Arbeitsbelastung der Menschen. Dadurch haben sie weniger Zeit, weniger Kraft, weniger Geld für Konzertbesuche.

3. Was sollten wir tun?

a) Die Wissenschaft sollte mehr über das Musikpublikum herausfinden.

  • Eine entsprechende Studie bereite ich selbst gerade vor. Ergebnisse werden in etwa einem Jahr vorliegen.
  • Kollegin Andrea Hausmann aus Frankfurt/Oder bereitet gerade einen Sammelband zum Thema “Demographischer Wandel und Kultur” vor, der zu Jahresbeginn 2009 erscheinen wird.

b) Die Musikvermittler und die Kulturpolitik sollten sich Strategien überlegen:

1. Wie kann ich älteres Publikum (60+) halten: spezielle Bedürfnisse bzgl. Zeit und Raum beachten.

2. Wien kann ich junges Publikum (10-30) gewinnen: neue Orte, billige Eintrittskarten, klingende Namen. Gute Strategie: die Konzerthaus-Reihe “Im Loth”. Die Leute wollen Events, Außer-Alltägliches wie Salzburg, Bayreuth, Wien Modern oder die Lange Nacht der Museen. Oder Stars wie “Die drei Tenöre”, Anna Netrebko, Olga Neuwirth. So funktioniert auch die Vermittlung über Massenmedien und Tonträger noch halbwegs. Da sind wir schon beim nächsten Problem: Leider gibt es einen völligen Ausfall des wichtigsten Massenmediums Fernsehen hinsichtlich kluger und attraktiver Vermittlung anspruchsvoller Musik.

3. Wien kann ich Publikums-Nachwuchs (2-10) aufbauen: Angebote für aktives musizieren der Kinder ausbauen. Beispiele für derzeitige Mängel:

  • Gedränge um Plätze für vorschulische Musikkurse oder um Karten für Jeunesse- Konzerte.
  • NÖ hat fast zehn mal so viele Musikschulplätze wie Wien: 42% der Angemeldeten müssen abgewiesen werden.

Nachwuchs-Pflege ist von zentraler Bedeutung. Wir wissen: Ältere Menschen sind leicht anzusprechen (Kinder aus dem Haus), ganz Junge auch (über Kindergarten und Schule). Aber nur wer in jungen Jahren auch aktiv Musik macht (Instrument, Singen), bleibt in mittlerem Alter als Publikum erhalten. Vorbildlich: Jeunesse. Gut: Das Kinder-Zelt am Dach der Oper.