„Plötzlich geht alles“ – oh alien im mica-Interview

Mit „Surface“ und „Edgy“ veröffentlichte das Wiener Synth-Indiepop-Trio OH ALIEN Ende Mai 2021 seine ersten beiden Singles. Der sphärische, dynamische Sound und Anselma Schneiders Stimme verleiten zum Nachdenken und Tanzen gleichermaßen. Anna Lischka sprach mit OH ALIEN (Rafael Henninger, Anselma Schneider und Luca Weigl) über das Eintauchen ins eigene Selbst, über Raves, Inspirationen und die Zukunft.

Ich hab‘ euch auf FM4 gehört und war überrascht, dass es erst zwei Songs von euch gibt. Wie lange gibt es euch schon als oh alien? 

Luca Weigl: Als oh alien gibt es uns seit einem halben Jahr ungefähr. Da haben wir unseren Social-Media-Auftritt gestartet. Der erste Song ist dann Ende Mai rausgekommen. Davor haben wir aber schon recht lange, mehrere Jahre miteinander gearbeitet und versucht, einen Sound zu finden, zu überlegen, was wir eigentlich machen wollen.  

In eurem ersten Song „Surface“geht es um Selbstreflexion und um das Eintauchen ins eigene Unterbewusstsein. Wollt ihr davon mehr erzählen? 

Anselma Schneider: Ja, gern! Ich hab‘ den Text aus einem Gefühl des ewigen Im-Hamsterrad-Rennens heraus geschrieben, einem Gefühl, alle möglichen Sachen zu tun, aber trotzdem immer nur auf der Oberfläche zu bleiben. Und dann gibt es diesen Moment, wenn man beschließt, mal stehen zu bleiben und tiefer in sich selbst reinzuschauen – welche Träume, Traumata, Ängste und Hoffnungen in einer schlummern. Es geht um die verschiedenen Gefühle, die dieser Moment auslösen kann: Einerseits eine überbordende Euphorie, gleichzeitig kann es aber auch sehr beängstigend sein oder sich so anfühlen, als würde man die Kontrolle verlieren.  

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„But baby can you even swim“, diese Textzeile bezieht sich darauf, oder? 
 
Anselma Schneider: Genau, in der zweiten Strophe. Wasser als Symbol für das Eintauchen, wie in einen Pool. Und dann gibt’s auch den Satz „Let the insects in“, und die Insekten stehen hier für alle diese verschiedenen Geheimnisse in einer selbst. Was dann aber auch ein bisschen überfordernd werden kann. 

Luca Weigl: Wenn wir den Song live spielen, hängen wir einen Teil am Schluss dran, in dem wir so richtig abgehen, uns auf das Verlieren der Kontrolle einlassen und dieses Gefühl in Musik umsetzen.

Das Video dazu, ein sogenannter Lyricalizer von Lea König, ist ein Kunstwerk für sich. Habt ihr da etwas vorgegeben oder hat sie ganz frei gearbeitet? 

Anselma Schneider: Es war eigentlich sehr frei. Lea ist eine tolle Künstlerin und Freundin von uns, die in ihrer Kunst ganz viel mit unterschiedlichen Materialien – vor allem Latex – arbeitet. Wir fanden, dass das zu dem Thema des Songs, dem An-der-Oberfläche-Schwimmen und Eintauchen, passend sein würde.  Wir waren über Kleinigkeiten im Austausch miteinander, aber im Endeffekt ist es ihre Arbeit. Was lustig ist: Lyricalizer, diese Kategorie gibt es unseres Wissens nach nicht. Es gibt Visualizer, aber was Lea so wunderschön umgesetzt hat, ist die Nähe zu den Lyrics. Ich singe zum Beispiel etwas über „spin“ und irgendetwas im Video dreht sich. Es gibt ganz viele Korrelationen zwischen den Lyrics und ihren abstrakten Umsetzungen. Da fanden wir, dass Lyricalizer ein angebrachteres Wort ist.  

In eurem zweiten Song „Edgy“ geht es, so schreibt ihr, um die Struggles, die unsere heutige Welt mit sich bringt und die fragwürdigen Strategien, damit umzugehen. Was meint ihr damit? 

Anselma Schneider: Das kann natürlich ganz individuell variieren, aber in den Lyrics gibt es eine Zeile im Refrain, die darauf anspielt: „You induce a rave, you’re fucking edgy“, das hat auch eine gewisse Ironie. Der Rave ist die beispielhafte Idee dafür. Ich hatte das Bild, das ich von mir selber und meinem Freund*innenkreis gut kenne, wenn man Party macht, alles wirkt edgy und cool, aber im Endeffekt geht es einem vielleicht gar nicht so gut dabei. Ich finde das spannend, weil der Rave oder das Partymachen für zwei Sachen steht: Es kann sehr schön sein, ein Ausdruck von Gemeinschaft und Zusammenhalt, eine positive Ausflucht aus dem Alltag, aber es kann auch etwas Selbstdestruktives sein. Das Bild trägt beides in sich, worauf dann auch die nächste Zeile im Song anspielt: „production of mystery, mysery, minimize the tragedy“ – wie man eben versucht, damit klarzukommen, wie scheiße halt manchmal alles ist.

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Wie entstehen eure Songs? 

Luca Weigl: Eigentlich immer unterschiedlich. Wir schreiben alles gemeinsam, arbeiten meistens zusammen vor dem Computer daran und nehmen auch gleich auf. Das ist mal ein sehr schneller Prozess, manchmal aber auch ein langsamer, bei dem wir immer wieder Dinge probieren, verwerfen und nochmal aufnehmen. Meistens hat jemand eine erste Idee, an der wir dann gemeinsam weiterarbeiten. 

Anselma Schneider: Bei der Art von Musik, die wir machen – bei der man nicht nur mit analogen Instrumenten spielt – ist dieser Schreibprozess extrem vielfältig geworden. Plötzlich geht alles, und deswegen fühlt es sich manchmal auch so an, als würde gar nichts mehr gehen. Ich weiß gar nicht, ob wir jemals die Band sein werden, die dann fürs Songwriting und das Produzieren einfach so ihren Ablauf hat. Ich kann mir auch vorstellen, dass sich das bei uns ständig weiterentwickeln wird.  

Rafael Henninger: Unser Arbeitsprozess prägt die Musik sehr stark mit. In letzter Zeit haben wir durch die viele Arbeit am Computer die Songs langsam entstehen lassen, sie zusammengestellt und positioniert. Es kann sicher auch spannend sein, das in Zukunft nicht mehr so zu machen und vermehrt zu jammen oder mehr das Unmittelbare in der Musik zu suchen.

Luca Weigl: Ich glaube, wir haben alle sehr genaue Vorstellungen davon, wie etwas klingen soll und was uns gefällt oder nicht. Und dann ist es auch sehr spannend, zu versuchen, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Das macht unsere Musik aber aus: dass es auch ein bisschen verschieden klingt, dass wir alle mit unseren Songs zufrieden sein wollen und müssen und sie nicht nur eine Person schreibt.

„Die Idee, Popmusik mit unerwarteten Wendungen zu machen, ist für uns sehr reizvoll […]“

Beim ersten Mal hören hat mich eure Musik spontan an 5KHD erinnert. Welche Musiker*innen haben euch beeinflusst, was gefällt euch? 

Rafael Henninger: Ja, 5KHD, ist eine der vielen tollen Bands in Österreich, die uns in den letzten Jahren stark beeinflusst haben. Vor allem ihre ungewöhnlichen Arrangements waren inspirierend für uns. Die Idee, Popmusik mit unerwarteten Wendungen zu machen, ist für uns sehr reizvoll, weshalb unsere Lieder oft sehr dynamisch sind und selten klassische Abläufe haben. 

Luca Weigl: Eine andere Band aus Österreich, die uns wahrscheinlich alle ein bisschen beeinflusst hat, ist Leyya, auch hinsichtlich der Produktion und DIY – also, dass man einfach ausprobiert, Dinge selber macht und sich traut. Wir nehmen aktuell immer alles selber auf und probieren viel aus. Wir denken, dass wir damit auch die Kontrolle bei uns behalten können. International haben uns zum Beispiel James Blake, Feist, Grace Jones, Andrew Bird und Radiohead inspiriert.

Ihr habt analog begonnen? 

Anselma Schneier: Ja, wir hatten davor alle möglichen anderen Projekte. Wir haben alle drei Jazz-Hintergrund und hatten früher auch ganz klassische Bandkonstellationen.  

Wie war es, die ersten Konzerte zu spielen? 

Luca Weigl: Voll schön. 

Anselma Schneider: Ja, mega schön. Es hat lang gedauert, bis wir endlich spielen konnten. Ursprünglich war das erste Konzert für Mai 2020 angesetzt. Es hat sich richtig, richtig gut angefühlt. Und auch, oh alien endlich unseren Freund*innen vorstellen zu können. Das war im Rhiz und es war crazy, einfach wunderbar.  

Luca Weigl: Vor allem war es auch gut für uns als Bestätigung, dass es nicht nur in unserem Kopf ist, sondern dass es uns wirklich gibt als Band. Dass oh alien endlich in der Realität angekommen ist! Unser erstes Konzert war auf dem Haldern Pop Festival in Deutschland, das war ganz spontan und wir sind dafür sogar extra früher aus dem Urlaub zurückgekommen. Wahnsinn, unser erstes Konzert überhaupt gleich auf einem großen Festival zu spielen.  
 
Wann gibt es mehr von euch zu hören?  

Anselma Schneider:  Am 5. November veröffentlichen wir eine neue Single namens „Wear the Words“. Das ist das erste Lied, dass wir als und für oh alien geschrieben haben, und wir freuen uns so, dass es endlich hinauskommt in die Welt! Es ist ein Mutmacherin-Lied – für uns selbst, aber hoffentlich auch für Hörer*innen. Bis dahin haben wir noch viel zu tun mit dem Musikvideodreh. Und dann kommt im Frühjahr eine EP mit 6 Liedern. Dann können wir hoffentlich auch endlich eine kleine Tour machen. Das ist etwas, worauf wir uns am allermeisten freuen – schon seit wir begonnen haben, Musik zu machen. 

Vielen Dank

Anna Lischka

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